Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

VI. BUCH: HAUSHERREN - Gahapativaggo

53. Der Strebende - Sekhapatipadā Sutta

 

So habe ich es gehört: 

Einst weilte der Erhabene im Feigenhain bei Kapilavatthu im Lande der Sakyer. Damals war für die Sakyer, die adligen Ratsherren von Kapilavatthu, gerade ein neues Rathaus gebaut worden, das noch kein Mensch betreten hatte, und die Sakyer baten den Erhabenen, das Rathaus einzuweihen; das würde den Sakyern für lange Zeit Glück bringen. Schweigend stimmte der Erhabene zu. Darauf ließen die Sakyer das ganze Rathaus mit Matten belegen, Sessel aufstellen, Gefäße mit Wasser hinstellen und eine Öllampe herrichten. Als das geschehen war, baten sie den Erhabenen zu kommen. Mit einer Bhikkhugemeinde kam der Erhabene, wusch die Füße, trat in den Saal ein und setzte sich beim mittleren Pfeiler, nach Osten gewandt, nieder. Auch die Bhikkhus wuschen die Füße, traten ein und setzten sich an die westliche Wand, mit dem Gesicht nach Osten, so daß der Erhabene vor ihnen saß. Dann wuschen die Sakyer die Füße, traten ein und setzten sich an die östliche Wand, mit dem Gesicht nach Westen, so daß auch sie den Erhabenen vor sich hatten. Darauf hielt ihnen der Erhabene bis tief in die Nacht eine lehrreiche, zu Herzen gehende Rede und sagte zum Schluß zu dem ehrwürdigen Ānanda: «Entsinne dich der Lehre, wie man als Strebender dem rechten Pfad folgt, und trage sie den Sakyern vor; mein Rücken schmerzt mich, ich will mich ausstrecken.» Ānanda erklärte sich dazu bereit, und der Erhabene faltete sein Obergewand vierfach, legte sich darauf wie ein Löwe auf die rechte Seite, einen Fuß über dem andern, und bedachte achtsam und wissensklar, wann er wieder aufstehen wollte. Nun sprach Ānanda, zu Mahanama, dem Oberhaupt der Sakyer, gewandt:

«Mahanama, ein Edeljünger hält sich streng an die Sittenregeln, bewacht die Tore der Sinne, hält beim Essen Maß, befleißigt sich, wach zu sein, besitzt sieben gute Eigenschaften und erfreut sich der vier Stufen der Versenkung, die den Geist klären und schon in diesem Leben glückselig machen; er kann sie ohne Mühe erlangen.

Seine Sittlichkeit besteht darin, daß er die Sila, die Sittenregeln, befolgt, sich im Sinne der Ordensvorschriften selbst beherrscht, ein würdiges Benehmen zeigt, die geringsten Fehler ängstlich meidet und sich im sittlichen Verhalten übt. Seine Wachsamkeit an den Toren der Sinne besteht darin, daß er, wenn er etwas Sichtbares sieht, einen Ton hört, einen Duft riecht, einen Saft schmeckt, etwas Tastbares fühlt oder eine Vorstellung denkt, weder an der Erscheinung im ganzen noch an ihren Einzelheiten haftet. Weil ihn bei unbewachten Sinnen Wünsche, Sorgen und andere schlechte, unheilsame Regungen befallen würden, übt er Selbstbeherrschung und bewacht seine Sinne, beherrscht sie. Seine Mäßigung beim Essen besteht darin, daß er die Nahrung mit Bedacht einnimmt, nicht zum Vergnügen und zum Behagen, nicht um schön und üppig zu werden, sondern nur um den Fortbestand seines Leibes zu sichern, um Schaden zu verhüten und einen reinen Lebenswandel führen zu können. Dabei bedenkt er: So werde ich das Ergebnis früheren Wirkens absterben lassen und kein Ergebnis neuen Wirkens aufkommen lassen, ich werde meinen Lebensunterhalt haben, keinen Tadel verdienen und mich wohl befinden. Er befleißigt sich wach zu sein, indem er bei Tage umhergehend und sitzend seinen Geist von störenden Regungen läutert, auch in der ersten Nachtwache umhergehend oder sitzend seinen Geist von störenden Regungen läutert, in der mittleren Nachtwache sich wie ein Löwe auf die rechte Seite legt, einen Fuß über dem andern, und achtsam und wissensklar bedenkt, wann er wieder aufstehen will, in der letzten Nachtwache aber wieder umhergehend oder sitzend seinen Geist von störenden Regungen läutert.

Die sieben guten Eigenschaften eines Edeljüngers sind diese: Er hat Vertrauen zum Vollendeten, indem er denkt:

Heilig, erhaben, der völlig Erwachte, welcher in Wissen und Wandel bewährt ist, Kenner der Welten, zum Heile gekommen, bester Erzieher der irrenden Menschheit, Lehrer der Götter und Menschen ist Buddha.

