Leer ist die Welt

MYSTIK IM BUDDHISMUS?

 

Buddhalehre und Theosophie

 

"Die Buddhalehre enthält keine Spur von Mystik", sagt Georg Grimm im "Buddhistischen Weltspiegel" II, 212 (1921); Bernardus Jasink dagegen vertritt in seinem Buch "Die Mystik des Buddhismus" (Leipzig 1922) die Ansicht, der Buddhismus sei seinem Wesen nach Mystik. Das eine scheint das andere auszuschließen, und doch können beide Behauptungen nebeneinander zu Recht bestehen; denn das Wort Mystik ist mehrdeutig. Grimm versteht unter Mystik eine innere Erleuchtung, die der ganzen Art nach von der normalen Wahrnehmung verschieden sein und demgemäß auch durchaus anders gerichtete Erkenntnisresultate zeitigen soll. Er weist nach, daß dieser Begriff der Mystik dem Buddhismus fremd ist. Für Jasink ist Mystik etwas ganz anderes, nämlich eine Unterart der Religion. Er sagt, es gebe eine dynamische Auffassung der Religion, die es zur Pflicht mache, alle Kraft anzuspannen, um zur Vereinigung mit Gott zu kommen, und eine statische, die den Glauben als das einzig Erforderliche betrachte. Diese sei bei uns im Westen allmählich zur einzigen Religion geworden, während jene mit dem Namen Mystik bezeichnet werde. Von dieser Definition aus mußte Jasink zu einem andern Ergebnis kommen als Grimm.

Es scheint im Wesen der allumfassenden Buddhalehre zu liegen, daß sich die Menschen, die sich um ihre Auslegung bemühen, je nach ihren Anlagen und ihrer geistigen Entwicklung, mit der sie an die Lehre herantreten, in verschiedene Lager spalten müssen. Wie sich schon in der ältesten Zeit, wahrscheinlich schon zu Lebzeiten Gotamas, verschiedene Sekten im Buddhismus bildeten, so entstehen auch jetzt, bei der Wiedergeburt des Buddhismus im Abendlande, fortwährend neue Richtungen unter seinen Anhängern. Die von der modernen Naturwissenschaft Ausgehenden sammeln sich um die Siamesische Schule, der in Deutschland die von Dahlke gegründete neubuddhistische Richtung entspricht; auf dem Boden des amerikanischen Pragmatismus erwuchs der eklektische Buddhismus des Deutsch-Amerikaners Paul Carus; vom Studium des Yoga aus gelangte Hermann Beckh zu der Auffassung, daß das Wesen des Buddhismus in der Versenkung, im Jhāna, liege; die strenge Schulung des Denkens durch Kant und Schopenhauer befähigte Georg Grimm, die Buddhalehre als die Religion der Vernunft zu erfassen; und theosophische Vorbildung führte Jasink zu seiner "Mystik des Buddhismus".

Auch Jasink hat manches Wertvolle zum Verständnis des Buddhismus beigesteuert, und es verlohnt sich, sein Buch ohne Voreingenommenheit zu prüfen. Als Maßstab hat dabei die im Vinaya- und Sutta-Pitaka niedergelegte Überlieferung zu gelten, die trotz mancher ihr anhaftenden Mängel doch zweifellos die ursprüngliche Buddhalehre am reinsten von allen uns bis jetzt bekannten Quellen darstellt.

Jasink kommt von der Theosophie der Frau Blavatzky. Es ist hier nicht zu untersuchen, welchen Wahrheitsgehalt die Theosophie hat. Titthatu - "das mag dahingestellt bleiben" - würde Buddha sagen. In einem Buch über Buddhismus, das Jasink schreiben wollte, hat sie nur soweit Berechtigung, als sie mit der Lehre Buddhas in Einklang steht. Abzulehnen sind darum Behauptungen wie diese: "Nirvana ist die Welt der Ursachen" (S. 125) und: "In dem Nirwana scheinen die Konstituenten des menschlichen Seelenlebens, Denken, Fühlen, Wollen, fortzubestehen und sogar in gesteigerter Form" (S. 117). In Udāna VIII, 1-4 ist deutlich gesagt, daß das Nirvana jenseits der Kausalität liegt, und in Anguttara-Nikaya IX, 34, daß im Nirvana keine Empfindung und keine Wahrnehmung vorhanden ist.

Verfehlt ist vor allem die Gleichsetzung der drei Welten des Buddhismus - Kāma-, Rūpa-, Arūpa-Welt - mit den drei Ebenen oder Welten der Theosophie - Außen-, Astral-, Mental-Welt. Diese Gleichsetzung ist schon methodisch verfehlt: man kann Unbekanntes nicht dadurch erklären, daß man es auf ein anderes Unbekannte zurückführt. Mögen auch die theosophischen Ebenen für Jasink als Theosophen feststehende Tatsache sein, für andere sind sie durchaus problematisch.

Die Gleichsetzung ist aber auch sachlich verfehlt; denn erstens gibt es im älteren Buddhismus keine "drei Welten" (siehe S. 90f), und zweitens decken sich die drei Welten des späteren Buddhismus keineswegs mit den drei Ebenen der Theosophie. Die drei Arten des Selbst aber, die im Potthapādasutta (D IX) erwähnt werden und die sich vielleicht mit den drei Ebenen vergleichen lassen, sind nicht buddhistisch. In D IX, 24 sagt Buddha ausdrücklich, daß Potthapāda, der von den drei Arten des Selbst redet, auf dem Boden einer anderen Lehre steht. In D IX, 21-23 erklärt Buddha, er lasse es dahingestellt sein - titthatu - ob es die drei Arten des Selbst gebe. In D IX, 39 gibt er zwar eine Begriffsbestimmung der drei Arten des Selbst, aber offenbar nur, um auf die Denkweise des Potthapada einzugehen und ihm den Weg zur Erlösung zu zeigen. In 43-46 sagt er ausdrücklich, daß es sich bei der Annahme der drei Arten des Selbst nur um eine Fiktion des Potthapāda und seiner Gesinnungsgenossen handelt. Jasink scheint das übersehen zu haben. Wenigstens stellt er es auf Seite 150 so dar, als ob die drei Arten des Selbst, "die selbstverständlich mit den drei Welten korrespondieren", buddhistisch seien. Zehn Seiten vorher hatte er ganz richtig betont, daß im Potthapādasutta von "drei falschen, nur so angenommenen Selbsten" die Rede ist. Er meint aber, daß Buddha nur das Identifizieren des eigentlichen Selbst mit jenen falschen abgelehnt habe, und hält die Theorie von den drei Arten des Selbst an sich für buddhistisch.

Ebensowenig wie in diesen Zusammenhang gehören die drei Ebenen der Theosophie in die Lehre vom achtfachen Weg, wo sie Jasink auch wiederzufinden glaubt; auch zur Erklärung der Erinnerung an frühere Geburten sind sie nicht zu verwenden, wie es Jasink auf S. 239 tut, indem er sagt: "Vergessen wir nicht, daß die ganze Entwicklung des Heilsweges auf Bewußtwerdung abzielt und daß die Innenwelt die Außenwelt sozusagen übergreift; das menschliche ,Selbst' dieser Innenwelt überdauert die Geburten in der Sinnenwelt, und mit der Bewußtwerdung der Innenwelt, d.h. mit der Identifikation mit dem zu dieser Innenwelt gehörigen Selbst, erhält der Jünger das Gedächtnis des Selbstes, das sich über den ganzen Sansāra erstreckt."

Da die drei Ebenen mit der Lehre Buddhas nun einmal nichts zu tun haben, so können sie auch nichts beitragen zur Aufhellung des Paticcasamuppāda, der "Kette der Abhängigkeitsverhältnisse", bei deren Auslegung Jasink sich im wesentlichen Hermann Beckh anschließt.

Soviel von der Vermischung der Theosophie mit dem Buddhismus, die sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk hindurchzieht. Die theosophische Einstellung hat aber - und das verdient Anerkennung - Jasink nicht gehindert, tief in den Geist der Buddhalehre einzudringen. Besonders wertvoll ist, daß er die große Bedeutung des achtfachen Weges richtig erkannt hat und ihn, wie vor ihm schon Beckh, zur eigentlichen Grundlage der ganzen Darstellung des Buddhismus gemacht hat. Darin befindet er sich ohne Zweifel in Übereinstimmung mit Buddha selbst, der nach dem Bericht des Mahāparinibbānasutta seinem letzten unmittelbaren Jünger Subhadda gegenüber den edlen achtfachen Weg als das Entscheidende für die rechte Lehre bezeichnet hat.

Außerdem finden sich in Jasinks Werk auch treffliche Ausführungen allgemeiner Art über das Wesen der Religion, die an manchen Stellen geradezu epigrammatische Gestalt annehmen, wie beispielsweise dieser Satz (S. 339): "Die Religion ist - negativ gesehen - das Vermögen der Verzichtleistung auf das weltliche Leben, weil sie - positiv gesehen - die Besitzergreifung des Überweltlichen bedeutet."

Zusammenfassend ist zu sagen: Jasinks Werk ist eine achtbare selbständige Leistung, ein auf umfassender Kenntnis der Übersetzungsliteratur beruhender Versuch, den Geist der Buddhalehre in ihrer Tiefe zu erfassen. Die Hereinziehung theosophischer Vorstellungen verdunkelt zwar hier und da das Verständnis, statt es aufzuhellen, aber die Abirrungen, die dadurch bedingt werden, sind nicht von entscheidender Bedeutung, ebensowenig wie die Bezeichnung des Buddhismus als Mystik, unter der Jasink nichts anderes versteht als - im Anschluß an Heiler, aber über dessen Definition hinausgehend - den Gegensatz zur Offenbarungsreligion.

