„Ein jedes Pferd an andren Stellen“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Mönch, der der Gefährte [1] des Heerführers der Lehre und früher Goldschmied gewesen war. Nur die Buddhas aber besitzen die Kenntnis der Gedanken und Wünsche, andere nicht. Da also der Heerführer der Lehre für sich die Kenntnis der Gedanken und Wünsche nicht besaß und die Gedanken und Wünsche seines Gefährten nicht kannte, gab er ihm die Unreinheit als Betrachtungsstoff. Dies passte aber nicht für ihn, warum? Er hatte der Reihe nach in fünfhundert Existenzen seine Wiedergeburt in einer Goldschmiedsfamilie genommen. Da er nun so lange Zeit nur das Anschauen des ganz reinen Goldes betätigt hatte, war die Unreinheit (als Betrachtungsstoff) nicht passend für ihn. Und er brachte vier Monate hin, ohne auch nur den Gegenstand der Betrachtung begreifen zu können.
Da nun der Heerführer der Lehre seinem Gefährten die Heiligkeit nicht verschaffen konnte, dachte er: „Sicherlich ist dieser ein von Buddha zu Bekehrender; ich will ihn zu dem Vollendeten hinführen.“ Und er ging mit ihm in der Frühe zu dem Meister hin. Der Meister fragte: „Warum, Sāriputta, bist du mit einem Mönche gekommen?“ Sāriputta antwortete: „Ich, o Herr, gab diesem einen Betrachtungsstoff, aber in vier Monaten hat er nicht einmal den Gegenstand der Betrachtung begriffen; daher dachte ich: ‘Er wird ein von Buddha zu Bekehrender sein’, und bin mit ihm zu Euch gekommen.“ Buddha fragte weiter: „Sāriputta, welchen Betrachtungsstoff hast du deinem Gefährten gegeben?“ Er erwiderte: „Die Betrachtung von der Unreinheit, Erhabener.“ Darauf sprach Buddha: „Sāriputta, du besitzest nicht die Kenntnis der Gedanken und Wünsche der Wesen. Gehe jetzt und komme zur Abendzeit mit deinem Gefährten wieder.“ Nachdem der Meister so den Thera entlassen hatte, ließ er dem Mönche ein hübsches Unter- und Obergewand geben, ging mit ihm zum Almosen Sammeln und ließ ihm vorzügliche harte und weiche Speise reichen.
Dann begab er sich, umgeben von einer großen Schar Mönche, wieder nach dem Kloster und verbrachte in seinem duftenden Gemache einen Teil des Tages; hierauf nahm er den Mönch mit auf einem Gange von Kloster zu Kloster [2], erschuf in einem Mangowalde einen Lotosteich und darin einen großen Lotosbusch, bildete dort eine große Lotosblume und ließ ihn dort niedersitzen, indem er sprach: „Setze dich hier hin, Mönch, und schaue diese Blume an.“ Darauf ging er in sein duftendes Gemach zurück. —
Der Mönch betrachtete nun wieder und immer wieder die Blume. Da ließ der Erhabene die Blume altern. Während jener sie betrachtete, wurde sie alt und verlor die Farbe. Darauf fielen ihre Blätter, vom Rande angefangen, hernieder und in einem Augenblick waren alle herabgefallen. Dann fielen die Staubgefässe herab und nur das Samengehäuse blieb übrig. Als der Mönch das sah, dachte er: „Diese Lotosblume war jetzt schön und anschauenswert; nun aber ist ihre Farbe vergangen, ihre Blätter und Staubgefässe sind herabgefallen und nur das Samengehäuse ist übrig geblieben. Die so gestaltete Lotosblume hat der Verfall erreicht; warum soll er nicht auch meinen Körper erreichen? Vergänglich sind alle zusammengesetzten Dinge!“ So erreichte er die übernatürliche Einsicht. Der Meister erkannte, dass in sein Herz die übernatürliche Einsicht eingezogen sei; und in seinem duftenden Gemache sitzend entsandte er ein Bild von sich [3] und sprach folgenden Vers:
Am Ende dieser Strophe gelangte der Mönch zur Heiligkeit; und er dachte: „Befreit fürwahr bin ich von allen Existenzen“ und sprach:
Mit solchen und ähnlichen Versen stieß er begeisterte Ausrufe aus; dann ging er zum Erhabenen hin und verehrte ihn. Auch der Thera kam, verehrte den Meister und ging mit seinem Gefährten fort.
