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Theragāthā und Therīgāthā

Die Lieder der Mönche und Nonnen

Aus dem Pāli übersetzt von Ekkehard Saß

Konstanz 2000
Universität Konstanz
Fachbereich Geschichte und Soziologie
Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus“
Forschungsbericht 17
Herausgeber: Prof. i.R. Dr. D. Kantowsky
Fach D 38, D 78457 Konstanz

E-Mail: Detlef.Kantowsky@uni-konstanz.de

Als elektronische Publikation erschienen im Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) - http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2000/571

Eine Auswahl von rund fünfhundert Versen der Nonnen und Mönche mit ausführlichen Kommentaren und Erläuterungen zum Text erscheint im Frühjahr 2001 in der "Schriftenreihe“ der Deutschen Buddhistischen Union. Bestellungen über den Buchhandel oder direkt bei: Deutsche Buddhistische Union, Amalienstrasse 71, D 80799 München. Telefon: 089/280104, Fax: 281053, email: dbu@dharma.de

[Auf stillem Pfad - Lieder von Mönchen und Nonnen des Buddho, Eine Auswahl aus den Theragāthā und Therīgāthā des Pālikanon; 220 Seiten DIN A5; ISBN 3-9804620-3-X; 19,00 €]

Copyright: Ekkehard Saß, 2000
Herstellung: Universität Konstanz

Fachbereich Soziologie und Geschichte Forschungsprojekt "Buddhistischer Modernismus“

[Die Zweitveröffentlichung auf dieser Webseite erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Herausgebers. Neu eingefügt wurde die Rezension von E. Thriemer.]

Inhaltsverzeichnis [Seitenzahlen im Original]

Vorwort
Einleitung 7
Theragāthā 23
Therīgāthā 203

REZENSION VON EDGAR THRIEMER

Mehr als hundert Jahre nach dem dichterisch einfühlsamen Wurf von Karl Eugen Neumann erscheint eine zweite deutsche Übersetzung aus dem Pāli, die versucht eine möglichst genaue Entsprechung des Originals in Wort und Satzbau zu vermitteln.

Neben den Reden des Gotama Buddhas, die seine erhabene Lehre in unerschöpflicher Weise ausbreitet, bewahrt der Pāli-Kanon auch eine Sammlung von Dichtungen der ersten Jünger und Jüngerinnen des Meisters, Thera- und Therīgāthā, die man als das Buch von der Nachfolge Buddhas bezeichnen darf. Im Leben und in den Taten haben die Lehren hier Ausdruck gefunden.

Wir haben 263 namentlich genannte Mönche vor uns mit ihren 1279 Gāthās und 72 Nonnen mit ihren 520 Versen. Im vorliegenden Buch finden wir eine Auswahl von ca. 500 Versen der Nonnen und Mönche. Die Schönheit und Klarheit vieler Gedanken und Gleichnisse kann uns heute noch stark berühren. Klaus Mylius schreibt darum mit Recht in seiner zusammenfassenden Darstellung der frühbuddhistischen Literatur: "In diesen beiden Sammlungen (Theragāthā und Therīgāthā) hat die religiöse Lyrikihre höchste Entfaltung im Rahmen des Pāli-Kanons erlangt“.

Welche Themen behandeln nun die Verse?

Es ist die "Lehre der Alten“, das Lob der Einsamkeit, die innere Schulung und Vertiefung, die absolute Genügsamkeit, den Gleichmut, das innere Wohl des Ungebundenseins, das aufmerksame Betrachten der Vergänglichkeit. Die hohe Qualität der Naturbeschreibungen wird den Leser begeistern. Die Probleme des Mönchslebens kommen zur Sprache, der Kampf mit den Triebkräften, extreme asketische Selbstquälereien, die vom Buddha als nicht hilfreich selbst erfahren und abgelehnt wurden. Das Aufbrechen des Kastenwesens durch den Buddha wirdvermittelt, der Wert des "guten Freundes“.

Über die "erstaunlichen Nonnenlieder“ zitiert Ekkehard Sass aus einem Brief von Detlef Kantowsky: "Die Therīgāthā scheinen mir viel authentischer zu sein als die Lieder der Mönche. Es sind Geschichten zu ganz konkreten Heilungskarrieren“. Es sind echte Bekenntnisse, Schicksale treten hervor in einer besonderen Offenheit, wie der Verlust von Kindern oder des geliebten Mannes, das Elend des Leibes und des Alters, persönliche Tragödien. Ein starkes weibliches Selbstbewusstsein taucht auf und damit ein Modell für den Befreiungskampf der Frau.

Beide Sammlungen sind Berichte von Erfahrungen und vermitteln daher eine große Lebendigkeit und Realität, weshalb sie auch heute noch aktuell und hilfreich sein können. Für professionelle Buddhologen galten die Lieder schon immer als eine Fundgrube für die Forschungen zu den sozialen Verhältnissen in Indien zur Zeit Buddhas. Neuerdings besteht ein aktuelles Interesse der "feminist movement“ an den Texten. Die Verse sind aber vor allem sehr bewegende Zeugnisse über spirituelle Erfahrungen auf dem Weg der Befreiung, über Zweifel und Kämpfe, über Einsicht, Glück und Frieden.

Im Vorwort des Herausgebers der Karl Eugen Neumann’schen Übersetzung von 1923 ist zu lesen: "Sollten nun diese Lieder, die lebendigen Zeugen einer großen Vergangenheit, diese Herzensergüsse der ersten Buddhisten, heute nur mehr Literatur, als schöne Dichtungen genossen werden oder sollte es jetzt nicht wieder manche geben, denen das Meisterwort Anlass zur Besinnung und zur ernsten Arbeit an sich selber wird?“

Ekkehard Sass gibt in sehr eindringlicher Weise Antwort auf diese Frage. In seiner umfassenden Einleitung lässt er uns spüren, wie diese Übertragung für ihn ein Stück Lebensgeschichte wurde, wie die Sogwirkung dieser Texte für ihn zum Weg wurde, wie der tägliche liebevolle Umgang mit der Pālisprache zur Meditation wurde, wie er versuchte die sprachliche Genauigkeit zu ergründen und in der rhythmischen Sprache zu bleiben. Wie er aber auch nach jahrelangen Übungen an Grenzen stieß, die zu kritischen Überlegungen führten. An der "Härte der Realität“ bricht so manches hohe Ideal fast komisch zusammen und der ganze "Nimbus der Erhabenheit“ löst sich wie Nebel in der Sonne auf."

Auch Ekkehard Sass reklamiert für sich wie einst Karl Eugen Neumann "liebevolle Behandlung, Aufmerksamkeit und Fleiß bei jedem Vers.” Er ließ sich immerhin sechs Jahre Zeit für die sorgfältige Übertragung. .Befasste sich täglich nur mit einem Vers. Karl Eugen Neumann ging wie ein Komponist mit den Versen um, suchte eine "deutsche Komposition“. Ekkehard Sass versucht eine möglichst "originalnahe Anschmiegung“. Das Pāli sollte durch klingen. Textvergleiche mit den Versen von Karl Eugen Neumann machen den Unterschied deutlich. Ekkehard Sass bemerkt, dass alles christlich belastete Sprachgut in seiner Übertragung nichts zu suchen hat. Ein Wort wie "Sünde“ etwa gibt es im Pāli gar nicht. Seine Aufforderung sich mit dem Pālideutsch allmählich zu befreunden, fällt leicht. Dass hier eine sprachlich zeitgemäße und korrekte Übertragung vorliegt, ist offensichtlich. Ob Karl Eugen Neumann auch heute noch als unantastbar gilt, weil er "so genial war, dass er nicht mehr zu übertreffen ist“, muss nach 100 Jahren zu Recht in Frage gestellt werden.

Hier liegt nun eine großartige Übersetzung vor, von jemandem der weiß, worum es geht. Möge diese Übertragung der Lieder durch Ekkehard Sass vielen Menschen auf ihrem "Stillen Pfad“ hilfreich sein. Ein Glossar mit ausführlichen Erklärungen buddhistischer Kernbegriffe aus moderner Sicht und Anmerkungen zu den Versen werden gerade Neulingen auf dem Buddhaweg großen Nutzen bringen.

Edgar Thriemer.
(28.Feb.2003)

VORWORT

Die Thera- und Therī-Gāthā, die "Lieder“ besonders befähigter Mönche und Nonnen, gehören als achtes bzw. neuntes Stück des Khuddakanikāya zum klassischen Pāli-Kanon. Sie wurden von H. Oldenberg und R. Pischel für die Pali Text Society ediert (London 1883) und liegen in der neubearbeiteten 2. Auflage von K.R. Norman und L. Alsdorf seit 1966/71 vor.

Als "Lieder der Mönche und Nonnen“ wurden sie erstmals von K.E. Neumann in eine westliche Sprache übersetzt (1899, 2. Auflage1923). Dieser Übertragung ins Deutsche folgte 1910/13 eine englische Übersetzung von C.A.P. Rhys Davids (2. Auflage 1937).

Mehr als hundert Jahre nach dem grossen, dichterisch-einfühlsamen Wurf von Karl Eugen Neumann erscheint also jetzt im Medium moderner Datenerfassung und -verbreitung eine zweite deutsche Übersetzung aus dem Pali, die versucht, eine möglichst genaue Entsprechung des Originals in Wort und Satzbau zu vermitteln.

Zur besonderen Bedeutung der Texte für das Verständnis der ursprünglichen Lehre des Buddha hier die Einschätzung von Klaus Mylius in seiner "Geschichte der altindischen Literatur“(Berlin 1988):

Über beiden Sammlungen könnte der Leitsatz stehen:

"Frei von Wünschen leben wir ohne Hoffnung und Furcht!“ Diese Tendenz haben natürlich Theragāthā und Therīgāthā mit anderen buddhistischen Texten gemeinsam. Was diese beiden Sammlungen dagegen unverkennbar heraushebt, sind die Berichte über die persönlichen Erfahrungen, die hier vorgelegt werden. Die Texte erhalten dadurch zum großen Teil die Note des Lebendigen und in gewissem Sinne Realen. Dadurch und durch die streckenweise sehr schöne Lyrik haben beide Sammlungen für den Buddhologen großen Wert. (S. 311)

Was die "Lieder“ aber darüber hinaus so aufschlussreich macht, sind die ganz unterschiedlichen Inhalte und der jeweils besondere Darstellungsstil der Mönche bzw. Nonnen. Dazu noch einmal Klaus Mylius:

Die Therīgāthā möchte man, insgesamt gesehen, doch noch höher bewerten. Es ist zunächst klarzustellen, dass hier tatsächlich Frauen als Autoren gewirkt haben - ein Faktum, das früher in Anbetracht der Abneigung des Buddhas gegenüber Frauen und weiblichen Aktivitäten bezweifelt worden ist. Freilich ist nicht sicher, ob wirklich alle Therīgāthā von Frauen herrühren, doch sollte diese offene Frage das Gesamtbild nicht beeinträchtigen. Zwischen Theragāthā und Therīgāthā bestehen sowohl inhaltlich als auch in der Ausführung bestimmte Unterschiede. Die Naturbeschreibungen treten in den Therīgāthā zurück, dafür berühren die Erzählungen der Nonnen in stärkerem Maße das reale Leben. Oft sind es - und das sicherlich in Wahrheit -persönliche Tragödien, die eine Frau dazu bestimmt haben, das Familienleben aufzugeben und eine Anhängerin des Erhabenen zu werden. Als häufigste Ursache wird der Verlust eines geliebten Kindes genannt, nach welchem die ihres Lieblings beraubte Mutter Trost und Zuflucht zu Füßendes Buddha gesucht hat. Voll greller Kontraste sind die Berichte ehemaliger Prostituierter über ihre frühere Lebensführung und den Seelenfrieden, den sie nunmehr als Nonnen genießen. ....