 

 


IRONIE UND HUMOR IN GOTAMAS REDEN

 

Gotama, der Buddha, war auch in der Redekunst Meister. Seine Zeitgenossen sagten von ihm, seine Rede sei inhaltreich, klar und bestimmt, ihrem Gegenstand angemessen und gelegentlich mit Gleichnissen geschmückt; er spreche gut, seine Sprache sei fein und elegant, fließend, klangvoll und deutlich (D I,1,9 und IV, 6). Daß er, wo es am Platz war, auch mit Ironie und Humor redete, wird zwar nicht ausdrücklich bezeugt, aber wir dürfen es im voraus als sicher annehmen, denn das "Ridendo dicere verum" kann einem so großen Meister der Redekunst, wie Gotama war, nicht fehlen, und es finden sich in den überlieferten Reden Gotamas in der Tat mehrere Stellen, in denen Ironie und Humor deutlich zutage treten.

Seidenstücker hat einmal, im "Buddhistischen Weltspiegel" III, Seite 34 vom Juli 1921, die Frage aufgeworfen, ob wir überhaupt mit Sicherheit sagen können, daß Buddha mit Humor geredet habe, und ob nicht vielleicht "etwas, was wir heute fraglos als Humor ansprechen, unter anderen Zeit- und Kulturverhältnissen und bei einer Hörerschaft, deren geistiger Werdegang auf wesentlich anderen Voraussetzungen, als es bei uns in der Gegenwart der Fall ist, sich aufbaut, gar nicht als Humor, sondern möglicherweise als tiefer Ernst aufgefaßt und aufgenommen wird." Diese Möglichkeit ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, aber es gibt doch gewisse Kriterien für Ironie und Humor, die in der Natur der Sache begründet und deshalb von den Zeitumständen unabhängig sind, also für alle Zeiten gelten.

Diese Kriterien hat Schopenhauer im 2. Bande seines Hauptwerks, 1. Buch, 8. Kapitel, klar formuliert, indem er sagt:

"Das absichtlich Lächerliche ist der Scherz: er ist das Bestreben, zwischen den Begriffen des anderen und der Realität, durch Verschieben des einen dieser beiden, eine Diskrepanz zuwege zu bringen; während sein Gegenteil der Ernst in der wenigstens angestrebten genauen Angemessenheit beider zueinander besteht.

"Versteckt nun aber der Scherz sich hinter den Ernst, so entsteht die Ironie: z.B. wenn wir auf die Meinungen des anderen, welche das Gegenteil der unsrigen sind, mit scheinbarem Ernst eingehen und sie mit ihm zu teilen simulieren; bis endlich das Resultat ihn an uns und ihnen irre macht.

"So verhielt sich Sokrates dem Hippias, Protagoras, Gorgias und anderen Sophisten, überhaupt seinem Kollokutor gegenüber.

"Das Umgekehrte der Ironie wäre demnach der hinter den Scherz versteckte Ernst, und dies ist der Humor. . .

"Die Ironie ist objektiv, nämlich auf den anderen berechnet; der Humor aber ist subjektiv, nämlich zunächst nur für das eigene Selbst da. Demgemäß finden die Meisterstücke der Ironie sich bei den Alten, die des Humors bei den Neueren. Denn näher betrachtet, beruht der Humor auf einer subjektiven, aber ernsten und erhabenen Stimmung, welche unwillkürlich in Konflikt gerät mit einer ihr sehr heterogenen, gemeinen Außenwelt, der sie weder ausweichen noch sich selbst aufgeben kann, daher sie, zur Vermittlung, versucht, ihre eigene Ansicht und jene Außenwelt durch dieselben Begriffe zu denken, welche hierdurch eine doppelte, bald auf dieser, bald auf der anderen Seite liegende Inkongruenz zu dem dadurch gedachten Realen erhalten, wodurch der Eindruck des absichtlich Lächerlichen, also des Scherzes entsteht, hinter welchem jedoch der tiefste Ernst versteckt ist und durchscheint."

Wenn wir uns an diese Begriffsbestimmung Schopenhauers halten, haben wir einen sicheren Maßstab, um zu beurteilen, ob wir berechtigt sind, Äußerungen Gotamas als Ironie oder Humor aufzufassen. Wenden wir also, um ein Beispiel zu geben, Schopenhauers Definition auf das Devadahasutta, M 101, an! Es ist die Rede, die Gotama in dem Marktflecken Devadaha hielt. (Neumann übersetzt den Ortsnamen mit "Götterlache"; man könnte ihn vielleicht besser mit "Engelsteich" oder "Geisterweiher" verdeutschen, läßt ihn aber am besten unübersetzt.)

Um diese Rede recht zu verstehen, muß man sich daran erinnern, daß der Hauptkonkurrent, mit dem der Buddha-Orden zu kämpfen hatte, der noch heute in Indien wirkende Mönchsorden der Jinisten war. Sie nannten sich selbst Niganthas, die Fessellosen, und ihr Meister war Nāthaputta, der den Titel Mahāvīra, der große Held, und Jina, der Sieger, führte - wie Gotama der Buddha, der Erwachte, genannt wurde. Nach dem "Jina" werden sie Jinisten genannt. (Meist nennt man sie in der indischen Form "Jainas", aber dann müßte man konsequenterweise die Buddhisten "Bauddhas" nennen; da wir aber nach deutscher, überhaupt nach europäischer Sprechweise "Buddhisten' sagen, sollten wir ebenso jene als "Jinisten" bezeichnen.)

Die Jinisten-Mönche unterzogen sich und unterziehen sich noch heute einer qualvollen Askese, durch die sie sich von den Folgen ihres früheren Karmas reinigen zu können glauben. Wie aus vielen Stellen des Pali-Kanons zu ersehen ist, hat Buddha öfter vergeblich, versucht, ihnen klar zu machen, daß ihre Selbstquälerei auf einer irrigen Voraussetzung beruht und zwecklos ist. Die irrige Voraussetzung ist ihre Auffassung der Karmalehre. Gotama fragte sie, woher sie denn wüßten, daß sie in einem früheren Leben diese oder jene böse Tat getan haben, die sie jetzt durch ihre Selbstkasteiung abbüßen müssen; und ferner, woher sie denn wüßten, daß man nach Belieben die Folgen früherer böser Taten durch ein bestimmtes Verhalten im gegenwärtigen Leben erledigen könne. Die Jinisten wußten darauf keine Antwort zu geben und beriefen sich einfach auf das Wort ihres Meisters, des Jina, der sich selbst und den sie für allwissend hielten. Buddha aber lehrte, daß man über das Reifen der Taten -kammavipāka - in Anwendung auf den Einzelfall überhaupt nichts wissen kann und daß alles Grübeln darüber nur zu Wahnsinn und Geistesverwirrung führt. (A IV, 77.)

Nachdem nun Gotama wiederholt beobachtet hatte, daß die Jinisten unbelehrbar und von ihrer Selbstquälerei nicht abzubringen waren, sagte er in jenem Marktflecken Devadaha - nicht zu ihnen, sondern zu seinen eigenen Bhikkhus, denen er über seine vergeblichen Unterredungen mit den Jinisten berichtete:

"Wenn die Qualen, die ein Wesen jetzt erleidet, durch bestimmte böse Taten in einem früheren Leben verursacht sind, dann müssen die Jinisten in ihrem früheren Leben große Übeltäter gewesen sein, da sie jetzt so schlimme Qualen erdulden."

Schon dieser Satz ist sicherlich ironisch gemeint; denn Gotama geht mit scheinbarem Ernst auf die Theorie der Jinisten ein und zeigt, zu welchem lächerlichen Resultat sie führt. Um aber die Ironie noch greifbarer zu machen, fährt Gotama fort:

"Wenn aber ein Weltschöpfer darüber entscheidet, ob die Wesen ein glückliches oder ein qualvolles Leben führen, dann müssen die Jinisten von einem bösen Schöpfer geschaffen worden sein, da sie jetzt so schlimme Qualen erdulden." Und ferner:

"Wenn der Zufall darüber entscheidet, dann haben die Jinisten durch Zufall ein schlechtes Los gezogen; wenn die Geburt in einer bestimmten Kaste darüber entscheidet, dann sind die Jinisten in einer schlechten Kaste geboren worden; und wenn schließlich das Verhalten im gegenwärtigen Leben darüber entscheidet, dann müssen sie sich in ihrem gegenwärtigen Leben recht übel benommen haben. Welche Theorie man auch zugrunde legt: die Theodizee, den Fatalismus, die Kastenordnung oder den Glauben an eine immanente Gerechtigkeit - in jedem Falle ist das Resultat für die Jinisten unsinnig."

Die vier letzten Theorien werden von den Jinisten gar nicht vertreten; man könnte sie nur für die Selbstquälerei zur Begründung heranziehen, und manche Asketen begründeten ihre Kasteiungen tatsächlich mit der einen oder anderen dieser Theorien und tun es noch heute in Indien. Daß Gotama sie alle nacheinander anführte, um jedesmal die Lächerlichkeit des Resultats deutlich zu machen, ist ein sicheres Merkmal dafür, daß diese ganze Aufzählung ironisch gemeint ist.

[Wunder]

Bekannter als das Devadahasutta ist das Kevattasutta, D.11, mit seiner feinen, zugleich vernichtenden Ironie. Dem Bürger Kevatta oder Kevaddha, der gewünscht hatte, daß ein Bhikkhu ein Wunder verrichtete, um den Glauben an den Buddha-Orden zu stärken, erwiderte Gotama, er halte nichts von den gewöhnlichen Wundertaten, die auf magischen Fähigkeiten oder auf Gedankenlesen beruhen, sondern empfehle nur das Wunder der Lehre. Die Bhikkhus sollen nur die wahre Lehre verbreiten, das sei das einzige Wunder, das Wert habe. Da erzählte er dem Bürger Kevatta folgende Geschichte:

Ein Bhikkhu, der gern wissen wollte, wo die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft restlos verschwinden, wandte sich mit dieser Frage an die himmlischen Wesen, die Devas, erhielt aber keine Antwort und wurde von einer Devaklasse immer an eine höhere verwiesen, bis er schließlich seine Frage den höchsten, den Brahma-Göttern, vorlegte. Aber auch diese erklärten sich für unfähig, die Frage zu beantworten, und sagten ihm: Da ist doch noch der große Brahma, der Allwissende, der Schöpfer und Lenker der Welt, der wird es wohl wissen. Endlich erscheint Brahma, und der Bhikkhu sagt zu ihm: "Lieber Freund, wo finden die vier Elemente restlos ihr Ende?" Brahma antwortet: "Ich bin Brahma, der große Brahma, der Allmächtige, der Unübertroffene, der Allwissende, der Herr der Welt, der Meister, der Schöpfer, der höchste Herrscher, der Lenker der Geschicke, der Vater alles Gewordenen und Zukünftigen." Der Bhikkhu aber spricht: "Lieber Freund, ich frage dich, ja nicht nach allen deinen Eigenschaften und Ehrennamen, sondern ich frage dich, wo die vier Elemente vergehen." Brahma sagt nun wiederum alle seine Titel her. Da fragt ihn der Bhikkhu zum dritten Mal, und nun faßt ihn Brahma am Arm, führt ihn beiseite und sagt "Bhikkhu, hier diese Götter der Brahma-Welt denken, es gebe nichts, was Brahma nicht sehe und wisse, und nichts, was ihm nicht offenbar wäre. Auch ich weiß nicht, wo die vier Elemente vergehen, ohne einen Rest zurückzulassen. Darum ist es falsch und nicht wohlgetan von dir, daß du den Erhabenen umgingst und woanders eine Lösung dieser Frage suchtest. Gehe zum Erhabenen, lege ihm deine Frage vor und halte dich an das, was er dir antwortet!" Der Bhikkhu geht dann zu Buddha, und dieser erklärt ihm, daß die Frage falsch gestellt ist, wie sie richtig gestellt werden muß und wie sie zu beantworten ist.

Mit scheinbarem Ernst geht Gotama hier auf den Gottesglauben des Volkes ein, jedoch so, daß zum Schluß der Zuhörer selbst über seinen höchsten Gott Brahma lachen muß. Insoweit finden wir hier Ironie. Dann aber kehrt sich das Verhältnis von Scherz und Ernst um: schon die respektlose, vertrauliche Anrede "lieber Freund", die sich der Bhikkhu dem großen Brahma gegenüber erlaubt, wirkt auf den Zuhörer erheiternd. Vollends scherzhaft aber wird die Situation, wo Brahma den Bhikkhu am Arm aus der Nähe der Brahmagötter wegführt, um ihm unter vier Augen zu gestehen, daß er in Wirklichkeit nicht allwissend ist, wie die Götter und Menschen glauben, und Buddha den Vorrang einzuräumen. Hier verbirgt sich hinter dem Scherz der tiefe Ernst: der richtige Gebrauch der menschlichen Vernunft, so wie ihn Buddha lehrt, übertrifft alles Wissen der Götter. Liegt darin nicht, nach Schopenhauers Definition, unverkennbar Humor?

 

Dann die Erzählung von der Hausfrau Vedehika in Sāvatthī im Kakacūpamasutta, M.21: Es war da ein Bhikkhu, der leicht in Zorn geriet. Buddha ließ ihn kommen, wies ihn zurecht und erzählte darauf seinen Bhikkhus folgende Geschichte:

In Sāvatthī lebte einst eine Hausfrau namens Vedehikā, die als sanft und friedfertig bekannt war. Sie hatte eine fleißige und tüchtige Magd namens Kālī, die Schwarze. Diese hatte den Einfall, ihre Herrin einmal auf die Probe zu stellen, ob sie wirklich so sanft und friedfertig sei, wie man allgemein glaubte. Deshalb schlief sie bis in den hellen Tag hinein und vernachlässigte ihre Arbeit, um die Frau Vedehikā zu reizen. So gelang es ihr wirklich, ihre Herrin zu erzürnen. Zuerst machte Vedehikā ihr nur Vorwürfe wegen ihrer Nachlässigkeit. Die Magd wurde aber immer träger und widerspenstiger und brachte es dahin, daß Frau Vedehikā schrie und schimpfte und ihr schließlich einen spitzen Türriegel an den Kopf warf und sie schwer verwundete. Nun lief die Magd mit blutendem Kopf zu den Nachbarinnen und rief: "Seht, das hat die angeblich so sanfte und friedfertige Frau Vedehikā getan!" Dadurch kam die Frau in den schlechten Ruf, heftig und jähzornig zu sein.

Diesem humoristischen Gleichnis ließ Buddha noch weitere, aber ernste Gleichnisse folgen, deren letztes, das von der Säge, dem Sutta den Namen gab: "Selbst wenn euch Mörder mit einer Säge Glied für Glied vom Leibe trennten, würde der, welcher darüber in Zorn geriete, nicht nach meiner Weisung handeln. Ihr müßt euch vielmehr auch in solchem Falle so üben: Nicht soll unser Gemüt voll Unmut werden, kein böses Wort wollen wir ausstoßen, freundlich und gütig wollen wir bleiben, liebevoll gesinnt, ohne heimlichen Haß, und diesen Menschen wollen wir mit gütigem Geiste durchdringen, und von ihm ausgehend die ganze Welt durchdringen mit gütigem, unermeßlichem, von Feindseligkeit und Übelwollen freiem Geist!"

