Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

Erstes Halbhundert - Mūlapannāsam

III. BUCH: (GLEICHNISSE - Opamadhammavaggo

27. Die Elefantenspur I - Cūla-hatthipadopama Sutta

 

So habe ich es gehört:

   Einst weilte der Erhabene in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi. Damals fuhr der Brahmane Janussoni in einem weißen Verdeckwagen am frühen Morgen aus Sāvatthi hinaus. Unterwegs begegnete er dem Wandermönch[1] Pilótika und fragte ihn, woher er so früh am Morgen komme. «Vom Samana Gotama», erwiderte Pilótika. «Glaubt ihr», fragte Janussoni weiter, «daß der Samana Gotama außerordentliche Weisheit besitzt? Man hält ihn für weise.» - «Wer bin ich und wer ist überhaupt imstande, die außerordentliche Weisheit Gotamas zu ermessen? Der müßte ihm gleichen, der seine außerordentliche Weisheit ermessen könnte.» - «Das ist ja eine gewaltige Lobpreisung für den Samana Gotama!» - «Wie könnte ich wagen, ihn zu preisen? Der Samana Gotama ist über alles Lob erhaben, er ist der Höchste bei Göttern und Menschen.» - «Welche Vorzüge habt ihr an dem Samana Gotama beobachtet, daß ihr ihm so ergeben seid?» Wenn ein kluger Elefantenjäger in einen Elefantenwald geht und dort eine große Elefantenspur findet, die lang und breit ist, dann kommt er zu dem Schluß, daß ein großer Elefant da sein muß. Ebenso habe ich vier Fußspuren des Samana Gotama gesehen und bin zu dem Schluß gekommen: Der Erhabene muß vollkommen erwacht sein, wohl verkündet muß die Lehre sein, auf dem rechten Wege muß seine Jüngergemeinde wandeln.

Dies sind die vier Fußspuren:

Ich sah einige gelehrte Adlige, Disputierkünstler, die Haare spalten und mit ihrem Scharfsinn Lehrsätze gewissermaßen zersplittern konnten. Diese hörten, der Samana Gotama werde dieses oder jenes Dorf besuchen, und bereiteten eine Frage vor, die sie ihm vorlegen wollten. Sie überlegten sich, wie sie ihn widerlegen wollten, wenn er so oder anders antworten würde. Als dann Gotama das Dorf besuchte, gingen sie zu ihm, und Gotama hielt ihnen eine lehrreiche, zum Nachdenken anregende Ansprache. Darauf legten sie ihm keine Frage vor, geschweige denn, daß sie ihn widerlegten, sondern sie wurden seine Anhänger. Als ich diese erste Fußspur des Samana Gotama sah, kam ich zu dem Schluß; Der Erhabene muß vollkommen erwacht sein, wohl verkündet muß die Lehre sein, auf dem rechten Weg muß seine Jüngergemeinde wandeln.

Weiter sah ich einige gelehrte Brahmanen und einige gelehrte Bürger von derselben Art wie jene Adligen, und ich sah, daß sie ebenso bekehrt wurden. Als ich diese zweite und dritte Fußspur des Samana Gotama sah, kam ich zu demselben Schluß wie bei der ersten. Dann sah ich einige gelehrte Samanas von derselben Art wie jene Adligen. Als Gotama diesen eine Ansprache gehalten hatte, verließen sie ihr Haus und schlossen sich ihm als seine Bhikkhus an. Als Bhikkhus strebten sie fleißig und unermüdlich und erkannten bald jenes Ziel heiligen Strebens, um dessentwillen ehrbare Männer in die Heimatlosigkeit ziehen, noch in diesem Leben selbst, schauten es und gewannen es zu dauerndem Besitz. Diese sprachen: <Wir hatten gänzlich unsern Verstand verloren! Obwohl wir keine (echten) Samanas waren, glaubten wir Samanas zu sein, obwohl wir keine (echten) Brahmanen waren, glaubten wir Brahmanen zu sein, obwohl wir keine Heiligen waren, glaubten wir Heilige zu sein. Jetzt erst sind wir (echte) Samanas, jetzt erst sind wir (echte) Brahmanen, jetzt erst sind wir Heilige.> Als ich diese vierte Fußspur des Samana Gotama sah, kam ich zu dem Schluß: Der Erhabene muß vollkommen erwacht sein, wohl verkündet muß die Lehre sein, auf dem rechten Wege muß die Jüngergemeinde wandeln.»