Neben diesen Motiven offenbaren sich jedoch gelegentlich auch andere, die gewiß nicht weniger real gewesen sind. In Nr. 11 gibt nämlich eine Nonne unverhohlen ihrer Freude darüber Ausdruck, daß sie durch ihre Mitgliedschaft im Buddha-Orden sowohl vom mühseligen Reisdreschen als auch von ihrem ungeliebten Ehemann befreit worden ist. Das war gewiss kein Einzelfall, und es gibt allerlei Hinweise der zeitgenössischen Quellen, daß der Sangha nicht ausschließlich aus edlen Motiven aufgesucht wurde. Es versteht sich also, dass die Therīgāthā eine außerordentlich wertvolle Fundgrube für Forschungen über die soziale Stellung der Frau im alten Indien darstellen. (S. 312/13)

Bei dieser buddhologischen Einschätzung der "Lieder“ als sozialhistorischer Fundgrube zur sozialen Stellung der Frauen im alten Indien ist es nicht geblieben. Im Zuge der Emanzipation spirituell motivierter Frauen von männlich geprägten Lehr- und Lebensformen beobachten wir heute eine engagierte Auseinandersetzung mit diesen kanonischen Texten. Kathryn R. Blackstone hat im einleitenden Kapitel ihres Buches über "Women in the Footsteps of the Buddha“ (Curzon Press, 1998) die jüngste Diskussion referiert und fasst den besonderen Stellenwert gerade der "Therīgāthā“für die Frauen-Bewegung so zusammen (S. 11):

The Therīgāthā bears witnessto the claim of feminist scholars that women have a history of independent thought and action. Though the text is far from a feminist rebellion against sex discrimination, it does relate the experiences and perceptions of a group of female renunciants who engaged in an alternate lifestyle that liberated’ them to some extent from the gender expectations of their social world. In this way, the Therīgāthā provides us all, Buddhists and feminists alike, with a model of women’s persistent and effective struggle for liberation.

Noch wichtiger aber mag für Leserinnen und Leser der folgenden Neuübersetzung das Ergebnis der detaillierten Textvergleiche der Mönchs- und Nonnen-Lieder und der Themenauszählungen sein. Kathryn Blackstone fasstdazu wie folgt zusammen:

The personalization of the Therīgāthā and the abstraction of the Theragāthā indicate that the authors understand central features of Buddhist doctrine differently. The therīs contemplate the doctrine of impermanence by reflecting upon their own life histories, their own experiences of relationships transforming, and their own bodies aging. They see the delusory perception of permanence and stability as it has been experienced in their own lives. They overcome the delusion by reflecting upon their own experiences. The theras also know the delusion of permanence to be the main obstacle to their quest forliberation, but they contemplate the impermanence of others. They do not reflect an their own experience, but rather concentrate an the environment around them, abstracting impermanence from themselves.

Thus we see that although both must overcome a false perception, their methods of doing so differ. Thetherīs internalize the obstacles and must combat them in their own psyches. The theras externalize the obstacles and conquer them by isolating themselves awayfrom them.(S. 110/11).

Persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben und der selbst erfahrenen Wirklichkeit auf der einen, abstrakte Generalisierungen von Lehrmeinungen und die Projektion eigener Betroffenheiten auf die Aussenwelt auf der anderen Seite- gerade deswegen bin ich froh, daß ich Ekkehard Saß nicht lange bitten musste, auch die so ungleich anschaulicheren Schilderungen der Nonnen neu zuübersetzen: Möge seine Arbeit vielen Menschen hilfreich sein!

Bodman, im Herbst 2000 Detlef Kantowsky

EINLEITUNG

Über zwanzig Jahre ist es her, seit ich zum ersten mal diesen "Liedern“ begegnet bin, die den frühen Mönchen und Nonnen des Buddho zugeschrieben werden. Im Zuge meiner "Gier“ nach allem, was mit Buddhismus zu tun hatte, waren es vor allem die drei großen Bände der Übertragungen aus dem Pāli-Kanon von Karl Eugen Neumann, die mich nach der Umschau in allen buddhistischen Schulen in ihren Bann zogen. Es war schon fast beängstigend, wie ich der Sogwirkung dieser Texte erlag, wie sie mich sozusagen mit Haut und Haar verschlingen wollten, wie sie mich dazu brachten, eigene Schritte auf einem Weg zu tun, der mich mit jedem Schritt leidfreier zu machen versprach.

Der dritte Neumann-Band mit den vier wichtigsten Verssammlungen aus dem "gemischten“ Korb des Pāli-Kanons schien noch einmal die "Lehre der Alten“ in verdichteter Form zu enthalten und sie aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln zu vermitteln. Die erdrückende Fülle mit ihren beschwörenden Wiederholungen störte mich damals nicht. Ich las und las und staunte und staunte und fragte und fragte, - und fand immer wieder einzelne prägnant formulierte Gedanken, denen ich begeistert zustimmen, die ich länger betrachten konnte.

Etwas seltsam Endgültiges ging von diesen Texten aus. Es konnte einem zuweilen angst und bange werden vor so viel Entsagung und Weltflucht, die einzig zum höchsten Glück führen sollten. Doch ließ ich mir meine lebenslange Zustimmung zu einem Friedensweg nicht durch asketische Übertreibungen verderben. Überhaupt verlief meine ganze Annäherung an die "Lehre des Buddho“ ganz fern von allen traditionellen Bindungen auf individuellem, autodidaktischem Wege. Der abendländische Humanismus, nicht das Christentum, blieb mein Nährboden. Aus der "Lehre des Buddho“ nahm ich mir immer nur das heraus, was mir von Nutzen sein konnte, was mich noch glücklicher machen konnte, als ich vielleicht schon war. Niemals war Resignation meine Triebfeder.

Einer seltsamen "Lyrik“ begegnete ich da. Sie bewegte sich von einem einfachen Vierzeiler allmählich zu immer höheren Vers-Türmen - und dabei verkündeten sie doch allemal schon zum Ende gekommen zu sein, zum endgültigen Frieden, zum Verlöschen aller Lebenstriebe. Nur wenige Namen, die als "Verfasser“ genannt wurden, waren mir vertraut, wie die der großen Nachfolger aus den Sutten: Sāriputto, Anando, Moggallāno, Revato und wie sie alle heißen. Manche Verse waren mir aus der Lektüre schon bekannt, andere wiederholten sich auffallend oft unter verschiedenen Namen, als wären da bestimmte Texte wie in das Gehirn eingeprägt worden, quasi eingestempelt. Der "wache Meister“ war immer gegenwärtig und um das Ausführen seiner Anweisungen ging es. Man vertraute ihm blind. Und man entwickelte einen durchaus praktischen Sinn für die Übungen, die zu tun er empfahl. Daß auf diesem Weg alles anders verlief als üblich, das gerade gefiel mir. Die Armut an persönlichen Bekenntnissen vergaß ich über der sich wiederholenden Botschaft der Stille. Vor allem war es das Lob der Einsamkeit und Zurückgezogenheit, das mich begeisterte, denn ich suchte sie selbst, als ich auf die Fünfzig zuging und sie intensiv zuerforschen begann.

In kleinen Dosen zog ich mir einzelne Zeilen aus den Sammlungen heraus, manchmal nur ein einziges Wort, und begann, es in mein Leben hineinzunehmen, ihm sozusagen Odem einzublasen.

Die "Experimente“ mit dem Dhammo, der "Lehre“, begannen. Sie sollten Einfluß auf mein Leben nehmen, es behutsam ein wenig weiter umformen, vor allem es friedvoller, gelassener, noch toleranter machen. Ich nahm die Ideale auf, die ich in meiner Jugend schon als Ziele gesehen und verfolgt hatte, verlieh ihnen noch eine größere Verbindlichkeit. Die "Überprüfung meiner Friedfertigkeit“ begann.

Was sich also vor zwanzig Jahren schon stark einprägte und einen gewissen Vorsatzcharakter erhielt, waren etwa einzelne Zeilen und Gedanken aus Neumanns Übertragungen der "Lieder“:

Herr Gotamo, der gänzlich durch die Dinge sieht. –
Von Kummer spürt er keine Spur. –
Geborgen bin ich, einsam, ungesellt. –
Ein rechtes Wort, ich hab’s gehört. –
Den Tod bedenk ich ohne Angst. –
Allein im Walde leben einsam wir. –
Verweile gern, wo keiner weilt, wo alles jubelt, juble nicht. –
Wie leicht ist, wahrlich, doch mein Leib. –
Kein Dasein hat Beharrlichkeit. –
Der Erbe aller eignenTat. –
Und stoß die Menge mächtig ab. –
Gedenken taugt uns einzig an Vergänglichkeit. –
Ich freue mich des Lebens nicht, ich freue mich des Sterbens nicht. –
O sieh, wie stark die Lehre wirkt. –
Geborgen bin ich, kenne keinen Haß. –
Den besten Lehrer fand ich da, den Lenker, der wie keiner lenkt. –
Auf mich allein sei mein Verlaß. –
Die freien Lüfte sind uns liebste Freunde. –
Das eigne Heil, man soll es sehn. –
Den Dingen forschen nach bis auf den Grund. –
Die reine Mitte hielt ich recht. –
Bin aller Bruder, aller Freund. –
Mit sich in Frieden, selberfroh gefestigt. –
Wehrlos in dieser Waffenwelt. –

Die letzte Zeile machte ich sogar zum Titel einer Rundfunksendung über Wehrdienstverweigerung.

Neumanns Sprache mit ihren zum Teil altertümlichen, ungebräuchlich gewordenen und arg "gewitzigten“ Wendungen nahm ich als historisch bedingt hin. Über manche "Ungereimtheiten“ sah ich hinweg. Die Prägnanz und Schönheit einzelner Sprüche machte alles wieder wett. Über die Nähe oder Ferne zum Original konnte ich damals nichts sagen, da ich des Pāli noch nicht mächtig war. Neumanns eigener Begeisterung über seine Nachdichtungen konnte ich mich nicht entziehen. So schrieb er im Vorwort zu seiner Dhammapada-Übertragung 1892:

"Vorliegende Umdichtung ist eine getreues Abbild des Textes. Trotzdem, oder vielleicht weil sie die ursprünglichen Metra wiedergibt, schließt sie sich dem Original, meist bis auf den Wortlaut, vollständig an, fast einem Gipsabgusse nach einer Antike vergleichbar. Daß sie also in keiner Weise den Urtext ersetzen kann, versteht sich. Jedoch halte ich sie für die erste wirkliche Übersetzung: der Kenner möge urteilen. Das große deutsche Volk aber, dem ich sie widme, möge kommen und sich daran erquicken.“

Erste Zweifel an Neumanns "Gipsabgüssen“ kamen auf, als ich einige Jahre später, 1986, auf die Dhammapada-Übertragung von Paul Dahlke stieß, die Helmut Klar 1969 auf eigene Kosten neu herausbrachte und die glasklaren Erläuterungen von Dahlke neu faßte. Aus dieser Übertragung von 1919 spürte ich sofort eine besondere "Echtheit“. Dahlke scheute sich nicht, auch für uns ungewohnte Wortverbindungen zu benutzen und so gewissermaßen vom Pāli her die deutsche Sprache dynamisierend zu "behandeln“. Das Büchlein wurde für mich zum täglichen Begleiter.

Ein Freund von Helmut Klar schenkte mir wenig später dessen mit Schreibmaschine geschriebene Pālifassung des Dhammapadam, die zugleich Klars Neuordnung der Verse unter anderen Überschriften enthielt. Das war meine erste Begegnung mit der Pālisprache, wenn ich von den unter Buddhisten viel gebrauchten "Fachwörtern“ absehe, die sie gerne im Munde führen.

Als alter Sprachenliebhaber wurde ich nun neugierig auf dieses geheimnisvolle Pāli. Schon 1950 war ich kurz einmal auf Hindustani gestoßen, fing sogar an, die Devanāgari-Schrift zu üben. Das war nun nicht nötig, da es die Pālitexte seit über hundert Jahren in europäischer Umschrift gab. Kurz entschlossen bestellte ich mir Warders Pāli-Einführung in englischer Sprache und fing an, täglich Pāli zu lernen. Zum ersten mal konnte ich nun die so oft gelesenen deutschen Sätze aus den Lehrreden des Pāli schreiben, lesen und sprechen. Das berührte mich schon seltsam tief. Ich staunte, wie leicht mir das Verständnis der Grammatik und Formen fiel. Mein lebenslanges Studium von Sprachen trug nun seine Früchte. Und wie verwandt waren doch die deutsche und die alte indische Sprache (eine ja nur von sehr vielen und nicht die, welche Gotamo sprach).

