So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene auf der Geierspitze bei Rājagaha Zu jener Zeit aber lebte der ehrwürdige Sona (*1) im Kalten Walde bei Rājagaha. Während nun der ehrwürdige Sona einsam und abgesondert verweilte, stieg ihm im Geiste folgende Erwägung auf: »Von denen unter den Jüngern des Erhabenen, die voller Eifer (*2) verharren, bin ich einer. Dennoch aber findet mein Herz nicht die haftlose Befreiung von den Trieben. Nun besitzt ja meine Familie großen Reichtum, und man kann ja seine Schätze genießen und dabei gute Werke tun. So will ich denn lieber die Schulung aufgeben, zum niederen Weltleben zurückkehren, meinen Besitz genießen und gute Werke tun.«
Der Erhabene aber erkannte in seinem Geiste die Gedanken des ehrwürdigen Sona. Und so schnell wie ein starker Mann den gebeugten Arm ausstreckt oder den gestreckten Arm beugt, verschwand der Erhabene von der Geierspitze und erschien im Kalten Walde vor dem ehrwürdigen Sona. Der Erhabene nahm auf dem bereitstehenden Sitze Platz,und auch der ehrwürdige Sona setzte sich nach ehrfurchtsvoller Begrüßung des Erhabenen zur Seite nieder. Und der Erhabene sprach zu ihm also:
»Ist dir nicht, Sona, als du einsam und abgesondert verweiltest, diese Erwägung im Geiste aufgestiegen: 'Von denen unter den Jüngern des Erhabenen, die voller Eifer verharren, bin ich einer. Dennoch aber findet mein Herz nicht die haftlose Befreiung von den Trieben. Nun besitzt ja meine Familie großen Reichtum, und man kann ja seine Schätze genießen und dabei gute Werke tun. So will ich denn lieber die Schulung aufgeben, ins niedere Weltleben zurückkehren, meinen Besitz genießen und gute Werke tun'?« -
»So ist es, o Herr.« -
»Sag', Sona, du hattest dich doch wohl früher, als du noch im Hause lebtest, auf den Saitenklang im Lautenspiel verstanden?« -
»Ja, o Herr.« -
»Sag, Sona, wenn die Saiten deiner Laute zu straff gespannt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?« -
»Nein, o Herr.« -
»Wenn nun aber die Saiten deiner Laute zu schlaff gespannt waren, gab da wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?« -
»Nein, o Herr.« -
»Wenn nun aber, Sona, die Saiten deiner Laute weder zu straff noch zu lose gespannt, sondern auf mittlere Tonhöhe abgestimmt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?« -
»Ja, o Herr.« -
»Ebenso auch, Sona, führt allzu straffe Anspannung der Willenskraft zur Aufregung, allzu schlaffe Anspannung aber zur Trägheit. Darum, Sona, halte dich an ein Ebenmaß deiner Willenskraft, erwirb dir ein Ebenmaß deiner Fähigkeiten (*3) und so strebe dann nach dem Ziel (*4)!« -
»Ja, o Herr«, erwiderte der ehrwürdige Sona dem Erhabenen. Und der Erhabene, nachdem er dem ehrwürdigen Sona diese Ermahnung gegeben hatte, verschwand aus dem Kalten Walde und trat auf der Geierspitze wieder in Erscheinung.
Der ehrwürdige Sona aber hielt sich in der Folgezeit an das Ebenmaß seiner Willenskraft, erwarb sich ein Ebenmaß seiner Fähigkeiten,und so strebte er nach dem Ziele. Einsam, abgesondert, unermüdlich, eifrig und entschlossen verweilend, gewann dann der ehrwürdige Sona nach gar nicht langer Zeit jenes höchste Ziel des Reinheitslebens, demzuliebe edle Jünglinge gänzlich von Hause fort in die Hauslosigkeit ziehen, und er erkannte und verwirklichte es für sich selber. Und er wußte: »Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel, vollendet ist das Werk, getan ist was zu tun war, nichts weiteres mehr nach diesem hier.« So war der ehrwürdige Sona einer der Heiligen geworden. Nachdem aber der ehrwürdige Sona die Heiligkeit erreicht hatte, da dachte er: »So will ich mich nun zum Erhabenen begeben und ihm mein Heiligkeitswissen kundtun.« Und der ehrwürdige Sona begab sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend, sprach der ehrwürdige Sona zum Erhabenen also:
»Wer da, o Herr, ein Heiliger ist, ein Triebversiegter, der den Heiligen Wandel vollendet und sein Werk vollbracht, die Bürde abgelegt und die Daseinsfesseln gelöst hat, der durch das vollkommene Heiligkeitswissen befreit ist, ein solcher Mönch ist sechs Dingen zugeneigt: er ist zur Entsagung geneigt, zur Abgeschiedenheit, zur Hassensfreiheit, zur Versiegung des Begehrens, zur Versiegung des Anhaftens und zur Unverblendung.«
»Nun möchte vielleicht ein ehrwürdiger Bruder also denken: 'Sicherlich ist es nur auf Grund seines bloßen Vertrauens, daß dieser Ehrwürdige zur Entsagung geneigt ist.' Doch so sollte man nicht denken. Ein Mönch, o Herr, der ein Triebversiegter ist, der den Heiligen Wandel vollendet und sein Werk vollbracht hat und der bei sich nichts mehr sieht, was er noch zu vollbringen oder dem Vollbrachten hinzuzufügen hätte, der ist eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein zur Entsagung geneigt.«
»Ferner möchte da vielleicht ein ehrwürdiger Bruder also denken: 'Sicherlich ist es nur infolge seines Verlangens nach Gewinn, Ehre und Ruhm, daß dieser Ehrwürdige zur Abgeschiedenheit geneigt ist.' . . . 'Sicherlich ist es nur, weil er die Hinwendung zu Sittenregeln und Asketenbräuchen als das Wesentliche betrachtet, daß dieser Ehrwürdige zur Hassensfreiheit geneigt ist.' Doch so sollte man nicht denken. Ein Mönch, o Herr, der ein Triebversiegter ist, der den Heiligen Wandel vollendet und sein Werk vollbracht hat und der bei sich nichts mehr sieht, was er noch zu vollbringen oder dem Vollbrachten hinzuzufügen hätte, der ist eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein, zur Hassensfreiheit geneigt.«
»Eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein, ist er zur Versiegung des Begehrens geneigt.«
»Eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein, ist er zur Versiegung des Anhaftens geneigt.«
»Eben infolge des Versiegens von Gier, Haß und Verblendung, durch deren Geschwundensein, ist er zur Unverblendung geneigt.«
»Selbst wenn, o Herr, einem derart vollkommen geisteserlösten Mönche gar eindringlich (*5) sichtbare Formen in den Gesichtskreis treten . . . hörbare Töne in das Hörgebiet treten . . . riechbare Düfte in das Riechgebiet treten . . . schmeckbare Säfte in das Schmeckgebiet treten . . . körperliche Eindrücke in das Körpergebiet treten . . . geistig erkennbare Dinge in den Denkkreis treten, so vermögen sie seinen Geist nicht mehr zu fesseln; sein Geist bleibt unberührt, standhaft, unerschütterlich, und in all dem sieht er die Vergänglichkeit.«
- »Wer der Entsagung ist geneigt,
- und geist'ger Abgeschiedenheit,
- der Hassensfreiheit zugetan,
- von allem Haften abgelöst,
- Wer des Begehrens Ende fand,
- des Geistes Wirrnis überwand
- und das Entstehen der Sinne kennt (*6),
- ja, dessen Geist ist recht erlöst.