Diese Begebenheit wurde unter den Mönchen bekannt. Da setzten sich die Mönche in der Lehrhalle nieder, indem sie die Tugenden des mit den zehn Kräften Ausgestatteten mit folgenden Worten priesen: „Freund, der Thera Sāriputta erkannte nicht die Gedanken seines Gefährten, da er nicht die Erkenntnis der Gedanken besitzt; der Meister aber erkannte sie und hat ihm an einem Tage die Heiligkeit samt den Unterscheidungen verliehen. Ja, großmächtig sind die Buddhas!“ Da kam der Meister, ließ sich auf einem hergerichteten Sitze nieder und fragte: „Zu was für einer Erzählung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Sie antworteten: „Zu keiner anderen, Erhabener, als zur Erzählung, wie du die Gedanken und Wünsche des Gefährten des Heerführers der Lehre erkanntest.“ Darauf sprach Buddha: „Dies ist nicht wunderbar, ihr Mönche, dass ich, nachdem ich Buddha geworden bin, dessen Gedanken kenne; auch früher kannte ich schon dessen Gedanken“; und er erzählte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit:
§B. Ehedem führte zu Benares Brahmadatta die Regierung. Damals lehrte der Bodhisattva den König die Dinge und die Tugenden [6]. Damals nun ließ man am Badeplatze des königlichen Leibpferdes ein andres Pferd, eine Mähre, baden. Als das Leibpferd an den Badeplatz, wo das andre Pferd gebadet hatte, hinabstieg, wurde es von Ekel erfasst und es wollte nicht baden. Da ging der Pferdewärter zum Könige hin und sagte: „Herr, dein Leibpferd will nicht nach dem Badeplatze hinabsteigen.“ Da schickte der König den Bodhisattva fort mit den Worten: „Gehe, du Weiser, und erkunde, aus welchem Grunde das Ross, da es zum Badeplatze hinabgeführt wird, nicht hinabsteigt.“ Der Bodhisattva erwiderte: „Es ist gut, Herr.“ Und er ging zu dem Flussufer hin, schaute das Pferd an, und da er merkte, dass es nicht krank war, überlegte er: „Aus welchem Grunde steigt es nicht in diesen Badeplatz hinab?“ Da dachte er: „Zuerst wird hier ein andres Pferd gebadet worden sein; darüber empfindet es Ekel und steigt nicht hinein, mein' ich“; und er fragte die Pferdewärter: „He, wen habt ihr zuvor an dieser Stelle baden lassen?“ Sie antworteten: „Ein andres Pferd, Herr.“ Da merkte der Bodhisattva: „Infolge seiner Selbstachtung empfindet es Ekel und will hier nicht baden; es ziemt sich, dass es an einer andern Stelle gebadet werde.“ Nachdem er so dessen Gedanken erkannt hatte, sagte er: „He, Pferdewärter, wenn einer immer wieder Reisbrei isst, der mit zerlassener Butter, Honig und Zucker zubereitet ist, so wird er davon übersättigt. Dies Pferd hat schon viele Male hier an dieser Stelle gebadet; lasst es jetzt zu einer andern Badestelle hinabsteigen und dort baden und trinken.“ Darauf sprach er folgende Strophe:
Als sie seine Worte vernahmen, ließen sie das Pferd zu einem andern Badeplatz hinabsteigen und ließen es trinken und baden. Als das Pferd Wasser getrunken hatte und badete, ging der Bodhisattva zu dem Könige hin. Der König fragte: „Wie, Lieber, hat das Ross gebadet und getrunken?“ „Ja, Herr“, erwiderte jener. „Warum hat es zuerst nicht gewollt?“, fragte der König weiter. „Aus diesem Grunde“, erwiderte der Bodhisattva und teilte ihm alles mit. Da dachte der König: „Von einem solchen Tiere sogar kennt er die Gedanken; fürwahr er ist ein Weiser“; und er verlieh dem Bodhisattva große Ehren und gelangte am Ende seines Lebens nach dem Ort seiner Verdienste. Auch der Bodhisattva kam an den Ort seiner Verdienste.
§C. Nachdem der Meister mit den Worten: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, kenne ich dessen Gedanken, sondern auch schon in früherer Zeit kannte ich sie“, diese Lehrunterweisung beendigt hatte, legte er die gegenseitigen Beziehungen klar und verband das Jātaka mit den Worten: „Damals war das königliche Leibross dieser Mönch, der König war Ānanda, der weise Lehrer aber war ich.“
Ende der Erzählung von dem Badeplatze
[1] D. h. ein Mönch, der sich unter die besondere Leitung des anderen begeben hatte.
[2] Das Jetavana bestand aus einer Anzahl von einzelnen kleinen Gebäuden, vgl. „Leben des Buddha“, S. 147 f. Diese sind wohl mit dem Ausdruck gemeint.
[3] Vgl. Jātaka 4 vor den Strophen 0.2-0.4. Dies Abbild von Buddha, das dem Mönche erscheint, spricht den Vers, während Buddha selbst bleibt, wo er ist.
[4] D. h. wessen gegenwärtige Existenz die letzte ist.
[5] Rāhu ist eine Gottheit, die manchmal Sonne und Mond erschüttert, indem sie dieselben in ihren Mund nimmt.
[6] Mit den Dingen ist das für den König notwendige positive Wissen gemeint im Gegensatz zu den moralischen Vorschriften.