Leer ist die Welt

ACHTSAMKEIT UND WISSENSKLARHEIT

 

Ein Beitrag zur Auslegung des Satipatthānasutta

 

Einst in einer schönen, klaren Mondscheinnacht saßen sechs eminente Buddha-Jünger im Gosingawalde beisammen und rühmten, ein jeder nach seiner Art, die Eigenschaften, die einen Bhikkhu auszeichnen sollen. Zum Schluß kamen sie überein, Buddha über ihr Gespräch zu berichten und ihn um sein Urteil zu bitten. Ihr Thema lautete: "Was für ein Bhikkhu würde dem Gosingawalde Glanz verleihen?" oder frei übersetzt: "Was muß ein Bhikkhu vor anderen voraushaben, um dem Gosingawalde besonderen Glanz zu verleihen?"

Ānanda pries die Gelehrsamkeit, die gründliche Kenntnis des Buddhaworts, Revata die Meditation in leerem Gemach, Anuruddha das Hellsehen, das "himmlische Auge", Kassapa die strenge Askese des Waldeinsiedlers, Moggallāna das förderliche Zwiegespräch über die Buddha-Lehre, Sāriputta die Beherrschung des eigenen Denkens.

Als Buddha ihren Bericht gehört hatte, lobte er sie alle, fügte aber hinzu: "Besonderen Glanz würde dem Gosingawalde ein Bhikkhu verleihen, der sich nach dem Mahle in der Pallanka-positur, mit gekreuzten Beinen, den Körper gerade aufgerichtet, niedersetzt und ,die Achtsamkeit vor sich aufrichtet' mit dem festen Vorsatz, nicht eher aufzustehen, als bis er sich von allen weltlichen Einflüssen befreit und seinen Geist erlöst hat."

Die Achtsamkeit vor sich aufrichten - parimukham satim upatthāpeti - bedeutet: das Satipatthāna, die Hauptdenkübung, durchführen.

Diese anmutige Szene, die im 32. Sutta des Majjhima-Nikaya lebendig geschildert wird, zeigt deutlich, daß Buddha die Aufrichtung der Achtsamkeit, das Satipatthāna, höher schätzt als alle anderen, an sich auch rühmenswerten, Betätigungen.

Ein anderes zuverlässiges Zeugnis für die Wichtigkeit des Satipatthāna ist der Bericht über Ānandas Weg zur Arahaschaft im Cullavagga XI. Ānanda, der viele Jahre lang der ständige dienende Begleiter Buddhas gewesen war und bei der Gemeinde in hohem Ansehen stand, weil er ein ungewöhnlich gutes Gedächtnis hatte und alle Lehrreden und Zwiegespräche Buddhas und seiner großen Jünger, die er mit angehört hatte, noch nach langer Zeit Wortgetreu rezitieren konnte, war von Kassapa, dem Einberufer und Leiter des bald nach dem Hinscheiden Buddhas in Rājagaha zusammentretenden Konzils, aufgefordert worden, die Lehrtexte auf diesem Konzil vorzutragen. Seine Referate bilden die Grundlage des Suttapitaka, so wie es später auf Palmblätter aufgeschrieben wurde und wie es uns heute gedruckt vorliegt. Obwohl Ānanda alles, was Buddha und seine großen Jünger dargelegt hatten, auswendig wußte, fehlte ihm damals doch noch die tiefe Einsicht in den Sinn der Lehre. Er wußte die Lehren wohl "auswendig", aber er hatte sie noch nicht "inwendig" geschaut, erlebt. Er war deshalb noch ein Sekha, ein Ringender, und kein Asekha, keiner, der mit dem Ringen fertig ist, kein Arahā, wie es alle anderen zum Konzil versammelten Theras - Ordensälteren - waren. Nun sagte er sich - so heißt es im Cullavagga - es gezieme sich für ihn nicht, in der Versammlung der Arahat zu reden, ohne selbst ein Arahat zu sein. Darum übte er eine ganze Nacht hindurch bis zum Morgengrauen die "Achtsamkeit in Bezug auf den Körper" - kāyagatā sati - das heißt: den Teil des Satipatthāna, der die Betrachtungen über den Körper enthält. Dadurch "befreite er sich von den weltlichen Einflüssen und erlöste seinen Geist". Hier werden dieselben Worte gebraucht, die Buddha im Gosingawalde sprach: anupādāya āsavehi cittam vimucci. So wurde Ānanda ein Arahat.

Das Satipatthāna ist im Pali-Kanon zweimal überlief in D 22 und M 10, beide Male zum größten Teil gleichlautend, die Lesart im D enthält jedoch eine ins einzelne gehende Erklärung der vier edlen Wahrheiten, während diese in der Lesart des M kurz aufgezählt werden.

Das Wort Satipatthāna bedeutet übrigens nicht, wie K.E. Neumann und nach ihm andere übersetzt haben, "Pfeiler der Einsicht", sondern "Aufrichtung" oder "Bereithaltung der Achtsamkeit". Es ist zusammengesetzt aus sati + upatthāna, in Sanskrit: smrti + upasthāna, wie schon Childers in seinem Dictionary richtig bemerkt hat. Im buddhistischen Sanskrit lautet das Wort smrtyupasthāna. Ebenso deuten es auch Geiger (Pali-Literatur und Sprache, § 61) und Andersen (Pali Glossary). Daß das Wort so gebildet ist, ergibt sich zweifellos aus den im Sutta selbst vorkommenden Worten: parimukham satim upatthāpetva - "indem er die Achtsamkeit vor sich aufrichtet oder bereithält", denselben Worten, die Buddha im Gosingawalde sprach.