Er hat Schamgefühl; er würde sich schämen, etwas Unrechtes zu tun, zu reden oder zu denken; er hütet sich vor schlechten, unheilsamen Regungen.

Er ist gewissenhaft; er scheut sich davor, etwas Unrechtes zu tun, zu reden oder zu denken; er scheut sich vor schlechten, unheilsamen Regungen.

Er ist wohlunterrichtet; er behält, was er gelernt hat, und bewahrt es im Gedächtnis; er hat die am Anfang, in der Mitte und am Ende guten Lehren, die einen vollkommen reinen Lebenswandel zeigen, nach Sinn und Wortlaut gründlich gelernt, sorgfältig durchdacht und geistig durchdrungen.

Er hat Tatkraft; er kann unheilsame Regungen vertreiben und heilsame gewinnen; er ist willensstark und läßt sich von dem Streben nach dem Heilsamen nicht abbringen.

Er hat ein gutes Gedächtnis und erinnert sich genau alles dessen, was vor langer Zeit geschehen und gesprochen worden ist.

Er ist weise; er besitzt die Weisheit, die über Tod und Leben hinaus führt, die edle Weisheit, die zur rechten Überwindung aller Übel dient.

Dies sind die sieben guten Eigenschaften eines Edeljüngers. Er erfreut sich der vier Stufen der Versenkung, die er ohne Mühe erlangen kann[2].

Ein Edeljünger, der alle diese Vorzüge besitzt, heißt ein Strebender, der dem rechten Pfad folgt, der so ist, wie er sein soll[3], der fähig ist zu durchdringendem Wissen, fähig zum Erwachen, fähig, zum höchsten Frieden zu gelangen.

Wenn eine Henne acht oder zehn oder zwölf Eier hat und sie gut bebrütet, wie sollte sie da nicht wünschen, daß ihre Hühnchen die Eischale mit den Krallen oder mit dem Schnabel durchbrechen? Und schließlich können sie die Eischale durchbrechen und kommen heil heraus. Ebenso kann ein Edeljünger mit allen den genannten Vorzügen zu durchdringendem Wissen, zum Erwachen, zum höchsten Frieden durchbrechen.

Wenn ein Edeljünger die vierte Stufe der Versenkung erreicht und damit die höchste Reinheit von Gleichmut und Achtsamkeit gewonnen hat, kann er sich seiner früheren Daseinsformen erinnern. Dies ist sein erster Durchbruch wie der des Hühnchens aus der Eihülle. Dann kann er mit himmlischem, übermenschlichem Blick das Hinschwinden und Wiederentstehen der Wesen schauen. Dies ist sein zweiter Durchbruch wie der des Hühnchens aus der Eihülle. Dann gelangt er zur Vernichtung der Anwandlungen, zur Befreiung des Geistes durch Weisheit und erreicht schon in diesem Leben aus eigener Kraft das höchste Wissen. Dies ist sein dritter Durchbruch wie der des Hühnchens aus der Eihülle.

Daß ein Edeljünger sich streng an die Sittenregeln hält, daß er die Tore der Sinne bewacht, daß er beim Essen Maß hält, daß er sich des Wachseins befleißigt, daß er jene sieben guten Eigenschaften hat und daß er die vier Stufen der Versenkung ohne Mühe erlangen kann, dies alles gilt als sein Wandel. Daß er sich seiner früheren Daseinsformen erinnert, daß er das Hinschwinden und Wiederentstehen der Wesen schaut und daß er zur Befreiung des Geistes durch Weisheit gelangt, dies gilt als sein Wissen. Ein solcher heißt in Wissen und Wandel bewährt.

Brahma Sanankumara hat diesen Vers gesprochen:

 

Der Adel gilt als erster Stand beim Volke, das Geburtsrang schätzt;
Am höchsten aber wird geehrt, wer in Wissen und Wandel vollkommen ist.

 

Brahma hat dies gut gesungen und gesprochen, es trifft zu, der Erhabene hat es bestätigt.»

Darauf erhob sich der Erhabene und dankte Ānanda für seinen Vortrag.

So sprach Ānanda und wurde dafür vom Erhabenen gelobt. Erfreut dankten die Sakyer von Kapilavatthu dem ehrwürdigen Ānanda für seinen Vortrag.



[2]Im Text ausführlich mit denselben Worten wie im 4. Sutta.

[3]Wörtlich <nicht wie ein faules Ei>, womit auf den folgenden Vergleich mit den jungen Hühnern angespielt wird. <Nicht wie ein faules Ei> war wahrscheinlich ein Ausdruck der gewöhnlichen Umgangssprache, der dem Redner den Vergleich nahelegte.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus