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Was aber, ihr Mönche, ist die edle Wahrheit von der Leidenserlöschung? Durch die restlose Abwendung und Erlöschung der Unwissenheit kommt es zur Erlöschung der Karmaformationen, durch Erlöschung der Karmaformationen zur Erlöschung des (mit der Empfängnis in einem neuen Mutterleibe beginnenden) Bewußtseins, durch Erlöschung des Bewußtseins zur Erlöschung des Geistigen und Körperlichen, durch Erlöschung des Geistigen und Körperlichen zur Erlöschung der sechs Grundlagen (fünf Sinnenorgane und Geist), durch Erlöschung der sechs Grundlagen zur Erlöschung des Bewußtseinseindrucks, durch Erlöschung des Bewußtseinseindrucks zur Erlöschung des Gefühls, durch Erlöschung des Gefühls zur Erlöschung des Begehrens, durch Erlöschung des Begehrens zur Erlöschung da Anhaftens, durch Erlöschung des Anhaftens zur Erlöschung des (Karma- und Wiedergeburts-)Werdeprozesses, durch Erlöschung des (Karma-) Werdeprozesses zur Erlöschung der (Wieder-)Geburt, und durch Erlöschung der Geburt erlöschen Alter und Sterben, Sorge, Klage, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung. So kommt es zur Erlöschung dieser ganzen Leidensfülle. Das, ihr Mönche, nennt man die edle Wahrheit von der Leidenserlöschung.
Zu obigem vgl. Kap. 215 ff über die bedingte Entstehung.
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A. III, 32
Da, Ānanda, merkt ein Mönch also: ,Dies ist der Friede, dies ist das Erhabene, nämlich der Stillstand aller Gestaltungen, die Loslösung von allen Daseinssubstraten, der Gier Versiegung, Abwendung, Erlöschung, das Nirvana.’ Also mag da, Ānanda, ein Mönch eine solche Sammlung erreichen, daß ihm hinsichtlich dieses mit Bewußtsein behafteten Körpers sowie aller äußeren Vorstellungen keinerlei Triebe des ,Ich’ und ,Mein’, keinerlei Dünkelanwandlungen ankommen und er im Besitze jener Gemütserlösung und Weisheitserlösung verweilt, wobei dem darin Verweilenden keinerlei Triebe des ,Ich’ und ,Mein’, keinerlei Dünkelanwandlungen mehr aufsteigen. Folgendes aber, Ānanda, habe ich mit Beziehung hierauf auf die Frage nach dem Ziele erwidert:
(Snp. V, 4.)
- Wer vor nichts in dieser Welt erzittert
- Und das Gute wie das Böse kennt,
- Stillgeworden, wutlos, leidlos, wunschlos:
- Der ist Alter und Geburt entfloh’n.
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A. III, 53
Aus Gier, Haß und Verblendung, Brahmane, und dadurch überwältigt, wirkt man zum eigenen Schaden, zu des anderen Schaden, zu beiderseitigem Schaden, erleidet man geistigen Schmerz und Trübsal. Sind aber Gier, Haß und Verblendung geschwunden, so wirkt man weder zum eigenen Schaden, noch zu des anderen Schaden, noch zu beiderseitigem Schaden, erleidet man keinen geistigen Schmerz und keine Trübsal. Das, Brahmane, ist das sichtbare Nirvana, das zeitlose, einladende, anregende, jedem Verständigen verständliche.
Insofern also, Brahmane, der Mönch die restlose Versiegung von Gier, Haß und Verblendung verwirklicht, so gibt es eben das sichtbare Nirvana, das zeitlose, einladende, anregende, jedem Verständigen verständliche.
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Wenn, o Ehrwürdiger, einem solcherart geist-erlösten Mönche selbst außerordentlich erhabene, übermächtige sichtbare Formen in den Gesichtskreis treten, hörbare Töne in den Hörkreis treten, schmeckbare Säfte in den Schmeckkreis treten, körperlich fühlbare Eindrücke in den Körperempfindungskreis treten, geistig erkennbare Dinge in den Denkkreis treten, so vermögen diese seinen Geist nicht mehr zu fesseln; und sein Geist bleibt unberührt, gefestigt, unerschütterlich, und in diesem allem erkennt er die Vergänglichkeit.