Der Darlegung des Satipatthāna schickt Buddha die Worte voraus: "ekāyano ayam maggo". Dies bedeutet nicht, wie bisher übersetzt wurde: "Dies ist der einzige Weg", sondern: "Diesen Weg muß jeder allein für sich gehen" ("ohne Weggenossen" fügt der Kommentar hinzu). Das Satipatthāna eignet sich, also nicht für eine gemeinsame Andacht, die Buddha überhaupt ablehnt.

Das Satipatthāna besteht aus 4 Hauptteilen:

  1. Betrachtung über den Körper;
  2. Betrachtung über die Gefühle;
  3. BBetrachtung über die Gedanken;
  4. Betrachtung über die Gegenstände der Buddhalehre, die Dhammas.

Von diesen 4 Haupteilen ist der erste, die Betrachtung über den Körper, derjenige, den Buddha am höchsten schätzte; er ist es auch, der Ānanda zur Erlangung der Arahatschaft verhalf.

Die Betrachtung über den Körper ist aber nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, eine einheitliche Anweisung zur Meditation, sondern sie setzt sich zusammen aus 6 verschiedenen Meditationsübungen, von denen die zweite und die dritte nicht mit den übrigen unmittelbar verbunden werden können. Es ist zu unterscheiden:

  1. das achtsame Ein- und Ausatmen bei aufrechtem Sitzen;
  2. ddas Sich-Bewußtwerden einer jeden Körperhaltung;
  3. das Handeln mit Wissensklarheit bei allen Körperfunktionen;
  4. die Betrachtung des anatomischen Baues des Körpers;
  5. die Betrachtung der stofflichen Zusammensetzung des Körpers;
  6. die Betrachtung der Auflösung des Körpers, die "Leichenbetrachtung".

 

JJede dieser Übungen wird abgeschlossen mit den Worten: "So sinnt der Bhikkhu dauernd über seinen Körper nach und betrachtet ihn von innen und außen und beiderseits - d.h. er betrachtet ihn für sich und in seinen Beziehungen zur Außenwelt - er sinnt darüber nach, wie Körper gesetzmäßig entstehen und vergehen, und verweilt dabei, indem er sich klarmacht, wie es der Erkenntnis und der Achtsamkeit entspricht - d.h. soweit jeweils seine Einsicht und der Grad seiner Aufmerksamkeit reicht -, daß es ein Körper ist - eben nur ein Körper, aber nicht sein Ich; er hält sich frei von Anhänglichkeit (an den Körper) und haftet an nichts in der Welt."

Schon die regelmäßige Wiederkehr dieses Abschlusses, der sich bei der Betrachtung über die Gefühle und bei der über die Gedanken nur je einmal findet, beweist, daß wir es bei der Körperbetrachtung mit sechs verschiedenen Übungen zu tun haben.

Bei der ersten Übung muß der Meditierende sitzen. Die zweite und dritte kann er im Sitzen überhaupt nicht vornehmen. Diese beiden sind auch nicht auf eine bestimmte Meditationszeit beschränkt, sondern sie dauern Tag und Nacht und beschäftigen den Meditierenden unausgesetzt. Die vierte, die fünfte und die sechste Übung können in jeder Körperlage angestellt werden, wenn auch der Pallanka-sitz mit gekreuzten Beinen bevorzugt wird; im Gegensatz zur zweiten und dritten sind sie ihrer Natur nach zeitlich begrenzt wie die erste.

Die Anweisung für die zweite Übung lautet: "Wenn ein Bhikkhu geht, so weiß er: ,Ich gehe', usw." Das heißt: er macht sich klar, was das bedeutet ,ich gehe'. Er fragt sich: "Wer geht?" und antwortet: "Es ist eine Bewegung, ein Vorgang, der ursächlich bedingt ist durch andere Vorgänge, durch Willensregungen, die ihrerseits wieder bedingt sind durch gewisse Gedanken oder Vorstellungen, und so fort, aber es ist kein Subjekt zu erkennen, es ist kein "Ich" dabei, das handelt. Entsprechende Betrachtungen stellt er auch bei allen anderen Bewegungen und Körperhaltungen an.

IIn der dritten Übung wird aus dem "pajānāti", dem einfachen "Wissen", ein "sampajānakārī hoti", ein "Handeln mit Wissensklarheit", und dieses erstreckt sich auf noch mehr Funktionen des Körpers, grundsätzlich wohl auf alle diejenigen, die im gewöhnlichen Leben unterhalb der Schwelle des Bewußtseins verlaufen. Als Beispiele für diese werden die Nahrungsaufnahme und die Entleerung der Verdauungsorgane sowie das Einschlafen und Aufwachen angeführt.

Von der zweiten zur dritten Übung finden wir ein ähnliches Fortschreiten wie innerhalb der ersten Übung, wo es heißt: "Wenn er lang einatmet, ist er sich bewußt, daß er lang einatmet, wenn er lang ausatmet, ist er sich bewußt, daß er lang ausatmet usw." Dies ist die erste Stufe, daß er sich der sonst unbewußt verlaufenden Funktion des Atmens bewußt wird. Die zweite ist, daß er diese Funktion nach seinem Willen regelt und sie dadurch zu beherrschen sucht: "Dann übt er sich - sikkhati - jeden Atemzug (oder: "den ganzen Körper" sabbakāya) voll empfindend ein- und auszuatmen, und er übt sich, so ein- und auszuatmen, daß er damit den körperlichen Prozeß - kayāsankhāra, womit auch gemeint sein kann: den Atem - besänftigt." Wir dürfen dafür wohl auch sagen: "daß er damit den Körper entspannt."

