So habe ich es gehört:
Einst weilte der Erhabene am Eichhörnchenfutterplatz im Bambushain bei Rājagaha. Da kam der Wandermönch Vacchagotta zu Ihm, begrüßte ihn höflich, setzte sich zu ihm und sprach: «Schon lange hat Herr Gotama mit mir Gespräche geführt. Bitte, Herr Gotama, erklärt mir kurz, was heilsam und was unheilsam ist!» Der Erhabene erwiderte: «Ich kann es dir kurz oder ausführlich erklären, und ich will es dir kurz erklären. Höre zu und denke darüber nach!» Vacchagotta stimmte zu, und der Erhabene sprach:
«Begehren ist unheilsam, nicht begehren ist heilsam; hassen ist unheilsam, nicht hassen ist heilsam; irren ist unheilsam, nicht irren ist heilsam. Das sind die drei unheilsamen und die drei heilsamen Arten, sich zu verhalten. Lebende Wesen töten ist unheilsam, sich des Tötens enthalten ist heilsam; nehmen, was nicht gegeben wird, ist unheilsam sich dessen enthalten ist heilsam; unzüchtig leben ist unheilsam, züchtig leben ist heilsam; lügen ist unheilsam, nicht lügen ist heilsam; verleumden ist unheilsam, nicht verleumden ist heilsam; grob reden ist unheilsam, höflich reden ist heilsam; schwatzen ist unheilsam, nicht schwatzen ist heilsam; wünschen ist unheilsam, wunschlos sein ist heilsam; Bosheit ist unheilsam, Wohlwollen ist heilsam; falsche Ansicht ist unheilsam, rechte Einsicht ist heilsam. Das sind die zehn unheilsamen und die zehn heilsamen Lebensweisen. Wenn bei einem Bhikkhu der Durst oder Lebenstrieb vernichtet und entwurzelt ist wie eine Palme, so daß er nicht wieder aufleben kann, dann ist dieser Bhikkhu ein Heiliger, der die Anwandlungen abgewehrt, das Ziel des Reinheitslebens erreicht und getan hat, was zu tun war, der die Bürde abgeworfen hat und nicht mehr wiedergeboren wird, der die Daseinsfesseln ganz zerrissen hat und durch rechtes Wissen befreit ist.»
Darauf sagte Vacchagotta: «Herr Gotama, das mag so sein; gibt es aber einen Jünger des Herrn Gotama, der die Anwandlungen abgewehrt und schon in diesem Leben die von Anwandlungen freie Geisteserlösung durch Weisheit selbst erlebt und sich zu eigen gemacht hat?» - «Nicht einhundert», erwiderte der Erhabene, «nicht fünfhundert, sondern mehr meiner Jünger haben das erreicht.» Vacchagotta fragte weiter[1], ob auch eine Bhikkhuni schon in diesem Leben die Erlösung erreicht habe, und der Erhabene erwiderte: mehr als fünfhundert. Weiter fragte Vacchagotta, ob enthaltsam lebende männliche und weibliche Laienanhänger schon die fünf niederen Fesseln[2] gesprengt haben, so daß sie als höhere Wesen wiedererscheinen und dort das Nirwana erreichen, ohne von jener Welt zurückkehren zu müssen; ob männliche und weibliche Laienanhänger, welche die Sinnenfreuden genießen, der Lehre folgen, ohne zu zweifeln und zu schwanken und, ohne weiterer Belehrung zu bedürfen, von der Lehre des Meisters fest überzeugt sind. Der Erhabene antwortete auf jede dieser Fragen, daß mehr als fünfhundert solcher Laienanhänger vorhanden sind. Nun sagte Vacchagotta: «Wenn nur Herr Gotama das Heil erlangt hätte, aber nicht seine Bhikkhus und Bhikkhunis, und wenn die Laienanhänger nicht solche Fortschritte in der Lehre gemacht hätten[3], dann wäre dieser Reinheitswandel insofern unvollkommen; da dies sich aber nicht so verhält, ist dieser Reinheitswandel insofern vollkommen. Wie der Ganges sich dem Meere zuneigt, dem Meere zustrebt und im Meer endet, so neigt sich die Gemeinde der Laienanhänger und Bhikkhus des Herrn Gotama dem Nirwana zu, strebt dem Nirwana zu und endet im Nirwana.» Noch einmal erklärte sich Vacchagotta mit den üblichen Worten[4] für überzeugt, nahm seine Zuflucht zu Buddha, zur Lehre und zur Jüngergemeinde; diesmal aber bat er um Aufnahme in den Orden und erhielt von Buddha in der üblichen Weise[5] die erste und die zweite Weihe.[6]