- Wer der Entsagung zugewandt,
- Des Geistes Abgeschiedenheit
- Und der Barmherzigkeit ergeben,
- Vom Daseinsdrang befreiet ist,
- Der Giererlöschung zugewandt,
- Des Geistes ungestörtem Blick
- Und das Entsteh’n der Sinne kennt:
- Ja, dessen Geist ist recht erlöst.
- Und solch ein recht erlöster Mönch,
- Der seines Herzens Stillung fand,
- Der häuft Getanes nicht mehr an,
- Und nichts mehr bleibt für ihn zu tun.
- Gleichwie ein Fels aus einem Stück
- Vom Sturme nicht erschüttert wird,
- So können weder Form noch Ton,
- Noch Duft, noch Saft, noch Körpereindruck,
- Nichts Liebliches, nichts Widriges
- Erschüttern je den Heiligen.
- Gefestigt ist sein Geist, erlöst,
- Auflösung schaut er überall.
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- Wer in Sittlichkeit vollkommen,
- Kundig, wissensmächtig ist,
- Selbstbeherrscht und stark im Guten
- Und die Wahrheit weise schaut,
- Alle Dinge völlig kennt,
- Weise, frei von Leidenschaft,
- Vom Tod und von Geburt erlöst,
- Die Heiligkeit vollendet hat:
- Als ehrwürdig erklär’ ich den.
- Wer üble Triebe nicht mehr hat,
- Wird, weil sie alle sind versiegt,
- Ein ehrwürdiger Mönch genannt.
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Gesagt wurde dies vom Erhabenen, gesagt vom Heiligen. So habe ich es gehört:
Zwei Aspekte des Nirvanas gibt es, ihr Mönche: Welche beiden? Den mit einem Daseinsrest behafteten Nirvana-Aspekt (sa-upādisesā nibbāna-dhātu) und den mit keinem Daseinsrest mehr behafteten Nirvana-Aspekt (an-upādisesā nibbāna-dhātu).
1. Was aber, ihr Mönche, ist der mit einem Daseinsrest behaftete Nirvana-Aspekt? Da, ihr Mönche, ist der Mönch ein Heiliger (arahat), ein Triebversiegter, der den heiligen Wandel ausgelebt, die Aufgabe erfüllt, die Bürde von sich geworfen, sein Ziel erreicht und die Daseinsfessel abgestreift hat und in rechtem Wissen erlöst ist. Diesem bleiben noch die fünf Sinnenorgane, zufolge deren Nichtgeschwundenseins er noch Erwünschtes und Unerwünschtes erfährt sowie (körperliches) Wohl und Wehe empfindet. Was da also bei diesem Mönche Versiegung von Gier, Haß und Verblendung ist, das, ihr Mönche, nennt man den mit einem Daseinsrest behafteten Nirvana-Aspekt.
Geistiges Wehe gibt es für den Arahat und den Anāgāmí nicht mehr, da dieses stets von einem Grade von Haß begleitet ist, von dem ja der Arahat und der Anāgāmí für immer erlöst sind.
2. Was aber, ihr Mönche, ist der mit keinem Daseinsrest mehr behaftete Nirvana-Aspekt? Da, ihr Mönche, ist der Mönch ein Heiliger, ein Triebversiegter, der den heiligen Wandel ausgelebt, die Aufgabe erfüllt, die Bürde von sich geworfen, sein Ziel erreicht und die Daseinsfessel abgestreift hat. Alle hier in dieser Welt nicht mehr begehrten Gefühle aber werden (beim Tode für immer) zur Erlöschung gelangen. Das aber, ihr Mönche, nennt man den mit keinem Daseinsrest mehr behaften Nirvana-Aspekt.
Diese beiden Nirvana-Aspekte gibt es, ihr Mönche.
