Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

Erstes Halbhundert - Mūlapannāsam

II. BUCH: LÖWENGEBRÜLL - Síhanādavaggo

19. Einteilung der Gedanken - Dvedhāvitakka Sutta

 

So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi. Dort sprach er zu den Bhikkhus:

Vor dem vollen Erwachen, als ich noch Bodhisattva war, dachte ich: Soll ich nicht die Gedanken einteilen? Und ich teilte sie ein in Gedanken der Sinnenlust, der Mißgunst und der Gewalttat als den einen Teil und Gedanken der Entsagung, der Freundlichkeit und der Fried­fertigkeit als den anderen Teil.

Als ich nun unermüdlich, eifrig und willensstark übte, kam mir ein Gedanke sinnlicher Lust, und ich erkannte daß dieser Gedanke mir selbst oder einem andern oder beiden schadet, daß er die Vernunft trübt, Unannehmlichkeiten mit sich bringt und den Weg zum Nirwana ver­sperrt. Und während ich mir das klarmachte, verschwand dieser Gedanke. Jeden Gedanken sinnlicher Lust, der mir kam, überwand ich, vertrieb ich, brachte ich zum Schwinden. Ebenso machte ich es mit Gedanken der Mißgunst und Gedanken der Gewalttat.

Woran man viel denkt, dahin neigt sich das Gemüt. Denkt man viel an Sinnenlust, hat man die Gedanken an Entsagung beiseite geschoben und die Sinnenlustgedanken gepflegt, dann neigt sich das Gemüt zu Sinnenlust. Denkt man viel an Mißgunst oder Gewalttat, hat man die Gedanken an Freundlichkeit oder Friedfertigkeit beiseite geschoben und Gedanken der Miß­gunst oder der Gewalttat gepflegt, dann neigt sich das Gemüt zu Mißgunst oder Gewalttat.

Wie ein Rinderhirt im letzten Monat der Regenzeit, im Herbst, wenn das Korn reif ist, die Rinder in seine Obhut nimmt, sie von hier und dort mit dem Stock zusammenholt und sie in Pferche und Ställe treibt, weil er sieht, daß ihnen sonst Gefahren drohen, ebenso sehe ich in den unheilsamen Regungen das Schlimme, das Eitle, das Schmutzige und in den heilsamen Regungen beim Entsagen das Erhebende, Läuternde.

Als ich unermüdlich, eifrig und willensstark übte, kam mir ein Gedanke des Entsagens, und ich erkannte, daß dieser Gedanke weder mir noch einem andern noch beiden schadet, daß er die Vernunft fördert, keine Unannehmlichkeiten mit sich bringt und den Weg zum Nirwana ebnet. Wenn ich Tag und Nacht darüber nachdächte, würde ich keine Gefahr darin finden. Zu langes Nachdenken würde mich aber ermüden; die Ermüdung würde mein Denken trüben, und trübes Denken hindert die Geistessammlung. Ich stellte also das Nachdenken ein, damit mein Denken sich nicht trübte. Ebenso verhielt ich mich, wenn mir Gedanken der Freundlichkeit oder der Friedfertigkeit kamen.

Woran man viel denkt, dahin neigt sich das Gemüt. Denkt man viel an Entsagen, an Freundlichkeit oder an Friedfertigkeit, hat man Gedanken an Sinnenlust, an Mißgunst und Gewalttat beiseite geschoben und Gedanken an Entsagung, an Freundlichkeit und Fried­fertigkeit gepflegt, so neigt sich das Gemüt zu Entsagung, Freundlichkeit und Friedfertigkeit.

Wie ein Rinderhirt im letzten Sommermonat, wenn die Ernte eingebracht ist, die Rinder in seine Obhut nimmt und unter einem Baum oder unter freiem Himmel nur die Rinder aufmerksam zu beobachten hat, ebenso mußte ich nur die Denkgegenstände aufmerksam beobachten.

Nun war ich willensstark geworden, meine Achtsamkeit war gefestigt, mein Körper ganz ruhig, mein Denken auf einen einzigen Gegenstand gesammelt. Abgelöst vom Verlangen nach Sinnenfreuden und von unheilsamen Regungen erreichte ich die mit Nachdenken und Überlegen verbundene, aus der Ablösung entstandene, von Freude und Wohlbehagen erfüllte erste Stufe der Versenkung und blieb darin. Dann brachte ich das Nachdenken und Überlegen zur Ruhe, in meinem Innern wurde es still, mein Geist war auf einen einzigen Gegenstand gerichtet, und so erreichte ich die aus der Geistessammlung entstandene, von Nachdenken und Überlegen freie, von Freude und Wohlbehagen erfüllte zweite Stufe der Versenkung und blieb darin. Als dann die freudige Erregung abgeklungen war, blieb ich gleichmütig, andächtig und wissensklar, und ich empfand körperlich ein Wohlbehagen, von dem die Edlen sagen: Bei Gleichmut und Andacht fühlt man sich beglückt. So erreichte ich die dritte Stufe der Versenkung und blieb darin. Dann ging ich über Glück und Leid hinweg, auch die Erinnerung an frühere frohe und trübe Stimmungen schwand dahin, und ich erreichte die über Glück und Leid erhabene vierte Stufe der Versenkung, bei welcher Gleichmut und Andacht in höchster Reinheit bestehen, und blieb darin.

Als mein Geist so gesammelt war, ... [wie im 4. Sutta]. Dieses dritte Wissen erlangte ich in der letzten Nachtwache. Unwissenheit verschwand, Wissen trat auf, Finsternis verschwand, Licht trat auf, während ich so unermüdlich, eifrig und willensstark verweilte.

Angenommen, im Walde befindet sich eine große Gazellenherde in der Nähe eines großen, tiefen Sumpfes; dort erscheint ein Mensch, der den Tieren schaden will; einen sicheren, gut gangbaren Weg sperrt er ab, einen gefährlichen Weg macht er frei; dann legt er dorthin einen Köder und stellt ein Weibchen auf, um die Tiere anzulocken; nach einiger Zeit läuft die Herde in ihr Verderben und schmilzt zusammen. Kommt aber zu dieser Herde ein Mensch, der sie retten will, macht den sicheren, gut gangbaren Weg frei und sperrt den gefährlichen ab, nimmt den Köder weg und entfernt das Weibchen, dann kann die Herde wachsen und gedeihen. Dieses Gleichnis habe ich euch, meine Bhikkhus, gegeben, um euch die Sache klarzumachen, und dies ist der Sinn: Der große, tiefe Sumpf bedeutet die Sinnenfreuden, die große Gazellenherde sind die lebenden Wesen, der Mensch, der ihnen schaden will, ist Māra, der Böse, der gefährliche Weg ist ein falscher achtfacher Weg, nämlich falsche Ansicht, falsche Gesinnung, falsches Reden, falsches Tun, falscher Lebensunterhalt, falsche Bemühung, falsche Andacht und falsche Geistessammlung, der Köder ist das leidenschaftliche Begehren, das Weibchen ist die Unwissenheit; der wohlwollende Mensch ist der Vollendete, der Heilige, der vollkommen Erwachte, der sichere, gut gangbare Weg ist der edle achtfache Weg, nämlich rechte Einsicht, rechte Gesinnung, rechtes Reden, rechtes Tun, rechter Lebensunterhalt, rechtes Bemühen, rechte Andacht und rechte Geistessammlung So habe ich den sicheren, gut gangbaren Weg freigemacht und den gefährlichen Weg versperrt, den Köder weggenommen, das Weibchen entfernt. Was ein Lehrer tun kann, um seine Schüler zu fördern, aus Erbarmen mit ihnen, das habe ich für euch getan. Dort sind Bäume und leere Gemächer. Versenkt euch, Bhikkhus, seid nicht nachlässig, damit ihr es nicht später zu bereuen habt. Dies ist meine Weisung an euch.

So sprach der Erhabene, und die Bhikkhus nahmen seine Darlegung mit Freude und Dank an.

  


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