Mit der Anschaffung des großen Pāli-Englisch-Lexikons von Rhys Davids und William Stede (Ersterscheinung 1921, sieben mal neugedruckt, zuletzt 1986) stand mir ab 1989 nichts mehr im Wege (ich festigte und erweiterte gleich noch mein Englisch dabei).

Der tägliche, liebevolle Umgang mit der Pālisprache wurde ein ganz wesentlicher Teil meiner "Übung“, wurde zur "Meditation“, zum Nachdenken mit bestimmten Folgen. Das ging so weit, daß ich schließlich schon beim Aufschlagen des Lexikons ruhig und besonnen wurde und die Lehrinhalte fast körperlich spürte. Bald flog die Mittlere Sammlung der Lehrreden aus England heran und nun konnte ich mich endlich an der Quelle laben und begann, täglich Pāli zu lesen und erschloß mir mehr und mehr das Original.

Zum Beginn meines Ruhestandes mit 60 Jahren(1992), den ich auf meine Weise ernst nehmen wollte - zur Ruhe kommen, in der Ruhe stehen bleiben -, wünschte ich mir weitere Schriften von der Pāli-Text-Gesellschaft: die Längere Sammlung der Lehrreden und die Verse der Mönche und Nonnen.

Meine Freude an dem immer tieferen Eindringen in das Pāli wuchs mit jedem Tag. Das Erschließen der überlieferten Lehrsätze und Betrachtungen blieb tägliche Übung. Die Merksätze, die ich mir in den vergangenen Jahren in deutscher Sprache aufgeschrieben hatte, konnte ich nun mit dem Original vergleichen und viel besser und tiefer verstehen. Ich spürte bei den mir zugänglichen Übertragungen ins Deutsche leichte Abweichungen, Ungenauigkeiten und sogar gelegentlich "Irrtümer“ auf. Der Wunsch, mich immer mehr nur noch dem Original, der "Quelle“ anzuvertrauen, wurde stärker und stärker.

1992 begann ich dann als tägliche Übung, in einen Kalender jeweils einen kurzen oder längeren Text auf Pāli zu schreiben und darunter die genau entsprechende deutsche Fassung der Wörter, wie sie mir das Lexikon verriet. Dabei fand ich besonders hilfreich die etymologischen Hinweise auf die große indo-germanische Sprachfamilie. Ich stieß auf eine überraschende und unerwartete Verwandtschaft. (Nāsā heißt z.B. die Nase und Nāmam der Name).

Zuerst erschloß ich mir auf diese Weise Texte aus den Sutten, dann mehr und mehr aus den großen Verssammlungen, dem Dhammapadam und den Versen der Mönche und Nonnen. Wenn mir etwas zu einer Zeile oder einem Gedanken oder Gleichnis einfiel, schrieb ich darunter meine eigenen Überlegungen, versuchte, mir selbst klarzumachen, was wohl jeweils gemeint sein könnte, was davon überhaupt übertragbar auf eine reale Situation in meinem Alltag war. So wurde der "tote Geist“, der auf einem Palmblatt und Papier objektiviert worden war, von einem lebenden Geist der Gegenwart aufgegriffen und behandelt.

Karohi dipam attano.

Mache Insel des Selbsts.

Wie sollte darüber nicht auch heute nachgedacht werden können? An diesem Tag und auch immer wieder an neuen, anderen Tagen? Die Tagesereignisse in meinem Leben hielt ich in Stichworten in dem Kalender fest und sah sie, wenn möglich, im Spiegel desjeweiligen Dhammatextes. Zuweilen erschloß ich mir für einen Tag auch nur ein einziges Pāliwort und begann, darüber nachzudenken oder etwas aufzuschreiben. Aniccam, nirodho, nibbānam, sankhāro, indriyam, visallo, santi waren etwa solche Wörter. Und das war für mich durchaus eine Art "Lehr-Ergründung“ als ein wichtiges Hilfsmittel auf dem Wege, als ein "Erwachensglied“.

So erfuhr ich eine große Bereicherung meines Lebens durch die Beschäftigung mit der Pālisprache und den Inhalten des urbuddhistischen Kanons. Ich konnte sehr vieles in mein tägliches Leben hineinnehmen und in der Meditation, dem stillen Sitzen auf meinem Holzklotz, fruchtbar machen.

Der Wunsch, eine eigene größere Übertragung aus dem Pāli ins Deutsche zu versuchen, wurde groß und so wählte ich 1993 dann das Dhammapadam, diese berühmte und vielübersetzte Spruchsammlung als erstes Versuchsobjekt. Die Verse hatten mich nun schon viele Jahre begleitet, und ich hatte das Manuskript von Helmut Klar zur Hand. Die Prägnanz, Kürze und Schlichtheit dieser Vierzeiler regte mein Dichtertalent besonders an.

Im Sinne der "Zeitlosigkeit“ der Lehre wollte ich mir Zeit für diese Arbeit lassen und doch nicht säumen. So zwang ich mich, jeden Tag einen Vers Wort für Wort zu erschließen (ich schrieb mir unter jedes Pāliwort das entsprechende deutsche Wort) und "entschlossen“ zu versuchen, die beste deutsche Version zu finden und sie dann auch so stehen zulassen ohne noch weiter groß zu zweifeln und zu grübeln. Dahlkes Übertragung diente mir dabei als Kontrolle. Ich begann im Februar 1993 und übertrug den letzten Vers (423) am 10.3.1994. Ein ganzer Zettelkasten hatte sich mit Versen gefüllt, die ich dann auch einmal in die Klarsche Abfolge brachte.

Ich war täglich überrascht, wie mühelos sich die deutsche Sprache an das Altindische anschmiegen ließ. Ich brauchte nicht einmal in den Zeilen zu springen und konnte sogar oft die Reihenfolge der Wörter in einer Zeile beibehalten, was mir oft sehr sinnvollerschien. Also übertrug ich etwa statt des "normalen“ Satzes: "Des Buddho Botschaft ist getan“ die Pālireihenfolge wörtlich: "Getan des Buddho Botschaft ist.“ (Mit deutlicher Anfangsbetonung des Vollbrachten). Ich lobte die unglaubliche Geschmeidigkeit der deutschen Sprache und mutete ihr das Äußerste zu. Das Metrum verlangte zwar dann doch gewisse "Opfer“, doch war immer mehr möglich, als ich zunächst vermutete. Vom Leser allerdings wird nun eine gehörige Portion Mitarbeit verlangt, eine gewisse Anstrengung oft, um hinter den Sinn des jeweiligen Verses zu kommen. Viele Verse müssen eigentlich länger bedacht werden, bis ein gewisses AHA erscheint. Das ist auch gut so, denn es handelt sich ja hier im Grunde nicht um lyrische "Dichtkunst“, sondern um ernste Empfehlungen zu einem glücklicheren, leidfreieren Leben. Das, was Hegel "die Anstrengung des Begriffs“ nannte, also der geistige Prozeß, einen Begriff mit immer neuem Leben zu erfüllen, ist hier in hohem Maße verlangt. Vor allem immer wieder bei den unübersetzt gebliebenen Begriffen, von denen wir nie wissen können, ob sie überhaupt im Sinne der alten Inder zu erfassen sind. Es gilt, jede "Begriffsstutzigkeit“ zu überwinden, ein Wort völlig unbefangen und neu auf- und anzunehmen, es von innen her mit neuem Leben zu erfüllen, auch jeweils aus der eigenen Lebenserfahrung heraus. Dazu ist das Pāli in hohem Grade prädestiniert, ist es doch eine dynamische, kausative Sprache, mit der sich leicht festgehämmerte Denkbarrieren niederreißen lassen.

Daß meine Übertragung nun schon die 13. deutsche Version geworden war, störte mich in keiner Weise. In englischer Sprache sollen weltweit 70 Übertragungen des Dhammapadam zu finden sein. Und fast gleichzeitig mit mir saß schon wieder ein Liebhaber dieser Verssammlung an einer Prosaübertragung aus dem Englischen, ohne eigene Pālikenntnisse, - und fand sogar einen Verleger.

Weil mir alles so gut von der Hand gegangen war, suchte ich nach einem neuen Objekt für meine Übertragungskünste. Mit meinem Pāli-Original in der Hand hatte ich schon öfter in Neumanns Übertragung der Mönchs- und Nonnenverse hineingesehen, neugierig, wie "genau“ er eigentlich übertragen hatte. Und gleich ging das große Verwundern los über die Nähe und Ferne zum Original, über den großen Sprachverlust, der oft eintrat. Ja, gelegentlich meinte ich, reine Phantasie vor mir zu haben.

Besonders "schöne“ Verse versuchte ich schon einmal in eine genauere Fassung zu bringen. Tauschte einzelne Wörter aus: das "Nichtirgendetwas“ schien mir mehr auszusagen als das "Von Kummer frei“. "Befreit“ mehr als "heilig“. "Vertrauend“ mehr als "fromm“.

Ich sah mir die Bedeutung der Namen an, die über den Versen standen und erkannte, daß sie oft eine Art Überschrift oder Inhaltsangabe für die folgenden Verse waren. Also eigentlich schon Anstöße zu Übungen, die dem jeweiligen "Sprecher“ wichtig waren. Unter diesem Blickwinkel verblaßte auch die Vorstellung, es bei den Namen in jedem Fall mit einer "historischen“ Gestalt zu tun zu haben. Die Namen selbst konnten schon zu Anregungen für jeden Tag werden, enthielten eine Art Vorsatzprogramm: Lichthüter, Allfreund, Sorgenfrei, Glückgewinner, Brahmadeich, Ohnegleichen, Ruhmgewinner, Freudiger, Floß, Allwunsch, Glücksessenz, Tugendhafter, Mettagewinner.

Die "Überprüfungen“ bei Neumann verstärkten in mir immer mehr die Überzeugung, daß es nach nun bald 100 Jahren an der Zeit wäre, eine genauere und sprachlich modernere Fassung zu versuchen. Auch einige Freunde äußerten das Bedürfnis nach einer "besseren“ Übertragung. Es tauchen bei Neumann ja Wörter auf, die längst außer Gebrauch gekommen sind. Wer weiß noch, daß Zagel für Schwanz steht, was glaues Glück ist, ein Höllengauch, eine ungehießene Welt, daß Hindin für Hirschkuh und Ilph für Elephant steht, daß gewitzigt eigentlich weise meint, und was da einig weien könnte? Ganz abgesehen von der christlichen Überfärbung, die in vielen Wörtern zu finden ist, wie Sünde, Sündenknecht, fromm, abbüßen und ähnliche.

Mein Entschluß, eine neue Gesamtübertragung der Möchsverse zu wagen, festigte sich, als Alfred Weil einige meiner Neu-Übertragungen von Mönchs- und Nonnenversen in sein Buch "Wege zur Todlosigkeit“ aufnahm.

Ich zögerte nicht mehr lange und schrieb am 25. August 1994 " Thag 1“ in meinen Kalender - und fuhr, wie gehabt, geduldig Tag für Tag und Jahr für Jahr fort, die gewaltige Textmasse zu erfassen und zu erschließen.

Die Schwierigkeitsgrade wechselten bei den Mönchsversen stärker als in der Spruchsammlung des Dhammapadam. Doch ließ sich das bewährte Prinzip gut fortsetzen. In einem großen Zettelkasten sammelte ich die gefundene deutsche Version für jeden Vers ein. Rätselhaftes ließ ich erst einmal offen. Viele bekannte Verse aus dem Dhammpadam fand ich wieder und, schwer zu deuten, Standardverse, die unter verschiedenen Namen mehrfach wiederkehrten. Zum Beispiel "Bin tief erfreut am Leben nicht, bin tief erfreut am Tode nicht.“ Bei 1279 Versen hatte ich Arbeit für mehrere Jahre vor mir. Ich wollte mir wieder bewußt Zeit lassen. Der Kalender war ein guter Ansporn zum Dranbleiben. Wieder konfrontierte ich die Ereignisse meines Lebens mit den Lehrinhalten der Verse.

