Vipassanā Meditation

Elfter Morgen - Das Konzentrationsspiel

 

Heute wollen wir ein Spiel machen. Es heißt das Konzentrationsspiel. Die Regeln sind folgende: Während der nächsten Stunde zählen Sie bitte "eins" bei jeder Ausatmung. Die nächste Ausatmung: zwei; bis zu zehn. Und lassen Sie keine Ausatmung aus. Bei jeder Ausatmung oder bei jedem Senken der Bauchdecke zählen Sie eine Zahl. Wenn Sie einmal das Zählen auslassen, weil Sie vergessen haben, bei welcher Zahl sie waren, müssen Sie zurück zu eins. Wenn Sie einmal das Zählen auslassen, weil Ihre Gedanken wandern und Ihr Geist nicht auf den Atem gerichtet ist - zurück zu eins. Ignorieren Sie alles andere.

 

Es gibt einige Dinge, die eintreten können. Die Atmung kann unregelmäßig werden, schnell oder langsam, flach oder tief. Bleiben Sie dabei. Eins bis zehn. Dann wieder von vorn. Es mag sein, daß Ihr Geist nach fünf Minuten denkt: "Dies ist dumm, ich werde nicht eine Stunde hier sitzen und bis zehn zählen." Zählen Sie weiter. Und falls Sie gerade wegen dieses Gedankens eine Ausatmung nicht wahrnehmen, zurück zu eins. Es mag sein, daß alle möglichen Schmerzen und Spannungen im Körper aufsteigen. Kümmern Sie sich nicht darum. Eins bis zehn. Dies ist der Weg, um ganz besonders den Geistesfaktor Einspitzigkeit zu stärken, den Geist zu trainieren, auf ein einziges Objekt gerichtet zu bleiben. Falls Sie dieses Spiel als nützliche Übung empfinden, können Sie es zeitweise beim Sitzen ausführen.


Zwölfter Abend - Die drei Pfeiler des Dharma: Parami

 

Den Dharma zu üben und zu verstehen ist ein seltenes und kostbares Ding. Wenigen Menschen in der Welt ist es vergönnt. Die meisten Menschen drehen sich im Kreise, von Unwissenheit und Begehren getrieben, ohne zu wissen, daß es eine Möglichkeit gibt, dem Rad des Samsara, dem Rad von Gier und Haß zu entrinnen. Die Gelegenheit zum Üben entsteht wegen etwas, das im Pali "Parami" genannt wird. Parami ist die angesammelte Kraft der Reinheit im Geiste. Jeder Bewußtseinsmoment, der frei von Gier, Haß und Nichtwissen ist, übt eine reinigende Kraft auf das Fließen des Bewußtseins aus; während unserer vielen Wiedergeburten haben wir viele Kräfte der Reinheit in unserem Geist gesammelt.

 

Manchmal wird das Wort Parami etwas vage mit 'Verdienst' übersetzt. Dies wird aber leicht als Sammeln goldener Orden für gute Taten mißverstanden. Vielmehr ist Parami die Kraft der Reinheit im Geiste. Wenn eine große Anhäufung der Faktoren Gierlosigkeit, Haßlosigkeit und Wissen vorhanden ist, werden die Parami kraftvoll und haben alle Arten des Glücks zur Folge, angefangen von weltlichen Sinnenfreuden bis zur höchsten Glückseligkeit der Erleuchtung. Nichts geschieht zufällig oder ohne Grund.

 

Es gibt zwei Arten von Parami: die Reinheit der Sittlichkeit und die Reinheit der Weisheit. Die Kräfte der Reinheit, die in Zusammenhang mit Rechter Sittlichkeit stehen, verursachen eine frohe Umgebung, angenehme Lebensbedingungen, gute Beziehungen und die Gelegenheit, den Dharma zu hören. Zum Beispiel war das Zustandekommen dieses Seminars kein Zufall, es geschah, weil starke Kräfte der Reinheit in jedem von uns wirkten.