- Und solch ein recht erlöster Mönch,
- der seines Herzens Stillung fand,
- hat ohne Rest sein Werk erfüllt,
- und nichts mehr bleibt für ihn zu tun.
- Gleichwie ein Fels aus einem Stück
- vom Sturme nicht erschüttert wirt,
- so können weder Form noch Ton,
- noch Duft, noch Saft, auch Tastung nicht,
- Nichts Liebliches, nichts Widriges
- erschüttern je den Heiligen.
- Gefestigt ist sein Geist, erlöst,
- Vergehen schaut er überall.«
(*1) Sona, der Kolivīser, der in der Jüngerschaft 'an der Spitze der Willenstarken' steht (Vgl. A.I.24 b), hatte ursprünglich den Beinamen 'der Empfindliche' (Sukhumāla-Sona), da er von zarter Konstitution war. Um diese körperliche Empfindlichkeit zu überwinden, spornte er rücksichtslos seine Energie an, und während seiner Meditationsübungen ging er so lange auf dem Wandelgang auf und ab, bis seine Fußsohlen wund waren. Doch es gelang ihm nicht, einen Fortschritt zu erzielen, bis ihn der Meister in unserem Text in der gleichmäßigen Anwendung der Energie unterwies. - Der Mahāvagga des Vinaya (Buch V) berichtet über Sonas Eintritt in den Mönchsorden und enthält auch in etwas ausführlicherer Fassung unseren Text und eine kurze Fortsetzung nach den Versen (diese auch in LdM 275 ff.).
(*2) āraddha-viriya, mit vollem Energie-Einsatz.
(*3) viriya-samatam und indriya-samatam. Indriya bezieht sich hier wieder auf die fünf 'geistigen Fähigkeiten', über deren Gleichmaß sich der Kommentar wie folgt äußert: »Wenn nämlich Vertrauen mit Weisheit und Weisheit mit Vertrauen, Willenskraft mit Sammlung und Sammlung mit Willenskraft verbunden sind, so gilt das Ebenmaß der Fähigkeiten als erreicht. Achtsamkeit (sati) indessen ist für alles nützlich. Sie soll stets stark entwickelt sein.« Ausführliches s. Komm. zum Satipatthāna-Sutta (Verlag Christiani), S. 132ff.
(*4) tattha ca nimittam ganhāhi. K: In solcher (ebenmäßiger) Geistesverfassung . . . nimm auf den Gegenstand (oder erwirke das Ziel) der Geistesruhe, des Hellblicks, der Hohen Pfade oder der Hohen Ziele.
(*5) bhusā. K: himmlischen Formen usw. ähnlich.
(*6) disvā āyatan'uppādam K: »das Entstehen und Vergehen« der inneren und äußeren Sinnengrundlagen (āyatana), d.i. der sechs Sinnenorgane und der entsprechenden sechs Sinnenobjekte. Dieses Entstehen und Vergehen bei der Sinnentätigkeit und ihren Grundlagen deutlich zu sehen, ist eine der Hauptaufgaben des methodischen Hellblicks. Vgl. Nyanaponika, Geistestraining, S. 182; Komm. S. 125 ff.
Zu jener Zeit (*1) aber war der ehrwürdige Phagguna unwohl, leidend, schwer erkrankt. Und der ehrwürdige Ānanda begab sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Seitwärts sitzend sprach der ehrwürdige Ānanda zum Erhabenen also:
»Der ehrwürdige Phagguna, o Herr, ist unwohl, leidend, schwer erkrankt. Gut wäre es, o Herr, wenn der Erhabene sich zum ehrwürdigen Phagguna hinbegeben würde, von Mitleid bewogen.«
Durch Schweigen gab der Erhabene seine Einwilligung zu erkennen. Nachdem nun der Erhabene gegen Abend aus seiner Zurückgezogenheit herausgetreten war, begab er sich zum ehrwürdigen Phagguna. Schon von ferne sah der ehrwürdige Phagguna den Erhabenen herankommen, und bei seinem Anblick richtete er sich in seinem Bette auf. Der Erhabene aber sprach zum ehrwürdigen Phagguna:
»Laß es gut sein, Phagguna! Richte dich nicht in deinem Bette auf. Da sind ja von anderen zurechtgemachte Sitze. Dort will ich mich hinsetzen.« Der Erhabene ließ sich auf einem der bereiteten Sitze nieder und sprach darauf zum ehrwürdigen Phagguna:
»Geht es dir wohl erträglich, Phagguna? Geht es dir leidlich? Nehmen wohl deine Schmerzen ab und wachsen nicht an? Ist ihre Abnahme zu bemerken und keine Zunahme?«
»Nein, o Herr. Nicht geht es mir erträglich, nicht geht es mir leidlich. Heftig sind meine Schmerzen; sie nehmen zu, nicht nehmen sie ab. Eine Zunahme läßt sich bemerken, keine Abnahme.