Es ging mir vor allem um das Ergründen der sprachlichen Genauigkeit. Jedes einzelne Wort wurde im Lexikon nachgeschlagen, jede Verbform genau erfaßt. Gerade bei den Verbformen fand ich in den Übertragungen die größten Ungenauigkeiten. Unschätzbaren Dienst bei dieser

Verbforschungsarbeit leistete mir die Pāligrammatik von Achim Fahs, der eine Liste seltener Verbformen erstellte, wofür ihm größter Dank gebührt. Nur ganz selten hatte er mal eine Verbform nicht aufgeführt.

Wieder waren mir die etymologischen Hinweise von großer Hilfe bei der Suche nach einem passenden deutschen Wort.

Mit den alten Versmaßen dieser "asketischen Poesie“ (Neumann) konnte ich mich nicht beschäftigen. Neumann sprach von der "herben Unbeugsamkeit und feinen Geschmeidigkeit“ dieser Verse. Da ist wohl etwas dran. Um in der rhythmischen Sprache zu bleiben, entschloß ich mich - wie Neumann -, weitgehend den schlichten Jambus zu benutzen. Nur ganz selten gab es einen Wechsel zum Trochäus (durchgehend nur bei der Nonne Ambapāli). An die Länge der Zeilen hielt ich mich, wenn nur irgend möglich, genau, doch mußte sie ab und zu wegen des Verständnisses um eine Silbe verlängert werden. Die vierfüßige Zeile herrscht in beiden Sprachen nun vor. Längere Zeilen sind aber auch oft im Original zu finden.

Neumann ging wie ein Komponist mit den Versen um. In einem Brief an seinen Freund Giu­seppe de Lorenzo, den italienischen Übersetzer aus dem Pālikanon, kritisierte er dessen Verfahren, Zeile für Zeile zu übertragen, wobei schlechte Prosa herausgekommen sei und meinte, die indischen Gāthās würden genau so viel "liebevolle Behandlung und Aufmerksamkeit und heißen Fleiß“ erfordern wie die Sonette von Shakespeare (die Lorenzo auch übertragen hatte).

Und er schildert dann sein "Verfahren“:

"Glaubst Du etwa, ich hätte einen einzigen Vers übersetzt, ohne ihn vorher auswendig zu kennen, de coro, by heart, und ohne ihn immer und immer wieder nach allen Seiten hin zu drehn, bis er endlich eine entsprechende Form angenommen? So habe ichgelegentlich an bloßen vier Zeilen zwei und drei volle Tage unermüdlich gearbeitet, auf dem Sofa liegend, auf Spaziergängen, in der Tramway, überall. Anders geht es nicht.“

Auch ich habe es mir nicht leicht gemacht und reklamiere liebevolle Behandlung, Aufmerksamkeit und Fleiß bei jedem Vers. Doch ging es mir nicht um eine "deutsche Komposition“, sondern um eine möglichst originalnahe Anschmiegung. Ich mutete der deutschen Sprache sehr viel dabei zu. Ich wollte sozusagen das Pāli hindurch klingen lassen, die Eigentümlichkeiten einer alten Sprache nicht verwischen, die hohe Bildkraft vieler Wörter nicht durch blasse Begriffe schwächen. Früh-indisches Denken gaben doch Wörter wieder wie "Vogelweg“ für "Himmelsraum“, "Gott“ für "Wolke“, "Trompeter“ für "Elefant“, "Schüttler“ für "störrisches Pferd“. Ein "Nichtfreund“ klingt viel sanfter als unser "Feind“. "Schlecht“ ist milder als "böse“.

Alles christlich belastete Sprachgut hatte in meiner Übertragung nichts zu suchen. Ein Wort für "Sünde“ etwa gibt es gar nicht im Pāli. Die in beiden Sprachen gerne verwendeten engen Wortverbindungen wollte ich auch gerne erhalten und versuchte zuweilen, die Original­Worttürme nachzubauen. So ist dann zu lesen: Fesselungsgewitterwolke, Kernholzlehre, Satiplattform, Nibbānapfad, Himmelssinnenlüste, Schmutz-Dürre-Kummer, der Buddha­Sonnen-Anverwandte, der Sammlungs-Wissensmeister, das Mārolasttier, der Neunstromkörper, Gras-Holz-Äste-Blattwerk. Der Bindestrich in diesen Übertragungen ist dann oft als ein "und“ zu lesen. Also bei Lager-Sitz ist an Lager und Sitz gedacht, die ja für einen Asketen oft identisch sind. Ich denke, das ist dem Leser zuzumuten. Er wird sich mit meinem "Pālideutsch“ allmählich befreunden und allmählich besser verstehen, was mit den Wortverbindungen gemeint gewesen sein könnte.

Das große Streitwort attā habe ich stets mit SELBST übersetzt und nicht reflexiv abgeschwächt. Es wird so am deutlichsten, was mit diesem Begriff in buddhistischer Prägung gemeint war. ("Das SELBST ist nur des Selbstes Schützer.“)

Meine Interpunktion ist als Lesehilfe gedacht und soll das Verständnis eines Verses erleichtern. Sie hat nichts mit den üblichen Regeln zu tun.

Die Nähe zum Original in der gehobenen rhythmischen Sprache des Vers- und Spruchcharakters war also oberstes Ziel. Eine Wiedergabe in "erklärender“ Prosa hielt ich für unangebracht und völlig reizlos.

Meine Arbeitsweise mögen nun einige Beispiele verdeutlichen.

Accāraddhamhi - viriyamhi = beim zu sehr Sichanstrengen - bei der Tatkraft

satthā - loke - anuttaro = der Lehrer - in der Welt - unübertroffen

vinopamam - karitvā - me = das Lautengleichnis - gemacht habend - mir

dhammam- desesi - cakkhumā = die Lehre - wies auf - der Sehende (Auge habende)

Neumann überträgt:

Und heftig büßt’ ich, allzu hart:
da kam der Meister her zu mir
und ließ mich kennen, gab mir kund
das Gleichnis von der Laute Klang.

Ich versuchte, den Zeilen und der Wortbedeutung treu zu bleiben und faßte auf deutsch:

Bei allzu überspannter Tatkraft
der Lehrer, in der Welt der höchste,
das Lautengleichnis er mir gab,
wies so die Lehre auf, der Seher.

Wie weit eine sprachliche Anpassung (Anschmiegung) möglich ist, möge noch Vers 614 zeigen

Sīlam - balam - appatimam
die Tugend - Kraft - unvergleichlich
sīlam - āvudham - uttamam
die Tugend - Waffe - höchste
sīlam - ābharanam - settham
die Tugend - Schmuck - bester
sīlam - kavacam - abbhutam
die Tugend - Panzer - außergewöhnlich.

Neumann übertrug:

Der Tugend eignet größte Kraft,
der Tugend eignet beste Wehr,
der Tugend eignet hellster Schmuck,
ein wunderbares Panzerhemd.

Ich versuchte, dem lapidaren Wortwerk treu zu bleiben und übertrug:

Die Tugend: Kraft - ganz unvergleichlich,
die Tugend: Waffe - höchster Art,
die Tugend: Schmuckstück -allerbestes,
die Tugend: Panzer -ungewöhnlich.

Wie verschieden die Entdeckungen im Versgebirge der alten Texte auf diese Weise sind, mögen noch einige Beispiele zeigen.

Thag 350 Neumann:

Von Gliederreißen gleich versucht
im wilden Walde, hainbehaust,
in rauher Regel, zäher Zucht,
wie magst du, Mönch, beharren so?

Ich behielt das Pāliwort für "Rheuma“ bei und übertrug:

Wenn du von Windkrankheit befallen
beim Leben in dem lichten Wald,
in rauhen Weidegrund geworfen:
wie wirst du, Mönch, wohl handeln dann?

Thag 355 Neumann:

Ich will dich häkeln fest, o Herz,
genau wie Ilphen ins Gestöck,
will nicht im Bösen bei dir stehn,
du fleischgewordner Flausenbalg!

Ich übertrug:

Ich werde fest dich binden, Herz,
am Torpflock, wie den Elefanten!
Nicht dich zum Schlechten werd’ ich drängen,
du Sinnen-Netz, du leibgebor’nes!

Thag 673 Neumann:

Und hell und heller wird mir nun,
ich kenn’ der Wahrheit köstlich Wort,
verkündet recht, verkündet rein,
das alles Hangen heilen kann.

Ich übertrug:

Ich komme mehr und mehr zum Frieden,
seit ich gehört die Lehre allzu köstlich, -
die frei von Reiz gezeigte Lehre,
nicht haftend mehrallüberall.

Und noch drei Beispiele aus der Nonnenversen:

Thīg 137 Neumann:

Sein Wort, ich hab es wohl gehört;
gewandert bin ich weiter dann
als Nonne, hold genommen auf:
und helle Spur war bald erspäht.

Meine Version:

Als seine Lehre ich gehört,
zog ich in die Hauslosigkeit, -
ich band mich an des Lehrers Wort,
verwirklichte den Glückespfad.

Thīg 490 Neumann:

Wie Kokosnüsse lock tuns Lust,
wie Aas, wonach der Geier giert,
wie Träume trügen lügt die Lust,
ist ausgeborgt wie Bettelputz.

Meine Version:

Baumfrüchten gleich die Sinnenlüste sind,
Fleischfetzen gleich, die Leiden bringen nur, -
den Träumen gleich, sie täuschen etwas vor,
die Sinnenlüste sind gleichsam gelieh’nes Gut.

Thīg 508 Neumann:

Um kleines Erdenglück, um Wonne winzig nur
mag nicht verleugnen hohes Heil,
nicht schnappen nach der Angel schnell
und wie der Fisch gefangensein.

Meine Version:

Auch nicht um allerkleinstes Sinnenglück
gib auf das weite, weite Innenglück!
Nicht wie ein Fisch verschluck den Angelhaken!
Du wirst danach brutal nur abgeschlachtet!

Die Frage, ob wir in den Versen "wirklich“ Zeugnisse der Frühzeit haben oder die literarische Sammlung eines oder mehrerer späterer Autoren, wird sich wohl nie eindeutig klären lassen. Mönche und Nonnen als verkappte Dichter, die gar kein Ende finden im "Schmieden“ von Versen? Gotamo als emphatischer "Sänger“? "Habt ihr mich je so sprechen gehört?“ fragte der frisch "Erwachte“ seine ersten Mönche. Darin liegt wohl das Bewußtsein eines neuen Umgangs mit der üblichen Sprache, ein Angehobensein, das wie von selbst in ein Metrum fließt, um das Gewicht einer Erkenntnis, einer tiefen Erfahrung zu betonen. Deshalb muß auch die Wiedergabe dieser Verse in einem längeren Prosatext immer unbefriedigend bleiben, kann dem Original nicht gerecht werden, zeigt nur, was da überhaupt so gesagt wurde. 1996 brachte Christine Schoenwerth in Utting eine solche Übertragung der Mönchsverse heraus nach einer englischen Fassung.

Das "Buddhawort“ in den Lehrreden bleibt ja eher schlicht, sachlich und klar, Verse kommen nicht allzu häufig vor und wenn einmal, dann nur am Schluß als Verdichtung und Zusammenfassung des zuvor Gesagten. Sie wirkten auf mich fast immer als Zusatz eines talentierten Schreibers. Und nun haben wir 263 namentlich genannte Mönche vor uns mit ihren ein bis 73 strophigen Gedichten und auch noch 73 Nonnen mit 522 Versen.

Daß die Verse insgesamt in der altindischen Literatur einen hohen Rang einnehmen, darüber kann es für den unvoreingenommenen Leser keinen Zweifel geben. Die Schönheit und Klarheit vieler Gedanken und Gleichnisse kann uns heute noch stark berühren.