Der Steigerung, die hier im "sikkhati" gegenüber dem einfachen "pajānāti" liegt, entspricht in der dritten Übung die Steigerung "sampajānakārī hoti" gegenüber "pajānāti". Daraus ist zu schließen, daß das Eindringen des klaren Bewußtseins in die gewöhnlich unbewußt verlaufenden Funktionen auch zur Beherrschung dieser Funktionen führen soll, ebenso wie das Regulieren des Atems auf die Beherrschung der Atemtätigkeit abzielt.

Das Beherrschen der Körperfunktionen ist aber nicht der letzte Zweck der Übungen. Dieser ergibt sich vielmehr aus der Stellung der Vorschriften innerhalb des satipatthāna suttas und ist angedeutet in den Sätzen, die jeden Abschnitt dieses Suttas abschließen. Das ganze Satipatthāna, die Hauptdenkübung, dient offensichtlich dazu, dem Meditierenden die anschauliche Erkenntnis zu verschaffen, daß das Körperliche und das Psychische, also sein empirsches Ich, seine Persönlichkeit in ihren beiden Erscheinungsweisen, nicht sein wahres Ich, daß sie "anattā" sind. Beim Körper soll dies dadurch erreicht werden, daß der eigene Körper in allen seinen Funktionen durchschaut wird. Damit wird er den anderen Körpern der physischen Welt gleichgestellt, und so wird die Gebundenheit an den Körper nach und nach gelockert und schließlich ganz gelöst.

Der Meditierende lernt den eigenen Körper kennen, behandeln und beherrschen wie einen beliebigen Gegenstand der physischen Welt. Dadurch wird ihm der eigene Körper innerlich entfremdet, er wird für ihn ein Werkzeug wie der Hammer, die Zange, der Federhalter oder die Schreibmaschine, wie das Fahrrad oder die Geige, und so hört er auf, an ihm zu haften. Darum heißt es: "Er sinnt darüber nach, wie Körper gesetzmäßig entstehen und vergehen, und verweilt dabei, indem er sich klar macht, wie es der Erkenntnis und der Achtsamkeit entspricht, daß es ein Körper ist (zu ergänzen: aber nicht sein Ich); er hält sich frei von Anhänglichkeit und haftet an nichts in der Welt."

Dies also ist der Sinn von sampajānakārī: mit Wissensklarheit in jede Körperfunktion so eindringen, daß für den Meditierenden der eigene Körper den gleichen Rang erhält wie die übrigen Körper, die wahrgenommen werden; daß der eigene Körper also seiner Vorzugsstellung entkleidet wird und daß dadurch die Gebundenheit zwischen ihm und seinem Körper mehr und mehr aufgehoben wird. Das Ziel ist die Ablösung oder Loslösung vom Leibe.

In genau der gleichen Weise lernt der Meditierende seine eigenen Gefühle und seine eigenen Gedanken den übrigen Dingen der psychischen Welt gleichzustellen, sie sich zu entfremden und sich von ihnen innerlich zu lösen.

Wenn nämlich der Meditierende sein eigenes Gefühl zum Gegenstand seiner Betrachtung macht, wenn er zunächst sich darüber klar wird, welcher Art sein Gefühl ist, ob es ein Lustgefühl oder ein Unlustgefühl oder ein neutrales Gefühl ist, ob es ein fleischliches oder ein nichtfleischliches Gefühl ist; wenn er darüber nachsinnt, aus welcher Ursache es entstanden ist, wie es zunimmt oder abnimmt, wie es zum Schwinden gebracht werden kann; wenn er es vergleicht mit Gefühlen, die er selbst früher einmal gehabt hat, und mit Gefühlen, die andere Wesen zu haben scheinen; dann rückt er damit das Gefühl von sich ab, das Gefühl hört dann mehr und mehr auf, sein eigenes Gefühl zu sein, es kann sein Gemüt nicht mehr ausfüllen und beherrschen, sondern er selbst fängt an, das Gefühl zu beherrschen. Es steht ihm dann als etwas Fremdes gegenüber, er macht sich frei von ihm. Ebenso geschieht es bei der Betrachtung der Gedanken.

AAuf diese Weise gelangt man zu der Einsicht, daß die eigenen Gefühle und Gedanken in der psychischen Welt die gleiche Stellung einnehmen wie der eigene Körper in der Körperwelt.

Wenn wir hier von der psychischen Welt und von psychischen Dingen reden, befinden wir uns in Übereinstimmung mit einer Anschauung, die in der abendländischen Wissenschaft zum ersten Mal im Jahre 1921 von Wilhelm Haas, damals Privatdozent an der Universität Köln, vertreten, aber wenig beachtet worden ist. Haas hat seine Theorie in seinen Schriften "Die psychische Dingwelt" 1921 und "Kraft und Erscheinung" 1922 (Verlag Friedrich Cohen in Bonn) begründet. Er sagt darin (Psych. Dingw. s. 42):

"So wie wir uns in der physischen Welt bewegen, sofern wir physische Wesen sind, ebenso bewegen wir uns in der psychischen Welt als psychische Wesen, und so wie wir in der physischen Welt bald uns selbst wahrnehmen, bald andere physische Dinge, so in der psychischen Welt bald unser eigenes Psychische, bald fremdes oder andere psychische Dinge. Wir sind im Psychischen, und nicht ist das Psychische in uns."

