„Vessantara, dich frage ich“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, um dem König von Kosala eine Ermahnung zu geben. — Als nämlich der König kam, um die Predigt zu hören, wandte sich der Meister an ihn und sprach: „O Großkönig, ein König muss nämlich mit Gerechtigkeit regieren; denn in der Zeit, in welcher die Könige ungerecht sind, zu derselben Zeit sind auch die vom Könige Abhängigen ungerecht.“ Nachdem er ihn so in der im vierten Buche angegebenen Art [1] ermahnt, die Nachteile und Vorteile des Betretens und Nichtbetretens der bösen Wege auseinandergesetzt und ferner durch Vergleichung mit dem Traum u. ä. den Nachteil, der in den Lüsten liege, ausführlich dargelegt hatte, sprach er zu ihm: „O Großkönig,
Wenn diese Menschen in die andere Welt gehen, gibt es außer den von ihnen selbst getanen guten Werken keine andere Hilfe. Daher muss man es beständig unterlassen, dem Niedrigen zu dienen; um der Ehre willen darf man nicht nachlässig sein; voll Eifer muss man in Gerechtigkeit die Herrschaft führen. In der Vorzeit, obwohl der Buddha noch nicht erschienen war, beharrten die Könige bei der Weisen Ermahnung, regierten gerecht und erreichten dann bei ihrem Scheiden den Götterhimmel.“ Nach diesen Worten erzählte er auf die Bitte von jenem folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
Ehedem war der König Brahmadatta, der zu Benares regierte, kinderlos; obwohl er danach verlangte, bekam er weder einen Sohn noch eine Tochter. Als er eines Tages mit großem Gefolge nach seinem Parke gezogen war und sich während des Tages im Parke ergangen hatte, ließ er sich am Fuße eines herrlichen Sala-Baumes sein Lager hinbreiten und schlief ein wenig. Als er erwachte, sah er den Sala-Baum an und gewahrte dort ein Vogelnest. Zugleich mit diesem Anblick stieg ein Liebesgefühl in ihm auf; er rief einen Mann herbei und sagte zu ihm: „Steige diesen Baum hinauf und sieh, ob in diesem Nest irgend etwas ist oder nicht.“ Jener stieg hinauf und sah darin drei Eier, was er dem König meldete. Dieser sagte: „Lasse über sie nicht den Hauch deiner Nase strömen“, breitete in einem Kästchen eine Flocke Baumwolle aus und befahl jenem: „Lege darauf die Eier und steige vorsichtig damit herab.“
Nachdem er ihn so hatte heruntersteigen lassen, nahm er das Kästchen in die Hand und fragte seine Minister: „Von welchem Vogel sind dies die Eier?“ Diese erwiderten: „Wir wissen es nicht; die Jäger werden es wissen.“ Darauf ließ der König die Jäger zu sich kommen und fragte sie. Diese antworteten: „O Großkönig, das eine ist das Ei einer Eule, das zweite das eines Maynah-Vogels [2], das dritte das eines Papageien.“ Der König fragte weiter: „Wie können aber in einem Neste die Eier dreier Vögel sein?“ Jene versetzten: „Ja, o Fürst, wenn keine Gefahr vorhanden ist, geht das gut Niedergelegte nicht zugrunde.“
Voll Freude dachte der König: „Diese sollen meine drei Söhne sein“; er übergab die drei Eier drei Ministern und sprach zu diesen: „Diese werden meine Söhne sein; pflegt sie gut und sagt es mir, wenn sie aus der Eierschale herausschlüpfen.“ Jene behüteten sie trefflich.
Zuerst zerbrach das Eulen-Ei. Der Minister ließ einen Jäger rufen und sagte zu ihm: „Sieh nach, ob es ein Weibchen oder ein Männchen ist.“ Als jener es untersucht hatte und berichtete, es sei ein Männchen, ging jener zu dem Könige und sprach: „O Fürst, ein Sohn ist dir geboren.“ Erfreut gab ihm der König viel Geld und entließ ihn mit den Worten: „Ziehe meinen Sohn gut auf und gib ihm den Namen Vessantara!“ Jener tat so.