Wie wenn, o Herr, ein starker Mann einem die scharfe Spitze eines Schwertes ins Haupt stoßen möchte, ebenso quälen mich, o Herr, die starken Schmerzen in meinem Schädel.
Oder wie wenn, o Herr, ein starker Mann mit einem festen Riemen einem den Kopf einschnüren möchte, so heftig o Herr, sind meine Kopfschmerzen.
Oder wie wenn, o Herr, ein geschickter Rinderschlächter oder sein Gehilfe mit einem scharfen Schlächtermesser dem Rinde den Leib aufschneiden möchte, ebenso, o Herr, schneiden mir die heftigen Gase in meinem Leibe.
Oder wie wenn, o Herr, zwei starke Männer einen schwächeren Mann an beiden Armen packen und ihn über einer Grube voll glühender Kohlen erhitzen und rösten möchten, ebenso, o Herr, empfinde ich eine heftige Glut in meinem Körper.
Nicht geht es mir erträglich, o Herr, nicht geht es mir leidlich. Heftig sind meine Schmerzen; sie nehmen zu, nicht nehmen sie ab. Eine Zunahme läßt sich bemerken, keine Abnahme.«
Nachdem nun der Erhabene den ehrwürdigen Phagguna durch ein Lehrgespräch belehrt, ermahnt, ermutigt und ermuntert hatte, erhob er sich von seinem Sitze und entfernte sich. Kurz nachdem aber der Erhabene gegangen war, starb der ehrwürdige Phagguna. Im Augenblick seines Sterbens aber wurden seine Sinne ganz klar. Und der ehrwürdige Ānanda begab sich zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und setzte sich zur Seite nieder. Darauf sprach er:
»Kurz nachdem, o Herr, der Erhabene fortgegangen war, ist der ehrwürdige Phagguna gestorben. Im Augenblicke seines Sterbens aber wurden seine Sinne klar.« -
»Wie sollten sich wohl, Ānanda, im Mönche Phagguna seine Sinne nicht geklärt haben? Obwohl das Herz des Mönches Phagguna noch unerlöst war von den fünf niederen Fesseln, so wurde sein Herz nach dem Anhören der Lehrdarlegung doch von den fünf niederen Fesseln befreit.«
»Sechs Vorteile, Ānanda, bringt das rechtzeitige Anhören der Lehre (vgl. Snp, 265) und die rechtzeitige Ergründung ihres Sinnes. Welche sechs?«
»Da, Ānanda, ist das Herz eines Mönches noch nicht frei von den fünf niederen Fesseln. Doch er bekommt in seiner Todesstunde den Vollendeten zu sehen; . . . oder, er bekommt zwar nicht den Vollendeten zu sehen, wohl aber einen Jünger des Vollendeten. Dieser nun weist ihm die Lehre, die am Anfang schöne, in der Mitte schöne und am Ende schöne; dem Sinne und dem Wortlaut nach verkündet er den ganz vollkommenen, lauteren Reinheitswandel. Nach dem Anhören dieser Lehrdarlegung aber wird sein Herz von den fünf niederen Fesseln befreit. Diesen ersten und zweiten Vorteil, Ānanda, gewährt das rechtzeitige Anhören der Lehre.«
»Fernerhin, Ānanda, da ist das Herz eines Mönches noch nicht frei von den fünf niederen Fesseln. Er bekommt nun zwar nicht in seiner Todesstunde den Vollendeten zu sehen oder einen Jünger des Vollendeten, doch in seinem Geiste denkt und sinnt er über die Lehre nach, so wie er sie gehört und gelernt hat, und er ergründet sie in seinem Geiste. Dabei nun wird sein Herz von den fünf niederen Fesseln frei. Diesen dritten Vorteil, Ānanda, gewährt die rechtzeitige Ergründung des Sinnes der Lehre.«
»Fernerhin, Ānanda, da ist das Herz eines Mönches frei von den fünf niederen Fesseln, doch noch nicht ist es frei durch die unvergleichliche Aufhebung aller Daseinsstützen (upadhi). Doch zu jener Zeit, in seiner Todesstunde, bekommt er den Vollendeten zu sehen; . . . oder er bekommt zwar nicht den Vollendeten zu sehen, wohl aber einen Jünger des Vollendeten. Dieser nun weist ihm die Lehre, die am Anfang schöne, in der Mitte schöne und am Ende schöne; dem Sinne und dem Wortlaut nach verkündet er den ganz vollkommenen, lauteren Reinheitswandel. Nach dem Anhören dieser Lehrdarlegung aber wird sein Herz befreit durch die unvergleichliche Aufhebung aller Daseinsstützen. Diesen vierten und fünften Vorteil, Ānanda, gewährt das rechtzeitige Anhören der Lehre.«
»Fernerhin, Ānanda, da ist das Herz eines Mönches frei von den fünf niederen Fesseln, doch noch nicht ist es frei durch die unvergleichliche Aufhebung aller Daseinsstützen. Er bekommt nun zwar nicht zu jener Zeit, in seiner Todesstunde, den Vollendeten zu sehen oder einen Jünger des Vollendeten, doch in seinem Geiste denkt und sinnt er über die Lehre nach, so wie er sie gehört und gelernt hat, und er ergründet sie in seinem Geiste. Dabei nun wird sein Herz befreit durch die unvergleichliche Aufhebung aller Daseinsstützen. Diesen sechsten Vorteil, Ānanda, gewährt die rechtzeitige Ergründung des Sinnes der Lehre.
Diese sechs Vorteile, Ānanda, gewährt das rechtzeitige Anhören der Lehre und die rechtzeitige Ergründung ihres Sinnes.«
(*1) Einleitung mit Ortsangabe fehlt auch im Originaltext.