Nach diesen Worten stieg der Brahmane Janussoni aus seinem weißen Verdeckwagen, entblößte seine Schulter vom Obergewand, verneigte sich mit zusammengelegten Händen in der Richtung zum Erhabenen hin und sprach dreimal feierlich: «Ehre sei ihm, dem Erhabenen, Heiligen, völlig Erwachten!» Darauf fuhr er fort: «Wenn ich doch irgendwann und irgendwie einmal mit dem Herrn Gotama zusammenkommen könnte! Wenn ich doch einmal mit ihm reden könnte!»

Dann ging er zum Erhabenen, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm und berichtete ihm das ganze Gespräch mit Pilótika. Der Erhabene erwiderte: «Das Gleichnis von der Elefantenspur ist so nicht vollständig. Höre zu, wie es vollständig ausgeführt ist:

Wenn ein kluger Elefantenjäger in einen Elefantenwald geht und eine große Elefantenspur findet, die lang und breit ist, dann kommt er noch nicht zu dem Schluß, daß ein großer Elefant da sein muß, denn er weiß, daß es zwergenhafte Elefantenweibchen gibt mit großen Füßen, deren Spur es sein könnte. Geht er weiter und findet wieder eine große Elefantenspur, die tief eingetreten ist, auch dann kommt er noch nicht zu dem Schluß, daß ein großer Elefant da sein muß, denn er weiß, daß es hochgewachsene Elefantenweibchen gibt, deren Spur es sein könnte. Geht er weiter und findet wieder eine große Elefantenspur und oben das Gesträuch von Stoßzähnen zerrissen, auch dann kommt er noch nicht zu dem Schluß, daß ein großer Elefant da sein muß, denn er weiß, daß es große Elefantenweibchen gibt, deren Spur es sein könnte. Geht er weiter und findet eine große Elefantenspur, oben das Gesträuch von Stoßzähnen zerrissen und darüber Reisigbündel und sieht er unter einem Baum oder in einer Lichtung einen Elefanten, der dort geht oder steht, sitzt oder liegt, dann erst kommt er zu dem Schluß, daß dies der große Elefant ist.

Ebenso ist es, wenn ein Vollendeter in der Welt erscheint, ein Heiliger, ein vollkommen Erwachter, der in Wissen und Wandel bewährt ist, ein Pfadvollender, ein Kenner der Welten, ein höchster Führer der irrenden Menschheit, ein Lehrer der Götter und Menschen, ein erhabener Buddha. Er hat diese ganze Welt mit ihren guten und bösen Geistern, mit Brahma, mit Samanas und Brahmanen, mit Göttern und Menschen selbst durchaus erkannt und durchschaut. Er verkündet die Lehre, die am Anfang, in der Mitte und am Ende vortrefflich ist, ihrem Sinn und ihrem Wortlaut nach und zeigt den vollkommen reinen Wandel der Heiligkeit. Ihn hört ein Bürger oder ein Mann aus anderem Stande und faßt Vertrauen zu ihm. Da er ihm vertraut, überlegt er: Das Leben in der Häuslichkeit ist voll Bedrängnis und Unreinheit; als Bhikkhu lebt man unter freiem Himmel; bleibt man im häuslichen Leben, dann kann man nicht leicht einen vollkommen reinen, fehlerfreien Wandel der Heiligkeit führen. Ich will mir also Haar und Bart scheren lassen, ein gelbes Gewand anlegen und aus dem Hause in die Heimatlosigkeit ziehen. Nach einiger Zeit gibt er seinen kleinen oder großen Besitz auf, verläßt seinen kleinen oder großen Verwandtenkreis, schert sich Haar und Bart, legt ein gelbes Gewand an und zieht aus dem Hause in die Heimatlosigkeit. Dann nimmt er die Ordensregeln eines Bhikkhu auf sich. Fern hält er sich von Verletzung lebender Wesen; Stock und Waffen legt er ab, zartfühlend und voll Erbarmen lebt er gegenüber allen Wesen. Er nimmt nichts, was ihm nicht gegeben wird, still wartet er ab, ob ihm etwas gegeben wird, ohne diebische Absicht. Er meidet Unkeuschheit, lebt rein und untadelig, vom Geschlechtsverkehr, dem gemeinen, hält er sich fern. Er meidet Lüge, sagt die Wahrheit, ist zuverlässig und vertrauenswürdig, täuscht niemanden in der Welt. Er meidet üble Nachrede: was er hier gehört hat, sagt er dort nicht weiter, um diese zu entzweien; was er dort gehört hat, sagt er hier nicht weiter, um jene zu entzweien. Entzweite einigt er, Geeinigte festigt er, denn Eintracht erfreut ihn, und er spricht Eintracht fördernde Worte. Grobe Worte meidet er, seine Art zu reden ist fehlerlos, gefällig, liebevoll, zu Herzen gehend, höflich, vielen erfreulich und angenehm. Er meidet leeres Geschwätz, er spricht nur zur rechten Zeit, sagt nur, was wahr ist und einen guten Sinn hat, er redet über die Lehre und die Ordensregeln. Was er sagt, ist wert behalten zu werden, gut begründet, klar und bestimmt, heilsam.