 

Die andere Art der Parami, die Reinheit des Wissens, entsteht durch das Üben des Rechten Verstehens und ermöglicht das Wachsen der Einsicht. Beide Arten von Parami, beide Kräfte der Reinheit, müssen entwickelt werden, damit wir die Möglichkeit haben, den Dharma zu praktizieren und dann die Wahrheit zu verstehen.

 

Es gibt drei Pfeiler des Dharma, drei Wirkensgebiete, welche die Paramis entwickeln und stärken. Der erste ist Freigebigkeit. Geben ist die aktive Auswirkung des Geistesfaktors Gierlosigkeit. Gierlosigkeit bedeutet loslassen, nicht anklammern, nicht ergreifen, nicht anhaften. Jedesmal wenn wir etwas mit jemandem teilen oder etwas verschenken, wird dieser heilsame Faktor gestärkt, bis er eine machtvolle Kraft in unserem Geiste wird. Buddha sagte, daß wir, wenn wir wie er die Früchte des Gebens kennen würden, kein Mahl einnehmen würden, ohne es mit jemandem zu teilen.

 

Das karmische Ergebnis der Freigebigkeit sind Überfluß und tiefe, harmonische Beziehungen zu anderen Menschen. Das, was wir haben, mit anderen zu teilen, ist eine schöne Art der Beziehung zu anderen, und unsere Freundschaften werden durch Freigebigkeit erhabener. Noch wichtiger ist, daß die Entwicklung der Gierlosigkeit eine starke Kraft für die Befreiung wird. Begehren und Anhaften in unserem Geist hält uns gefesselt. Wenn wir Geben üben, lernen wir loszulassen.

 

Man sagt, es gibt drei Arten von Gebenden. Die ersten sind geizige Geber. Sie geben erst nach langem Zögern, und dann auch nur das Übriggebliebene, das Schlechteste, was sie haben. Sie denken: "Soll ich geben oder nicht? Vielleicht ist es auch zu viel?'' Und trennen sich schließlich von etwas, das sie gar nicht mehr haben wollen.

 

Freundliche Geber sind Menschen, die etwas geben, das sie selbst gebrauchen. Sie teilen das, was sie haben, und mit weniger Hin- und Herüberlegen, mit mehr Großzügigkeit.

 

Die höchste Art der Geber sind königliche Geber, die ihr Allerbestes geben. Sie teilen spontan und im Augenblick, ohne darüber nachdenken zu müssen. Geben ist der natürliche Ausdruck ihrer Natur. Gierlosigkeit ist so ausgeprägt in ihrem Geist, daß sie bei jeder Gelegenheit das am meisten Geschätzte in leichter und liebender Weise teilen.

 

Manchen Menschen fällt das Geben schwer; der Gierfaktor ist stark und das Anhaften sehr ausgebildet. Anderen fällt Freigebigkeit leicht. Es macht nichts. Von wo wir auch beginnen, wir fangen einfach an zu üben. Jede Tat der Freigebigkeit wird den Gierfaktor langsam schwächen. Offen alles teilen ist eine gute Art, in dieser Welt zu leben, und durch Übung können wir königliche Geber werden.

 

Es gibt zwei Arten des Bewußtseins, die bei unserem Tun beteiligt sind. Die eine heißt "vorbereitetes Bewußtsein" das ist der Geist, der überlegt und bedenkt, bevor er handelt. Die andere heißt "unvorbereitetes" und ist sehr spontan. Wenn eine bestimmte Handlung eingeübt ist, besteht nicht mehr die Notwendigkeit zum Nachdenken. Im Augenblick, ganz spontan, wird dies unvorbereitete Bewußtsein einsetzen. Durch Übung entwickeln wir die Art des Bewußtseins, wo Geben der natürliche Ausdruck des Geistes wird.

 

In einem seiner früheren Leben kam Buddha (als er noch ein Bodhisattva war, ein Wesen, das der Erleuchtung entgegengeht) auf die Spitze eines Felsens und sah eine Tigerin mit zwei Jungen. Die Tigerin war krank und hatte keine Milch, um ihre Jungen zu ernähren. Aus Mitleid mit der Tigerin und ihren Jungen, ohne Gefühl für oder Verhaftung an seinen eigenen Körper, warf er sich als Futter für die Tigerin vom Felsen, so daß sie kräftig werden würde und Milch für ihre Jungen hätte. Eine sehr königliche Gabe.