Also sprach der Erhabene. Hierauf aber wurde dann fernerhin noch gesagt:
- Vom Nirvan’ wurden zwei Aspekte dargetan
- Vom Seher, Heiligen, von allem Haften frei:
- Der eine noch mit Daseinsrest behaftete,
- Nach Schwinden alles Daseinsdranges sichtbare;
- Der jenseit’ge, vom Daseinsrest geläuterte,
- In dem die Daseinsfesseln all’ geschwunden sind.
- Wer diese ungeschaffne Stätte hat erkannt,
- Im Geist erlöst durch Schwinden alles Daseinsdrangs,
- Der Dinge Wesen schaut, sich der Erlöschung freut,
- Solch Heiliger hat alles Dasein abgetan.
Auch dies wurde vom Erhabenen gesagt. So habe ich es gehört.
Das Nirvana (Pali: nibbāna, wörtlich das Erlöschen) bezeichnet also das letzte und höchste Endziel alles buddhistischen Strebens, d. i. das restlose Erlöschen alles in Gier, Haß und Verblendung sich äußernden, das Leben bejahenden und sich krampfhaft daran klammernden Willenstriebes, und damit die endgültige, restlose Befreiung von allem künftigen Wiedergeborenwerden, Altern und Sterben, Leiden und Elend.
Die oben dargelegten zwei Nirvana-Aspekte werden in den Kommentaren auch als kilesa-parinibbāna (Erlöschung der Leidenschaften) und khandha-parinibbāna (Erlöschung der Daseinsgruppen) bezeichnet.
Ersterer wird also verwirklicht bei Erreichung der vollkommenen Heiligkeit oder Arahatschaft (s. Wtb.: ariya-puggala), letzterer beim Tode des Heiligen; er besteht somit im Zuruhekommen, besser gesagt, Sich-nicht-mehr-Fortsetzen dieses geistig-körperlichen Daseinsprozesses.
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Es gibt, ihr Mönche, ein Gebiet, wo weder Erde ist noch Wasser, noch Feuer, noch Wind, weder das Raumunendlichkeitsgebiet, noch das Bewußtseinsunendlichkeitsgebiet, noch das Nichtsheitgebiet, noch das Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmungsgebiet (s. Kap. 128-33), weder diese Welt noch jene Welt, weder Sonne noch Mond: Das, ihr Mönche, nenne ich weder Kommen noch Gehen, noch Stillestehen. Ohne Grundlage, ohne Fortsetzung, ohne Stütze ist es: Dies eben ist das Ende des Leidens.
- Schwer zu erkennen ist das Todlose, *)
- Nicht leicht ist es, die Wahrheit zu erfassen.
- Durchdrungen aber ward vom Meister das Begehren,
- Und nichts mehr haftet an dem Sehenden.
*) amatam. Der Text steht nicht einwandfrei fest. Der Kommentar hat anattam, was er durch atta-rahitam (das ein Selbst-Entbehrende) erklärt. Andere Kommentatoren, die offenbar anantam (das Unendliche) lesen, erklären es durch appamānam (das Unermeßliche). Die richtige Lesart dürfte aber amatam (das Todlose) sein, das auch schon aus metrischen Gründen besser ist als anattam oder anantam.
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Gleichwie durch Öl und Docht bedingt die Öllampe brennt und nach Aufzehrung von Öl und Docht infolge des fehlenden Brennstoffs ohne Nährstoff erlischt, genau so weiß da ein Mönch, wenn er ein körperlich begrenztes Gefühl empfindet: ,Ich empfinde ein körperlich begrenztes Gefühl’, und wenn er ein lebensbegrenztes Gefühl empfindet ,Ich empfinde ein lebensbegrenztes Gefühl’. Und er weiß: ,Bei Auflösung dieses Körpers und nach Aufzehrung des Lebens werden alle diese hier erwünschten Gefühle erloschen sein. Darum eben ist der also ausgestattete Mönch mit diesem höchsten Wissen als Grundlage ausgestattet. Dies nämlich ist das höchste, heilige Wissen, nämlich alles Leiden versiegt wissen. Seine Erlösung aber ist auf Wahrheit gegründet, unerschütterlich. Was nämlich dem Truge unterworfen ist, das ist unwahr, wahr aber ist das untrügliche Nirvana. Darum ist ein solcherart ausgestatteter Mönch mit dieser höchsten Wahrheit als Grundlage ausgestattet. Dies nämlich ist die höchste, heilige Wahrheit, nämlich das untrügliche Nirvana.