Über die Qualitäten der psychischen Dinge sagt Haas (1.c.S.51): "Jedes psychische Ding besteht aus Gedanken, Gefühl und Eindruckswert. So wie Farben, Tastqualitäten, Töne usw. die Seiten und Qualitäten des physischen Dinges sind und so wie dieses eben nur in ihnen und mit ihnen da ist, so auch setzen Gedanke, Gefühl und Eindruckswert das psychische Ding zusammen, und aus ihnen und mit ihnen besteht es."

Für Qualität schlägt Haas vor (S. 69), bei den psychischen Dingen zu sagen: Weisen, und er nennt deren drei: Gehalt (Gedankengehalt), Haltung (innere Haltung, Gefühl) und Charakter (Eindruckswert). Der Gehalt wird gedacht, die Haltung gefühlt, der Charakter oder Wert gesehen. Denken (des Gehalts), Fühlen (der Haltung) und Sehen (des Wertcharakters) sind "echte psychische Sinnesorgane" (S. 81).

Wir finden hier zum ersten Mal in der abendländischen Wissenschaft eine Anerkennung des sechsten Sinnesorgans der Inder, des Manas, mit dem die Dhammas, die psychischen Dinge, wahrgenommen werden; nur wird dieses Organ von Haas in drei Unterorgane zerlegt. Ob diese Teilung geboten und haltbar ist, mag dahingestellt bleiben. Richtig und wichtig ist jedenfalls die Erkenntnis, daß wir objektiv vorhandene psychische Dinge mit einem (oder mehreren) psychischen Sinnesorganen wahrnehmen.

Mit indischem Denken stimmt Haas weiter darin überein, daß er sagt, wir lebten in der psychischen Welt mit einem psychischen Leib genau so, wie wir in der physischen Welt mit einem physischen Leib leben. Beide sind fest ineinander gebunden, hauptsächlich durch die inneren Organempfindungen einschließlich der Muskel-, Gelenk- und Spannungsempfindungen. Er nennt hier an erster Stelle "die Empfindungen, die deutlich unterscheidbar, wenn auch meist unbeachtet, konstant uns begleiten, z.B. Atmung, Herzschlag, Beugungs- usw. -empfindungen der gewohnten Bewegungen" (S. 167). Es ist nun, sagt Haas, möglich, den psychischen Leib von dem physischen abzulösen (S. 178). Dann entsteht ein Zustand, bei dem "einzig das mit dem psychischen Leib des Ich nur noch ganz entfernt verbundene allgemeine, nicht individualisierte Psychische eine entfernte Beziehung zu dem quasi automatisch funktionierenden lebendigen Organismus des Leibes aufrecht erhält" (S. 179). Diesen Zustand weist Haas bei christlichen Heiligen nach - die buddhistischen kennt er anscheinend nicht - und sein Zustandekommen erklärt er so (S. 183):

"Wenn eine solche Organempfindung (wie die eben genannten) nicht einfach mit ihrer Bedeutung im Psychischen hingenommen wird, so daß in ihr die Zusammengehörigkeit des psychischen und physischen Leibes erfaßt wird, wenn sie vielmehr wie ein physisches Ding schlechthin betrachtet und beobachtet wird, dann verliert sie schließlich ihre ursprüngliche Funktion, das Zusammengehörigkeitsgefühl zieht sich von ihr zurück, und sie kann etwas ganz Fremdes werden, das ich nicht anders wahrnehme und auf das ich nicht anders reagiere wie auf ein physisches Datum der Außenwelt."

Dies ist genau dasselbe, was wir als den Sinn der dritten Übung des Satipatthāna erkannt haben.

Haas findet eine Bestätigung seiner deduktiv abgeleiteten Theorie in der Yogapraxis. Er verweist besonders auf den Hathayoga und sagt: "Es wird im Yoga zuerst und vor allem Wert darauf gelegt, einen möglichst reibungslosen Ablauf sämtlicher Funktionen des Körper zu erreichen. . . Mit einer ans Wunderbare grenzenden Vollständigkeit werden mm sämtliche irgendwie möglichen Empfindungsreize, der Leibesoberfläche und des Leibesinnern, ins Bewußtsein gezwungen und systematisch konzentrierter Beobachtung ausgesetzt. In den zahlreichen Posituren und Bewegungen entstehen alle möglichen Empfindungen der Gelenke, Muskeln, der inneren Organe, die Aufmerksamkeit folgt ihnen, besonders der im Vordergrunde des Interesses stehenden Regulierung des Atems, und in der immer wiederholten Durchführung der Übungen vollzieht sich dem Yogi von selbst die Ablösung vom Körper, der seine Bedeutung im psychischen verloren hat, die Unmittelbarkeit der Verbindung mit ihm ist aufgehoben, und er wird ihm wie ein Ding unter anderen physischen Dingen, vertraut und fremd wie diese." (S. 185)

Die Ablösung auch des psychischen Leibes vom Ich, die im 2. und 3. Hauptteil des Satipatthāna gelehrt wird, erwähnt Haas auch kurz, als Bestandteil des Yoga, er geht aber nicht näher darauf ein. Noch zwei Feststellungen, die Haas macht, sind hier hervorzuheben: "Wir haben es hier (bei der Ablösung des physischen und des psychischen Leibes vom Ich) nicht mit anomalen und pathologischen Phänomenen zu tun" (S. 188) und: "In den erwähnten Fällen der Entwertung und Ablösung des Leibes findet auch niemals eine gewaltsame Beendigung des Lebens statt. Der Selbstmord in jeder Form beweist eben, daß die physische Existenz eine Bedeutung besitzt, und zwar die höchste negative; dagegen lebt der Leib, wo er zu wirklicher Wert- und Bedeutungslosigkeit herabgesunken ist, als nicht der Beachtung würdige ,leere Hülle' weiter" (S. 189). Auch diese beiden Feststellungen stimmen mit der buddhistischen Lehre überein.