Klaus Mylius schreibt darum mit Recht in seiner zusammenfassenden Darstellung der frühbuddhistischen Literatur:

"In diesen beiden Sammlungen (Theragāthā undTherīgāthā) hat die religiöse Lyrik ihre höchste Entfaltung im Rahmen des Pāli-Kanons erlangt.“

Daß hier unterschiedliche Autoren am Werk gewesen sind, steht für europäische Indologen fest. Ebenso wie die unterschiedliche Zeit der Entstehung dieser Lieder. Beide Texte sind in einem unordentlichen Zustand und werden den Anforderungen, die man an Bestandteile eines Kanons stellen zu dürfen glaubt, nicht gerecht. So gibt es zahlreiche Wiederholungen, und zahlreich sind auch die Fälle, in denen offensichtlich zusammengehörige Texte getrennt stehen. Vermutlich ist schon die ursprüngliche Redaktion sehr nachlässig vorgenommen worden, und die Überlieferung hat diesen Zustand beibehalten.“(Mylius)

Diese Beobachtung kann ich nach meinem jahrelangen Umgang mit den Versen nur bestätigen. Nicht nur, daß ich immer neue Wörter nachschlagen mußte, auch Verskonstruktion und Satzstellung änderten sich mit dem Umfang der Gedichte. Die unterschiedliche Klarheit und Flüssigkeit einzelner Versgruppen (Gedichte) könnte durchaus einen Rückschluß auf verschiedene Autoren geben. Und es schien mir gut, die unterschiedliche Sprachfertigkeit in einer Übertragung nicht weg zu glätten. Die Indologen sind auch der Überzeugung, daß bestimmte Begriffe sich erst spät herausgebildet haben und in sehr alten Texten überhaupt nicht zu finden sind. Dazu zählt z.B. der Begriff "kilesa“ für "Fleck, Beschmutzung“. Daß sich eine Sprache im Laufe von Jahrhunderten verändert, ist ja ganz selbstverständlich.

Welche Themen behandeln nun diese Verse? Es findet sich in ihnen alles, was mit der "Lehre der Alten“ zusammenhängt, wie sie uns im Pālikanon überliefert ist. An erster Stelle das Lob der Einsamkeit, des zurück gezogenen Lebens, der inneren Sammlung und Vertiefung, der absoluten Genügsamkeit.

Man möchte mit dem Mönchsleben alte Gewohnheiten ablegen, neue gewinnen, die vor allem zum Gleichmut führen. Das sanfte, innere Wohl des Ungebundenen, von allen Pflichten Ledigen wird gelobt. Keine Pflichtender Welt gegenüber gibt es, nur noch Pflichten der "Lehre“ gegenüber, die aus dem Kreislauf der "Wiedergeburten“ befreien will.

Mit vielen Gleichnissen ist diese Sprache angefüllt, ist getragen vom Pathos der inneren Ergriffenheit, des Hochgehobenseins im seelisch-geistigen Streben. Ein abgrundtiefer Ernst liegt in diesen Gedanken und Betrachtungen. Keine Spur von Humor ist zu finden beidem Versuch, das Lebensleiden zu beenden.

Sehr stark kommt das Bewußtsein durch, zu einer "Elite“ zu gehören, "gegen den Strom“ zu schwimmen, etwas ganz Feines undBesonderes gefunden zu haben, eigentlich das Beste, was es überhaupt nur geben kann.

Im Mittelpunkt immer wieder das aufmerksame Betrachten der Vergänglichkeit. Man will dem "Māro“, dem "Endiger“, auf die Schliche kommen, seine Listen durchschauen, ihm nicht in die Fänge geraten, ja ihn sogar "blind“ machen, indem man leicht und glücklich in der "Vertiefung“ verschwindet.

Man sucht das Reich der Stille, wie es der Lehrer gesucht hat, man sucht wie er den "allerbesten Friedenspfad“ und folgt gehorsam und hingebungsvoll allen seinen Empfehlungen, gibt eigenes Nachdenken völlig auf. Man bedenkt und wiederholt nur immer wieder die Hauptlehrsätze zur Leidensüberwindung. So wird allmählich die Angst vor allem, was kommt, besonders eben vor dem Tod, überwunden, und immer dabei das Freudensglück betont, wozu auch die Wahrnehmung der Natur im Jahreswechsel gehört.

Der Felsen dient als Vorbild für Unerschütterlichkeit, kein Orkan kann ihn vom Fleck bewegen, - der Baum als Gleichnis für Abgeschiedenheit und Ruhe: unbewegt steht er da, elastisch im Winde sich bewegend, nachgebend, ohne zu zerbrechen, - der stille See als Identifikationsobjekt, um selbst so still zu werden, - oder so still wie das tiefe Meer unter der wogenden Oberfläche.

Auch der eigene Körper kann zum Gleichnis werden: die Knochen sind beständiger und "ruhiger“ als der wirbelnde undgrübelnde Geist. Hier bekommt die Achtsamkeit auf den Körper ihre hohe Bedeutung.

Die hohe Qualität der Naturbeschreibungen wird jeden Leser begeistern. Bunte Fasane, Scharen von roten Insekten, Raubvögel, die Herde von Kühen, die kletternden Gemsen, Donner und Blitz, die dunklen Regenwolken mit ihren Gestalten, Fische und die zahllosen Laute der Tiere, das Blühen der Bäume und Blumen, die Großartigkeit des Gebirges, - all das tritt sehr plastisch vor Augen.

Der Elefant als das größte und majestätischste Tier dient als Gleichnis für den Buddho und seine großen Jünger. Der Löwe jagt uns den heilsamen Schreck vor der Vergänglichkeit ein, darum heißt eine Lehrrede auch "Das Löwengebrüll“. Das Pferd aus edler Zucht läßt sich zähmen, so auch der übungswillige Mönch und Mensch. Der Stier zieht geduldig den Pflug, so auch müssen wir unsere Pflichten übernehmen und alle Not durchstehen.

Der Affe ist immer das Gleichnis für die sprunghaften Gedanken, den flatternden, unruhigen Geist. "Steh still, du Affe, rase nicht!“ heißt es darum auch.

Die spezifischen Probleme eines Mönchslebens, wie es damals geführt wurde, kommen zur Sprache: die Last des Almosengangs, aber auch die Freude, die damit verbunden sein kann. Die Gefahr, von Familien allzu sehr verehrt und geliebt zu werden, wird benannt und gelegentlich ist ein gewisser asketischer Hochmut herauszuhören, wenn davon gesprochen wird, daß ein "Laie“, der nicht Mönch werden will, "schlecht“ ist, weil er nicht so intensiv strebt. Von "Toren“ ist darum auch viel die Rede, die nichts "verstanden“ haben, die nicht den "echten“ von dem "falschen“ Mönch zu unterscheiden wissen.

Zentral - ganz unnatürlich, die Gesetze des realen Lebens auf den Kopf stellend - der Kampf mit den Triebkräften, vor allem mit dem Geschlechtsdrang. Daraus erwächst für europäische Leser und Leserinnen eine schwer zu ertragende Abwertung, ja geradezu Verachtung des weiblichen Geschlechts, die von einer tiefen neurotischen Störung zeugt und nicht gerade "lehrgemäß“ ist. Verachtung, Abwertung sollen ja gerade aufgehoben werden. Mit diesem asketischen Kampf zusammen hängt die übertriebene Abwehr aller sinnlichen Reize. Man glaubt, sie durch Abwertung überwinden zu können und wird nur immer stärker in ihren Bann gezogen. Selbst ein weiblicher Leichnam kann einen Mann noch sexuell erregen. Das wird beschrieben und daraus soll eine "befreiende“ Einsicht kommen.

Es finden sich auch die extremen asketischen Selbstquälereien wieder, die vom Buddho als nicht hilfreich selbst erfahren und abgelehnt wurden. Man möchte etwas erzwingen, was sich nicht erzwingen läßt. Nicht essen, nicht trinken, bis endlich der "Durstpfeil“ raus ist. Man lief 55 Jahre schmutzverkrustet herum, aß nur einmal im Monat, rupfte sich Haare und Bart aus, stand immer nur auf einem Bein, aß trockenen Kot, saß immer nur und legte sich nie hin, - all die uralten indischen Selbstquälereien tauchen auf, bis der Buddho belehrt: "Durch inneres Wohlsein gelangt man zum Frieden, nicht durch Schmerzensaskese.“ Erinnerungen an frühere schöne Momente im Hausleben sollen nicht mehr aufkommen. Im Asketentum heißt es, nur immer voller Sehnsucht nach Freiheit zu sein.

In einigen Versen wird das Aufbrechen des Kastenwesens durch den Buddho vermittelt. Jeder soll sich auf den Weg machen können, auch ein Schilfbrecher, ein Schauspieler, ein Straßenkehrer, ein Behinderter (in der Ordensregel allerdings ausgeschlossen). Das Regelwerk einzuhalten, ist das größte Glück: so gibt man jeden Eigenwillen völlig auf, gibt seine individuelle Freiheit hin.

Man sollte auch möglichst viele Verwandte zur Lehre bringen, zur Weltflucht. Der Wert des "guten Freundes“ steht hoch im Kurs. Einer, der schon weiter ist, der "viel gehört“ hat, dem soll man sich anschließen.

Und man glaubt, sich an frühere "Aufenthalte“ zu erinnern, also auch an frühere Lebensläufe in anderen Körpern. An die Zeiten in der Unterwelt, im Tierschoß, in der Menschenwelt, in der Himmelswelt und in der formlosen Welt. So wird es einem in der Meditation (Vertiefung) deutlich, wenn man immer nur daran denkt. So glaubt man dann zu "wissen“. Einer rühmt sich, 500 lange Weltzeitalter in einer Nacht zurückdenken zu können. Der indische Geist kennt keine Grenzen.

Man erzählt, was man alles an Reichtum aufgegeben hat und wie viel schöner es ist, jetzt so "leicht“ zu leben. Man hat die Dhammafreude gegen die Weltfreude eingetauscht. Und am besten ist es "natürlich“ schon als ganz junger Mensch in den Orden zu gehen. Mit 15 erlaubt es die Regel. Mit 20 frühestens kann einer "ordiniert“ werden. In den Versen wird von sieben­und achtjährigen Kindern berichtet. Aber es ist nie zu spät, "in die Lehre“ zu gehen. Auch mit 120 kann man noch weise und frei werden.

Ganz zentral die hohe Verehrung dem Lehrer, dem Buddho gegenüber. Ihm werden endlos viele Beiwörter gegeben, er ist ja der, dem nachgestrebt wird, der immer wieder anspornt und ermuntert, sich frei von allen Lebensfesseln zu machen. Der Zweifel am "Erwachten“ ist darum immer wieder zu überwinden und dabei hilft einzig das tiefe Vertrauen in seine "Lehre“, seinen Saddhammo.

Der Buddho ist der Menschenhöchster, des Leidens Jenseitsgänger, der Augenmächtige, der Sonnen-Anverwandte, der Licht-Erzeuger, das All-Auge, der Menschenzähmer, der Lehrer aller Weisen, der Dhammakönig, der Fragenkenner, der Furchtlose, der Worterfüller, der Göttergott, der Groß-Erbarmer, der Welt-Beschützer. Der Sangho gilt als Selbstschutz, in ihm ist man am besten aufgehoben, um nichtwieder zurückzukehren in das "niedere“ Weltleben, solange man noch kein Muni geworden ist. Immer gilt es, die Zeit zu nutzen, nicht nachlässig zu sein. Das Geistige steht im Mittelpunkt. Möglichst keine körperliche Arbeit. Man will die Lust töten, die Sinne einstülpen, keine Wünsche mehr haben, wunschlos glücklich sein.

Nach drei Jahren und fünf Monaten so etwa schrieb ich am 24.1.1998 den letzten Mönchsvers in meinen Kalender. Aber noch waren längst nicht alle Verse übertragen. Viele standen noch mit Fragezeichen und unübersetzten Strophen da. Das weitere Aufschließen der Verse zog sich dann mit vielen Unterbrechungen noch bis zum 16. September 1999 hin. Ich wollte unbedingt die Übertragung zum Abschluß bringen und auch gegen wachsende, große innere Widerstände zwang ich mich, die Lücken in meinem Zettelkasten allmählich zu schließen. Das Nachschlagen von unbekannten Wörtern wollte kein Ende nehmen, je weiter ich an den Schluß der Sammlung kam. Der Eindruck, daß sich hier doch sehr verschiedene Sprachschichten versammelt hatten, vertiefte sich.

