Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

98. Die Geschichte von dem betrügerischen Kaufmann (Kutavanija-Jātaka)

„Gut ist fürwahr der Weise nur“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen betrügerischen Kaufmann. Zu Savatthi nämlich trieben zwei Leute zusammen Handel. Sie nahmen die Ware auf einem Wagen mit auf das Land und kehrten zurück, wenn sie einen Gewinn erzielt hatten. Da dachte der betrügerische Kaufmann: „Dieser ist durch das schlechte Essen und das schlechte Lager während vieler Tage ermattet; wenn er jetzt in seinem Hause nach Lust gutes Essen voll des besten Wohlgeschmackes verzehren wird, wird er an Indigestion [0a] sterben. Dann mache ich aus dieser Ware drei Teile und gebe den einen seinen Kindern, zwei Teile aber nehme ich für mich.“ Daher sagte er immer: „Heute wollen wir teilen, morgen wollen wir teilen“, und wollte die Ware nicht teilen.

Der weise Kaufmann aber plagte ihn gegen seinen Willen, bis jener sich auf die Teilung der Waren einließ. Darauf ging er in das Kloster und begrüßte den Meister. Als sie liebenswürdige Worte gewechselt, sagte ihm dieser: „Es ist viel Zeit seither verstrichen; lange ist es her, seit du hierher gekommen bist zur Buddha-Aufwartung.“ Darauf erzählte ihm jener diese Geschichte. Der Meister aber sprach: „Dieser Hausvater, o Laienbruder, ist nicht nur jetzt ein betrügerischer Kaufmann, sondern auch schon früher war er ein betrügerischer Kaufmann. Jetzt wollte er dich betrügen; früher dagegen unternahm er es auch, Weise zu betrügen.“ Und nach diesen Worten erzählte er auf seine Bitte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva zu Benares in einer Kaufmannsfamilie seine Wiedergeburt; und am Namengebungstage erhielt er den Namen „Weiser“ [0b]. Als er herangewachsen war, tat er sich mit einem andern Kaufmann zusammen und trieb mit ihm Handel; dessen Name war „der Überweise“ [0c]. Von Benares nahmen sie auf fünfhundert Wagen Ware mit, gingen auf das Land, trieben Handel und kehrten, nachdem sie Gewinn gemacht hatten, nach Benares zurück. Als aber die Zeit war, die Ware zu teilen, sprach der Überweise: „Mir gehören zwei Drittel.“ „Warum?“, fragte der andre. „Du bist der Weise, ich aber der Überweise; der Weise verdient einen Teil zu erhalten, der Überweise aber zwei.“ „Ist nicht der Preis für die Ware, die Rinder usw. für uns beide ganz gleich? Warum verdienst du, zwei Teile zu erhalten?“ „Weil ich der Überweise bin.“ So erhoben sie einen Wortwechsel und begannen zu streiten.

Da dachte der Überweise: „Es gibt ein Mittel“; und er ließ seinen Vater sich in einem hohlen Baume verbergen und sagte ihm: „Wenn wir kommen, dann sprich: ‘Der Überweise verdient zwei Teile zu erhalten.’“ Darauf ging er zum Bodhisattva hin und sprach: „Lieber, ob für mich zwei Teile passen oder nicht, weiß diese Baumgottheit; komm, wir wollen sie fragen!“ Und zu ihr betend sagte er: „Edle Baumgottheit, entscheide unsre Sache.“ Sein Vater aber verstellte seine Stimme und erwiderte: „Erzählt sie mir also.“ Jener fuhr fort: „Edle, dieser ist der Weise und ich der Überweise. Wir haben zusammen Geschäfte gemacht; was soll da jeder bekommen?“ „Der Weise soll einen Teil erhalten, der Überweise aber zwei.“

Als der Bodhisattva die Sache so entscheiden hörte, dachte er: „Jetzt will ich sehen, ob es eine Gottheit ist oder nicht.“ Und er holte Stroh herbei, füllte die Höhlung des Baumes damit an und zündete es an. Als nun das Feuer wuchs, stieg der Vater des Überweisen mit halbverbranntem Körper oben heraus, fasste einen Ast, hing sich daran und ließ sich zu Boden fallen. Darauf sprach er folgende Strophe:

§1. „Gut ist fürwahr der Weise nur,

der Überweise ist nicht so;

durch meinen Sohn, den Überweisen,

bin beinah jetzt verbrannt ich worden.“

Darauf teilten die beiden die Ware halb und halb, nahmen jeder den gleichen Teil und gelangten dann an den Ort ihrer Bestimmung.

 

§C. Nachdem der Meister mit den Worten: „Auch früher schon war dies ein betrügerischer Kaufmann“, diese Begebenheit aus der Vergangenheit beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Der damalige betrügerische Kaufmann ist auch in der Gegenwart der betrügerische Kaufmann; der weise Kaufmann aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem betrügerischen Kaufmann


[0a] Medizinischer Ausdruck für Verdauungsstörung.

[0b] Auf Pali: „Pandita“.

[0c] Auf Pali: „Atipandita“.


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