Früher aber, als jener Mönch noch unwissend war, da hatte er weltliche Dinge ausgeführt oder unternommen. Das ist nun in ihm überwunden, an der Wurzel zerstört, einem Palmstumpf gleichgemacht, vernichtet und keinem künftigen Wiederaufkeimen mehr ausgesetzt. Darum ist ein solcherart ausgestatteter Mönch mit dieser höchsten Entsagung als Grundlage ausgestattet. Dies nämlich ist die höchste, heilige Entsagung, nämlich das Fahrenlassen aller weltlichen Dinge.
upadhi, das ich hier mit ,weltliche Dinge’ übersetzt habe, bedeutet wörtlich Hinzufügung, Substrat. Dieser Begriff wird meist als bildlicher Ausdruck für allerlei Leidenschaften, wie Gier, Anhaften, Ansichten usw. gebraucht, ebenso auch für die Daseinsgruppen, Karma, sogar für Nahrung, Besitz an Frauen und Kindern, Ländereien, Herden usw., kurzum für alle weltlichen Dinge. Als das ,von allen weltlichen Dingen Freie’ (nirupadhi) aber gilt das Nirvana.
Früher, als jener Mönch noch unwissend war, da besaß er Habsucht und Willensgier . . . da besaß er Groll, Übelwollen und Gehässigkeit . . . da besaß er Unwissenheit, Verblendung und Torheit. Das ist nun in ihm überwunden, an der Wurzel zerstört, einem Palmstumpf gleich gemacht, vernichtet und keinem künftigen Wiederaufkeimen mehr ausgesetzt. Darum ist ein solcherart ausgestatteter Mönch mit dieser höchsten Beruhigung als Grundlage ausgestattet. Dies nämlich, o Mönch, ist die höchste, heilige Beruhigung, nämlich die Beruhigung von Gier, Haß und Verblendung . . .
,Ich bin’, ist ein Dünken. ,Dieser bin ich’, ist ein Dünken. ,Ich werde sein’, ist ein Dünken. ,Ich werde nicht sein’, ist ein Dünken. ,Feinkörperlich werde ich sein’, ist ein Dünken. ,Unkörperlich werde ich sein’, ist ein Dünken. ,Mit Wahrnehmung begabt werde ich sein’, ist ein Dünken. ,Ohne Wahrnehmung werde ich sein’, ist ein Dünken. ,Weder wahrnehmend noch nichtwahrnehmend werde ich sein’, ist ein Dünken. Dünken, o Mönch, ist Kranksein, ist eine Beule, Dünken ist ein Stachel. Ist aber, o Mönch, alles Dünken überwunden, so gilt man als ein Gestillter, ein Weiser. Der Gestillte aber, der Weise, ersteht nicht mehr, altert nicht mehr, stirbt nicht mehr. Das nämlich, o Mönch, wodurch er noch wiedererstehen könnte (d. i. das Begehren), das ist nicht mehr da. Wenn er aber nicht mehr wiederersteht, wie kann er da noch altern; und wenn er nicht mehr altert, wie kann er da noch sterben; und wenn er nicht mehr stirbt, wie kann er da noch erregt werden; und wenn er nicht mehr erregt wird, wie kann er da noch begehren?
Der Wanderasket Vacchagotta fragt den Erhabenen:
„Wo, Herr Gotama, wird der gemütserlöste Mönch wiedergeboren?"
„Daß er wiedergeboren werde, habe ich nicht gelehrt."