Der 4. Hauptteil des Satipatthāna ist ganz anderer Art, als die ersten drei; er ist ein kleiner Katechismus der Buddhalehre, verbunden mit einer Anleitung zur Selbstbeobachtung, zur Selbstprüfung und dadurch zum rechten Lebenswandel. So ist im Satipatthāna alles enthalten, was erforderlich ist, um das höchste Ziel, das Nirvana, zu erreichen, und darum sagt Buddha, es sei der von jedem für sich allein zu gehende Weg zur Läuterung der Wesen, zur Überwindung von Sorge und Jammer, zur Vernichtung von Leid und Kummer, zur Erlangung des rechten Wandels, zur Verwirklichung des Nirvana.


BUDDHA-JHANA UND YOGA-JHANA

 

Ein textkritischer Versuch

 

DDas Vinaya- und das Sutta-Pitaka, die beiden älteren Teile des Tipitaka oder des Pali-Kanons, enthalten neben sehr alten, aus der Lebenszeit Gotamas und seiner unmittelbaren Jünger stammenden Berichten auch viele Zusätze aus späterer Zeit. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Texte mit dem Ziel, diese späteren Zusätze vom echten, alten Stamm der Überlieferung zu scheiden, ist auf buddhistischer Seite noch kaum in Angriff genommenen worden. Den ersten Anlauf dazu hat die englische Forscherin Caroline Rhys Davids unternommen, aber sie ist, ähnlich wie es bei der Bibelkritik im Anfang geschah, zu radikal vorgegangen und hat von der ganzen Masse der überlieferten Schriften fast nichts als echt bestehen lassen. Es ist jedoch nicht zu bestreiten - und ein Vergleich des Pali-Kanons mit den bisher bekannt gewordenen Stücken des Sanskrit-Kanons, die in allem wesentlichen übereinstimmen, beweist es - daß die Bhikkhus, die unsere Texte Wort für Wort im Gedächtnis bewahrten und durch mündlichen Vortrag von Generation zu Generation weitergaben, im allgemeinen dabei sehr zuverlässig und gewissenhaft verfuhren. Man würde ihnen unrecht tun und zu falschen Ergebnissen gelangen, wenn man nicht grundsätzlich alle jene Berichte als echt gelten lassen wollte, die nicht mit Sicherheit oder mit großer Wahrscheinlichkeit als spätere Zutat zu erkennen sind.

Aber auch innerhalb dessen, was als echt anzuerkennen ist, wird man einen Unterschied machen müssen zwischen dem, was von Buddha selbst stammt, und dem, was seine Jünger hinzugefügt haben. Nicht überall wird eine solche Unterscheidung möglich (und nötig) sein, aber es finden sich doch in den alten Texten Stellen genug, bei denen unschwer zu erkennen ist, daß ihr Ursprung nicht bei Buddha selbst, sondern in den Kreisen seiner Jünger zu suchen ist.

Es ist z.B. sicher, daß Buddha alle übertriebene Askese auf Grund seiner eigenen Erfahrung verworfen hat, weil sie ebenso wenig wie die Hingabe an die Genüsse der Sinne zur Befreiung führt (Rede von Benares, Samyutta-Nikaya 56.11); andererseits lebten Mahākassapa, Bakkula und andere Jünger als Waldeinsiedler, mit Lumpen bekleidet, und waren Asketen strengster Observanz. Innerhalb des Buddha-Ordens gab es schon in ältester Zeit Bhikkhus, die solche übertriebene Askese für wichtig und wertvoll hielten und auf die anderen, die sie nicht befolgten, mit Geringschätzung herabsahen. In manchen Texten kommt diese Auffassung deutlich zum Ausdruck. Buddha aber hat - wie andere Texte unzweifelhaft beweisen - diese Wertschätzung der strengen Askese nicht gebilligt; er hat zwar die Askese der Waldeinsiedler nicht verboten oder getadelt, aber er hat erklärt, daß sie für das Fortschreiten auf dem achtfachen Pfad unwesentlich ist.

Ein anderes Beispiel ist die Erkenntniskritik des Mahākaccāna im Majjhima-Nikaya 18. Man braucht nicht zu bezweifeln, daß Buddha die Darlegung Kaccānas gebilligt hat, aber es findet sich m. W. keine Stelle, wo Buddha selbst sich zur Frage der Erkenntniskritik ausführlich ausgesprochen hätte. Es scheint, daß er sie als nicht erforderlich für die Erreichung des Nirvana erachtet hat, zumal da sie für philosophisch weniger vorgebildete Bhikkhus schwer verständlich ist. Diese Lehrrede über die Erkenntniskritik gehört also zwar zum ältesten Bestand der Überlieferung, sie ist altbuddhistisch, aber sie ist kein Buddha-Wort im engeren Sinn.

 

Dieselbe Unterscheidung zwischen echter, alter Überlieferung einerseits und eigentlichem Buddha-Wort andererseits ist auch zu machen bei der Beurteilung derjenigen Jhānas oder Versenkungen, die später "arupajjhānā" oder "abstrakte Versenkungen" genannt wurden. Heiler meint in seiner Schrift "Die buddhistische Versenkung" (S. 45 flg.), sie seien erst später aus der Yoga-Praxis in den Buddhismus eingedrungen, was Seidenstücker in der Abhandlung "Zur Heilslehre des Frühbuddhismus", Schluß-Kapitel, mit dem Hinweis darauf bestreitet, daß das "Gebiet des Nichts" (die 3. Stufe der arūpajjhānā) schon in dem sehr alten Suttanipāta (976, 1070 flg., 1115)) erwähnt wird. Die Frage bedarf einer eingehenden Untersuchung.