Wenige Tage darauf zerbarst das Maynah-Ei. Nachdem auch dieser Minister das Junge von einem Jäger hatte untersuchen lassen und gehört hatte, es sei ein Weibchen, ging er zum Könige hin und sagte ihm: „O Fürst, eine Tochter ist dir geboren.“ Hocherfreut gab auch ihm der König Geld und schickte ihn fort mit den Worten: „Ziehe mir meine Tochter gut auf und gib ihr den Namen Kundalini.“ Jener tat so.
Abermals nach Ablauf weniger Tage zerbarst auch das Papageien-Ei. Auch dieser Minister ließ es von einem Jäger untersuchen, und als dieser feststellte, dass es ein Männchen sei, ging er zum Könige hin und sprach zu ihm: „O Fürst, ein Sohn ist dir geboren.“ Erfreut gab ihm der König Geld und entließ ihn mit den Worten: „Feiere für meinen Sohn ein Fest mit großem Prunke und gib ihm den Namen Jambuka.“ Jener tat so.
So wuchsen die drei Vögel in den Häusern der drei Minister mit der Ehrung von Königskindern auf. Der König gebrauchte von ihnen die Ausdrücke: „Mein Sohn, meine Tochter.“ Darüber spotteten die Minister zu einander: „Seht, was der König tut; zu Wesen, die zum Reich der Tiere gehören, sagt er beständig ‘mein Sohn, meine Tochter’.“ Da dachte der König bei sich: „Diese Minister kennen nicht die Ausdehnung der Wissensfülle von diesen; ich werde sie ihnen bekannt machen.“
Darauf schickte er einen Minister zu Vessantara hin und ließ ihm sagen: „Euer Vater möchte Euch eine Frage vorlegen; wann soll er kommen und fragen?“ Der Minister kam hin, begrüßte ehrfurchtsvoll den Vessantara und richtete ihm seine Botschaft aus. Da rief Vessantara den Minister herbei, der ihn aufzog, und sagte: „Mein Vater möchte mir eine Frage vorlegen; wenn er aber hierher kommt, muss man ihm die nötige Ehrung zuteil werden lassen.“ Und er fragte: „Wann kommt er?“ Der Minister antwortete: „Am siebenten Tage von heute an soll er kommen.“ Als dies Vessantara hörte, schickte er den anderen fort mit den Worten: „Mein Vater soll am siebenten Tage von heute an kommen.“ Jener ging hin und meldete dies dem Könige.
Am siebenten Tage ließ der König in der Stadt die Trommel herumgehen und ging in das Haus, wo sein Sohn wohnte. Vessantara erwies dem Könige große Ehrung und ließ ihm auch unter den Sklaven, Dienern usw. große Ehrung erweisen. Als der König in des Vessantara Hause gespeist hatte und großer Ehrung teilhaftig geworden war, kehrte er in seinen eigenen Palast zurück, befahl, im Hofe des Palastes einen großen Pavillon zu errichten, ließ dann dies in der Stadt durch Trommelschlag bekannt geben und setzte sich in dem reich geschmückten Pavillon nieder, umgeben von einer großen Menschenmenge. Dann schickte er zu seinem Minister und ließ ihm sagen, er solle den Vessantara herbeibringen. Der Minister ließ Vessantara sich auf eine goldene Bank setzen und brachte ihn so herbei. Der Vogel setzte sich auf den Schoß seines Vaters, scherzte mit ihm, flog wieder fort und setzte sich dort auf seine Bank. Darauf sprach der König, um ihn inmitten der großen Volksmenge nach der Königstugend zu fragen, folgende erste Strophe:
Als dies Vessantara hörte, beantwortete er eigentlich die Frage nicht; sondern um ihn der Nachlässigkeit zu beschuldigen, sprach er folgende zweite Strophe:
Nachdem er ihn mit dieser Strophe angeklagt, fuhr er fort: „O Großkönig, ein König muss drei Tugenden betätigen, wenn er in Gerechtigkeit seine Herrschaft führen will.“ Und um die Königstugend zu schildern, sprach er:
Nachdem so der Vogel Vessantara mit einer Strophe die Nachlässigkeit des Königs gerügt und mit elf Strophen ihm die Tugenden auseinandergesetzt hatte, war mit Buddha-Anmut die Frage beantwortet. Die Volksmenge war im Herzen hocherfreut über das Wunderbare, noch nie da Gewesene und gab hundertfach ihren Beifall kund. Voll Freude wandte sich der König an seine Minister und fragte: „He, ihr Minister, da mein Sohn Vessantara so gesprochen hat, wessen Obliegenheiten hat er damit erfüllt?“ Sie antworteten: „Man muss ihn zum großen Schützer des Heeres machen, o Fürst.“ Darauf sagte er: „Darum gebe ich ihm die Stelle eines großen Schützers des Heeres“, und stellte Vessantara auf diesen Platz. Von da an bekleidete jener die Stelle eines großen Schützers des Heeres und vollführte die Aufträge seines Vaters.