Hier ist die Wirkung des Humors noch gesteigert durch den Kontrast zwischen der lächerlichen, auf ihren guten Ruf bedachten und doch so reizbaren Bürgersfrau und der ernsten Mahnung zur Friedfertigkeit auch unter Mörderhänden.

 

Auch mythologische Stoffe benutzte Gotama gelegentlich zu humoristischen Darstellungen. So wird in S XI, 3, 2 berichtet, daß er folgende Geschichte erzählt habe: Einst hatte sich ein häßlicher, verwachsener Dämon auf den Thron des Götterkönigs Sakka (oder Indra) gesetzt. Die Devas gerieten darüber in Aufregung und Zorn. Je mehr sie aber zürnten, um so schöner und stattlicher wurde der Dämon, der sich von dem Zorn anderer Wesen mästete. Darauf riefen sie Indra herbei, und dieser trat vor den Dämon, beugte vor ihm das Knie, legte die Hände zusammen, neigte sein Haupt und sprach: Gnädiger Herr, ich der Götterkönig Indra, bin dein untertänigster Diener. Das wiederholte er mehrmals, und jedesmal wurde der Dämon kleiner und häßlicher, bis er schließlich ganz verschwand. Indra empfahl darauf in zwei Strophen den Devas Sanftmut, Nachgiebigkeit und Milde; sie lauten:

 

 

Für uns heutige sind Indra und der Dämon ferne und blasse mythologische Gestalten; für Gotama aber und seine Zuhörer waren Devas und Dämonen Realitäten, die ihnen leibhaftig vor Augen standen. Darum war der vor dem Dämon demütig kniende Götterkönig Indra für sie ein viel lächerlicheres Bild als für uns. Und wenn Seidenstücker recht hat, daß die Entscheidung darüber, ob etwas als Humor oder als Ernst aufzufassen ist, von den Zeit- und Kulturverhältnissen abhängt, so muß in diesem Fall die humoristische Wirkung des Gleichnisses, als Gotama es vortrug, viel stärker gewesen sein, als es uns heute erscheint. Gerade dieses Beispiel scheint mir noch besser als die anderen zu beweisen, daß Gotama die Wirkung des lächerlichen beabsichtigt und wohl berechnet hat, um den dahinter versteckten Ernst, die Mahnung zu Sanftmut und Nachgiebigkeit, um so eindringlicher darzustellen.

 

Wenn Gotama seine Jünger ermahnte, sich nicht mit leerem Geschwätz abzugeben, pflegte er die Gesprächsgegenstände, die eines Edlen unwürdig sind, in einer immer wiederkehrenden, festen Reihenfolge aufzuzählen, um diese Reihenfolge begann so: "Könige, Gauner, Minister, Kriegsheere, Gefahren, Krieg, Speisen, Getränke usw." Die Zusammenstellung "Könige, Gauner (oder: Diebe, Räuber), Minister" kann auch vor 2500 Jahren nur ironisch gemeint und als Ironie verstanden worden sein. Im Zweifel kann man wohl nur darüber sein, ob hier die Albernheit der politischen Kannegießerei ironisiert werden sollte oder ob sich die Ironie gegen den Geltungsanspruch der oft moralisch minderwertigen Machthaber - Könige und Minister - richtete, die mit den illegitimen Machthabern, den Räubern und Dieben, sozusagen auf eine Stufe gestellt werden. Vielleicht war beides zugleich beabsichtigt; mit einem Schlage wird das politische Geschwätz und sein vornehmster Gegenstand lächerlich gemacht.

"Tiefen Humor" glaubte Karl Eugen Neumann im Abschluß des Suttas M 123 zu sehen, in dem Ausspruch Buddhas:

"Ānanda, dies merke dir als eine erstaunliche und wunderbare Eigenschaft eines Vollendeten: einem Vollendeten entstehen die Empfindungen bewußt, bewußt bleiben sie, bewußt verschwinden sie; bewußt entstehen ihm die Wahrnehmungen und die Begriffsbildungen, bewußt bleiben sie, bewußt verschwinden sie. Dies merke dir als eine erstaunliche und wunderbare Eigenschaft eines Vollendeten."

Was ist hieran scherzhaft? Wenn man bedenkt, daß Empfindungen, Wahrnehmungen und Begriffsbildungen beim Menschen sonst immer unterhalb der Schwelle des Bewußtseins auftreten, da sind und verschwinden und daß sonst immer nur ihr Resultat als fertige, mehr oder weniger klare Begriffe im Bewußtsein erscheint, so wird man nicht bestreiten können, daß die Fähigkeit, das Zustandekommen, Vorhandensein und Dahinschwinden der Empfindungen, Wahrnehmungen und Begriffsbildungen bei sich selbst zu beobachten, erstaunlich und wunderbar ist. Buddha bekundete hier, daß er einen psychologischen Scharfblick und Tiefblick besaß, wie kein anderer Mensch. Diese Eigenschaft ist in der Tat erstaunlicher und wunderbarer als alle die legendarischen Wundergeschichten, die Ānanda vorher von der Geburt Gotamas erzählt hatte.