Auf der Geierspitze bei Rājagaha.
Der ehrwürdige Ānanda sprach zum Erhabenen:
»Pūrana Kassapa, o Herr, lehrt sechs Menschenarten: die schwarze, die dunkelblaue, die blutrote, die gelbe, die weiße und die ganz weiße (*1).
Dies, o Herr, sind die sechs Menschenarten, die von Pūrana Kassapa gelehrt werden.« -
- »Sage, Ānanda, gibt wohl alle Welt dem Pūrana Kassapa darin Recht, wenn er diese sechs Menschenarten lehrt?« -
- »Das freilich nicht, o Herr.« -
- »Gerade so, Ānanda, wie wenn man da einem armen, unbegüterten, unvermögenden Mann gegen seinen Willen ein Stück Fleisch aufzwingen und sprechen wollte: 'Dies Fleisch, lieber Mann, hast du zu verzehren und dafür zu zahlen!' - ebenso, Ānanda, wurden von Pūrana Kassapa ohne Zustimmung dieser Asketen und Brahmanen jene sechs Menschenarten gelehrt, wie das einem törichten, unerfahrenen, unkundigen und unfähigen Menschen entspricht. Ich aber, Ānanda, will dich sechs Menschenarten lehren. Darum höre und achte wohl auf meine Worte.«-
- »Gewiß, o Herr!« erwiderte der ehrwürdige Ānanda. Und der Erhabene sprach also:
»Welches sind nun, Ānanda, die sechs Menschenarten?
Wie aber, Ānanda, gebärt ein schwarz Geborener Schwarzes? Da wird einer in einer niederen Menschenklasse wiedergeboren: unter den Ausgestoßenen oder in der Korbflechterkaste, der Jägerkaste, der Wagnerkaste oder der Fegerkaste; in einer Familie, die arm ist, der es an Speise und Trank mangelt, die kümmerlich ihr Dasein fristet, in der man nur mühsam die nötige Nahrung erhält. Dabei ist er häßlich, von abstoßendem Äußeren; oder er ist verwachsen, kränklich, blind, verkrüppelt, hinkend oder lahm. Speise, Trank, Kleidung, Gefährt, Blumen, Wohlgerüche, Salben, Bett, Wohnung und Beleuchtung werden ihm nicht zuteil. Und er führt einen schlechten Wandel in Werken, Worten und Gedanken. Da er aber einen schlechten Wandel führt in Werken, Worten und Gedanken, gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, in niedere Welt, auf eine Leidensfährte, in die Daseinsabgründe, zur Hölle. So, Ānanda, gebärt ein schwarz Geborener Schwarzes.
Wie aber, Ānanda, gebärt ein schwarz Geborener Weißes? Da wird einer in einer niederen Menschenklasse wiedergeboren unter den Ausgestoßenen . . . Speise, Trank . . . Beleuchtung werden ihm nicht zuteil. Doch er führt einen guten Wandel in Werken, Worten und Gedanken. Da er aber einen guten Wandel führt in Werken, Worten und Gedanken, gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf eine gute Daseinsfährte, in himmlische Welt. So, Ānanda, gebärt ein schwarz Geborener Weißes.
Wie aber, Ānanda, gebärt ein schwarz Geborener das weder schwarze noch weiße Nibbāna? Da, Ānanda, wird einer in einer niederen Menschenklasse wiedergeboren . . . Dabei ist er häßlich, unansehnlich, verwachsen. Er aber schert sich Haar und Bart, legt die fahlen Gewänder an und zieht vom Hause in die Hauslosigkeit. Also der Welt entsagend, überwindet er die fünf Hemmungen, diese Trübungen des Geistes, die die Weisheit schwächen; er festigt seinen Geist in den vier Grundlagen der Achtsamkeit, entfaltet in rechter Weise die sieben Glieder der Erleuchtung und erzeugt so das weder schwarze noch weiße Nibbāna. So, Ānanda, gebärt ein schwarz Geborener das weder schwarze noch weiße Nibbāna (*6).
Wie aber Ānanda, gebärt ein weiß Geborener Schwarzes? Da wird einer in einer vornehmen Familie wiedergeboren in einer mächtigen Adelsfamilie oder einer mächtigen Brahmanenfamilie oder einer mächtigen Bürgerfamilie, einer reichen, hochbegüterten, hochvermögenden, die Überfluß hat an Gold und Silber, an Hab und Gut, an Geld und Korn. Dabei ist er von stattlicher Gestalt und Erscheinung, mit Anmut und außergewöhnlicher Schönheit begabt. Er erhält Speise, Trank, Kleidung, Gefährt, Blumen, Wohlgerüche, Salben, Bett und Beleuchtung. Doch er führt einen schlechten Wandel in Werken, Worten und Gedanken. Da er aber einen schlechten Wandel führt in Werken, Worten und Gedanken, gelangt er bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, in niedere Welt, auf eine Leidensfährte, in die Daseinsabgründe, zur Hölle. So, Ānanda, gebärt ein weiß Geborener Schwarzes.
Wie aber, Ānanda, gebärt ein weiß Geborener Weißes? Da wird einer in einer vornehmen Familie wiedergeboren . . . Und er führt einen guten Wandel in Werken, Worten und Gedanken. Da er aber einen guten Wandel führt in Werken, Worten und Gedanken, so gelangt er nach Auflösung des Körpers, nach dem Tode, auf eine gute Daseinsfährte, in himmlische Welt. So, Ānanda, gebärt ein weiß Geborener Weißes.