Damit endet die Frage an Vessantara.
Abermals schickte der König nach Ablauf weniger Tage auf dieselbe Weise, wie vorher angegeben, zu Kundalini einen Boten und begab sich am siebenten Tage zu ihr hin. Nachdem er zurückgekehrt war, setzte er sich inmitten des Pavillons nieder, ließ Kundalini herbeibringen, und indem er sie, als sie sich auf die goldene Bank gesetzt hatte, nach der Königstugend fragte, sprach er folgende Strophe:
Als diese so vom König nach der Königstugend gefragt war, antwortete sie: „Vater, du stellst mich, glaube ich, auf die Probe, um zu sehen, was so ein Weibchen sagen wird. Die ganze Königstugend will ich in zwei Sprüche zusammenfassen und dir verkündigen.“ Und sie sprach:
So erklärte auch Kundalini mit elf Strophen die Tugend. Hochbefriedigt wandte sich der König an seine Minister und fragte: „He, ihr Minister, da meine Tochter so gesprochen hat, wessen Obliegenheiten hat sie damit erfüllt?“ Sie antworteten: „Die des Schatzmeisters, o Fürst.“ „So übertrage ich ihr also das Schatzmeisteramt“, fuhr der König fort und setzte Kundalini in diese Stelle ein. Von da an bekleidete sie dieses Amt und vollführte die Aufträge ihres Vaters.
Ende der an Kundalini gerichteten Frage
Abermals nach einigen Tagen schickte der König in der oben angegebenen Art zu dem weisen Jambuka einen Boten, ging selbst am siebenten Tage dorthin und genoss viele Ehrung. Dann kehrte er nach Hause zurück und setzte sich in der Mitte des Pavillons nieder. Der Minister ließ den weisen Jambuka auf einer mit Gold zusammengehaltenen Bank Platz nehmen und kam herbei, indem er die Bank auf dem Kopfe trug. Der Weise setzte sich seinem Vater auf den Schoß, spielte mit ihm, kehrte dann zurück und setzte sich wieder auf seine Bank. Darauf sprach der König, um ihm seine Frage vorzulegen, folgende Strophe:
Indem so der König dem großen Wesen seine Frage vorlegte, fragte er nicht in derselben Art wie bei den anderen, sondern er machte einen Unterschied in der Frage. Ihm erwiderte aber der Weise: „So höre also, o Großkönig, mit gespannter Aufmerksamkeit; ich werde dir alles erklären.“ Und wie wenn er auf eine ausgestreckte Hand eine Börse mit tausend Goldstücken legte, begann er folgendermaßen seine Lehrunterweisung:
Nachdem so der Bodhisattva in dieser Art die fünf Kräfte gepriesen, die Kraft der Weisheit hervorgehoben und, wie wenn er an die Mondscheibe streifte, dies erklärt hatte, gab er noch in folgenden zehn Strophen dem Könige eine Ermahnung [12]:
Nachdem er diese zehn Strophen über den gerechten Wandel gesprochen hatte, sagte er, um ihn noch weiter zu ermahnen, folgende Schlussstrophe:
So lehrte das große Wesen, wie wenn es den himmlischen Ganges herabströmen lassen wollte, mit Buddha-Anmut die Wahrheit. Die Volksmenge ließ ihm hohe Ehrung zuteil werden und gab tausendfach ihrem Beifall Ausdruck. Hocherfreut wandte sich der König an seine Minister und fragte: „He, ihr Minister, da mein Sohn, der mit einem der jungen Frucht des Rosenapfelbaumes [14] gleichenden Schnabel geschmückt ist, so gesprochen hat, wessen Obliegenheiten hat er da erfüllt?“ „Die des Heerführers, o Fürst“, war die Antwort. Der König fuhr fort: „So gebe ich dir hiermit das Amt des Heerführers“, und setzte damit den Jambuka in dieses Amt ein. Von da an vollführte er in der Stelle des Heerführers die Aufträge seines Vaters.
