Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

255. Die Erzählung von dem Papagei (Suka-Jātaka)

„Solange er hat Maß gehalten“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen Mönch, der zuviel gegessen hatte und infolge davon an Verdauungsstörung gestorben war. — Als er auf diese Art gestorben war, begannen in der Lehrhalle die Mönche folgende Unterhaltung über dessen Untugend: „Freund, der Mönch so und so hat, da er das Maß seines Magens nicht kannte, zuviel gegessen und ist gestorben, da er es nicht verdauen konnte.“ Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch hier niedergelassen?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, sprach er: „Nicht nur jetzt, ihr Mönche, sondern auch früher schon starb er, weil er zuviel gegessen hatte.“ Und nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva im Himalaya im Papageiengeschlechte seine Wiedergeburt. Er war der König von viel tausend Papageien, die auf der dem Meere zugekehrten Seite des Himalaya wohnten. Er hatte einen Sohn. Als dieser zu Kraft gekommen war, wurde der Bodhisattva schwach an den Augen. Die Papageien nämlich haben einen schnellen Flug; wenn sie darum alt werden, wird zuerst ihr Auge schwach. Der Sohn des Bodhisattva aber brachte seine Eltern in das Nest und erhielt sie, indem er ihnen Nahrung brachte.

Als er eines Tages am gewöhnlichen Orte Futter suchte, schaute er, auf einer Bergspitze stehend, über das Meer hin. Da sah er eine Insel, auf welcher sich ein Wald von Mangobäumen mit goldfarbigen, süß schmeckenden Früchten befand. Am nächsten Tage flog er zur Zeit des Futterholens fort, ließ sich in dem Mangowalde herunter und trank den Mangosaft. Mit einer Mangofrucht kehrte er zu seinen Eltern zurück und gab sie ihnen. Als der Bodhisattva sie verzehrte, erkannte er den Geschmack und fragte: „Mein Sohn, ist dies nicht eine Mangofrucht von der Insel so und so?“ Da der Sohn dies bejahte, sprach der Bodhisattva: „Mein Sohn, die Papageien, die nach dieser Insel fliegen, leben nicht mehr lange. Gehe nicht mehr nach dieser Insel!“ Jener aber nahm seine Worte nicht an und ging wieder dorthin.

Eines Tages aber hatte er viel Saft getrunken. Als er mit der für seine Eltern bestimmten Mangofrucht über das Meer dahinflog, fiel er in Schlaf, da sein Körper durch das allzu lange Tragen ermüdet war. Schlafend flog er weiter; da entfiel ihm die Frucht; die er im Schnabel hielt. Allmählich verließ er den Weg, den er hergekommen war, ließ sich niedersinken und flog auf der Oberfläche des Wassers dahin, bis er ins Wasser fiel. Ein Fisch erfasste ihn und fraß ihn auf. Als er nicht zur gewohnten Zeit zurückkehrte, merkte der Bodhisattva: „Er ist ins Meer gefallen und gestorben.“ Da nun seine Eltern keine Nahrung mehr erhielten, magerten sie ab und starben.

 

§A2. Nachdem der Meister diese Begebenheit aus der Vergangenheit erzählt hatte, sprach er, der völlig Erleuchtete, folgende Strophen:

§1. „Solange er hat Maß gehalten
in seiner Nahrung, jener Vogel,
so lange konnt' er leben bleiben
und seine Eltern unterhalten.

 

§2. Doch als er einmal gar zu reichlich
die Nahrung hat zu sich genommen,
da sank er unter in dem Meere,
denn er verstand nicht, Maß zu halten.

 

§3. Drum ist es gut, sein Maß zu kennen,
beim Essen nicht zu gierig sein.
Wer nicht Maß hält, der geht zugrunde;
doch wer sein Maß kennt, der bleibt leben [1].“

 

§C. Nachdem der Meister diese Lehrunterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten (am Ende der Verkündigung der Wahrheiten aber gelangten viele zur Bekehrung, zur einmaligen Rückkehr, zur Nichtrückkehr oder auch zur Heiligkeit): „Damals war der beim Essen kein Maß kennende Mönch der Papageienkönigssohn, der Papageienkönig aber war ich.“

Ende der Erzählung von dem Papagei


[1] Der Kommentator fügt bei der Erklärung der Strophen folgende Verse hinzu:

„Ob feucht, ob trocken ist die Nahrung,
nicht zu viel sei sie, sondern mäßig:
nicht voll den Magen, mäßig essend,
so soll der Mönch im Orden leben.

 

Wenn er nicht mehr als vier, fünf Bissen
verzehrt hat, soll er Wasser trinken;
genug ist 's zum bequemen Leben
für einen Mönch, der ernsthaft strebt.

 

Bei einem, der sich stets besinnt,
der auch beim Mahle Maß kann halten,
da treten selten Schmerzen auf;
er lebt lang, weil er gut verdaut.

 

Wie in der Wildnis man des Sohnes Fleisch isst [2],
wie man ins Aug' die Salbe reibt,
so möge man sein Mahl verzehren,
um sich zu stärken, wenn man schwach ist.

[2] Rouse übersetzt: „When sons bring meat“; doch scheint dies nicht zutreffend. Der Sinn ist doch, man soll nur im Notfall und zögernd essen, wie wenn man in der höchsten Not sich vom Fleische seiner Kinder nähren müsste.


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