Wie aber, Ānanda, gebärt ein weiß Geborener das weder schwarze noch weiße Nibbāna? Da wird einer in einer vornehmen Familie wiedergeboren: einer mächtigen Adelsfamilie oder einer mächtigen Brahmanenfamilie oder einer mächtigen Bürgerfamilie, einer reichen, hochbegüterten, hochvermögenden, die Überfluß hat an Gold und Silber, an Hab und Gut, an Geld und Korn. Dabei ist er von stattlicher Gestalt und Erscheinung, mit Anmut und außergewöhnlicher Schönheit begabt. Er erhält Speise und Trank, Kleidung, Gefährt, Blumen, Wohlgerüche, Salben, Bett und Beleuchtung. Er aber schert sich Haar und Bart, legt die fahlen Gewänder an und zieht vom Hause in die Hauslosigkeit. Also der Welt entsagend, überwindet er die fünf Hemmungen, die Trübungen des Geistes, die die Weisheit schwächen; er festigt seinen Geist in den vier Grundlagen der Achtsamkeit, entfaltet in rechter Weise die sieben Glieder der Erleuchtung und erzeugt so das weder schwarze noch weiße Nibbāna. So, Ānanda, gebärt ein weiß Geborener das weder schwarze noch weiße Nibbāna.
Diese sechs Menschenarten gibt es, Ānanda.«
(*1) chal-abhijātiyo. Vgl. D. 2 (sāmaññaphala-sutta), wo diese Lehre nicht dem Pūrana Kassapa, sondern einem anderen der sechs häretischen Lehrer, dem Makkhali Gosāla, zugeschrieben wird, den unser Text als einen Vertreter der 'ganz weißen Menschenart' nennt. Auch die Jainas, zu denen Makkhali Gosāla ursprünglich gehörte, haben eine ähnliche Einteilung in sechs Menschenarten (lesiyā genannt), mit etwas unterschiedlichen Farbbezeichnungen.
(*2) Wtl: dornigen. Vom Standpunkt der extrem asketischen Sekte der ājīvakas oder acelakas (d.i. der Gewandlosen oder Nacktler), zu denen Pūrana Kassapa gehörte, führen nämlich die buddhistischen Mönche ein laxes und zu luxuriöses Leben und benutzen daher ihre Bedarfsstücke (wie Nahrung, Gewand usw.) gleichsam mit einem 'Zusatz von Dornen' (sa-kantaka)
(*3) D.i. 'die Gewandlosen' oder Nacktler; eine Asketensekte.
(*4) D.h. solche, die einen untadeligen 'Lebensunterhalt' (ājīva) betonen. Gleichfalls eine Asketensekte.
(*5) Zum folgenden vgl. A.IV.85.
(*6) Der zum Nibbāna Gelangte, der Arahat, erzeugt keine verdienstvollen (kusala) oder schuldvollen (akusala) Taten (kamma) mehr. Was immer er tut, kann keinen Einfluß mehr haben auf sein Geschick in diesem Dasein, und ein künftiges Dasein gibt es nicht mehr für ihn.
Mit sechs Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, ist der Mönch würdig der Opfer, würdig der Gastspende, würdig der Gaben, würdig des ehrfurchtsvollen Grußes, der beste Boden in der Welt für gute Werke. Und welches sind diese sechs Eigenschaften?
Da, ihr Mönche, sind in einem Mönch
1. Welches aber, ihr Mönche, sind die durch Zügelung zu überwindenden Triebe, die er durch Zügelung überwunden hat? Da wacht ein Mönch weise besonnen über seinen Gesichtssinn. Und die quälenden, sehrenden Triebe, die ihm bei unbewachtem Auge aufsteigen möchten, die können, während er über seinen Gesichtssinn wacht, nicht aufsteigen. Er wacht weise besonnen über seinen Gehörsinn . . . seinen Geruchsinn . . . seinen Geschmacksinn . . . seinen Tastsinn . . . seinen geistigen Sinn. Und die quälenden, sehrenden Triebe, die ihm bei unbewachtem Geiste aufsteigen möchten, die können, während er über seinen Geistsinn wacht, nicht aufsteigen. Das, ihr Mönche, sind die durch Zügelung zu überwindenden Triebe, die er durch Zügelung überwunden hat.
2. Welches aber, ihr Mönche, sind die durch Pflege zu überwindenden Triebe, die er durch Pflege überwunden hat? Da pflegt der Mönch weise besonnen des Gewandes, eben nur um Kälte und Hitze, Mücken und Bremsen, Wind und Sonne und die lästigen Kriechtiere von sich abzuhalten, eben nur um die Scham zu bedecken. - Weise besonnen pflegt er der Almosenspeise, nicht etwa zur Kurzweil oder Berauschung oder um schön und gefällig zu werden, sondern eben bloß zur Erhaltung dieses Körpers, um Schaden zu verhüten und den heiligen Wandel zu unterstützen. [Denn er sagt sich:] 'Auf diese Weise werde ich das frühere Gefühl (d.i. Hungergefühl) abtöten und kein neues Gefühl aufkommen lassen; langes Leben wird mir beschieden sein, Untadeligkeit und Wohlbefinden.' - Weise besonnen pflegt er der Lagerstätte, eben nur um Kälte und Hitze, Mücken und Bremsen, Wind und Sonne und die lästigen Kriechtiere von sich abzuhalten, eben nur um die Unbilden des Wetters zu vermeiden und um sich der Abgeschiedenheit erfreuen zu können. - Weise besonnen pflegt er der Arzneien und Heilmittel, eben nur um die aufsteigenden, durch Krankheit bedingten Schmerzen von sich fernzuhalten, eben um höchster Leidlosigkeit willen (*2). Und die quälenden, sehrenden Triebe, die ihm ohne solche Pflege aufsteigen möchten, die können infolge der Pflege nicht aufsteigen. Das, ihr Mönche, sind die durch Pflege zu überwindenden Triebe, die er durch Pflege überwunden hat.
3. Welches aber, ihr Mönche, sind die durch Geduld zu überwindenden Triebe, die er durch Geduld überwunden hat? Da erträgt der Mönch weise besonnen Hitze und Kälte, Hunger und Durst, sowie die Belästigung durch Mücken, Bremsen, Wind, Sonne und Kriechtiere. Voll Geduld bleibt er bei gehässigen, unliebsamen Worten, bei aufsteigenden körperlichen Schmerzgefühlen, scharfen, stechenden, brennenden, beschwerlichen, unangenehmen, lebensgefährlichen. Und die quälenden, sehrenden Triebe, die ihm ohne solche Geduld aufsteigen möchten, die können, wenn er Geduld zeigt, nicht aufsteigen. Das, ihr Mönche, sind die durch Geduld zu überwindenden Triebe, die er durch Geduld überwunden hat.