Den drei Vögeln wurde große Ehrung zu teil; die drei lehrten, was in geistlichen und weltlichen Dingen gut war. Der König beharrte bei der Ermahnung des großen Wesens, verrichtete gute Werke wie Almosen Geben u. dgl. und gelangte dadurch in den Himmel. Nachdem die Minister dem Leichnam des Königs die letzten Ehren erwiesen hatten, meldeten sie dies den Vögeln und sagten: „Herr Jambu-Vogel, der König hat veranlasst, dass über Euch der weiße Sonnenschirm ausgespannt werde.“ Das große Wesen aber versetzte: „Mich verlangt nicht nach der Königswürde; führet ihr mit Eifer die Regierung!“ Nachdem er noch eine Menge Volkes in den Geboten befestigt hatte, ließ er mit den Worten: „So nehmt die Entscheidungen vor“, die Art des rechten Urteils auf eine goldene Platte einritzen und zog sich dann in den Wald zurück. Seine Ermahnung aber hatte vierzigtausend Jahre lang Bestand.
§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung zum Zwecke einer Ermahnung für den König beendigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten: „Damals war der König Ānanda, Kundalini war Uppalavanna, Vessantara war Sāriputta, der Vogel Jambuka aber war ich.“
Ende der Erzählung von den drei Vögeln
[1] In keinem Jātaka des vierten Buches findet sich eine deutliche Beziehung darauf.
[2] Gracula religiosa, eine Star-Art.
[3] Siri (skr. „sri“) ist die Göttin des Glückes, Lakkhi (skr. „laksmi“) ebenfalls.
[4] „Bhutapati“ ist auch sonst ein Beiname Indras. Der Kommentator fasst das Wort verkehrterweise als Anrede an den König.
[5] Eigentlich die himmlischen Musikanten, dann überhaupt die niederen Götter.
[6] Ein andrer Name für die Götter des Brahmahimmels.
[7] Doch wohl wegen des Metrums für „akuttho“, weil es ähnliche Bedeutung haben muss wie „appamatto.“ Francis übersetzt allerdings „however reviled“.
[8] Wörtlich: „in die vier Strafexistenzen“.
[9] Wörtlich: „der Minister“.
[10] Francis nimmt hier am Ende der Strophe einen Punkt an und übersetzt: „and all of these a man that 's wise most certainly will claim.“ Doch gibt obige Deutung einen viel besseren Sinn; auch der Kommentator hat diese Auffassung.
[11] Wörtlich: durch Untätigkeit sitzt ein Tor gewissermaßen in einem Haus aus Rohr, das der Wind umblasen kann.
[12] Diese Strophen stehen auch im Jātaka 501 Strophen 26.1-26.10.
[13] Vgl. Jātaka 501 Anm. 12 [Gemeint sind die vier Mahabrahmas oder Erzengel, unter denen entweder die Welthüter („lokapala“) oder die obersten Götter verstanden werden].
[14] Eugenia jambu. Von diesem Baume hatte der Vogel den Namen.