Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

VII. BUCH: BHIKKHUS - Bhikkhuvaggo

63. Malunkyaputta I - Cūlamālunkya Sutta

 

So habe ich es gehört: 

Als der Erhabene einst in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi weilte, kam dem ehrwürdigen Malunkyaputta, während er einsam meditierte, folgender Gedanke: Der Erhabene hat nichts darüber gelehrt, ob die Welt ewig oder nicht ewig, begrenzt oder unbegrenzt ist, ob Seele und Leib ein und dasselbe oder Verschiedenes sind, ob ein Vollendeter nach dem Tode lebt oder nicht lebt oder sowohl lebt als auch nicht lebt oder weder lebt noch nicht lebt. Daß mir der Erhabene darüber nichts erklärt hat, das gefällt mir nicht und befriedigt mich nicht. Ich will zum Erhabenen gehen und ihn darüber befragen. Wenn er mich über diese Fragen belehrt, will ich bei ihm weiterhin den reinen Wandel führen, wenn nicht, will ich das Streben aufgeben und zum niederen Leben zurückkehren. - Gegen Abend, als Malunkyaputta seine Andacht beendet hatte, suchte er den Erhabenen auf, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm und trug ihm seine Gedanken vor. Dann fuhr er fort: «Wenn der Erhabene die Fragen beantworten kann, so möge er es tun; wenn er es nicht kann, möge er aufrichtig sagen, daß er es nicht weiß.» Der Erhabene erwiderte:

«Malunkyaputta! Habe ich zu dir gesagt: Komm und führe den reinen Wandel bei mir, ich will dir erklären, ob die Welt ewig oder nicht ewig, begrenzt oder unbegrenzt ist, ob Leib und Leben dasselbe oder verschiedenes sind, ob ein Vollendeter nach dem Tode lebt oder nicht?» - «Nein, Herr!» - «Oder hast du zu mir gesagt: Ich will beim Erhabenen den reinen Wandel führen, weil der Erhabene mir diese Fragen erklären wird?» - «Nein, Herr!» - «Wenn es sich so verhält, worüber beklagst du dich dann? Wenn jemand sagte, er wolle solange nicht den reinen Wandel beim Erhabenen führen, als dieser ihn nicht über jene Fragen belehrte, so würde er sterben, ehe ihn der Erhabene darüber belehrt haben könnte. Nimm an, ein Mensch sei von einem vergifteten Pfeil getroffen worden und seine Freunde und Verwandten holten einen tüchtigen Wundarzt, der Verwundete aber sagte: Nicht eher will ich den Pfeil herausziehen lassen, als bis ich weiß, ob der Mensch, der mich verwundet hat, ein Adliger oder ein Brahmane oder ein Bürger oder ein Schudra ist, wie er mit Vor- und Familiennamen heißt, ob er groß oder klein oder von mittlerer Größe ist, ob seine Haut schwarz oder braun oder hell ist, aus welchem Dorf oder aus welcher Stadt er stammt, ob er einen Bogen oder eine Armbrust benutzt hat, woraus die Bogensehne bestand, welcher Art der Pfeil ist, ob die Pfeilfedern von einem Geier oder von einem Reiher oder von einem Habicht oder von einem Hahn oder von einem andern Vogel stammen, ob die Sehne von einem Rind oder von einem Büffel oder von einem Hirsch oder von einem andern Tier stammt, wie die Pfeilspitze beschaffen ist. Dieser Mensch würde sterben, bevor er alles dies erfahren hätte. Ebenso würde jemand, der mit dem reinen Wandel warten wollte, bis er über jene Fragen belehrt worden wäre, sterben, bevor man ihn darüber belehren könnte. Mag die Ansicht, daß die Welt ewig ist, richtig sein, so läßt sich damit doch ein reiner Wandel nicht begründen; ebensowenig läßt er sich mit der Ansicht begründen, daß die Welt nicht ewig ist. Ob nun das eine oder das andere richtig ist, auf jeden Fall gibt es Geburt, Altern und Sterben, Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung, deren Überwindung schon in diesem Leben ich lehre. Mögen über die anderen von dir genannten Fragen die einen oder die anderen Ansichten richtig sein, so läßt sich doch mit keiner davon ein reiner Wandel begründen, aber jedenfalls gibt es Geburt, Altern und Sterben, Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung, deren Überwindung schon in diesem Leben ich lehre.

Darum, Malunkyaputta, lasset das, was ich nicht erklärt habe, unerklärt sein und haltet euch an das, was ich erklärt habe. Nicht erklärt habe ich ob die Welt ewig oder nicht ewig, begrenzt oder unbegrenzt ist, ob Seele und Leib dasselbe oder Verschiedenes sind, ob ein Vollendeter nach dem Tode lebe oder nicht lebt. Ich habe es deshalb nicht erklärt, weil dies nicht zum Heile beiträgt, nicht einen reinen Wandel begründet, nicht zur Abwendung, nicht zur Wunschlosigkeit, nicht zum Aufhören, nicht zur Beruhigung, nicht zu hohem Wissen, nicht zum Erwachen, nicht zum Nirwana führt. Dagegen habe ich erklärt, was das Übel ist, woraus das Übel entspringt, wie das Übel aufhört und auf welchem Wege das Übel zum Aufhören gebracht wird. Ich habe das deshalb erklärt, weil es zum Heile beiträgt, einen reinen Wandel begründet, zur Abwendung, zur Wunschlosigkeit, zum Aufhören, zur Beruhigung, zu hohem Wissen, zum Erwachen, zum Nirwana führt. Darum lasset das, was ich nicht erklärt habe, unerklärt sein und haltet euch an das, was ich erklärt habe.»

So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahm Malunkyaputta seine Erklärung an.

 


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