Die kritische Haltung gegenüber den Botschaften dieser Verse verstärkte sich so sehr, daß sich streckenweise sogar eine Art Widerwille einstellte gegenüber dieser dann doch im Kern lebensverachtenden Askese. Der "Aufbau der realen Welt“ erschien hiervollkommen verdreht: das schwächste Glied, der Geist, wurde zum "absoluten“ Alleinherrscher erhoben und sollte "Unmögliches möglich machen“. Möglichkeit und Wirklichkeit gerieten hier vollkommen durcheinander. Der Geist bleibt doch immer angewiesen auf die starken Kräfte der Natur, des Leibes und der Seele, kann doch nur mit ihnen und nicht gegen sie zur Reife kommen. Daß aus dieser "Lehre der Alten“ andere "Lehren“ sich entwickeln mußten, die umfassender und klüger vorgingen mit der "Zähmung des Menschen“, schien mir jetzt vollkommen einsichtig zu sein. Die "Lehre des Buddho“ war nicht als "Dogma“ verkündet worden, sondern als eine ganz realistische Anleitung zu einem glücklichen, leidfreien Leben. (Wenn so etwas überhaupt möglich ist.)

Eine neue Übung begann für mich: an der Leidbefreiungslehre nicht zu leiden. Den Blick weit zu machen, die "Sozialpolitik“ eines frühen Mönchtums in buchloser Zeit zu durchschauen, sein eigenartig eingeengtes Wertesystem zu überprüfen und durch vernachlässigte, neue, hohe Werte zu erweitern. Es wurde nötig, sich von falscher Ehrfurcht (die immer etwas mit Angst und Enge zu tun hat) frei zu machen, einmal wieder zulachen, um zu einer "gesunden“ Einstellung zu kommen. Die Arbeit an der Autobiographie des Buddho gemeinsam mit Detlef Kantowsky erwies sich als außerordentlich fruchtbar. Im freieren Umgang mit dem Original der Lehrredenfand ich neuen Mut, mich der gebundenen Verssprache wieder zuzuwenden.

Als ich dann mit einer letzten großen Anstrengung alle noch fehlenden, unübersetzt im Kalender stehen gebliebenen Verse deutsch gefaßt hatte, fragte ich vorsichtig bei zwei buddhistischen Verlagen an, ob sie eine Veröffentlichung der Neufassung wagen wollten. Kein Interesse. Neumann galt als unantastbar. "Er ist so genial, daß er nicht mehr zu übertreffen ist.“ Ich hörte allerdings auch andere Stimmen, sogar sehr kompetente, die ein sehr großes Interesse an einer getreueren Neuübertragung bekundeten. Also blieb wohl wieder nur die kleine Auflage im Selbstverlag. An 30 Verlage mich zu wenden, wie Neumann vor 100 Jahren, hatte ich nicht die geringste Lust. Selbst als ich die heute viel günstigere und offene Haltung allem Buddhistischen gegenüber in Erwägung zog.

Zu meiner großen Freude setzte sich dann Detlef Kantowsky im Herbst 1999 für meine Sache ein und entschloß sich, mit einer Auswahl aus den Mönchsversen seine Schriftenreihe der Universität Konstanz "Buddhistischer Modernismus“ abzuschließen. Es sollte der Band 17 werden. Er war der einzige, der freundschaftlich verbunden Anteil an meiner Arbeit nahm, dem ich gelegentlich auch Proben meiner Übertragungen schickte. Im Vergleich mit Neumann konnte er sie durchweg loben. Das war eine gute Ermunterung zum Abschluß des Werkes.

In brieflichem und telefonischem Austausch mit Detlef Kantowsky wurden mir dann noch einzelne, spezifisch indische Rituale klar, die meine Wortwahl bestätigten oder ganz selten in Frage stellten. Bei einer Bestattung von Toten ist sowohl das Wort "baden“ als auch "waschen“ möglich. Nicht jeder Tote in Indien konnte schließlich an den Ganges gebracht werden. Mit dem Wasser allgemein "reinigt“ man den Toten, stellt sich dabei vor, ihn von allen "Unreinheiten“, die sich "karmisch“ an seinem Körper verdichtet hatten, zu befreien.

Die für unser westliches Verständnis unmögliche Aufnahme von Kindern in den Sangho ist, indisch gesehen, ganz "normal“. Schon in vorbuddhistischer Zeit wurden Kinder einem Guru (Brahmanen)anvertraut, in die Lehre gegeben. Sie lernten bei ihm die Veden auswendig, um in der noch "buchlosen“ Zeit zu helfen, die "heiligen“ Texte sicher und genau zu überliefern. Das galt in frühbuddhistischer Zeit auch für die "Lehrreden“, als sie nur mündlich weitergegeben werden konnten. Man wußte die hohen Gedächtnisleistungen im Kindesalter zu nutzen. Was allerdings auch das unabhängige, eigene Denken stark beeinträchtigte. Das Denkprogramm wurde auf diese Weise ein für allemal fixiert.

Als wir dann gemeinsam über Inhalt und Aufbau des Buches nachdachten, kamen wir bald darauf, daß die Nonnenverse, die zur Sammlung gehören, unter den Tisch fallen würden, falls ich nicht daran ginge, nun auch noch die 520 Nonnenverse zu übertragen. Dazu hatte ich zunächst nicht die allergeringste Lust. Ich wollte vorläufig nichts vom Übersetzen wissen. Doch dann wuchs in mir die Überzeugung, daß es gut wäre, auch noch die Nonnenverse zu übertragen, um das historische Werk vollkommen in einer Neufassung zugänglich zu machen. Auch hatten wir öfter von Frauen zu hören bekommen, daß sie gerne die Verse in einer neuen Gestalt lesen würden. Nein, die Frauen durften wirklich nicht unter den Tisch fallen.

Meine Erschöpfung war vergessen, neue Begeisterung flammte auf und schon ging ich an die ersten Verse und konnte nicht genug staunen, wie leicht sie mir, sozusagen wie von selbst, in unsere gute deutsche Sprache rutschten. Vielleicht trug die jahrelange Übung nun ihre Früchte. Vielleicht war die Sprache der Frauen auch anders als die der Männer. Die Themen waren auch anders. Es tauchten Erzählungen auf, echte Bekenntnisse. Schicksale traten da vor mein Auge, die mich berührten. Hier herrschte eine besondere Offenheit. Kein Vers gab mir ein Rätsel auf. Ich sah und merkte sofort, daß ich hier zügiger vorankommen würde und übertrug täglich mehrere Verse. Allerdings hatten wir auch einen Termin für das Buch ins Auge gefaßt, und so ein Termin ist ein gehöriger "Stachelstock“.

Zu meiner Verwunderung geschah es, daß ich in gut vier Monaten (vom 23.10.99 bis zum 29.2.2000) alle Verse "im Kasten“ hatte. (Von 73 meist namentlich genannten Nonnen).

Ich hatte hier, im Gegensatz zu den Mönchsversen, die ich ganz unabhängig übertrug, Neumanns Fassung vor Augen und fand besonders große Unstimmigkeiten mit dem Original. Oft sogar gravierende Fehler, so daß ich schon die Vermutung hatte, er hätte vielleicht damals unter Zeitdruck gestanden, um sein großes Übersetzungswerk zu vollenden.

Der erste Leser dieser neu gefaßten Nonnenverse war Detlef Kantowsky. Er schrieb mir: "Die Therīgāthā scheinen mir viel authentischer zu sein als die Lieder der Mönche: Nicht so viel Redundanz der immer wieder gleichen stereotypen Heils- und Loslass-Formeln, sondern "Geschichten“ zu ganz konkreten "Heilungs-Karrieren“. Diese Weibergeschichten sind einfach viel schöner und anregender als die vergleichsweise drögen Aussagen der Herren Mönche, die sich eher wohl die Zunge oder sonst was abschneiden würden, bevor sie so frank und frei berichten!“

Im Vordergrund der Nonnenverse steht die Trauer um den Verlust von Kindern oder des geliebten Mannes. Des Buddho Pflegemutter zog im Alter viele Frauen mit in die Hauslosigkeit. Sie war es ja auch, die den Nonnenorden überhaupt wollte und ins Leben rief, auch unter den abschreckenden Sonderregeln, die der Sohn den Frauen auferlegte.

Im Alter sieht man das Elend des Leibes, erfährt Überdruß am Leben und möchte frei werden von der Last des Wiedergeborenwerdens. Man möchte das ewige Gebären aufgeben, die Todesangst überwinden, im Sangho glücklich werden, am Bettelleben froh sein, wie Dörrgemüse in einem Topf nur noch liegen.

Auch hier das Lob der Einsamkeit, der Stille, der Versenkung. Die Bemühung, sich von aller weiblichen Schönheit und Selbstverliebtheit zu lösen, wird ausgedrückt. Dem Werben eines Mannes will keine Frau mehr nachgeben.

Oft fällt es schwer, ruhig und still zu werden. Eine Frau macht immer wieder Anläufe, will sich sogar das Leben nehmen: da blitzt es auf und das Herz wird erlöst. Das Bild eines gezähmten Elefanten spornt an. Oder der Fluß des Wassers, der von oben nach unten verläuft. Dialoge mit Māro finden sich, darin taucht ein neues, starkes, weibliches Selbstbewußtsein auf, das sich dem Manne in keiner Weise unterlegen fühlt. Nonnen werden zu Ermunterinnen auf dem Weg und zu großen Lehrrednerinnen. Das Lob der Freundschaft zu anderen Nonnen auch hier. Ehemalige Dirnen geben ihr Leben auf und folgen dem Buddho. Eine Frau pilgerte 50 Jahre lang, bis sie den Buddho traf und Einsicht erlangte.

Das Ideal des Verlöschens wie eine Lampe wird geschildert: der Docht wird eingezogen, nichts brennt mehr. Die völlige Abwertung der Sinnenlust ist auch von den Frauen verinnerlicht. Die große Wende wird geschildert: von Saus und Braus zu stillem Glück. Wenn eine Frau dem Buddho und seiner Lehre folgt, haben nicht einmal reiche Prinzen und Könige eine Chance. Māro versucht immer wieder umzustimmen, die Frau bleibt hart und unbeugsam.

Die große Verehrung des Meisters auch hier. Mit all den bekannten schönen Beinamen. Eine Mutter überredet ihren Sohn zum "stillen Pfad“. Ein Brahmane wird belehrt, daß Baden und Waschen nicht viel Sinn hat. Auf das neue Denken kommt es an. Eine Tochter singt ihrem Vater das Lob des Asketentums, befreit es vom Makel des Faulenzer-und Schmarotzertums. Mönche leisten geistiges Werk, dienen als Vorbilder.

Eine Frau will ihren Gatten beschwören, nicht hinauszuziehen, aber er bleibt hart. Selbst als die Frau droht, das gemeinsame Kind zu töten. Als sie dann vom Buddho hört, kommt die große Einsicht, sie preist ihn und läßt den Mann ziehen.

In einer Brahmanenfamilie bringt die Tochter ihren Vater zum Buddho, beide begeben sich auf den stillen Pfad.

Eine Goldschmiedstochter, die entsagt hat, wird vom Götterkönig Sakko verehrt. Eine junge Frau kann ihren Ehemann nicht zufriedenstellen und versteht sein Verhalten nicht. Erklärt sich das mit früherem Fehlverhalten als weibersüchtiger Mann. Am Schluß der Sammlung wird’s dann wieder märchenhaft, wenn sie erzählt, daß sie als männliches Tier kastriert wurde.

Um den Namen der Mönche und Nonnen tiefer auf die Spur zu kommen, bestellte ich mir in England das Lexikon der Pāli-Eigennamen von Malalasekera, das gerade 1997 neu aufgelegt wurde. (Erstauflage in den dreißiger Jahren). In drei dicken Bänden ist da alles erfaßt, was überhaupt im Laufe der Jahrhunderte an Namen in Texten auftauchte. Leider wurde die Etymologie der Namen nur ganz selten deutlich, was mich sehr enttäuschte und mich wieder auf meine eigenen Mutmaßungen zurückführte. Ich konnte darum auch nicht alle Namen zu übertragen versuchen. Mein Vorschlag hinter dem Pālinamen soll auch nur eine Richtung andeuten. Für die Genauigkeit kann ich nicht bürgen, doch dürfte der Hinweis oft hilfreich sein. Bei allzu schwierigen Kombinationen ließ ich die Übersetzung eher weg. Die Erklärung wäre zu lang geworden: z.B. "einer, der den Almosengang zugleich als Last und auch als Kraft gebend empfindet“. Oft sind Namen auch Anspielungen auf bestimmte Charakterzüge. So wenigstens versucht der Kommentator viele hundert Jahre später einen Namen zu erklären: "Kletterpflanze“ für einen, der sich gerne anklammert und nicht so recht alleine zurechtkommt.

