Majjhima Nikāya 131

4. Kapitel: Abteilung der Darlegungen - Vibhaṅgavagga

Eine glücksverheißende Nacht - Bhaddekaratta Sutta

1. So habe ich gehört. Einmal hielt sich der Erhabene bei Sāvatthī im Jeta Hain, dem Park des Anāthapiṇḍika auf. Dort richtete er sich folgendermaßen an die Bhikkhus: "Ihr Bhikkhus." - "Ehrwürdiger Herr", erwiderten sie. Der Erhabene sagte dieses:

2. "Ihr Bhikkhus, ich werde euch die Zusammenfassung und Darlegung von 'Einer, der eine glücksverheißende Nacht hatte' lehren. Hört zu und verfolgt aufmerksam, was ich sagen werde." - "Ja, ehrwürdiger Herr", erwiderten die Bhikkhus. Der Erhabene sagte dieses:

3.

"Man lass' Vergangenes nicht aufersteh'n,
Auf Künftiges man nicht die Hoffnung bau';
Denn das Vergangene liegt hinter uns,
Das Künftige ist noch nicht angelangt.
 
Statt dessen, einsichtsvoll erkenne man,
Was in der Gegenwart entstanden ist;
Man wisse es und sicher sei man sich,
Unüberwältigt, unerschütterlich.
 
Die Anstrengung, erfolgen muß sie heut';
Vielleicht kommt morgen schon der Tod, wer weiß?
Nicht Schachern kann man mit der Sterblichkeit,
Nicht hält's den Tod und seine Horden fern,
 
Doch einer, der da voller Eifer weilt,
Ganz ohne nachzulassen, Tag und Nacht -
Er ist es, so der Buddha [1] hat's gesagt,
Mit einer Nacht [2], die ihm nur Glück verheißt."

 

4. "Auf welche Weise, ihr Bhikkhus, läßt man Vergangenes auferstehen? Während man denkt 'Ich hatte solche Form in der Vergangenheit', ergötzt man sich daran [3]. Während man denkt 'Ich hatte solche Gefühle in der Vergangenheit', ergötzt man sich daran. Während man denkt 'Ich hatte solche Wahrnehmung in der Vergangenheit', ergötzt man sich daran. Während man denkt 'Ich hatte solche Gestaltungen in der Vergangenheit', ergötzt man sich daran. Während man denkt 'Ich hatte solches Bewußtsein in der Vergangenheit', ergötzt man sich daran. Auf solche Weise läßt man Vergangenes auferstehen."

5. "Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, läßt man Vergangenes nicht auferstehen? Während man denkt 'Ich hatte solche Form in der Vergangenheit', ergötzt man sich nicht daran [4]. Während man denkt 'Ich hatte solche Gefühle in der Vergangenheit', ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt 'Ich hatte solche Wahrnehmung in der Vergangenheit', ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt 'Ich hatte solche Gestaltungen in der Vergangenheit', ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt 'Ich hatte solches Bewußtsein in der Vergangenheit', ergötzt man sich nicht daran. Auf solche Weise läßt man Vergangenes nicht auferstehen."

6. "Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, baut man seine Hoffnung auf Künftiges? Während man denkt 'Vielleicht habe ich solche Form in der Zukunft', ergötzt man sich daran. Während man denkt 'Vielleicht habe ich solche Gefühle in der Zukunft', ergötzt man sich daran. Während man denkt 'Vielleicht habe ich solche Wahrnehmung in der Zukunft', ergötzt man sich daran. Während man denkt 'Vielleicht habe ich solche Gestaltungen in der Zukunft', ergötzt man sich daran. Während man denkt 'Vielleicht habe ich solches Bewußtsein in der Zukunft', ergötzt man sich daran. Auf solche Weise baut man seine Hoffnung auf Künftiges."