Der übrige Inhalt von M 123 ist nämlich legendarische Dichtung. Einige Bhikkhus hatten sich, so wird hier berichtet, über die erstaunlichen geistigen Fähigkeiten Buddhas unterhalten, als Gotama zu ihnen kam und sich nach ihrem Gespräch erkundigte. Darauf trug Ānanda die Legende von der wunderbaren Geburt Gotamas vor, indem er 19mal, bei jeder Einzelheit, versicherte, er habe dies alles aus dem eigenen Munde des Erhabenen gehört. Schon die immer wiederholte Berufung auf Aussprüche Gotamas läßt erkennen, daß der Verfasser dieses Suttas eine Anzweiflung seiner Legende befürchtete.

Soll man glauben, daß diese Legende sich schon zu Gotamas Lebzeiten gebildet hat und daß Gotama selbst sie, vielleicht lächelnd, mit anhörte? Dann wäre es allerdings verständlich, daß Gotama, als Ānanda seine Wundergeschichten beendet hatte, zu ihm sagte: "Als wirklich erstaunlich und wunderbar merke dir lieber, daß ich als ein Vollendeter die Empfindungen, Wahrnehmungen und Begriffsbildungen bewußt bei mir kommen, bleiben und vergehen sehe." Womit er, ohne Ānanda zu verletzen, seine fromme Dichtung als unwesentlich beiseite geschoben hätte. Aber auch in diesem Fall kann ich hier keine Spur von Humor entdecken, sondern höchstens Ironie. Seinem Inhalt nach ist der Ausspruch durchaus ernst, aber in seiner Stellung als Abschluß der Legendenerzählung Ānandas liegt eine Kontrastwirkung, die - um Schopenhauers Worte zu gebrauchen - als Resultat Ānanda an Gotama und an seiner eigenen Legendenerzählung irre macht. Dies alles unter der, allerdings unwahrscheinlichen, Voraussetzung, daß das Sutta echt und nicht vielmehr eine spätere Dichtung ist mit dem Zweck, die inzwischen entstandene Legende durch Eingliederung in das Suttapitaka nachträglich zu beglaubigen. Ist es aber eine spätere Dichtung, so macht der wirkungsvolle ironische Abschluß der Kunst des Verfassers alle Ehre.


BUDDHA UND DIE FRAUEN

 

Ein unechtes Buddha-Wort

 

Buddha soll kurz vor seinem Hinscheiden auf die Frage seines dienenden Begleiters Ānanda, wie sich die buddhistischen Mönche, die Bhikkhus, den Frauen gegenüber verhalten sollen, geantwortet haben: "Nicht anschauen!" Auf die weitere Frage, wie sie sich verhalten sollten, wenn es doch zum Blickewechseln gekommen sei, soll er geantwortet haben: "Keine Unterhaltung beginnen!" Und auf die dritte Frage, was sie tun sollten, wenn es doch zu einem Gespräch gekommen sei: "Besonnenheit bewahren!"

So steht es im Mahāparinibbānasutta, dem großen Bericht über die letzte Lebenszeit und den Tod Buddhas. Die Stelle ist unecht, eine Einschiebung aus einer viel späteren Zeit. Das läßt sich beweisen.

Verdächtig ist zunächst der Platz, an dem die Worte stehen. Unmittelbar vorher wird berichtet, wie Buddha auf die Klage Ānandas, daß die Bhikkhus nach dem Parinirvana, dem Hinscheiden, des Vollendeten keinen Sammelpunkt mehr haben würden, die vier Wallfahrtsstätten bezeichnet, an denen fromme Pilger später zusammenströmen werden - seine Geburtsstätte, der Bodhi - Baum, unter dem er zum Erwachen gelangt ist, der Gazellenhain Isipatana bei Benares, wo er seine erste Rede hielt, und der Salawald bei Kusinārā wo er zum Parinirvana einging - und unmittelbar nachher wird berichtet, wie Buddha seine Jünger bittet, sich um die Bestattungsfeier für ihn keine Sorge zu machen, sondern sie den Laien zu überlassen. Diese beiden Gedankenreihen schließen sich zwanglos aneinander, die Anweisung über den Umgang mit Frauen stört den Zusammenhang. Schon dies macht es wahrscheinlich, daß die Stelle nachträglich eingefügt worden ist.