Gotama erlernte nach seiner eigenen Angabe (Majjhima-Nikaya 26) die ersten drei Stufen der abstrakten Versenkungen bei dem Yoga-Meister Alāra Kālāma. Dieser zeigte ihm, wie man denkend alle sinnlich wahrnehmbaren Dinge und damit die Mannigfaltigkeit, die Vielheit der Gegenstände, aus seinem Geist entfernt, so daß die reine Form der Anschauung, die Raumvorstellung, übrig bleibt. Nachdem der Meditierende eine Weile diese abstrakte Raumvorstellung, die Vorstellung des unendlichen Raums, festgehalten hat, läßt er sie schwinden, und so entsteht in ihm die Vorstellung von der Grenzenlosigkeit seines Bewußtseins oder Wahrnehmungsvermögens. Ist auch diese Vorstellung verblaßt, als Denkgebilde erkannt und überwunden worden, so hat das Denken überhaupt kein Objekt mehr; der Meditierende befindet sich geistig in dem Gebiet, wo überhaupt nichts ist, oder im Gebiet des Nichts (ākincannyāyatana). Gotama fand dieses Ergebnis ungenügend, wandte sich davon ab (nibbijja) und ging fort.

Dann erlernte er bei Uddaka Rāmaputta, einem anderen Yoga-Meister, noch eine weitere Stufe dieser abstrakten Versenkungen; er kam über das Gebiet des Nichts hinweg zu dem Gebiet, wo weder Wahrnehmung noch Wahrnehmungslosigkeit ist, zum Grenzgebiet von Wahrnehmung und Wahrnehmungslosigkeit. Gemeint ist wahrscheinlich ein geistiger Zustand, bei dem zwar noch das Wahrnehmungsvermögen vorhanden ist, aber keine Wahrnehmung mehr stattfindet, weil sie kein Objekt hat. Auch dies genügte Gotama nicht, und er gab diese ganze Methode der abstrakten Versenkungen nun endgültig auf.

Obwohl hiernach unzweifelhaft feststeht, daß Buddha die abstrakten Versenkungen nach gründlichem Studium als unzweckmäßig abgelehnt hat, werden sie doch an vielen Stellen des Sutta-Pitaka, immer mit denselben Worten, beschrieben und an manchen Stellen noch um eine Stufe weitergeführt bis zur Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung (sannyāvedayitanirodha, M 25) oder zur "gegenstandslosen" oder "merkmallosen" Geistessammlung (animittacetosamādhi, M 121) oder zum Aufhören des Bewußtseins (nirodha, D IX, 17), womit wahrscheinlich immer das gleiche gemeint ist, eben Aufhören des Bewußtseins. Wenn diese Stufe in manchen Textstellen, z.B. M 121, dem Nirvana gleichgestellt wird, so entspricht dies sicherlich nicht dem, was Buddha über das Nirvana gelehrt hat.

 

Von ganz anderer Art sind die Jhānas, die Buddha selbst entdeckt, erprobt und immer wieder seinen Jüngern empfohlen hat. Wie er dazu kam, hat er im Majjhima-Nikaya 36 wiederum selbst berichtet:

Nachdem Gotama die Askese aufs äußerste betrieben und ihre Nutzlosigkeit eingesehen hatte, erinnerte er sich an ein glückliches Jugenderlebnis: Als sein Vater mit Feldarbeit beschäftigt war und Gotama (damals noch Siddhattha genannt) im kühlen Schatten eines Rosenapfelbaums saß, vergaß er alle Wünsche und Sorgen des Alltags und gelangte spontan in die mit Nachdenken und Überlegen verbundene erste Stufe der Versenkung. Jetzt wurde ihm klar, daß dies die bessere, die richtige Art der Versenkung ist, und er übte sie weiter, so daß er nach und nach bis zur vierten Stufe der Versenkung gelangte.

Vergleichen wir diese, von Buddha unzählige Male beschriebenen und gepriesenen vier Stufen der Versenkung mit jenen abstrakten Versenkungen, welche die Yoga-Meister lehrten, so wird der fundamentale Unterschied klar: Die abstrakten Versenkungen, die ich Yoga-Jhānas zu nennen vorschlage, beschäftigen nur die Vernunft, das Denken; sie operieren nur mit abstrakten Begriffen, sie lassen die mit den Sinnen gewonnene Anschauung ganz beiseite, berühren das Fühlen und Wollen des Menschen überhaupt nicht. Dagegen geht die von Gotama entdeckte neue Art der Versenkung von der lebendigen Anschauung aus; hier beginnt die erste Stufe mit einer Meditation über einen konkreten Gegenstand: entweder über den Körper, über die Gefühle, über die Gedanken (als ganz bestimmte, konkrete eigene Erlebnisse) oder mit der Erweckung von selbstloser Liebe, Mitleid, Mitfreude und Gleichmut gegenüber allen Wesen, wobei auch immer die Wesen einzeln oder gruppenweise anschaulich vorgestellt werden, oder über verwesende und zerfallende Leichen oder über einen anderen geeigneten Meditationsgegenstand. Die Meditation bezieht sich jedenfalls nicht auf abstrakte Begriffe, sondern immer auf konkrete Einzeldinge, wozu auch die eigenen seelischen Erlebnisse, die "psychischen Dinge" zu rechnen sind, und ist stets begleitet von Gefühlsregungen und Strebungen. Während der Meditation müssen alle auf die eigene Person direkt oder indirekt bezüglichen Wünsche und alle Gehässigkeiten, alles Übelwollen gegen andere Wesen vollständig beiseite gelegt, abgetan, vergessen werden. Dies ist der Sinn der immer wiederkehrenden Formel "vivicc'eva kāmehi vivicca akusalehi dhammehi". Bei dieser Meditation stellt sich Freude und Wohlbehagen ein (wovon bei den Yoga-Jhānas nie die Rede ist!).