7. "Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, baut man nicht seine Hoffnung auf Künftiges? Während man denkt 'Vielleicht habe ich solche Form in der Zukunft', ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt 'Vielleicht habe ich solche Gefühle in der Zukunft', ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt 'Vielleicht habe ich solche Wahrnehmung in der Zukunft', ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt 'Vielleicht habe ich solche Gestaltungen in der Zukunft', ergötzt man sich nicht daran. Während man denkt 'Vielleicht habe ich solches Bewußtsein in der Zukunft', ergötzt man sich nicht daran. Auf solche Weise baut man nicht seine Hoffnung auf Künftiges."

8. "Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, ist man in Bezug auf gegenwärtig entstandene Zustände überwältigt? Ihr Bhikkhus, ein nicht unterrichteter Weltling, der die Edlen nicht beachtet und in ihrem Dhamma nicht bewandert und geschult ist, der aufrechte Menschen nicht beachtet und in ihrem Dhamma nicht bewandert und geschult ist, betrachtet da Form als Selbst, oder Selbst als Form besitzend, oder Form als im Selbst enthalten, oder Selbst als in Form enthalten. Er betrachtet Gefühl als Selbst, oder Selbst als Gefühl besitzend, oder Gefühl als im Selbst enthalten, oder Selbst als im Gefühl enthalten. Er betrachtet Wahrnehmung als Selbst, oder Selbst als Wahrnehmung besitzend, oder Wahrnehmung als im Selbst enthalten, oder Selbst als in der Wahrnehmung enthalten. Er betrachtet Gestaltungen als Selbst, oder Selbst als Gestaltungen besitzend, oder Gestaltungen als im Selbst enthalten, oder Selbst als in Gestaltungen enthalten. Er betrachtet Bewußtsein als Selbst, oder Selbst als Bewußtsein besitzend, oder Bewußtsein als im Selbst enthalten, oder Selbst als im Bewußtsein enthalten. Auf solche Weise ist man in Bezug auf gegenwärtig entstandene Zustände überwältigt."

9. "Und auf welche Weise, ihr Bhikkhus, ist man in Bezug auf gegenwärtig entstandene Zustände unüberwältigt? Ihr Bhikkhus, ein wohlunterrichteter edler Schüler, der die Edlen beachtet und in ihrem Dhamma bewandert und geschult ist, der aufrechte Menschen beachtet und in ihrem Dhamma bewandert und geschult ist, betrachtet da Form nicht als Selbst, oder Selbst als Form besitzend, oder Form als im Selbst enthalten, oder Selbst als in Form enthalten. Er betrachtet Gefühl nicht als Selbst, oder Selbst als Gefühl besitzend, oder Gefühl als im Selbst enthalten, oder Selbst als im Gefühl enthalten. Er betrachtet Wahrnehmung nicht als Selbst, oder Selbst als Wahrnehmung besitzend, oder Wahrnehmung als im Selbst enthalten, oder Selbst als in der Wahrnehmung enthalten. Er betrachtet Gestaltungen nicht als Selbst, oder Selbst als Gestaltungen besitzend, oder Gestaltungen als im Selbst enthalten, oder Selbst als in Gestaltungen enthalten. Er betrachtet Bewußtsein nicht als Selbst, oder Selbst als Bewußtsein besitzend, oder Bewußtsein als im Selbst enthalten, oder Selbst als im Bewußtsein enthalten. Auf solche Weise ist man in Bezug auf gegenwärtig entstandene Zustände unüberwältigt."

10.

"Man lass' Vergangenes nicht aufersteh'n,
Auf Künftiges man nicht die Hoffnung bau';
Denn das Vergangene liegt hinter uns,
Das Künftige ist noch nicht angelangt.
 
Statt dessen, einsichtsvoll erkenne man,
Was in der Gegenwart entstanden ist;
Man wisse es und sicher sei man sich,
Unüberwältigt, unerschütterlich.
 
Die Anstrengung, erfolgen muß sie heut';
Vielleicht kommt morgen schon der Tod, wer weiß?
Nicht Schachern kann man mit der Sterblichkeit,
Nicht hält's den Tod und seine Horden fern,
 
Doch einer, der da voller Eifer weilt,
Ganz ohne nachzulassen, Tag und Nacht -
Er ist es, so der Buddha hat's gesagt,
Mit einer Nacht, die ihm nur Glück verheißt."

