Jātakam, Wiedergeburtsgeschichten

480. Die Erzählung von Akitti (Akitti-Jātaka)

„Als er Akitti sah geehrt“

 

§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen großen Wohltäter. Dieser nämlich hatte den Meister eingeladen. Sieben Tage lang spendete er der Mönchsgemeinde mit Buddha, ihrem Oberhaupte, ein reiches Almosen; am letzten Tage schenkte er der edlen Mönchsgemeinde alle Hilfsmittel. Der Meister brachte ihm inmitten der Versammlung die Danksagung dar und sagte: „O Laienbruder, dies ist ein großes Opfer für dich; etwas sehr Schwieriges hast du getan. Diese Tradition nämlich, Almosen zu spenden, ist die Tradition von alten Weisen; denn Almosen muss ein Laie sowohl als ein Mönch geben. In der Vorzeit haben Weise, die die Welt verlassen hatten und im Walde wohnten, obwohl sie nur ohne Salz gedörrte, lediglich mit Wasser angefeuchtete Kara-Blätter [1] verzehrten, doch den Bittenden, die zu ihnen kamen, nach Wunsch gegeben und sich selbst vom Glücke der Liebe [2] ernährt.“ Darauf bat ihn jener: „Herr, diese aus allen Hilfsmitteln bestehende Spende ist vielen Leuten bekannt, das von Euch Gesagte aber ist unbekannt. Erzählt es uns!“ Und der Meister erzählte folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.

 

§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva seine Wiedergeburt in einer Brahmanenfamilie, die ein Vermögen von achthundert Millionen besaß. Man gab ihm den Namen Akitti. Als er so alt war, dass er allein gehen konnte, wurde ihm eine Schwester geboren, der man den Namen Yasavati beilegte. Im Alter von sechzehn Jahren zog das große Wesen nach Takkasilā, erlernte dort alle Wissenschaften und kehrte dann wieder zurück. Es starben aber seine Eltern. Als er an ihnen die Pflichten gegen die Verstorbenen erfüllt hatte, musterte er seine Schätze; dabei hörte er: „Der so und so hat so viel Geld erworben und ist gestorben, der andere so viel.“ Darüber wurde er beunruhigt in seinem Herzen und er dachte: „Diese Schätze sind noch vorhanden, aber nicht mehr diejenigen, welche die Schätze zusammengetragen haben. Sie alle sind gegangen und mussten diese Schätze zurücklassen; werde aber ich fortgehen und sie mitnehmen [3]?“ Er rief seine Schwester zu sich und sagte ihr: „Nimm du dies Vermögen in Besitz!“ Sie versetzte: „Was hast aber du für eine Absicht?“ „Ich will die Welt verlassen“, war seine Antwort. Darauf erwiderte sie: „Mein Lieber, ich werde den von Euch weggeschleuderten Speichelklumpen nicht mit meinem Kopfe auffangen. Ich brauche ihn nicht; auch ich will die Welt verlassen.“

Darauf bat der Bodhisattva den König um Erlaubnis und ließ durch Trommelschlag verkünden: „Wer Geld braucht, soll in das Haus des Weisen kommen.“ Nachdem er so sieben Tage lang große Almosen gespendet hatte und seine Schätze noch unvermindert sah, dachte er: „Meine Lebensbedingungen gehen zugrunde, was soll ich mit diesem Schätzespiel? Wer etwas braucht, wird es sich schon nehmen.“ Er ließ die Türen öffnen und verkünden: „Alles ist geschenkt; man soll es nur nehmen.“ So verließ er sein mit Gold und Schätzen angefülltes Haus und zog, während der ganze Kreis seiner Verwandten klagte, mit seiner Schwester fort. Das Tor, durch das er Benares verließ, bekam den Namen Akitti-Tor, und die Furt, mittels deren er den Fluss überschritt, erhielt den Namen Akitti-Furt.