Allmählich kommt das Meditieren und Nachdenken zur Ruhe, und der Geist richtet sich auf nur einen Gegenstand; die Freude und das Wohlbehagen halten an. Dies ist die zweite Stufe. Dann verblaßt die Freude; der sich Versenkende wird gleichmütig und fühlt sich dabei glücklich. Dies ist die dritte Stufe.

Dann schwindet auch die Erinnerung an frühere erfreuliche und unerfreuliche Erlebnisse, der Gleichmut überwiegt mehr und mehr, und schließlich befindet sich der sich versenkende in vollkommen reinem Gleichmut, bei ganz klarem Geist. Dies ist die vierte Stufe.

HHierbei kann der Geist einen Zustand erreichen, der weit höher liegt als das Wachbewußtsein, und zwar so, daß er von dem Zwange der Anschauungsformen Zeit und Raum befreit ist. In diesem überwachen Zustand sind dem sich Versenkenden alle Dinge, die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen, die nahen und die fernen, in gleicher Weise gegenwärtig, sofern er von ihnen Kenntnis nehmen will. Von ihm heißt es: er besitzt das dreifache Wissen. Er überblickt seine eigenen früheren Lebensläufe bis in frühere Weltperioden zurück - nur die eigenen; denn die der anderen Wesen will er gar nicht kennen lernen -; er überblickt das künftige Schicksal anderer Menschen - sein eigenes nicht, da er ja weiß, daß das jetzige Leben sein letztes ist - und er kann die Denkweise, die Gefühle, den Charakter anderer Menschen durchschauen. Damit werden ihm auch die vier edlen Wahrheiten ein inneres Erlebnis.

So hat es Buddha nach seinem eigenen Zeugnis in MMajjhima-Nikaya 36 selbst erlebt, und so wird es auch von seinen zur Heiligkeit gelangten Jüngern berichtet.

DDiese Art der Versenkungen, die ich Buddha-Jhānas nennen möchte, wurde später - niemals in den kanonischen Texten - rūpajjhāna genannt, weil sie dem rūpaloka oder rūpadhātu, der Welt des Gestalthaften oder der Formsphäre, entsprechen. Das bedeutet: der sich Versenkende hat geistig die Welt des Begehrens nach Genüssen der Sinne, den kāmaloka, überwunden und befindet sich in einem Zustand, in dem er die Dinge, welche Objekte seiner sinnlichen Wahrnehmung sein können, ohne jegliche Zuneigung oder Abneigung betrachtet; er ist in wunschlose Betrachtung versunken. Gegenstand der Betrachtung sind immer konkrete Dinge, wozu außer den räumlich ausgedehnten, sichtbaren und tastbaren Dingen auch Töne, Düfte, Säfte und auch die eigenen seelischen Vorgänge, die "psychischen Dinge", zu rechnen sind.

Dagegen wird in den abstrakten Versenkungen, die von den Yoga-Meistern gelehrt wurden und die ich daher die Yoga-Jhānas nenne, nichts Konkretes betrachtet, sondern das Denken richtet sich hier nur auf Abstraktes, auf abgezogene Begriffe, auf Nichtgestalthaftes, "arūpa". Wer die abstrakten Versenkungen übt, lebt im arūpaloka oder arūpadhātu, in der Welt des Nichtgestalthaften oder in der formfreien Sphäre. (Das "Nichtgestalthafte" ist nicht zu verwechseln mit dem "Nichtgestalteten", asankhata, einem Attribut des Nirvana!)

Buddha hat also, wie zuverlässig berichtet wird, die Yoga-Jhānas, die er bei Alāra Kālāma und Uddaka Rāmaputta erlernt hatte, als ungenügend verworfen, dann die Buddha-Jhānas entdeckt, erlebt und immer wieder empfohlen. Kann man hiernach glauben, was im Majjhima-Nikaya 121 berichtet wird? Dort heißt es, Ānanda habe Buddha einst gefragt, ob es richtig sei, daß er, Buddha, früher einmal gesagt habe, er verweile gern in der "Leerheit", sunnyatā. Buddha habe diese Frage bejaht und dann eine Anleitung gegeben, wie man die Yoga-Jhānas üben könne, dieselben Yoga-Jhānas, die er nach dem unverdächtigen Zeugnis von M 26 als ungenügend und unbefriedigend verworfen hat! Mir scheint das ein Widerspruch zu sein, der sich nur dadurch lösen läßt, daß man M 121 für unecht erklärt.

DDer Verfasser dieses Sutta scheint selbst das Gefühl gehabt zu haben, daß die Sache mindestens zweifelhaft ist; denn er läßt Ānanda fragen, ob er richtig gehört habe und das Gehörte richtig behalten habe. Wahrscheinlich hat Ānanda nie so gefragt, und Buddha hat nie so geantwortet, sondern das Sutta M 121 ist eine spätere Einschaltung.