Die Geschichte einer Übertragung ist ein Stück Lebensgeschichte geworden. Ein inneres Aufspüren alter Quellen auseigener Erfahrung bei aller fremden Verwandtschaft mag genügend Rechtfertigung für den Versuch darstellen.

Bei den guten Hilfsmitteln, die mir zur Verfügung standen, ließ sich wohl wesentlich sicherer arbeiten als vor 100 Jahren, als die Sprachforschung noch in den Anfängen steckte. Nur ganz selten blieb auch das Lexikon die Auskunft schuldig, rätselte man auch dort herum, was gemeint gewesen sein könnte, welche Lesart wohl Sinn ergäbe. Die Namen bestimmter asiatischer Pflanzen waren oft nur lateinisch angegeben oder es war von einer "Baumart“ die Rede, oder einer "Vogelart“. Nichts war auf deutsch auszumachen. Tiere wurden früher oft mit Beinamen versehen. Zum Beispiel heißt eine rote Insektenart, die massenhaft auftritt: "Die Indrahirten“. Da mußte ich dann zu uns vertrauten Bezeichnungen greifen.

Nur zuweilen blieb es doch schwer, ganz genau zu erfassen, was eigentlich mit Anspielungen und einzelnen Wörtern gemeint war. Ich mußte mich in diesen Fällen auf ein mutiges Deuten einlassen, auf eine Interpretation, die noch einigen Sinn ergab. Bei den "Fahnenrätsel“ in den Versen 967 und 968 half mir Hellmuth Hecker auf die Spur. Es soll da an eine Wiedergeburtsgeschichte Nr. 514 erinnert werden. Also ein sehr später Vers.

Es werden immer Grenzen bestehen bleiben, die kein Übersetzer durchbrechen kann. Die weitegeschichtliche und kulturelle Distanz zwischen dem alten Indien und dem modernen Europa darf nicht vergessen werden. Wir meinen wohl, die in langen Zeiträumen geprägten Vorstellungen und Welterklärungen zu verstehen und können doch nie ganz sicher sein, ob wir wirklich begreifen, was da früher mit so erstaunlicher Gewißheit gesagt und behauptet wurde. Unser Gehirn arbeitet ganz anders als das Gehirn eines Inders, für den die Welt vor 2500 Jahren ein einziges Rätsel war und das mythologische Bewußtsein sich nur zögernd durch ein neues, rationales Denken veränderte. Wir dürfen bei der übertragenen Lektüre dieser alten Dichtung nicht vergessen, daß das Wort immer nur Symbol eines Gedankens ist, - es vertritt ihn, kann aber nie die Erfahrung vermitteln, die den Gedanken einmal entstehen ließ.

Was für Erfahrungen heute mit diesen Versen zu machen wären, habe ich am eigenen Beispiel zu erzählen versucht. Jeder Leser wird da seinen eigenen Zugang und seine eigene Antwort finden müssen.

Baden-Baden EkkehardSaß

Sommersonnenwende 2000

Theragāthā

Die Psalmen der Mönche des Buddha Gotama

Deutsche Fassung von Christine Schoenwerth
1. Auflage 1997 Verlag Altbuddhistische Gemeinde Utting
ISBN 3-932250-07-9
Überarbeitung 2004

[Die Veröffentlichung der überarbeiteten Buchfassung auf dieser Webseite erfolgt mit freundlichem Einverständnis der Autorin.]


VORWORT

Die Theragāthā, die Psalmen oder Lieder der Mönche des Buddha, gehören zu den schönsten Texten des buddhistischen Pālikanons; sie sind ein wunderbares Zeugnis erlebter Befreiung und Glückseligkeit. Sie stellen einen Teil des Khuddaka-Nikāya dar, der "Sammlung der Kürzeren Texte", zu der u.a. auch die Therīgāthā (die Psalmen der Nonnen) gehören, sowie Itivuttaka, Dhammapada, Udāna, Khuddaka-Pātha und Sutta Nipāta.

Es handelt sich um insgesamt 1279 Verse verschiedener Verfasser. Einige Mönche hinterließen nur einen Vers, andere zwei, vier, zehn oder, wie Tāļapuţa, zwanzig. Alle diese Verse spiegeln den religiösen Werdegang des Verfassers wieder, teils mit der Zeit vor seinem Eintritt in den Orden beginnend, bis hin zur Verwirklichung des höchsten Ziels, des Nibbāna. Obwohl aber das Erlangen des Todlosen, eben des Nibbāna, sich wie ein roter Faden durch die Theragāthā zieht, unterscheiden sich die Verse in ihren Schwerpunkten nicht unerheblich voneinander. Mancher Mönch berichtet in erschütternden Worten von seinem Ringen um Lauterkeit des Gemütes, um Konzentration und um Weisheit; das anfängliche Verzagen, ja das Verzweifeln angesichts des Ausbleibens rascher, müheloser Fortschritte auf dem spirituellen Pfad wird dabei ebenso bildhaft geschildert wie die tiefe Sehnsucht nach Erlösung vom Nichtwissen, das die Wesen immer wieder Leidvolles ergreifen lässt. So haben viele Verse - je nach Veranlagung des Einzelnen sowie nach der Anlage seines Pfades die Erlösung durch Weisheit zum Inhalt, oder das Ringen um hohe Konzentration des Geistes; andere berichten von der Verwirklichung allumfassender, alle Lebewesen einschließender Güte; wieder andere gewähren uns einen Einblick in Körper-Betrachtungen, oder in Betrachtungen des Leidens überhaupt, wie sie insbesondere im Frühbuddhismus wenngleich umfassender, so doch nicht unähnlich dem früheren Christentum zum Zweck der Loslösung von Leidbringendem gepflegt wurden. Die Verse sprechen also vom Leiden und seiner Überwindung; anders ausgedrückt: vom Leiden und vom wahren Glück.

Der Buddha hat nie geleugnet, dass es auch Glück in der Welt gibt: "Sonst würden ja die Wesen nicht so am Leben hängen". Aber, fährt er fort, es gibt auch Leiden: Sonst würden ja die Wesen Krankheit, Alter, Verlust und Tod nicht fürchten. Diese nüchterne, objektive, d.h. nicht durch wunschgeborenes Denken getrübte Betrachtungsweise, führt, wenn sie nur richtig gepflegt wird, nicht etwa zu Trübsinn und depressivem Lebensüberdruss; vielmehr führt sie den ernsthaft Praktizierenden zum Lieben und Lassen, zu allumfassender Güte und zum Nicht-mehr-Haften an Leid-bringendem, ja sie befähigt ihn zur Aussöhnung mit allem Lebendiggewordenen, zu einer wahrhaft friedfertigen, gewaltlosen Haltung gegenüber Mensch, Tier und Natur. Es kann ja auch gar nicht anders sein, hat doch der Buddha oft genug davor gewarnt, nur das Leiden, nicht aber gleichermaßen das Glück zu betrachten und zu erleben. So heißt es ausdrücklich, dass man einerseits das Leiden, das Elend der Hervorbringungen (sankhārā) zu betrachten habe, andererseits aber die Seligkeit des Nibbāna, diese Seligkeit "gewahrend, sie erfassend, allezeit, immerdar, unbeirrt, standhaften Geistes, sich in Weisheit in sie versenkend (Ang.VII,16-17). Getreu dieser Weisung des Erhabenen waren denn auch die Mönche und Nonnen, die zu seiner Zeit dem höchsten Ziel entgegenstrebten, keine tristen Asketennaturen, sondern Menschen, die das Leiden nur mit dem Zweck betrachteten und durchschauten, es zu überwinden, wodurch die Fähigkeit zu Güte, Mitleid und Gleichmut ebenso zunimmt wie die zu jener höheren Freude, die keine Fesseln anlegt. So ist es denn nicht erstaunlich, dass viele Psalmen die wunderbare geistige Verfassung eines einsam in einer Hütte, auf einem Strohlager, am Fuße eines Baumes oder im Wald Meditierenden vor uns erstehen lassen, wobei oft, sehr oft die losgelöste Freude an der Schönheit der Natur (!) ihren Ausdruck findet: an der Anmut von Tieren auch Insekten, am Rauschen eines Stromes, des Waldes, an Farbe und Form von Wolken, Pflanzen oder Felsen...

Die vorliegende Übersetzung der Theragāthā wurde sorgfältig vorbereitet; sie entstand auf mehrfach geäußerten Wunsch von Freunden der alten Texte aus dem Pāli-Kanon, dem Praktizierenden die Psalmen der Mönche in einer neuen, möglichst wortgetreuen und dennoch ansprechenden deutschen Fassung zugänglich zu machen. An dieser Stelle erscheint ein Wort zu den hinzugezogenen Übersetzungen der Theragāthā in verschiedene Sprachen angebracht: Es wurden die heute erhältlichen englischen Übersetzungen ebenso hinzugezogen wie u.a. die teils eher freie deutsche Übertragung durch Karl Eugen Neumann. Dieser ersten und bisher einzigen vollständigen deutschen Übersetzung soll mit der vorliegenden Neufassung nicht die ihr gebührende Anerkennung abgestritten werden. Vielmehr geht es in der vorliegenden Ausgabe darum, allzu veraltete Begriffe durch uns verständlichere zu ersetzen (z.B. das veraltete Wort "Atzung“ durch Nahrung, "gewitzigt durch weise, u.a.) sowie weitere, teils erheblich voneinander abweichende deutsch- und fremdsprachige Übersetzungen miteinander zu vergleichen. Zu diesem Zweck wurden außer der eben zitierten von Neumann u.a. auch die vollständige Übertragung der Theragāthā durch Mrs. C.A.F. Rhys Davids (engl.) sowie die Übersetzung einzelner Psalmen durch J.Pérez-Remón (engl.), G. Tucci (ital.), Alfred Schneider und Georg Grimm hinzugezogen, sowie die von Fausta Nowotny leider nur teilweise ins Deutsche übertragenen, sich vorwiegend auf Schilderungen der Natur beziehenden Verse. Eine der wohl schönsten vollständigen Übersetzungen dürfte die von K.R.Norman ins Englische darstellen.

Selbstverständlich wurde auch die Pāli-Ausgabe der Theragāthā hinzugezogen (Pāli Text Society: "Thera- and Therī-Gāthā", hrsg. von Oldenberg und Pischel, 2. Aufl., 1966), insbesondere da, wo eine Klärung des verwendeten Begriffs unumgänglich erscheint. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn in einer Übersetzung von "wesenlos" die Rede ist: Hat der Verfasser, der Mönch, asāra gemeint, was tatsächlich wesenlos bedeutet und ausnahmslos in Bezug auf die Haftensgruppen angewandt wird, oder finden wir im Original den Begriff anattā, der etwas ganz anderes besagt, nämlich Nicht-Selbst, und der in späteren Auslegungen der buddhistischen Lehre oft fälschlich als "ohne Selbst" bzw. als "wesenlos" übersetzt wurde, eine Fehlübertragung, von der selbst überzeugte und namhafte Vertreter des Theravāda in ihrer Überarbeitung bzw. Neuübersetzung früherer Übertragungen längst abgekommen sind.

Einklammerungen und Hervorhebungen stammen von der Übersetzerin, ebenso alle Anmerkungen bzw. Endnoten. Dass diese kurzen, aber wichtigen Erläuterungen vom Leser berücksichtig werden, das ist ihr ausdrücklicher Wunsch.

Auf die Erklärung allgemein bekannter Pālibegriffe wie z.B. Nibbāna und Bhikkhu wurde verzichtet, desgleichen bewusst auch auf die metrische Übertragung der Verse zugunsten einer Übertragung in Prosa: Eine metrische Übersetzung kann, bedingt nicht zuletzt durch notwendig werdende sprachliche Klimmzüge, oft genug nicht anders denn auf Kosten der Texttreue erlangt werden. In der vorliegenden Version der Psalmen wurde deshalb grundsätzlich dem Lehrinhalt Vorrang gegeben.

