„Die Speise, die ein Mann verzehrt“
§A. Dies erzählte der Meister, da er zu Savatthi verweilte, mit Beziehung auf einen in großem Elend Befindlichen. — Zu Savatthi nämlich gab manchmal nur eine Familie der Mönchsgemeinde mit Buddha, ihrem Haupte, das Almosen, manchmal drei oder vier zusammen, manchmal eine Schar, die sich zusammengetan, manchmal mit Beiträgen von einer Straße und manchmal die ganze Stadt, indem die einzelnen nach ihrem Willen zusammensteuerten. Damals aber wurde die Speise von einer Straße gegeben. — Nun sagten die Leute: „Gebt der Mönchsgemeinde, die Buddha zum Haupte hat, Reisschleim und holt dann feste Speise herbei.“ — Da dachte ein armer Mann, der andern um Lohn diente und in dieser Straße wohnte: „Ich werde nicht im Stande sein, Reisschleim zu spenden; eine feste Speise aber werde ich geben.“ Und er schüttelte weichen Reisstaub [1] zusammen, benetzte ihn mit Wasser, umwickelte ihn mit einem Akka-Blatte [2] und backte ihn in heißer Asche; dann ging er damit fort, um ihn dem Buddha zu geben. Als er vor dem Meister stand und nur einmal der Ruf erscholl: „Holt die feste Speise“, kam er zuallererst herbei und legte den Kuchen auf die Almosenschale des Meisters. Der Meister nahm nicht von der festen Speise, welche die anderen ihm darboten, sondern verzehrte nur diesen Kuchen.
In diesem Augenblicke aber war in der ganzen Stadt nur ein Geschrei: „Der völlig Erleuchtete hat den Reisstaubkuchen des ganz Elenden ohne Ekel verzehrt.“ Da versammelten sich der König, die hohen Hofbeamten und die Leute bis hinab zu den Torwächtern, grüßten den Meister, gingen zu dem ganz Elenden hin und sprachen: „He, nimm Speise, nimm zweihundert, nimm fünfhundert und gib uns dein Verdienst [3] dafür.“ Jener erwiderte: „Ich will erst den Meister fragen und dann sehen“; und er ging zum Meister hin und erzählte ihm die Sache. Der Meister sprach: „Nimm das Geld und gib allen Wesen das Verdienst.“ Darauf fing jener an das Geld zu nehmen. Die Leute spendeten zweifach, vierfach, achtfach usw. und gaben ihm so neunzig Millionen Goldes.
Nachdem dann der Meister die Danksagung verrichtet, kehrte er in das Kloster zurück; und er legte den Mönchen ihre Pflichten dar, gab ihnen die Heiligenermahnung und ging hierauf in sein duftendes Gemach. — Zur Abendzeit aber ließ der König den ganz Elenden rufen und ehrte ihn durch Verleihung der Großkaufmannsstelle.
In der Lehrhalle begannen die Mönche folgendes Gespräch: „Freund, der Meister hat den ihm von dem ganz Elenden gespendeten Reisstaubkuchen ohne Ekel, als ob es Götterspeise wäre, verzehrt. Der ganz Elende aber hat viel Geld und die Großkaufmannsstelle erhalten und ist zu großem Glücke gelangt.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Erzählung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier niedergelassen?“ Als ihm gesagt wurde: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, habe ich ohne Ekel dessen Reisstaubkuchen verzehrt; auch früher schon, da ich eine Baumgottheit war, verzehrte ich dies und auch damals erhielt er durch mich die Großkaufmannsstelle.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva als eine Baumgottheit in einem Eranda-Baume [4] seine Wiedergeburt. Damals waren die Leute in diesem Dörfchen Verehrer der Gottheiten. Als nun einmal ein Fest war, brachten die Leute ihren Baumgottheiten Opfer dar. Als aber ein Mensch, der ein Elender war, sah, wie die Leute die Baumgottheiten verehrten, brachte er einem Eranda-Baume seine Huldigung dar. Die Leute nun kamen zu ihren Gottheiten hin mit mancherlei Kränzen, wohlriechenden Substanzen, Salben und auch mit fester und flüssiger Speise. Jener aber brachte nur einen Reisstaubkuchen und einen Löffel mit Wasser herbei; und als er in der Nähe des Eranda-Baumes stand, dachte er bei sich: „Die Gottheiten verzehren ja Götterspeise; meine Gottheit wird diesen Reisstaubkuchen nicht essen. Warum soll ich ihn darum verderben lassen? Ich selbst werde ihn essen!“ Und er kehrte wieder um.
Der Bodhisattva aber sagte, im Geäst des Baumes stehend: „He, Mann, wenn du ein Herr wärest, würdest du mir süße Kuchen geben; du bist aber im Elend. Wenn ich deinen Kuchen nicht esse, wie soll ich da einen anderen verzehren? Lasse meinen Teil nicht verderben!“ Und darauf sprach er folgende Strophe:
§1. „Die Speise, die ein Mann verzehrt,
dieselbe isst die Gottheit auch.
Den Reisstaubkuchen bring herbei;
verdirb mir doch nicht meinen Teil!“
Jener kehrte um, schaute den Bodhisattva an und brachte ihm sein Opfer dar. Der Bodhisattva genoss den Duft davon und sprach dann: „Mann, warum verehrst du mich?“ Jener antwortete: „Herr, ich bin im Elend; weil ich durch dich aus meinem Elend befreit werden will, verehre ich dich.“ Der Bodhisattva versetzte: „He, bekümmere dich nicht. Du hast einen Dankbaren und Erkenntlichen verehrt. Gehe um diesen Eranda-Baum herum; Hals an Hals stehen Schatztöpfe da. Melde dies dem Könige, hole das Geld mit Wagen und mache davon im Königshofe einen Haufen. Der König wird, davon befriedigt, dir die Großkaufmannsstelle geben.“ Nach diesen Worten verschwand der Bodhisattva.
Jener tat so und der König gab ihm die Großkaufmannsstelle. So gelangte er durch den Bodhisattva zu großem Glücke und kam dann an den Ort seiner Verdienste.
§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beendigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der Elende der jetzige Elende, die Eranda-Baumgottheit aber war ich.“
Ende der Erzählung von dem Reisstaubkuchen
[1] Damit ist das rote Pulver gemeint, das an den Reiskörnern unter den Hülsen hängt.
[2] Akka, skrt. „akra“, ist eine Pflanze Asklepias gigantea.
[3] Nämlich das hohe Verdienst, den Buddha gespeist zu haben.
[4] Eranda ist der Rizinusbaum, Ricinus communis.