Das unmittelbar folgende Sutta M 122 scheint, wenn man es mit M 121 zusammen betrachtet, eine Erwiderung einer anderen Gruppe von Buddha-Jüngern zu sein, eine Berichtigung von M 121, denn hier wird unter demselben Stichwort "Leerheit", sunnyatā, erklärt, daß die Leerheit durch die vier Stufen der Buddha-Jhānas, nicht durch die Yoga-Jhānas, erlebt werden kann. Die Yoga-Jhānas werden hier überhaupt nicht erwähnt.

Auch diese Gegenüberstellung verstärkt den Verdacht, daß M 121 nicht zum ursprünglichen Bestand der Überlieferung gehört. 'Totzdem ist aber M 121 für das Verständnis der Yoga-Jhānas wichtig; denn es lehrt, wie diese ohne den Umweg über die Buddha-Jhānas unmittelbar vom gewöhnlichen Denken aus zugänglich sind.

Die Darstellung der Yoga-Jhānas in M 121 ist jedenfalls sachgemäßer und richtiger als die Anfügung der Yoga-Jhānas an die vierte Stufe der Buddha-Jhānas, wie wir sie an mehreren Stellen des Dīgha-, des Majjhima- und des Aṅguttara-Nikāya finden. Das Normale ist nämlich, daß mit der vierten Stufe der Buddha-Jhānas das "dreifache Wissen" erreicht wird und daß damit die Versenkung abschließt. Die Anfügung der Yoga-Jhānas an die vierte Stufe der Buddha-Jhānas ist, wie auch Seidenstücker a.a.O. sagt, die Ausnahme, und diese Ausnahmen müssen spätere Zusätze sein.

Es ist m. E. nicht zu bezweifeln, daß die Redaktoren des Tipitaka, die für die jetzt bestehende Fassung verantwortlich sind, niemals die vier Stufen der Buddha-Jhānas erlangt haben und daß sie sich die Buddha-Jhānas nicht einmal psychologisch erklären konnten; denn andernfalls hätten sie nicht die Yoga-Jhānas an die Buddha-Jhānas anhängen können, da beide ganz verschiedene Geistesverfassungen voraussetzen. In den Buddha-Jhānas wird das Bewußtsein gesteigert bis zu einem überwachen Zustande; in den Yoga-Jhānas wird es immer mehr abgeschwächt, bis es schließlich ganz dahinschwindet.

Ganz unglaubwürdig ist auch die Stelle in D XVI, 6, 8-9, wo gesagt wird, vor dem Parinirvana habe Buddha sich zunächst in die Buddha-Jhānas, dann in die Yoga-Jhānas bis zur fünften Stufe, Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung, versenkt, dann habe er die Yoga-Jhānas und die Buddha-Jhānas rückwärts durchlaufen bis zur ersten Stufe, von dieser sei er wieder bis zur vierten Stufe der Buddha-Jhānas aufgestiegen und von hier aus in das Parinirvana eingegangen.

In diese Darstellung eingeschoben ist eine kurze Wechselrede zwischen Ānanda und Anuruddha. Ānanda soll, als Buddha bei der Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung angelangt war, gemeint haben, nun sei er vollkommen erloschen; Anuruddha aber soll ihm erwidert haben, Buddha sei nur zur Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung gelangt. Diese Wechselrede ist, worauf schon Otto Franke in seiner Dīgha-Nikaya-Übersetzung aufmerksam gemacht hat, wahrscheinlich erfunden worden, um ein erstes Beispiel zu geben für die angeblich von Buddha kurz vor seinem Hinscheiden angeordnete neue Anredeform der Bhikkhus. Ānanda redet hier nämlich zum ersten Mal Anuruddha mit "bhante" an und dieser erwidert mit "āvuso". Man sieht hier deutlich, wie eine solche spätere Einschaltung die andere nach sich zieht. Wer den Sinn und die Bedeutung der verschiedenen Jhānas verstanden hat, kann unmöglich annehmen, daß der Bericht von D XVI, 6 zutrifft.

DDie Yoga-Jhānas werden nun aber im Sutta-Pitaka so häufig aufgezählt und beschrieben, daß man annehmen muß, sie seien schon in sehr alter Zeit, wahrscheinlich schon zu Lebzeiten Gotamas, von vielen Bhikkhus geübt worden. Das ist ebenso zu erklären wie die Askese der Waldeinsiedler unter den Buddha-Jüngern. Wir wissen, daß viele von ihnen, darunter Sāriputta, Moggallāna, Vacchagotta, Subhadda und andere, bevor sie in den Buddha-Orden aufgenommen wurden, anderen Philosophenschulen angehört hatten. Dort werden sie beim Yoga-Studium auch die Yoga-Jhānas erlernt haben, die sie dann als Buddha-Jünger beibehielten, wie andere ehemalige Yogins ihre grobe Askese beibehielten. Der Buddha wird das eine wie das andere geduldet, aber sicherlich nicht empfohlen haben.

Ebenso verhält es sich mit den Kasina-Übungen, den Vimokhas und den Abhibhāyatanas. Ich kenne keine Stelle, in der gesagt wird, Buddha habe sich mit solchen Übungen abgegeben. Nirgends werden sie als Bestandteile des achtfachen Pfades bezeichnet. Sie sind es sicherlich nicht, sondern nur zugelassene, aber nicht von Buddha gelehrte Meditationsmethoden. Sie sind, wie die Yoga-Jhānas, alt, älter wahrscheinlich als der Buddhismus, aber nicht eigentlich buddhistisch.


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