Die Psalmen der Mönche des Buddha Gotama haben jedem ernsthaft Praktizierenden viel zu geben. Sie wollen den aufrichtigen Wunsch in ihm erwecken, das Gelesene nun auch an sich selbst zu verwirklichen. Letzteres, die Verwirklichung des buddhistischen Pfades, ist alleiniger Zweck und Ziel der Psalmen. Dass die vorliegende deutsche Übertragung diesen Wunsch im Leser zum Bedürfnis werden lässt, und dass sie Einsicht, Kraft, Freude und Zuversicht fördere: Das ist das eigentliche Anliegen des Buches.

Christine Schoenwerth
Utting, im November 1996/Januar 2004

Hinweis:

Wenn verschiedene Mönche ein und denselben Namen tragen, wurden diese zur Unterscheidung mit einer Nummer versehen.

Die einzelnen Kapitel sind je nach der Anzahl der Verse des einzelnen Mönchs benannt: Ekanipāta = eine Strophe, Dukanipāta = zwei Strophen usw.

Die vorliegende Ausgabe wurde im Januar 2004 geringfügig von der Übersetzerin überarbeitet.


(Vorspruch zu den Psalmen)  

Namo Tassa Bhagavato Arahato Sammāsambuddhassa

Namo Tassa Bhagavato Arahato Sammāsambuddhassa

Namo Tassa Bhagavato Arahato Sammāsambuddhassa

 

Verehrung, ihm dem Erhabenen volkommen Erwachten

Verehrung, ihm dem Erhabenen volkommen Erwachten

Verehrung, ihm dem Erhabenen volkommen Erwachten

 

"Wie dem Löwenruf, von fern

aus tiefer Felsenschlucht erschallend,

lausche den Psalmen derer, die erlösten Selbstes

künden der Befreiten Botschaft:

Wie sie genannt, welcher ihr Stamm,

wie den Dhamma sie verwirklichten

und wie Erlösung fanden sie.

 

Weise verbrachten sie ihr Leben, standhaft;

dem einen hier, dem andren dort

die höchste Schau wurde zuteil;

sie erlangten, sie berührten sie,

die tod- und alterslose, höchste Stätte;

das hehre Ziel sie nun erschau'n –

verkündend ihren Weg dorthin.“

Theragāthā - Therīgāthā

Vorwort zur ersten Auflage (1899) (von KE Neumann)

Die Lieder der Mönche und Nonnen Gotamo Buddhos gehören dem Pali-Kanon an. Sie sind der dritten, der so genannten Kürzeren Sammlung, Khuddakanikāyo, einverleibt worden, jenem Schriftenkomplex, der im Gegensatze zu den anderen vier großen Sammlungen vorwiegend rein metrische Texte enthält.

Auch von den Liedern sind uns nur Bruchstücke überkommen, einzelne Strophen, welche der Meister oder hervorragende Jünger einst, geeigneten Ortes, gesagt haben. Diese Aussprüche, die schon bei Lebzeiten Gotamos gesammelt und sorgfältig aufbewahrt und bald nach seinem Tode nüchtern fixiert wurden, sind von den Ordnern der Texte nach einem beliebten äußeren Schema hier zusammengestellt, nämlich als Einser-Bruchstück, Zweier-Bruchstück, Ekanipāto, Dukanipāto, und so fort, nach Anzahl der jeweiligen Strophen. Wenn also zwar eine kleinere oder größere Reihe von Strophen zusammenhängt und zusammengehört, so haben die Lieder, die metrischen Texte überhaupt, im allgemeinen einen echt rhapsodischen Charakter und sind weit davon entfernt abgerundete Darstellungen zu liefern, welche den anderen Sammlungen, besonders dem Majjhimanikāyo, vorzüglich eignen.

 

So treu die Überlieferung des Textes ist, bietet sie doch, wie das bei einer anfangs nur mündlich gepflegten Tradition nicht anders sein kann, gelegentlich Varianten. Freilich sind diese zumeist, als Solöcismen und dergl., recht untergeordneter Art, obwohl nicht immer. Gerade in den Liedern finden sich manche der schönsten Belege, des klassischen Pāli zerstreut in den verschiedenen Codices vor. Die neueren Redaktoren unseres Textes wählten nun, sehr begreiflich, jene Lesarten, die ihnen am verständlichsten schienen, wobei die Frage offen steht, ob es auch die richtigeren, besseren, älteren gewesen: die abweichenden verzeichneten sie dann im Kommentar; oder aber andere Diaskeuasten und Scholiasten nahmen sie in ihre Handschriften auf.

Nur eine, jetzt erst durchführbare, möglichst vollständige Vergleichung der Parallelen und Parathesen kann den Wert bedenklicher Pleographien für uns bestimmen. Ihn habe ich bei der Textgestaltung, die meiner Übersetzung zugrunde liegt, zu finden gesucht.

Manche von Oldenberg und Pischel in ihrer vortrefflichen Textausgabe von 1883 gemiedene Variante ist aufgenommen, manche vice versa vertauscht, zuweilen kombiniert, je nach Maßgabe der mir besser dünkenden Lesarten und der besten Zeugnisse.

Natürlich wurde hierbei auch der Kommentar Dhammapālos gebührend gewürdigt, jener letzte Behelf, der, ein Jahrtausend jünger als der Text, nur mit äußerster Skepsis benützt werden darf. Wichtigere kritische Ergebnisse sind in den Anmerkungen kenntlich gemacht; Nebensächliches wird der Forscher leicht selbst bemerken.

 

Die Form der Lieder ist reich und mannigfaltig; und zwar sind alle die ursprünglichen, aus dem Volke und seinen Barden hervorgegangenen, nicht die künstlich geschaffenen, Versmaße vertreten. Ein Merkmal ist ihnen samt und sonders eigen: der Anuprāsas, d. i. der Stabreim.

Dieser Stabreim ist nicht weniger mächtig als bei den Griechen, oft noch stärker und elementarer geartet. Er läßt sich auch wohl dem altnordischen Bruder vergleichen ist aber, bei aller Wucht des Ausdrucks, wesentlich bildsamer: er zeigt Kraft und Anmut in innigster Verbindung, ist beiden entsprossen, als neues Produkt. So stellt er, um den Tropus beizubehalten, eine völlig einzige Mischung herber Unbeugsamkeit und feiner Geschmeidigkeit dar; was eben ganz den Anlagen des indischen āryers entspricht. Dies alles wird selbstverständlich durch eine Übersetzung - und wäre sie gleich eine identische - vielmehr erraten als wirklich gesehen werden.

 

Bei der unverkennbaren Volkstümlichkeit im besten Sinne, die dem Pāli von Haus aus eigen ist und es über das Sanskrit stellt, darf jedoch eins nicht übersehn werden: die Lieder, und die Texte überhaupt, Sprüche wie Reden, müssen von einer künstlerisch hochbegabten Persönlichkeit gestaltet worden sein, einem Manne, der dem Ganzen seinen Geistesstempel aufgeprägt hat, so unauslöschlich, daß auch die Jünger, wo immer sie auftreten, damit gezeichnet sind, und die einzelnen Individualitäten von jener alles überragenden und umfassenden gleichsam eingerahmt erscheinen.

Erst in verhältnismäßig späteren Texten begegnen wir wieder einer selbständigen Weiterbildung, d. h. Entartung, die bei unseren Liedern noch fehlt. Bereits im Suttanipāto, «Den Bruchstücken der Reden», trifft man z. B. das Dogma von den zweiunddreißig lakkhanāni des mahāpuriso, und so noch anderes, das trotz des hohen Alters dieser Anthologie, wofür kein Geringerer als Asoko einsteht, ohne Zweifel schon einer jüngeren Periode zugehört.

 

Der Vortrag des Liedes ist heute noch wie in den alten Zeiten, ja wie er es meist schon bei Entstehung der einzelnen Strophen und Stanzen war, durchaus melischer Natur.

Die Lieder wurden und werden gesungen, aber nicht in unserem landläufigen Sinne, sondern ähnlich den a capella Gesängen Palestrinas, also in langgezogenen, einförmigen Melodien.

Der musikalische Kanon der christlichen Kirche, den Palestrina vorfand und zur höchsten Vollendung brachte, ist nun sicher östlichen Ursprungs; daher läßt sich sogar ein gewisser historischer Zusammenhang der einerseits so verschiedenen, anderseits aber so ähnlichen Weisen kaum unbedingt ableugnen. Und ungewöhnlich wie die Melodie dieser Lieder ist der Inhalt.

Wer etwa das Buch zur Unterhaltung in die Hand genommen hat, wird es wohl nach wenigen Minuten hübsch beiseite legen und besser tun das Canticum canticorum oder andere aufzuschlagen.

Asketische Poesie und asketische Musik kann billig nicht jedermanns Sache sein. Wird doch selbst die asketische Ethik, trotz aller inneren Wahrheit, immer ein Fremdling auf Erden, immer paradox bleiben. Stets wird der Weltmann dem Weltüberwinder sehr vernünftig entgegenhalten: «Ach, dann wäre ja diese ganze Welt, so gut und schlecht sie eben ist, mit ihren Millionen tüchtiger Menschen, Armeen und Ameisen, mit all ihren Laboratorien, Kirchen und Kuppeln, Museen und Theatern, Bahnen und Banken, nur eine kolossale Mystifikation, der hie und da einmal ein Heiliger ein Ende machte» - und es soll ihm, um des Friedens willen, nicht widersprochen werden.

Er mag, nach dem Rate der Weisen, jeden in seiner Art gelten lassen, da man ihn gelten läßt, und bedenken, daß die asketische Einfalt wirklich eine menschliche Eigentümlichkeit und unvertilgbar ist; wie die modernen Belege, die ich zu den Versen 919 und 1149 der Lieder der Mönche und zu Vers 218 der Lieder der Nonnen als einige jüngste Tatsachen beigebracht habe, deutlich genug dartun.

Ein anderes ist allerdings brahmanische und christliche Askese, und ein anderes buddhistische Askese; nicht dem Wesen nach, sondern sofern es sich darum handelt, die wahre Motivation zu verstehen. Dort mythologische Verschwommenheit, hier wolkenlose Klarheit. «Die der höchsten Erkenntnis entsprechendste Sprache», sagt Richard Wagner, seiner Zeit weit vorauseilend, im 6. Briefe an Röckel, «hat jedenfalls jener indische Buddha geredet.» Man kann die buddhistische Lehre "Philosophie der Heiligkeit" nennen.

 

Wien, Mitte März 1898.

K. E. N.

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Theragāthā - Gruß und Eingang

(Gruß und Eingang gehören nicht zum Texte, sind spätere Zugabe.)

Verehrung, Ihm, dem Erhabenen, Heiligen, vollkommen Erwachten!

Verehrung, Ihm, dem Erhabenen, Heiligen, vollkommen Erwachten!

Verehrung, Ihm, dem Erhabenen, Heiligen, vollkommen Erwachten!

i

Wie Löwenruf im Felsentor

Aus tiefen Rachen fern ertönt,

Ertönt euch Sang Erlöster hier,

Zum eignen Heil gesungen einst.

ii

Und was ihr Stamm und stand auch war,

So viel da weilten ordensecht,

Mit hellem Witze gut begabt:

Beharrlich hielt ein jeder aus.

iii

Ein jeder sah die Satzung fein

Und fand was nicht verwesen kann,

Gewahrte wohl der Taten Ziel,

und sprach bedächtig seinen Spruch.

Nidānagāthā

 

Namo Tassa Bhagavato Arahato Sammāsambuddhassa

Namo Tassa Bhagavato Arahato Sammāsambuddhassa

Namo Tassa Bhagavato Arahato Sammāsambuddhassa

 

 

Sīhānaṃva nadantānaṃ, dāṭhīnaṃ girigabbhare;

Suṇātha bhāvitattānaṃ, gāthā atthūpanāyikā [attūpanāyikā (sī. ka.)].

Yathānāmā yathāgottā, yathādhammavihārino;

Yathādhimuttā sappaññā, vihariṃsu atanditā.

Tattha tattha vipassitvā, phusitvā accutaṃ padaṃ;

Katantaṃ paccavekkhantā, imamatthamabhāsisuṃ.