4. Welches aber, ihr Mönche, sind die durch Vermeidung zu überwindenden Triebe, die er durch Vermeidung überwunden hat? Da vermeidet der Mönch weise besonnen einen wilden Elefanten, ein wildes Pferd, ein wildes Rind, einen wilden Hund, eine Schlange, einen Baumstumpf, einen dornigen Weg, eine Grube, einen Abhang, einen Pfuhl, eine Pfütze; und wo, beim Sitzen an einem unpassenden Platz, beim Wandeln auf unpassendem Gebiet, beim Verkehr mit schlechten Freunden, ihn verständige Ordensbrüder schlechten Verhaltens verdächtigen könnten, solch unpassenden Platz, solch unpassendes Gebiet, solch schlechte Genossen vermeidet er weise besonnen. Und die quälenden, sehrenden Triebe, die ihm infolge des Nichtvermeidens aufsteigen möchten, die können beim Vermeiden nicht aufsteigen. Das, ihr Mönche, sind die durch Vermeiden zu überwindenden Triebe, die er durch Vermeiden überwunden hat.
5. Welches aber, ihr Mönche, sind die durch Vertreibung zu überwindenden Triebe, die er durch Vertreibung überwunden hat? Da läßt der Mönch weise besonnen einen aufgestiegenen Gedanken des Sinnenbegehrens, des Übelwollens oder der Schädigung nicht Fuß fassen; er überwindet, vertreibt, unterdrückt und vertilgt ihn. Er läßt diese oder jene in ihm aufsteigenden schlechten und unheilsamen Dinge nicht Fuß fassen; er überwindet, vertreibt, unterdrückt und vertilgt sie. Und die quälenden, sehrenden Triebe, die ihm infolge des Nichtvertreibens aufsteigen möchten, die können beim Vertreiben nicht aufsteigen. Das, ihr Mönche, sind die durch Vertreiben zu überwindenden Triebe, die er durch Vertreiben überwunden hat.
6. Welches aber, ihr Mönche, sind die durch Geistesentfaltung zu überwindenden Triebe, die er durch Geistesentfaltung überwunden hat? Da entfaltet der Mönch weise besonnen das auf Abwendung, Entsüchtung und Aufhebung gegründete, auf die Erlösung gerichtete Erleuchtungsglied der Achtsamkeit, der Wirklichkeitsergründung, der Willenskraft, des Entzückens, der Ruhe, der Sammlung und des Gleichmuts. Und die quälenden, sehrenden Triebe, die ihm bei mangelnder Geistesentfaltung aufsteigen möchten, die können, während er Geistesentfaltung übt, nicht aufsteigen. Das, ihr Mönche, sind die durch Geistesentfaltung zu überwindenden Triebe, die er durch Geistesentfaltung überwunden hat.
Mit diesen sechs Eigenschaften ausgestattet, ihr Mönche, ist der Mönch würdig der Opfer, würdig der Gastspende, würdig der Gaben, würdig des ehrfurchtsvollen Grußes, ist er der beste Boden in der Welt für gute Werke.
(*1) Triebe = āsavā. In M. 2 findet sich noch eine siebente Triebart, die an erster Stelle genannt wird: die durch Erkennen zu überwindenden Triebe.
(*2) Eine Erklärung dieser Betrachtungen über die vier mönchischen Bedarfsstücke findet sich in VisM 36ff.
So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene zu Nādika, in der Ziegelklause. Da begab sich ein Hausvater, ein Holzhändler, zum Erhabenen, begrüßte ihn ehrerbietig und setzte sich zur Seite nieder. Und der Erhabene sprach zu ihm also:
»Gibt man wohl, o Hausvater, in deiner Familie Almosen?« -
»Freilich, o Herr, gibt man in meiner Familie Almosen, und zwar an solche Mönche, die im Walde leben, um Almosen gehen, Fetzengewänder tragen und die Heilige sind oder solche, die sich auf dem Weg zur Heiligkeit befinden.«-
»Der du, o Hausvater, in der Familie lebst, die Sinnenfreuden genießest, in einem Hause voller Kinder wohnst, feinstes Sandelpulver benutzest, Blumen, Wohlgerüche und Salben verwendest, Gold und Silber gebrauchst, du wirst wohl schwerlich erkennen, wer ein Heiliger ist oder sich auf dem Wege zur Heiligkeit befindet.
Ist da, o Hausvater, ein Mönch, der im Walde lebt, aufgeregt, aufgeblasen, unstet, schwatzhaft, ein zerfahrener Plauderer, ohne Achtsamkeit und Wissensklarheit, ungesammelt, hin und her schweifenden Geistes und unbezähmt in seinen Sinnen, so ist er eben aus diesem Grunde zu tadeln. Ist er aber nicht aufgeregt, aufgeblasen, unstet oder schwatzhaft, kein zerfahrener Plauderer, sondern achtsam, wissensklar, gesammelt und geeinten Geistes, bezähmt in seinen Sinnen, so ist er eben aus diesem Grunde zu loben.
Ob da, o Hausvater, ein Mönch im Dorfe lebt, ob er um Almosen geht oder Einladungen annimmt, ob er sich in selbstgefertigte Fetzengewänder kleidet oder von den Hausleuten erhaltene Gewänder trägt, ist er aufgeregt, aufgeblasen, unstet, schwatzhaft, ein zerfahrener Plauderer, ohne Achtsamkeit und Wissensklarheit, ungesammelt, hin und her schweifenden Geistes und unbezähmt in seinen Sinnen, so ist er eben aus diesem Grunde zu tadeln. Ist er aber nicht aufgeregt, aufgeblasen, unstet oder schwatzhaft, kein zerfahrener Plauderer, sondern achtsam, wissensklar, gesammelt und geeinten Geistes, bezähmt in seinen Sinnen, so ist er eben aus diesem Grunde zu loben.