 

Es mag sein, daß wir nicht diese Höhen der Selbstlosigkeit erreichen, aber die Geschichte zeigt den Weg: die Entwicklung von Freigebigkeit aus Mitgefühl und Liebe zu allen anderen Wesen. In vielen Reden drängte der Buddha die Menschen dazu, das Geben zu üben, bis es ein müheloser Ausdruck des Verstehens werde. Freigebigkeit ist eine große Parami; sie wird als erste in der Liste der Vollkommenheiten des Buddha geführt. Und wenn sie entwickelt ist, wird sie ein Anlaß zu großem Glück in unserem Leben.

 

Der zweite Pfeiler des Dharma oder Bereich des reinigenden Wirkens ist sittliche Zurückhaltung. Für Menschen, die in der Welt stehen und einen Haushalt führen, bedeutet dies, die fünf grundlegenden Sittenregeln einzuhalten nicht töten, nicht stehlen, kein sexuelles Fehlverhalten begehen, keine falsche Rede führen und keine Rauschmittel nehmen die den Geist vernebeln und abstumpfen.

 

Alle Wesen wollen leben und glücklich sein, alle Wesen wollen frei von Schmerz sein. Das Leben zu erhalten, ist ein viel hellerer Geisteszustand, als es zu zerstören. Wir fühlen uns besser, wenn wir ein Insekt vorsichtig aus unserem Haus entfernen und es hinaus lassen, als wenn wir es töten. Wir sollten Ehrfurcht vor allen Lebewesen haben.

 

Nicht stehlen bedeutet, nichts zu nehmen, was uns nicht gegeben wird.

 

Das Vermeiden von sexuellem Fehlverhalten kann man leicht so kennzeichnen: Abstehen von sinnlichen Taten, die anderen Schmerz und Pein bereiten oder Aufregung und Unruhe bei uns selbst verursachen.

 

Abstehen von falscher Rede bedeutet nicht nur, die Wahrheit zu sagen, sondern auch das Vermeiden von unnötigen und dummen Gesprächen. Viel von unserer Zeit wird mit Geschwätz verbracht. Dinge steigen im Geiste auf, und wir reden darüber, ohne ihre Nützlichkeit zu bedenken. Zurückhaltung beim Reden ist sehr hilfreich, um den Geist friedlich zu machen. Keine rohe und häßliche Rede. Unsere Redeweise sollte gütig sein und Harmonie und Einheit unter den Menschen fördern.

 

Wenn Sie auf dem Pfad der Erleuchtung gehen, der Freiheit und Geistesklarheit entgegen, ist es nicht sehr sinnvoll, Dinge zu nehmen, die den Geist vernebeln und ihn abstumpfen. Es geschieht auch oft, daß rauschbedingte Sorglosigkeit unsere Absicht, die anderen Sittenregeln einzuhalten, schwächt.

 

Wichtigkeit und Wert der Sittenregeln gilt auf vielen Ebenen. Sie sind ein Schutz für uns, ein Schutz gegen das Entstehen unheilsamen Karmas. Alle diese Taten, von denen wir abstehen, enthalten als Antrieb entweder Gier, Haß oder Nichtwissen und bewirken karmisch weitere Schmerzen und Leiden. Während die Achtsamkeit noch entwickelt wird und sie manchmal nicht sehr ausgeprägt ist, wird der Entschluß, die Sittenregeln zu befolgen, als Erinnerung dienen, wenn wir etwa eine unheilsame Tat begehen wollen Zum Beispiel, Sie wollen eine Mücke töten, die Hand ist bereits erhoben, und gerade in diesem Moment wird die Kraft der Sittenregel, vom Töten abzustehen, einsetzen und der Anlaß zu größerer Bewußtheit werden.

