Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

Erstes Halbhundert - Mūlapannāsam

IV. BUCH: GROSSE PAARE - Mahāyamakavaggo

37. Vernichtung des Durstes I - Cūla-tanhā-sankhaya Sutta

 

So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene auf der Terrasse der Mutter des Migara im Ostpark bei Sāvatthi. Da erschien vor ihm Sakka, der Indra der Götter und sprach: «Herr! Auf welche Weise ist, kurz gesagt, ein Bhikkhu durch Vernichtung des Durstes erlöst, endgültig gefestigt, endgültig gesichert, am Ende des Reinheitswandels, am Ziel angelangt, der beste der Götter und Menschen?»

Der Erhabene erwiderte «Indra! Wenn ein Bhikkhu darüber belehrt worden ist, daß kein Ding erstrebenswert ist, dann versteht er jedes Ding und durchschaut es; und wenn er es durchschaut hat, beobachtet er bei jeglichem Gefühl, das er empfindet, sei es ein Lustgefühl oder ein Unlustgefühl oder ein neutrales Gefühl, die Unbeständigkeit, er betrachtet es ohne Leidenschaft, er beobachtet das Aufhören, er betrachtet es entsagend. Wenn er es so betrachtet, haftet er an nichts in der Welt; wenn er an nichts haftet, regt ihn nichts auf; und wenn ihn nichts aufregt, so ist er als Einzelwesen ganz erloschen; er weiß, daß (für ihn) der Lauf der Wiedergeburten beendet ist, daß er das Ziel des Reinheitswandels erreicht und getan hat, was zu tun war, und daß er mit der Welt nichts mehr zu schaffen hat. Auf diese Weise ist, kurz gesagt, ein Bhikkhu durch Vernichtung des Durstes erlöst, endgültig gefestigt, endgültig gesichert, am Ende des Reinheitswandels, am Ziel angelangt, der beste der Götter und Menschen.»

Befriedigt über die Auskunft verabschiedete sich Indra ehrerbietig und verschwand.

Der ehrwürdige Mahamoggallāna, der gerade in der Nähe des Erhabenen saß, dachte: «Ob wohl dieser Yakkha[1] die Erklärung des Erhabenen richtig verstanden hat? Ich möchte es gern wissen.» Und er verschwand so schnell, wie ein starker Mann seinen gekrümmten Arm ausstreckt oder seinen ausgestreckten Arm krümmt, von der Terrasse und erschien im Himmel der Dreiunddreißig Götter. Indra ging dort gerade in einem Park mit weißen Lotosblüten spazieren und genoß großartige himmlische Musik. Als er den ehrwürdigen Mahamoggallāna kommen sah, winkte er der Musik ab, ging ihm entgegen und sagte: «Willkommen hoher Herr[2] Mahamoggallāna! Ich habe schon lange gehofft, Euch hier zu sehen. Bitte, nehmt Platz, hoher Herr Mahamoggallāna!» Mahamoggallāna setzte sich, und Indra nahm einen niedrigeren Sessel und setzte sich zu ihm. Dann sagte Mahamoggallāna: «Bitte, Kósiya[3], laß mich hören, wie dir der Erhabene die Erlösung durch Vernichtung des Durstes kurz erklärt hat!» Darauf Indra: «Hoher Herr Mahamoggallāna! Ich habe viel zu tun, sowohl in meinen eigenen Angelegenheiten als auch für die Dreiunddreißig Götter, aber ich habe gut zugehört, habe es begriffen und es mir gemerkt, so daß ich es nicht bald vergessen werde. Einst kämpften die Götter mit den Dämonen, und die Götter siegten, die Dämonen unterlagen. Zur Erinnerung an diesen Kampf habe ich ein Siegesschloß bauen lassen, das hundert Tore hat; über jedem Tor sind siebenmal sieben Türmchen, in jedem Türmchen sind siebenmal sieben Nymphen, und jede Nymphe hat siebenmal sieben Dienerinnen. Möchtet Ihr nicht, hoher Herr Mahamoggallāna, dieses herrliche Schloß sehen?» Schweigend nahm Mahamoggallāna die Einladung an. Darauf begaben sich Indra und Mahamoggallāna zu dem Schloß. Als Indras Dienerinnen den ehrwürdigen Mahamoggallāna kommen sahen, zogen sie sich schamhaft in die inneren Gemächer zurück, wie eine Schwiegertochter, die ihren Schwiegervater erblickt. Nun führten Indra und der Großkönig Vessāvana[4] den ehrwürdigen Mahamoggallāna in dem Schloß umher und zeigten ihm die Herrlichkeiten, und Mahamoggallāna sagte: «Glänzend ist dieser Besitz des ehrwürdigen Kósiya, wie eine Belohnung für frühere gute Werke. Die Menschen sagen ja, wenn sie etwas Herrliches sehen, es glänze wie bei den Dreiunddreißig Göttern.» Dann dachte Mahamoggallāna: <Allzu leichtfertig ist dieser Yakkha, ich möchte ihn etwas aufrütteln, und er ließ eine magische Erscheinung von der Art entstehen, daß es so schien, als ob er mit der großen Zehe das Siegesschloß zum Wanken brächte. Indra, Vessāvana und die Dreiunddreißig Götter erschraken heftig und staunten über die große Wundermacht des Samana. Als Mahamoggallāna den Götterkönig Indra erschüttert und mit gesträubtem Haar dastehen sah, sagte er noch einmal: «Bitte, Kósiya, laß mich hören, wie dir der Erhabene die Erlösung durch Vernichtung des Durstes erklärt hat!» Nun berichtete Indra ihm, wie er vor dem Erhabenen erschien, wie er ihn fragte und, Wort für Wort, was der Erhabene ihm antwortete[5]. Mahamoggallāna war davon befriedigt, verschwand aus dem Himmel der Dreiunddreißig Götter und erschien wieder auf der Terrasse der Mutter des Migara. Als er fort war, sagten Indras Dienerinnen zu Indra: «Hoher Herr! War dieser, der bei dir war, der Erhabene, der Meister?» - «Nein, meine Damen», erwiderte Indra, «das war nicht der Erhabene, der Meister, sondern sein Schüler, der ehrwürdige Mahamoggallāna.» - «Welches Glück für Euch, hoher Herr, daß es ein Schüler war, der so große Wundermacht besitzt! Ach, wenn es der Erhabene, der Meister, gewesen wäre!»

Mahamoggallāna ging nun zum Erhabenen und fragte ihn, ob er soeben einem großmächtigen Yakkha die Erlösung durch Vernichtung des Durstes kurz erklärt habe. Darauf wiederholte der Erhabene Wort für Wort das Gespräch mit Indra.

So sprach der Erhabene. Mahamoggallāna nahm seine Erklärung mit Freude und Dank an.

 



[1]yakkha; so werden Geister niedriger Art bezeichnet, die allerlei Spuk verursachen, also Kobolde oder Poltergeister.

[2]mārisa, eine besonders höfliche Anredeform.

[3]Indra ist gewissermaßen die Amtsbezeichnung oder der Titel des jeweiligen Königs der Dreiunddreißig, der, wie alle Götter, nicht unsterblich ist; Sakka ist sein persönlicher Name oder sein Vomame, Kósiya sein Familien- oder Geschlechtsname. Die Anrede mit dem Familiennamen ohne <Herr> darf sich nur ein Höherer gegen einen Untergebenen erlauben, und wenn der Angeredete darauf eingeht, erkennt er den andern als höherstehend an.

[4]Vessāvana, sanskr. Vaisrāvana, auch Kubera genannt, ist der Gott des Reichtums, einer der vier <Welthüter>, welche die unterste Götterklasse bilden. Sie stehen unter den Dreiunddreißig und nach der älteren Mythologie haben sie keinen Zutritt zu deren Himmel.

[5]Im Text wörtlich wiederholt.


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