Er vermeidet, Saaten und Pflanzungen zu beschädigen. Er speist nur einmal am Tage, abends ißt er nicht, er ißt nicht zur unrechten Zeit. Er besucht keine Tanz-, Gesangs-, Musik- und Gauklervorstellungen. Er schmückt sich nicht mit Kränzen, Wohlgerüchen oder Salben. Er schläft nicht in hohen und breiten Betten. Gold und Silber nimmt er nicht an, rohes Getreide und rohes Fleisch nimmt er nicht an, Frauen und Mädchen rührt er nicht an, Mägde und Knechte hält er sich nicht, Ziegen und Schafe, Hühner und Schweine, Elefanten und Rinder und Grundstücke nimmt er nicht an. Er übernimmt keine Botengänge, er betreibt keine Handelsgeschäfte; er meidet falsches Gewicht, falsches Geld, falsche Maße, Bestechung, Betrug, List, Raub und Gewalttat. Er ist zufrieden mit dem Gewand, das den Körper umhüllt, und mit Almosenspeise, die den Magen füllt. Nur Gewand und Schale trägt er bei sich, wohin er auch geht, wie ein Vogel nur sein Gefieder bei sich trägt, wohin er auch fliegt. Mit solcher Sittlichkeit eines Edlen ausgestattet, fühlt er in sich ein reines Glück. Wenn er mit dem Auge eine sichtbare Gestalt sieht, mit dem Ohr einen Ton hört, mit der Nase einen Duft riecht, mit der Zunge einen Saft schmeckt, mit dem Körper Tastbares berührt, mit dem Verstand eine Vorstellung erkennt, so greift er nicht begierig danach; weil ihn bei unbewachten Sinnen Begehren, Unbehagen, böse, unheilsame Regungen anwandeln würden, beherrscht er sich und bewacht seine Sinne. Mit solcher Wachsamkeit gegenüber den Sinnen ausgestattet fühlt er in sich ein reines Glück. Wenn er fortgeht oder zurückkommt, wenn er hinblickt oder wegblickt, wenn er ein Glied beugt oder ausstreckt, wenn er Gewand und Schale trägt, wenn er ißt und trinkt, wenn er seine Notdurft verrichtet, wenn er geht, steht, sitzt, einschläft, aufwacht, redet oder schweigt, immer ist er wissensklar.

Ausgestattet mit diesen Eigenschaften eines Edlen, mit dem Schatz der Sittlichkeit, der Beherrschung der Sinne, der Besonnenheit und Wissensklarheit, zieht er sich gern zurück, sei es in eine menschenleere Gegend, unter einen Baum, auf einen Berg, in eine Schlucht, in eine Felsenhöhle, auf einen Friedhof, in dichten Wald oder auf eine Lichtung oder auf einen Strohhaufen. Nach der Mahlzeit setzt er sich mit gekreuzten Beinen und gerade aufgerichtetem Oberkörper nieder und übt sich in besonnenem Denken. Er legt weltliches Begehren ab, bleibt frei davon und läutert seinen Geist von weltlichem Begehren. Er legt Übel wollen und Schadenfreude ab und bleibt frei davon; nur bedacht auf aller Wesen Wohlsein, läutert er seinen Geist von Übelwollen und Schadenfreude. Er legt Trägheit und Schlaffheit ab und bleibt frei davon; klaren Geistes, besonnen und wissensklar läutert er seinen Geist von Trägheit und Schlaffheit. Er legt ruheloses Grübeln ab und bleibt frei davon; innerlich ganz beruhigt läutert er seinen Geist von ruhelosem Grübeln. Er legt Zweifelsucht ab und bleibt frei davon; ohne noch fragen zu müssen, was heilsam sei, läutert er seinen Geist von Zweifelsucht.

Hat er diese fünf Hemmnisse, die er als Trübungen des Geistes und als schwächend erkannte, abgetan, dann löst er sich ab von dem Verlangen nach Sinnenfreuden und von unheilsamen Regungen und erreicht die mit Nachdenken und Überlegen verbundene, aus dieser Ablösung entstandene, mit Freude und Wohlbehagen erfüllte erste Stufe der Versenkung und bleibt darin. Dies, Brahmane, nennt man eine Fußspur oder ein Merkzeichen des Vollendeten. Hierbei kommt aber ein Edeljünger noch nicht zu dem Schluß, daß der Erhabene voll erwacht, die Lehre wohl verkündet und die Jüngergemeinde auf dem rechten Wege sei.

Dann erreicht er die zweite, die dritte und die vierte Stufe der Versenkung[2] und bleibt darin. Auch dies nennt man eine Fußspur oder ein Merkzeichen des Vollendeten. Aber auch hierbei kommt ein Edeljünger noch nicht zu dem Schluß, daß der Erhabene voll erwacht, die Lehre wohl verkündet und die Jüngergemeinde auf dem rechten Wege sei.

Wenn sein Gemüt auf solche Weise beruhigt ist, gereinigt, geläutert, frei von Begierde, sanft, fügsam, fest und unveränderlich, wendet er sein Denken zu der Erinnerung und Erkenntnis seiner früheren Daseinsformen, und er erinnert sich nacheinander an hunderttausende seiner früheren Daseinsformen bis in frühere Weltperioden zurück. Auch dies nennt man eine Fußspur oder ein Merkzeichen des Vollendeten. Aber auch hierbei kommt ein Edeljünger noch nicht zu dem Schluß, daß der Erhabene voll erwacht, die Lehre wohl verkündet und die Jüngergemeinde auf dem rechten Wege sei.

Dann richtet er sein Denken auf das Vergehen und Wiederentstehen der Wesen. Er sieht mit himmlischem, klarem, übermenschlichem Blick, wie die Wesen vergehen und wiederentstehen, er erkennt die niedrigen Wesen und die hohen, die schönen und die unschönen, die glücklichen und die elenden, wie es ihnen je nach ihren Taten ergeht: die Wesen, die in Werken, Worten und Gedanken schlecht gelebt, die über die Edlen Böses geredet haben, die falsche Ansichten hatten und demgemäß handelten, diese sind nach dem Tode in Leid und Qual, in peinvollen Zustand, in die Hölle gekommen. Jene Wesen aber, die Gutes getan haben in Werken, Worten und Gedanken, die rechte Einsicht hatten und demgemäß handelten, sind nach dem Tode in glücklichen Zustand, in das Himmelreich gekommen. Das erkennt er. Auch dies nennt man eine Fußspur oder ein Merkzeichen des Vollendeten. Aber auch hierbei kommt der Edeljünger noch nicht zu dem Schluß, daß der Erhabene voll erwacht, die Lehre wohl verkündet und die Jüngergemeinde auf dem rechten Wege sei.

Dann richtet er sein Denken auf die Erkenntnis von der Vernichtung der Anwandlungen[3], und er erkennt der Wahrheit gemäß, worin das Übel und die Anwandlungen bestehen, was ihr Ursprung ist, wie sie beendet werden können und welches der Weg zu ihrem Ende ist. Auch dies nennt man eine Fußspur oder ein Merkzeichen des Vollendeten. Aber auch hierbei kommt ein Edeljünger noch nicht zu dem Schluß, daß der Erhabene voll erwacht, die Lehre wohl verkündet und die Jüngergemeinde auf dem rechten Wege sei.

Während er dies erkennt, wird sein Geist frei von den Anwandlungen sinnlichen Begehrens, frei von Lebensgier und frei von der Unwissenheit. Er wird sich bewußt, daß er erlöst ist, daß für ihn der Lauf der Wiedergeburten beendet ist, daß er das Ziel reinen Strebens erreicht und getan hat, was zu tun war, und daß er zur Welt nicht mehr zurückkehren wird. Auch dies nennt man eine Fußspur oder ein Merkzeichen des Vollendeten. Nun erst kommt ein Edeljünger zu dem Schluß, daß der Erhabene voll erwacht, die Lehre wohl verkündet und die Jüngergemeinde auf dem rechten Wege ist. So erst ist das Gleichnis von der Elefantenspur vollständig.»

Nach diesen Worten bekannte sich der Brahmane Janussoni als überzeugt[4], nahm seine Zuflucht zu Buddha, zur Lehre und zur Jüngergemeinde und erklärte sich als Laienanhänger auf Lebenszeit.



[1]paribbājaka, <Wandermönch>, ist ein nichtbuddhistischer Sāmana.

[2]Im Text ausführlich mit denselben Worten wie im 4. Sutta.

[3]Siehe 2. Sutta mit Anmerkungen.

[4]Im Text folgen dieselben Worte wie am Schluß des 4. Suttas.


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