 

Unheilsame Taten verursachen im Augenblick der Ausführung eine Bedrückung und Verfinsterung des Geistes. Jede heilsame Handlung, jedes Abstehen von unheilsamen Taten bringt Helle und Klarheit. Wenn Sie den Geist bei seinen verschiedenen Tätigkeiten betrachten, beginnen Sie zu fühlen, daß jede Tat, die auf Gier, Haß und Nichtwissen beruht, eine Bedrückung hervorruft. Wenn wir diese Sittenregeln als Lebensregeln einhalten, bleiben wir hell und der Geist wird offen und klar; so wird unser Leben weniger kompliziert und leichter. Auf dieser Ebene des Verstehens nehmen wir die Sittenregeln nicht als Gebote, sondern richten uns nach ihnen wegen ihrer Auswirkungen auf unsere Lebensqualität. Es gibt kein Gefühl des Zwanges dabei, da sie der natürliche Ausdruck eines klaren Geistes sind.

 

Auf dem geistigen Pfad haben die Sittenregeln eine noch tiefere Bedeutung. Sie befreien den Geist von Gewissensbissen und Beklemmung. Schuldgefühle wegen früherer Taten sind nicht sehr hilfreich, sie halten den Geist in Unruhe. Durch grundlegende Reinheit der Taten in der Gegenwart wird der Geist leichter ruhig und einspitzig. Ohne Sammlung ist Einsicht unmöglich. Und so wird aus der Grundlage der Sittlichkeit die Grundlage der geistigen Entwicklung.

 

Der dritte Bereich des reinigenden Wirkens ist Meditation. Meditation ist in zwei Hauptrichtungen unterteilt. Die erste ist die Entwicklung der Sammlung, die Fähigkeit des Geistes, auf ein Objekt gerichtet zu bleiben, ohne zu wanken oder abzuirren. Wenn der Geist gesammelt ist, entsteht eine starke Durchdringungskraft. Ein zerstreuter Geist kann nicht in die wahre Natur von Geist und Körper eindringen. Ein bestimmter Grad von Einspitzigkeit ist für die Entwicklung der Weisheit notwendig. Aber Sammlung allein ist nicht genug. Diese starke Geisteskraft muß zum Verständnis eingesetzt werden, das die zweite Art der Meditation ist, die Entwicklung der Einsicht. Das bedeutet, klar den Ablauf der Dinge zu erkennen, die wahre Natur aller Dharmas. Alles ist vergänglich und in Bewegung, von Augenblick zu Augenblick aufsteigend und vergehend. Bewußtsein, das Objekt, alle die verschiedenen Geistesfaktoren, der Körper: alle Erscheinungen haben Teil am Fluß der Vergänglichkeit. Wenn der Geist klar ist, erfährt er den ständigen Wechsel bis ins Kleinste: von Augenblick zu Augenblick werden wir geboren und sterben. Es gibt nichts, an das Sie sich halten können, nichts, das Sie ergreifen können. Kein Geisteszustand oder Körper, keine Situation außerhalb von uns kann ergriffen werden, da sich alles in jedem Moment verändert. Die Entwicklung der Einsicht bedeutet, den Fluß der Vergänglichkeit in uns zu erfahren, damit wir beginnen, loszulassen und uns nicht so verzweifelt an geistig-körperliche Phänomene klammern.

 

Die Erfahrung der Vergänglichkeit führt zum Verständnis des dem geistig-körperlichen Vorgange innewohnenden Unbefriedigtseins: unbefriedigend in dem Sinne, daß er nicht in der Lage ist, ein dauerndes Glück zu vermitteln. Wenn wir glauben, daß der Körper der Anlaß zu unserem dauernden Frieden, zu Glück und Freude sein wird, dann erkennen wir nicht die unweigerliche Auflösung, die eintreten wird. Wenn wir älter und krank werden, verfallen und sterben, werden die Menschen, die stark am Körper haften, sehr zu leiden haben. Bei allen Dingen, die aufsteigen, ist der Verfall innewohnend. Alle Elemente der Materie, alle Elemente des Geistes steigen auf und schwinden dahin.