[Vierzehn Tage nachdem Vacchagotta in den Orden aufgenommen worden war, ging er zum Erhabenen und sagte: «Soviel man durch Übung in Erkenntnis und Wissen erreichen kann, das habe ich erreicht; nun bitte ich den Erhabenen, mir noch eine weitere Belehrung zu erteilen.» - «Dann», sagte der Erhabene, «entwickle noch zwei weitere Eigenschaften: Beruhigung und Hellsicht (samatha und vipassanā); wenn du sie entwickelt hast, werden sie dir helfen, manche Zustände zu durchdringen. Du kannst dann, sobald du es wünschst, verschiedene Wunderkräfte beherrschen: du kannst dich vervielfältigen und wieder einer werden, du kannst unverletzt durch Mauern, Wälle und Berge hindurchgehen, du kannst in der Erde versinken und wieder auftauchen, du kannst auf dem Wasser wandeln, als wäre es fester Boden, du kannst dich mit gekreuzten Beinen in die Luft erheben wie ein Vogel, du kannst Mond und Sonne mit der Hand berühren und sogar körperlich in die Brahmawelt eingehen. Wenn du es wünschst, kannst du mit himmlischem, übermenschlichem Gehör beiderlei Töne hören, göttliche und menschliche, ferne und nahe, und kannst auch die Denkweise der anderen Menschen erkennen[7]. Ferner kannst du, wenn du willst, dich an deine früheren Daseinsformen erinnern bis in frühere Weltperioden zurück und mit himmlischem, übermenschlichem Auge sehen, wie die Wesen je nach ihren Taten dahinschwinden und wiedererscheinen bis hinab in die Hölle und bis hinauf in den Himmel. Endlich kannst du, wenn du es willst, die Anwandlungen abwehren und die von Anwandlungen freie Geisteserlösung durch Weisheit schon in diesem Leben klar erkennen und dir zu eigen machen.»
Darauf verabschiedete sich Vacchagotta höflich vom Erhabenen, übte zurückgezogen und eifrig und erreichte bald das höchste Ziel, das Nirwana, in diesem Leben. So ist er ein Heiliger geworden. - Damals suchten viele Bhikkhus den Erhabenen auf. Als Vacchagotta sie kommen sah, bat er sie, dem Erhabenen seinen Gruß zu bestellen. Sie bestellten den Gruß, und der Erhabene sprach: «Ich habe bereits im Geiste erkannt, daß Vacchagotta das dreifache Wissen erlangt hat und große Wunderkräfte besitzt.» So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahmen die Bhikkhus seine Erklärung an.]
[1] Im Text werden jedes Mal die gleichen Worte wiederholt.
[2] Hieran erkennt man die spätere Überarbeitung. Vacchagotta konnte nichts von den fünf Fesseln wissen, da diese Lehre erst später aufkam.
[3] Im Text alles ausführlich mit denselben Worten wie vorher.
[4] Im Text ausführlich mit denselben Worten wie im 4. Sutta am Schluß.
[5] Im Text ausführlich mit denselben Worten wie im 57. Sutta.
[6] Hier endet das ursprüngliche Sutta; das Folgende ist als spätere Zutat zu erkennen: samatha und vipassanā sind Abhidhamma-Ausdrücke; die Wunderkräfte kann Buddha nicht empfohlen haben, denn er hat sie nach Dighanikāya XI ausdrücklich verworfen, das <dreifache Wissen, ist Wiederholung aus dem 36. Sutta.
[7] Hier werden die verschiedenen Arten von Gedanken mit denselben Worten aufgezählt wie im 10. Sutta.