 

11. "Also geschah es in Bezug auf dieses, daß gesagt wurde: 'Ihr Bhikkhus, ich werde euch die Zusammenfassung und Darlegung von >Einer, der eine glücksverheißende Nacht hatte< lehren.'"

Das ist es was der Erhabene sagte. Die Bhikkhus waren zufrieden und entzückt über die Worte des Erhabenen.


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Anmerkungen:

[1] Santo muni, der "friedvolle Weise" oder "der schweigende Weise" ("einer, in dem die Triebe schweigen") ist eine Bezeichnung für den Buddha. Aus metrischen Gründen wurde hier einfach "der Buddha" eingefügt.

[2] Ratta ist ein zweideutiger Ausdruck im Pāli, der entweder auf die Sanskritäquivalente rātra (Nacht) oder rakta (Vorliebe, Verliebtheit) zurückführbar ist. In der ersten Auflage der englischen Fassung wird bhaddekaratta mit "one fortunate attachment" übersetzt. Nachdem BB Ajahn Thanissaro, das Zentralasiatische Sanskritmanuskript und die tibetische Version konsultiert hatte, änderte er die Übersetzung in "one excellent night" für die zweite und folgende Auflagen. Diese Übersetzung profitiert von BB's neuesten Erkenntnissen.

Eine alternative Übersetzung, entstanden während der Regenklausur 2004:

Ein Glückstag

Vergang’nem laufe man nicht nach  
Das, was vergangen, ist vorbei  
Wer jedoch Gegenwärtiges  
Nicht eingenommen, unbewegt:  
Grad heut’ muss voller Einsatz sein!  
Für uns gibt’s ja kein Aufbegehr’n  
Den, der so voller Eifer glüht,  
“Der wahrhaft einen Glückstag hat”,  

 

 Nicht Künftigem entgegenschau’;
 Und Künftiges noch nicht erreicht.
 Genau da klarsichtig durchschaut,
 An dem Durchschauten wachse er.
 Wer weiß, ob morgen kommt der Tod?
 Gegen des Todes Übermacht.
 Bei Tag und Nacht sich fleißig übt:
 So nennt der friedvoll Stille ihn.

“Nacht” (ratta) kann im Pāli eine Bezeichnung für “24 Stunden” sein, ebenso wie im Deutschen “Tag” entweder “helle Phase” oder “24 Stunden” bedeuten kann (vgl. engl.: a fortnight = 14 Tage). Vielleicht macht es Sinn, dieses Gedicht nicht nur mit dem einsamen Kämpfer zu assoziieren, der eines Nachts seinen Durchbruch hat, sondern es breiter aufzufassen. Schließlich ist jeder Tag, an dem man wie beschrieben praktiziert, ein “Glückstag”. Ein Lehrtext, den die 500 erwachten Kompilatoren des Kanons für derart wichtig hielten, dass sie ihn 18(!) mal in diese Sammlung aufnahmen (hier gekürzt auf 12 mal, bei PTS 4 mal und 13 mal als Anfangszeile.

[3] Nicht das bloße Erinnern ist das Problem, sondern das Begehren, das damit einhergeht. BB merkt an, daß sich hier die Lehre des Buddha von der Krishnamurtis deutlich unterscheide; letzterer scheine die Erinnerung selbst als den Bösewicht zu betrachten.

[4] Alternativ könnte übersetzt werden: "Man ergötzt sich nicht daran, indem man denkt 'Ich hatte solche Form in der Vergangenheit'." Das heißt, diese Gedanken tauchen erst gar nicht auf. Aus dem Pāli läßt sich das nicht eindeutig ableiten. Für die Kernaussage ist dieses Problem jedoch nicht von Belang; es geht um Ansichten und Begehren, bzw. die Abwesenheit davon in Bezug auf die Daseinsgruppen.


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