 

Das dritte Merkmal aller Dinge, welches durch die Entwicklung von Einsicht und Bewußtheit sehr klar erkannt wird, ist, daß es in all dem Fließen der Dinge kein "Ich", kein "Selbst" oder "Meiniges" gibt. Es fließen nur unpersönliche Phänomene dahin, leere Erscheinungen, ohne ein Selbst. Es gibt dahinter keine Entität, die das alles erfährt. Der Erfahrende, der Wissende, ist selbst ein Teil des Vorganges. Bei der Entwicklung der Einsicht durch die Übung der Achtsamkeit werden diese drei Merkmale erkennbar.

 

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Teich voller Unkraut. Sittliche Zurückhaltung üben ist so, als ob Sie zum Teich gehen und das Unkraut zur Seite schieben, um eine Handvoll Wasser zu trinken. Das Unkraut ist immer noch da, und wenn Sie Ihre Hand zurücknehmen, drängt es zurück und bedeckt den Teich wieder. In den Augenblicken der Sittlichkeit ist der Geist rein, sobald wir aber nachlässig werden, sind die Befleckungen sofort wieder da. Wenn Sie ein Gitter in dem Teich errichten, das das Unkraut auf der Außenseite hält, wird das Wasser innerhalb desselben klar zum Trinken sein, solange das Gitter da ist. Aber das Unkraut ist immer noch an der Außenseite vorhanden, und wenn das Gitter entfernt wird, gelangt es wieder überall hin. Das ist wie die Kraft der Sammlung im Geiste. Sie unterdrückt alle Befleckungen. Einsicht oder Weisheit ist so, als ob Sie zum Teich gehen und das Unkraut entfernen: Sie entfernen es Stück für Stück, bis der ganze Teich sauber ist. Wenn es auf diese Weise entfernt wird, wird es nicht zurückkommen. Einsicht ist ein Reinigungsprozeß wenn alles Negative in unserem Geist betrachtet, untersucht und schließlich ausgerissen worden ist, dann steigt es nicht mehr auf.

 

Weisheit ist der Höhepunkt des geistigen Pfades, der mit dem Üben der Freigebigkeit, der sittlichen Zurückhaltung und der Entwicklung der Sammlung beginnt. Auf dieser Grundlage der Reinheit entsteht durchdringende Einsicht in die wahre Natur des Geistigen und Körperlichen. Wenn wir im Moment völlig bewußt sind, wird alles, was sich in unserem Geist angesammelt hat, an die Oberfläche kommen. Alle Gedanken und Emotionen, alles Übelwollen, alle Gier und alles Begehren, alle Lust, alle Liebe, alle Energie, alles Vertrauen und alle Freude, alles, was es in unserem Geist gibt, beginnt in die bewußte Ebene zu dringen. Durch die Übung der Achtsamkeit, des Nichtanhaftens, Nichtwertens, dadurch, daß wir uns mit nichts mehr identifizieren, wird der Geist heller und freier.

 

Buddha gab einen Hinweis auf die relative Kraft der verschiedenen Parami-Bereiche. Er sagte, daß die Kraft der Reinheit des Gebens durch die Reinheit des Empfängers erhöht wird. Aber viel kraftvoller als sogar eine Gabe an den Buddha oder den ganzen Orden erleuchteter Mönche und Nonnen ist es, den Gedanken der Güte mit gesammeltem Geist zu üben. Doch noch kraftvoller als die Entwicklung des Gütegedankens ist das klare Erkennen der Vergänglichkeit aller Erscheinungen, weil dieser Einblick in die Vergänglichkeit der Anfang der Freiheit ist.

 

 

 

Eine Zeitlang verschenkte ich zu viel. Ich fühlte mich ausgelaugt durch das Geben. Könnten Sie etwas über die Art des Gebens sagen, wenn es zu solchen Gefühlen führt?

Wir befinden uns alle auf verschiedenen Ebenen. Wir sind nicht alle auf der Ebene des Bodhisattva, der sein Leben gab, um die Tigerin und ihre Jungen zu füttern. Sie haben vielleicht manchmal einen Impuls, etwas ähnliches zu tun, und es folgen dann viele Augenblicke des Bedauerns. Das ist nicht heilsam. Wir müssen genau erkennen, wo wir uns im Moment befinden, und die Freigebigkeit entwickeln, die dem entspricht. Sie wächst. Das Geben wird durch das Üben immer spontaner. Und wenn es sich in dieser Ausgewogenheit entwickelt, dann ist es auch voller Harmonie, und es folgt kein Bedauern.