Nachdem er zwei oder drei Yojanas weit gezogen war, erbaute er an einem lieblichen Orte eine Laubhütte und betätigte hier zusammen mit seiner Schwester die Weltflucht der Weisen. Seitdem er aber die Welt verlassen hatte, verließen auch viele andere Bewohner von Dörfern, Flecken und Residenzen die Welt; er bekam eine große Umgebung und es entstand für ihn große Ehrung und großes Ansehen; es war, als sei ein Buddha erschienen. — Da dachte das große Wesen: „Groß ist dieser Ruhm und diese Ehrung, allzu groß ist auch meine Umgebung; es kommt mir zu, allein zu leben.“ Zu ungewohnter Zeit, ohne auch nur seine Schwester davon in Kenntnis zu setzen, zog er allein von dannen.

So kam er allmählich nach dem Reiche Damila [4]. Hier nahm er in der Nähe der Hafenstadt Kavira in einem Parke seinen Aufenthalt und erlangte dort die Fähigkeit zur Ekstase und die Erkenntnisse. Aber auch hier wurde ihm viel Ehrung und Huldigung erwiesen. Aus Überdruss daran warf er dies von sich, flog in die Luft empor und stieg auf der Kara-Insel [5], in der Nähe der Naga-Insel, auf die Erde herab. Damals aber hatte die Kara-Insel den Namen Ahidipa (= Schlangeneiland). Hier erbaute er sich neben einem großen Kara-Baum eine Laubhütte und nahm dort seinen Aufenthalt. Dass er aber daselbst wohnte, wusste niemand. — Seine Schwester aber suchte nach ihrem Bruder und kam dabei allmählich auch bis in das Reich Damila. Als sie ihn auch hier nicht fand, nahm sie an demselben Platze ihren Aufenthalt, wo jener gewohnt hatte; die Fähigkeit zur Ekstase aber konnte sie nicht erlangen [6]. — Das große Wesen aber ging infolge seiner Genügsamkeit nirgends anderswohin; sondern zur Zeit, da der Baum Früchte hatte, verzehrte er die Früchte, und zur Zeit, da der Baum nur Blätter hatte, verzehrte er die Blätter, die er mit Wasser benetzte.

Durch den Glanz von dessen Tugend wurde der mit gelben Tüchern belegte Steinsitz des Gottes Sakka heiß. Sakka überlegte: „Wer will mich von meinem Platze verdrängen?“ und bemerkte dabei den Weisen. Da dachte er: „Aus welchem Grunde beobachtet wohl dieser Asket so sehr die Tugend? Strebt er nach der Sakka-Würde oder nach etwas anderem? Ich will ihn auf die Probe stellen. Denn dieser bringt in Elend sein Leben zu; er verzehrt mit Wasser benetzte Kara-Blätter. Wenn er nach der Sakka-Würde strebt, so wird er mir seine gekochten [7] Blätter geben; wenn nicht, so wird er sie mir nicht geben.“ Und er ging in der Gestalt eines Brahmanen zu ihm hin.

Der Bodhisattva hatte gerade seine Kara-Blätter gekocht und ausgebreitet, indem er dachte: „Wenn sie kalt geworden sind, werde ich sie verzehren.“ So saß er an der Tür seiner Laubhütte. Da trat Gott Sakka vor ihn hin und bat ihn um ein Almosen. Als ihn der Bodhisattva sah, wurde sein Herz mit Freude erfüllt und er sprach: „Fürwahr, eine Ehre ist es für mich; ich sehe einen Bettler. Heute ist mein Wunsch zur Erfüllung gekommen; ich kann Almosen spenden.“ Er nahm seinen Kochtopf, ging auf den andern zu und sagte: „Dies ist mein Geschenk; möge es mir zur Erkenntnis der Allwissenheit dienen!“ Mit diesen Worten warf er es, ohne für sich etwas übrig zu behalten, als Almosen in den Topf von jenem. Nachdem der Brahmane die Gabe entgegen genommen, ging er ein kleines Stück weiter und verschwand.

Nachdem ihm aber das große Wesen das Almosen gespendet, kochte es für sich keine weitere Speise, sondern verbrachte den Tag im Glück über seine Liebesbetätigung. Am nächsten Tage kochte er sich abermals Speise und setzte sich wieder an der Tür seiner Laubhütte nieder. Abermals kam Sakka in Brahmanengestalt und abermals gab ihm das große Wesen die Speise und verbrachte so den Tag. Nachdem er es auch am dritten Tage so gemacht hatte, dachte er voll Freude: „Ach dieser Gewinn! Durch die Kara-Blätter erzeuge ich eine große Tugendbetätigung.“ Weil er aber drei Tage ohne Nahrung geblieben war, wurde er matt; trotzdem verließ er zur Mittagszeit seine Laubhütte und setzte sich an die Tür, indem er über das Almosen Geben nachdachte.