Wohl denn, Hausvater! Gib Almosen an die Mönchsgemeinde! Denn gibst du Almosen an die Mönchsgemeinde, so wird dein Herz freudiges Vertrauen gewinnen, und voll freudigen Vertrauens wirst du beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Daseinsfährte erscheinen, in himmlischer Welt.« -
»Von heute an, o Herr, will ich der Mönchsgemeinde Almosen geben.«
So habe ich gehört. Einst weilte der Erhabene im Hirschpark bei Benares, am Einsiedlersteige. Damals aber saßen mehrere ältere Mönche am Nachmittage, nach Beendigung des Mahls, in der Empfangshalle beisammen und unterhielten sich über die höhere Lehre (abhidhamma-kathā). Während sich aber die älteren Mönche über die höhere Lehre unterhielten, redete der ehrwürdige Citta, der Sohn des Elefantentreibers, immerfort dazwischen. Da sprach der ehrwürdige Mahā-Kotthita zum ehrwürdigen Citta:
»Möge der ehrwürdige Citta den älteren Mönchen in ihrer Unterhaltung über die höhere Lehre nicht immer dazwischenreden! Möge der ehrwürdige Citta das Ende der Unterhaltung abwarten!«
Auf diese Worte sprachen die dem ehrwürdigen Citta befreundeten Mönche zum ehrwürdigen Mahā-Kotthita:
»Möge der ehrwürdige Mahā-Kotthita den ehrwürdigen Citta, den Sohn des Elefantentreibers, nicht mißbilligen! Weise ist der ehrwürdige Citta, der Sohn des Elefantentreibers. Befähigt ist er, zu den älteren Mönchen über die höhere Lehre zu sprechen.« -
[Mahā-Kotthita:] »Schwerlich, ihr Brüder, können das solche beurteilen, die eines anderen Gedankengang nicht durchschauen.
Da ist einer, ihr Brüder, solange er beim Meister weilt oder bei einem verehrungswürdigen Ordensbruder, ganz milde, ganz demütig, ganz ruhig. Ist er aber vom Meister oder von verehrungswürdigen Ordensbrüdern getrennt, so lebt er gesellig mit Mönchen und Nonnen, Laienjüngern und Laienjüngerinnen, Königen und königlichen Räten, Irrlehrern und Jüngern der Irrlehrer. Und während er in dieser Gesellschaft weilt, ungebunden, ungezügelt, dem Plaudern ergeben, da quält Begierde sein Herz. Giergequälten Herzens aber gibt er die mönchische Schulung auf und kehrt zum niederen Mönchsleben zurück.
Angenommen, ihr Brüder, es ist da eine Kuh, die von der jungen Saat frißt; die legte man dann an einen Strick oder sperrte sie in den Stall. Wenn man nun, ihr Brüder, sagen wollte, daß jene Kuh von nun ab nicht mehr in die junge Saat hineinlaufen wird, würde man da wohl mit solcher Aussage Recht haben?« -
- »Das wohl nicht, o Bruder. Denn es mag ja sein, daß jene die Jungsaat fressende Kuh den Strick durchreißen oder aus dem Stall ausbrechen und wieder in die junge Saat hineinlaufen wird.« -
- »Ebenso auch, ihr Brüder, ist da einer, solange er beim Meister weilt oder bei einem verehrungswürdigen Ordensbruder, ganz milde, ganz demütig, ganz ruhig. Ist er aber vom Meister oder von verehrungswürdigen Ordensbrüdern getrennt, so lebt er gesellig mit Mönchen und Nonnen, mit Laienjüngern und Laienjüngerinnen, Königen und königlichen Räten, Irrlehrern und Jüngern der Irrlehrer. Und während er in deren Gesellschaft weilt, ungebunden, ungezügelt, dem Plaudern ergeben, da quält Begierde sein Herz. Giergequälten Herzens aber gibt er die mönchische Schulung auf und kehrt zum niederen Weltleben zurück.
Angenommen, ihr Brüder, an einem Kreuzungspunkt von vier Straßen entlüde sich eine dick geballte Regenwolke, die den Staub zum Schwinden bringt und den Boden schlammig macht. Wenn man nun, ihr Brüder, sagen wollte, daß dort von nun ab kein Staub mehr entstehen wird, würde man da mit solcher Aussage wohl Recht haben?« -
- »Das wohl nicht, Bruder. Denn es ist doch wahrscheinlich, daß Menschen oder Rinder oder Ziegen wieder über jenen Platz laufen, daß Wind und Sonne die Feuchtigkeit auftrocknen und sich so wieder von neuem Staub bilden wird.«
»Ebenso, ihr Brüder, gewinnt da einer, ganz abgeschieden von den Sinnendingen . . . die erste Vertiefung. Im Bewußtsein aber: 'Ich habe die erste Vertiefung gewonnen', lebt er gesellig . . . Und während er gesellig lebt . . . quält Begierde sein Herz. Giergequälten Herzens aber gibt er die mönchische Schulung auf und kehrt zum niederen Weltleben zurück.
Angenommen, ihr Brüder, unweit eines Dorfes oder einer Stadt befindet sich ein großer Teich. Und eine dick geballte Regenwolke entlüde sich und machte die Schalentiere und Muscheln, den Kies und die Steine unsichtbar. Wenn man nun, ihr Brüder, sagen wollte, daß von nun ab die Schalentiere und Muscheln, der Kies und die Steine nicht mehr zum Vorschein kommen werden, würde man da wohl mit solcher Aussage Recht haben?« -
»Das wohl nicht, Bruder. Denn es ist doch anzunehmen, daß Menschen oder Rinder und Ziegen wieder von jenem Teiche trinken, daß Wind und Sonne das Wasser auftrocknen werden und dann die Schalentiere und Muscheln, der Kies und die Steine wieder zum Vorschein kommen werden.« -
- »Ebenso, ihr Brüder, gewinnt da einer . . . die zweite Vertiefung. Im Bewußtsein aber: 'Ich habe die zweite Vertiefung gewonnen', lebt er gesellig . . . Und während er gesellig lebt . . . quält Begierde sein Herz. Giergequälten Herzens aber gibt er die mönchische Schulung auf und kehrt zum niederen Weltleben zurück.