 

 

Die Sittenregeln können eine Anleitung auf einer bestimmten Stufe sein, aber besteht nicht die Gefahr des Anhaftens? Können sie nicht Hemmungen werden, weil sie Vorstellungen sind? Es mag Handlungen geben, die aus Mitleid entstehen, aber gegen die Sittenregeln verstoßen, wie lügen, um jemandem zu helfen. Was passiert, wenn die Sittenregeln und die Eingebung in Konflikt geraten?

Alle diese Gebiete des reinigenden Wirkens sollten Sie so verstehen, daß die Geistesfaktoren, die sie fördern, wichtiger sind als das Handeln selbst. Wenn wir aus Mitleid handeln, dann ist es heilsam. Aber manchmal befinden wir uns nicht in einer Bewußtheit, wo wir alle Faktoren, die bei jeder Tat mitspielen, überblicken können. Bis wir die Stufe der Entwicklung erreichen, wo wir wirklich jeden Aspekt der Motivation unseres Handelns durchschauen, wo wir feststellen können, ob es heilsam ist oder unheilsam, sind die Sittenregeln eine sehr nützliche Richtschnur. Ein Mönch kam einmal zum Buddha und sagte, er könne nicht die mehr als zweihundert Regeln für die Mönche behalten, noch viel weniger nach ihnen leben. Buddha fragte: "Kannst du dich an eine Regel erinnern?" Der Mönch sagte, er glaube, er könne dies. Der Buddha sagte: "Sei achtsam." Alles andere kommt aus dieser Bewußtheit. Wenn Sie achtsam sind, entsteht die rechte Tat immer von selbst.

 

 

Ich sehe einen Konflikt daraus entstehen, daß man versucht, ein königlich Schenkender zu sein, und gleichzeitig sich abgesichert in dieser Welt fühlen möchte.

Die Entwicklung des königlichen Gebens heißt nicht notwendigerweise, daß wir hinausgehen und alles verschenken. Es bedeutet, mit großer Aufgeschlossenheit, der Situation entsprechend, zu geben. Wir haben eine bestimmte Verpflichtung uns selbst gegenüber, unsere Sachen zusammenzuhalten, damit wir die Übungen fortsetzen und die Erleuchtungsfaktoren entwickeln können. Die Art des Gebens hängt sehr von der Reife des Geistes ab. Sie sollten sich kein Bild davon machen, wie Sie geben sollten, und dann versuchen, danach zu leben. Nehmen Sie nur im gegenwärtigen Augenblick die Gelegenheit dazu wahr, den Faktor der Gierlosigkeit zu entwickeln. Es ist nicht schwierig, lassen Sie ihn sich von selbst entfalten. Wenn Sie an den Punkt kommen, wo Sie bereit sind, sich in den Abgrund zu stürzen, um die Tiger zu füttern, werden Sie es auch tun.

 

 

Mir ist das Nichtlügen nicht ganz klar. Wenn Sie etwas nicht in Worte kleiden, das Sie gerade denken, aber der Situation entspricht und wahr scheint, ist das Lügen?

Es gibt Dinge, die wahr sein können, eine richtige Wahrnehmung, die aber keine Hilfe für einen anderen Menschen bedeuten, weil er nicht in einer Lage ist, diese zu hören. Wir sollten die Wahrheit sagen, wenn es nützlich ist. Es ist schön und friedlich, in der Stille des Geistes zu verweilen. Aber das bedarf großer Achtsamkeit; wir sind ja an ständiges Reden gewöhnt. Die Worte strömen heraus, bevor wir gemerkt haben, daß wir die Absicht hatten zu sprechen. Es geschieht alles sehr mechanisch. Aber wenn die Achtsamkeit schärfer wird, beginnen wir, vor dem Reden bewußt zu sein - die Absicht zu sprechen steigt auf, und wir achten darauf. Dann können wir auch beurteilen, ob es wahr und gleichzeitig auch nützlich ist.


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