Da dachte Gott Sakka: „Dieser Brahmane, der drei Tage lang nichts gegessen hat und deshalb schwach geworden ist, bleibt dennoch voll Freude bei seinem Almosen Spenden. Er hat keinen anderen Gedanken in seinem Herzen; ich merke nicht, dass er das Geschenk spendet, weil er etwas anderes begehrt. Ich will ihn fragen, seine Absicht von ihm vernehmen und so erkennen, warum er Almosen spendet.“ Er wartete bis nach Mittag; dann kam er in großer Herrlichkeit herbei, glänzend wie die junge Sonne, trat vor das große Wesen hin und fragte: „Holla, du Asket, aus welchem Grunde treibst du auf einem solchen vom salzigen Meere umgebenen Eiland Askese, während so heiße Winde wehen ?“

Um dies zu verkünden, sprach der Meister folgende erste Strophe:

§1. Als er Akitti sah geehrt,
sprach Sakka, aller Welt Gebieter:
„Warum bleibst du, großer Brahmane,
so ruhig in der Sonnenhitze?“

Als das große Wesen dies hörte, merkte er, dass jener Gott Sakka war; und um zu verkündigen, dass er nicht nach solchen Vollendungen strebe, sondern aus Verlangen nach der Allwissenheit diese Askese treibe, sprach er folgende zweite Strophe:

§2. „Ein Unglück ist Wiedergeburt,
o Sakka, und des Leibs Zerstörung;
Unglück ist Irrtum auch und Tod,
drum bleib ich ruhig, Vasava [8].“

Als dies Gott Sakka hörte, dachte er hocherfreut: „An allen Existenzen hat also dieser den Gefallen verloren und, um das Nirvana zu erlangen, lebt er im Walde; ich werde ihm einen Wunsch gewähren.“ Und indem er ihn zu einem Wunsche aufforderte, sprach er folgende dritte Strophe:

§3. „Da du so gut gesprochen hast,
Kassapa, und so wohl geziemend,
will ich dir einen Wunsch gewähren,
was immer du begehrst im Herzen [9].“

Das große Wesen nahm den Wunsch an und sprach folgende vierte Strophe:

§4. „Wenn du mir einen Wunsch gewährst,
Sakka, Beherrscher aller Wesen:
Nicht wohne in mir die Begierde,
die Männer unzufrieden macht,
ob sie auch Weib und Kinder haben,
Geld, Korn und andre liebe Dinge.“

Indem darüber erfreut Sakka ihm immer noch einen weiteren Wunsch gewährte und das große Wesen diesen Wunsch annahm, sprachen die beiden folgende Strophen:

§5. „Da du so gut gesprochen hast,
Kassapa, und so wohl geziemend,
will ich dir einen Wunsch gewähren,
was immer du begehrst im Herzen.“
 
§6. „Wenn du mir einen Wunsch gewährst,
Sakka, Beherrscher aller Wesen:
Nicht wohne in mir dieser Zorn,
durch den die Felder und Grundstücke,
auch Gold und Rinder, Pferde, Sklaven
verloren gehen, wenn er wächst.“
 
§7. „Da du so gut gesprochen hast,
Kassapa, und so wohl geziemend,
will ich dir einen Wunsch gewähren,
was immer du begehrst im Herzen.“
 
§8. „Wenn du mir einen Wunsch gewährst,
Sakka, Beherrscher aller Wesen:
Nicht mög' ich sehen einen Toren
noch hören, noch mit ihm verkehren;
nicht mög' ich Unterhaltung pflegen
mit Toren und mich dran erfreuen.“
 
§9. „Was hat dir denn der Tor getan?
O sage, Kassapa, den Grund.
Warum wünschest, o Kassapa,
du nicht den Anblick eines Toren?“
 