Solche späteren Einschaltungen finden sich gerade im Mahāparinibbānasutta mehrere. (Vgl. "Geschichte und Legende im MPNS" in diesem Buch!) Es wäre also nicht weiter auffällig, wenn auch die Worte über den Umgang mit Frauen späterer Zusatz wären. Daß sie es tatsächlich sind, ergibt sich zweifelsfrei aus einer Untersuchung des Textes. Er lautet:

Katham mayam bhante mātugāme patipajjāmāti. Adassanam ānandā ti. Dassane bhagavā sati katham patipajjitabbanti. Anālāpo ānandāti. ālapantena pana bhante katham patipajjitabbanti. Sati ānanda upatthāpetabbāti. 1. Die Stelle beginnt mit den Worten: "Katham mayam bhante". Mit den gleichen Worten beginnt aber auch der nachfolgende Absatz, in dem der Gedankengang des Vorhergehenden fortgesetzt wird. Ein solcher Gleichklang ist immer verdächtig; er ist so zu erklären, daß in den Zeiten, da der Kanon noch mündlich vom Lehrer auf den Schüler überliefert wurde, ein Thera, ein älterer Bhikkhu, der den Text seinen Schülern zum Auswendiglernen vortrug, durch den Gleichklang verführt, einen ihm von woanders her geläufigen Satz mit den gleichen Anfangsworten wie der richtige hersagte; inzwischen fiel ihm der richtige Satz ein, und er ließ ihn folgen. Die Schüler aber sprachen den nicht an die Stelle passenden Satz nach, behielten alles so im Gedächtnis und trugen es so später, wenn sie selbst Theras geworden waren, ihren Schülern vor. Auf solche Weise können die Worte irrtümlich an diese Stelle geraten sein. Es ist aber auch möglich, daß ein Thera, der, wie z.B. Kassapa, auf übertrieben strenge Ordenszucht hielt, die Worte absichtlich eingeschaltet hat, um sie als Ausspruch Buddhas erscheinen zu lassen und ihnen dadurch höhere Autorität zu verleihen.

2. Wenn sonst Ānanda Buddha eine Frage vorlegt, heißt es im MPNS regelmäßig: "Atha kho āyasmā ānando bhagavantam etad avoca" - "Da sprach der ehrwürdige Ānanda zum Erhabenen also". Dieser Einleitungssatz fehlt hier.

3. patipajjāma ist auffällig. Als Präsens gibt es keinen Sinn, als Imperativ paßt es nicht in den Fragesatz. Es müßte mindestens das Futurum sein: patipajjissāma, richtiger aber wäre das Verbaladjektiv patipajjitabbam, wie in den folgenden Sätzen. Dazu hätte freilich das mayam nicht gepaßt, und ohne das mayam hätte man das Stück nicht so leicht hier einschieben können.

4. Ānanda redet Buddha im MPNS stets mit bhante "Herr" an, hier aber findet sich der Vocativ bhagavā "Erhabener". Diese Anrede kommt sonst im ganzen MPNS nicht vor!

5. ālapantena ist Instrumentalis, während hier ein Locativ stehen müßte. Die Verwechslung des Instrumentalis mit dem Locativ ist im jüngeren Pali sehr häufig, aber in der älteren Sprache, in der das MPNS abgefaßt ist, äußerst selten.

6. ālapantena gehört auch seiner Flexion nach der jüngeren Sprache an. Die Beugung der Partizipien präsentis nach der a-Deklination kommt zwar auch im Kanon schon vor, aber m. W. nur im Nominativ und Accusativ. Im MPNS müßte man hier jedenfalls erwarten: ālapatā (Instr.) oder besser ālapati (Loc.).

Wenn nur eines dieser Verdachtsmomente allein vorkäme, könnte man es auf ein Versehen in der Überlieferung zurückführen und darüber hinwegsehen, in ihrer Gesamtheit aber reichen sie vollauf hin, um die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit zu begründen, daß die Stelle unecht ist. Sie ist von einem Anhänger einer weiberfeindlichen, extrem asketischen Sekte eingeschmuggelt worden, und zwar erst ziemlich lange nach der ursprünglichen Redaktion des MPNS, zu einer Zeit, als sich die Sprache schon gewandelt hatte.

Buddha hat nie so gesprochen. Wie er von dem weiblichen Geschlecht wirklich redete, ist sehr schön in dem nicht zum Pali-Kanon gehörenden sanskritischen Sutra der 42 Teile überliefert, das Karl Seidenstücker nach der chinesischen Version in seinen "buddhistischen Evangelien" mitteilt. Der Ausspruch lautet dort:

"Redet ihr mit einer Frau, so tut es in Herzensreinheit. Sprecht zu euch selbst: ,In diese sündige Welt gestellt, will ich der fleckenlosen Lilie gleichen, die unberührt bleibt von dem Morast, in dem sie wächst.' Ist die Frau alt, betrachtet sie als eure Mutter. Ist sie eine würdige Matrone, betrachtet sie als eure Schwester. Ist sie von niedriger Herkunft, betrachtet sie als eure jüngere Schwester. Ist sie ein Kind, behandelt sie fein und höflich."

Das ist, wenn vielleicht auch nicht genau dem Buchstaben nach, so doch gewiß dem Geiste nach, echtes Buddhawort.


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