Angenommen, ihr Brüder, nachdem einer vorzügliche Speise gegessen hat, schmeckt ihm eine schlechtere Speise nicht mehr. Wenn man nun, ihr Brüder, sagen wollte, daß diesem Manne von nun ab das Essen nicht mehr schmecken wird, würde man da wohl mit solcher Aussage Recht haben?« -
- »Das wohl nicht, Bruder. Denn es ist wohl anzunehmen, daß diesem Manne, der die vorzügliche Speise genossen hat, nur solange keine andere Speise schmecken wird, wie jener Nährstoff sich noch in seinem Leibe befindet; daß aber, sobald jener Nährstoff geschwunden ist, ihm das Essen wieder schmecken wird.« -
- »Ebenso, ihr Brüder, gewinnt da einer . . . die dritte Vertiefung. Im Bewußtsein aber: 'Ich habe die dritte Vertiefung gewonnen', lebt er gesellig . . . Und während er gesellig lebt . . . quält Begierde sein Herz. Giergequälten Herzens aber gibt er die mönchische Schulung auf und kehrt zum niederen Weltleben zurück.
Angenommen, ihr Brüder, es befindet sich da in einer Bergmulde ein Teich, windstill, frei von Wellen. Wenn man nun, ihr Brüder, sagen wollte, daß sich auf diesem Teiche von nun an keine Wellen mehr zeigen werden, würde man da wohl mit solcher Aussage Recht haben?« -
- »Das wohl nicht, Bruder. Denn es ist wohl anzunehmen, daß einmal von Osten, Westen, Norden oder Süden heftiger Wind und Regen kommen und auf jenem Teiche Wellen erzeugen werden.« -
- »Ebenso, ihr Brüder, gewinnt da einer . . . die vierte Vertiefung. Im Bewußtsein aber: 'Ich habe die vierte Vertiefung gewonnen', lebt er gesellig . . . Und während er gesellig lebt . . . quält Begierde sein Herz. Giergequälten Herzens aber gibt er die mönchische Schulung auf und kehrt zum niederen Weltleben zurück.
Angenommen, ihr Brüder, ein König oder ein königlicher Rat befindet sich mit viergliedriger Heeresmacht auf einem langen Marsche und schlägt in einem Waldgelände für die Nacht sein Lager auf; und infolge des Lärms der Elefanten, Rosse, Wagen und Soldaten und des Getöses der Pauken, Trommeln und Trompeten wird das Gezirpe der Grillen unhörbar. Wenn man nun aber, ihr Brüder, sagen wollte, daß man in jenem Waldgelände von nun ab kein Grillengezirpe mehr hören wird, würde man da wohl mit solcher Aussage Recht haben?« -
- »Das wohl nicht, Bruder. Denn es ist ja anzunehmen, daß jener König oder königliche Rat das Waldgelände verläßt und so das Grillengezirpe wieder hörbar sein wird.« -
- »Ebenso auch, ihr Brüder, gewinnt da einer durch Nichtbeachtung aller Daseinsbedingungen die bedingungslose Sammlung des Geistes (*1). Im Bewußtsein aber: 'Ich habe die bedingungslose Sammlung des Geistes gewonnen', lebt er gesellig mit Mönchen und Nonnen, Laienjüngern und Laienjüngerinnen, Königen und königlichen Räten, Irrlehrern und Jüngern der Irrlehrer. Und während er in deren Gesellschaft weilt, ungebunden, ungezügelt, dem Plaudern ergeben, da quält Begierde sein Herz. Giergequälten Herzens aber gibt er die mönchische Schulung auf und kehrt zum niederen Weltleben zurück.«
Einige Zeit darauf gab nun der ehrwürdige Citta, der Sohn des Elefantentreibers, die mönchische Schulung auf und kehrte zum niederen Weltleben zurück. Da begaben sich die Freunde des ehrwürdigen Citta zum ehrwürdigen Mahā-Kotthita und sprachen:
»Hatte wohl der ehrwürdige Mahā-Kotthita das Herz Cittas im Geiste durchschaut und erkannt, daß er im Besitze dieser und jener Erreichungszustände sei, daß er aber dennoch die mönchische Schulung aufgeben und zum niederen Weltleben zurückkehren werde? Oder aber haben ihm Gottheiten dieses mitgeteilt?« -
- »Im Geiste, ihr Brüder, habe ich das Herz Cittas, des Sohnes des Elefantentreibers, durchschaut und erkannt, und auch Gottheiten haben es mir gesagt.«
Darauf begaben sich die Freunde Cittas zum Erhabenen. Dort angelangt, begrüßten sie den Erhabenen ehrfurchtsvoll, setzten sich zur Seite nieder und sprachen zu ihm:
»Citta, der Sohn des Elefantentreibers, o Herr, der im Besitze dieser und jener Erreichungszustände war, hat dennoch die mönchische Schulung aufgegeben und ist zum niederen Weltleben zurückgekehrt.« -
[Der Erhabene:] »Nach gar nicht langer Zeit, ihr Mönche, wird Citta, der Sohn des Elefantentreibers, sich der Weltentsagung erinnern.« Und nach gar nicht langer Zeit schor sich Citta, der Sohn des Elefantentreibers, Haar und Bart, kleidete sich in die fahlen Gewänder und zog von Hause in die Hauslosigkeit. Und einsam, abgeschieden, unermüdlich, eifrig und entschlossen verweilend, errang Citta, der Sohn des Elefantentreibers, jenes höchste Ziel des Reinheitswandels, dem zuliebe edle Söhne gänzlich fort von Hause in die Hauslosigkeit ziehen, indem er es selber erkannte und verwirklichte. Und er wußte: »Versiegt ist die Wiedergeburt, erfüllt der heilige Wandel; getan ist, was zu tun war; nichts Weiteres mehr nach diesem hier (*2).«
(*1) animittam cetosamādhim. K: starke Hellblicks-Sammlung.
(*2) Citta soll siebenmal den Orden verlassen haben und ihm wieder beigetreten sein. Nach dem siebenten Male erreichte er die Heiligkeit.