§10. „Sünden begeht der Törichte,
er lädt sich auf, was nicht zu tragen;
Übles zu tun, gefällt ihm besser,
wenn man ihn freundlich anspricht, zürnt er.
Sich selbst zu zügeln, weiß er nicht;
darum ist 's gut, ihn nicht zu sehen.“
 
§11. „Da du so gut gesprochen hast,
Kassapa, und so wohl geziemend,
will ich dir einen Wunsch gewähren,
was immer du begehrst im Herzen.“
 
§12. „Wenn du mir einen Wunsch gewährst,
Sakka, Beherrscher aller Wesen:
Möge ich sehen einen Weisen,
ihn hören und mit ihm verkehren;
mit einem Weisen Unterhaltung
mög' pflegen ich und mich dran freuen.“
 
§13. „Was hat dir wohl getan der Weise?
O sage, Kassapa, den Grund.
Warum ersehnst du, Kassapa,
so sehr den Anblick eines Weisen?“
 
§14. „Gutes tut der Verständige,
nicht lädt er auf, was nicht zu tragen.
Gutes zu tun, gefällt ihm besser;
nicht zürnt er, wenn man lieb ihn anspricht.
Sich selbst zu zügeln, er versteht;
gut ist es, mit ihm zu verkehren.“
 
§15. „Da du so gut gesprochen hast,
Kassapa, und so wohl geziemend,
will ich dir einen Wunsch gewähren,
was immer du begehrst im Herzen.“
 
§16. „Wenn du mir einen Wunsch gewährst,
Sakka, Beherrscher aller Wesen:
Wenn dann die Lust von mir gewichen,
so möge bei der Sonne Aufgang
himmlische Speise mir erscheinen
und dazu tugendhafte Bettler.
 
§17. Nicht schwinde sie, so lang ich gebe,
nicht reu' es mich, wenn ich 's gespendet;
beim Geben mög' mich Freud erfüllen;
dieses, o Sakka, wünsch ich mir.“
 
§18. „Da du so gut gesprochen hast,
Kassapa, und so wohl geziemend,
will ich dir einen Wunsch gewähren,
was immer du begehrst im Herzen.“
 
§19. „Wenn du mir einen Wunsch gewährst,
Sakka, Beherrscher aller Wesen:
Nicht noch einmal besuche mich,
dieses, o Sakka, wünsch ich mir.“
 
§20. „Bei vielen tugendhaften Leuten
die Männer und dazu die Frauen
begehren, dass ich sie besuche;
kann mein Besuch Gefahr denn bringen?“
 
§21. „Wenn ich dich seh im Götterglanze,
dich, die Vollendung aller Freude,
könnt' ich nachlassen in dem Streben;
diese Gefahr bringt dein Besuch.“

Sakka antwortete: „Gut, Herr, von jetzt an werde ich nicht mehr zu dir kommen“; er verabschiedete sich von ihm, bat ihn um Verzeihung und entfernte sich. Das große Wesen aber blieb dort wohnen, so lange es lebte, betätigte die Vollkommenheiten und wurde dann in der Brahmawelt wiedergeboren.

 

Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war Gott Sakka Anuruddha, der weise Akitti aber war ich.“

Ende der Erzählung von Akitti


[1] Der Kara-Baum ist Canthium parviflorum.

[2] D. h. statt selbst zu essen, begnügte er sich mit dem zufriedenen Gefühle, einem andern einen Liebesdienst erwiesen zu haben.

[3] Vgl. dazu die ähnliche Erzählung im Jātaka 313.

[4] Damit ist wohl die Malabarküste gemeint.

[5] Vielleicht Ceylon oder eine Insel in dessen Nähe.

[6] Also auch nicht die Fähigkeit, sich in die Luft zu erheben und zu fliegen.

[7] Das Partizip „sitta“, das von „sincati“(= „besprengen“) kommt, scheint hier und im Folgenden auch für das Partizip von „sedeti“ (= „erwärmen, kochen“) zu stehen.

[8] Ein oft vorkommender Beiname des Sakka (Indra).

[9] Diese Strophe wie auch die beiden ersten Zeilen der nächsten finden sich auch im Jātaka 440 Strophen 3-4.


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