„Dann wird er wohl nicht wiedergeboren?"
„Auch das, Vaccha, habe ich nicht gelehrt."
„Dann wird er wohl weder wiedergeboren noch nicht wiedergeboren?"
„Auch das, Vaccha, habe ich nicht gelehrt."
„So antwortest du mir, Herr Gotama, stets auf alle meine Fragen, daß du das nicht gelehrt habest. Ich bin nun, Herr Gotama, in Ungewißheit und Verwirrung geraten; und was ich da bei den früheren Gesprächen mit dem Herrn Gotama an Vertrauen gewonnen hatte, das ist mir nun wieder geschwunden."
„Genug also, Vaccha, mit deiner Ungewißheit und Verwirrung. Gar tief wahrlich, Vaccha, ist diese Lehre, schwer zu erkennen, schwer zu verstehen, die friedvolle, erhabene, dem logischen Denken unzugängliche, subtile, nur Verständigen verständliche. Diese wirst du schwer verstehen ohne Deutung, ohne Geduld, ohne Hingabe, ohne Anstrengung. So will ich dir denn, Vaccha, eben darüber Fragen stellen; und wie es dir gut dünkt, mögest du diese beantworten.
Was meinst du, Vaccha, wenn da vor dir ein Feuer brennt, weißt du da wohl: ,Hier brennt ein Feuer vor mir’?"
„Gewiß, Herr Gotama."
„Sollte dich nun jemand fragen, wodurch jenes vor dir brennende Feuer am Brennen bleibt, was würdest du auf solche Frage erwidern?"
„Ich würde sagen, daß es durch Stroh und Holz bedingt am Brennen bleibt."
„Wenn nun aber dieses Feuer ausgeht, weißt du dann wohl, daß es ausgegangen ist?"
„Ja, Herr Gotama."
„Wenn dich nun aber jemand fragen sollte, wo das aus gegangene Feuer hingegangen ist, nach welcher Richtung, nach Osten, Westen, Norden oder Süden, was würdest du auf solche Frage erwidern?"
„Das kommt nicht in Betracht, Herr Gotama. Denn das durch Stroh und Holz im Gange gehaltene Feuer hat ja diese Dinge verzehrt und ist, durch diese nicht weiter genährt, ohne Brennstoff erloschen."
„Genau so auch, Vaccha, ist alle Körperlichkeit, alles Gefühl, alle Wahrnehmung, sind alle Geistesformationen, ist alles Bewußtsein, wodurch man den Vollendeten bezeichnen möchte, vom Vollendeten aufgegeben, an der Wurzel zerstört, einem Palmstumpf gleichgemacht, vernichtet und keinem künftigen Wiederaufkeimen mehr ausgesetzt. Von Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein aber abgelöst, ist der Vollendete tief, unermeßlich, schwer zu ergründen, gleichwie das tiefe Meer."
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„Was meinst du, Anuradha, sind Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen oder Bewußtsein vergänglich oder unvergänglich?"
„Vergänglich, o Ehrwürdiger."
„Was aber vergänglich ist, ist das freudvoll oder leidvoll?"
„Leidvoll, o Ehrwürdiger."
„Was aber vergänglich ist, leidvoll, dem Wechsel unterworfen, kann man davon mit Recht die Auffassung haben: ,Das gehört mir’ oder ,Das bin ich’ oder ,Das ist mein Selbst’?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„Was es daher, Anuradha, an Körperlichkeit gibt, an Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein, ob vergangen, gegenwärtig oder zukünftig, eigen oder fremd, grob oder fein, niedrig oder erhaben, nah oder fern, das hat man der Wirklichkeit gemäß in rechter Einsicht also zu erkennen: ,Das gehört mir nicht. Das bin ich nicht. Das ist nicht mein Selbst’. So erkennend wendet sich der edle, wissenskundige Jünger ab von Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein. Sich abwendend löst er sich los. Durch Loslösung wird er erlöst. Im Erlösten aber besteht die Erkenntnis: ,Erlöst bin ich’, und er weiß: ,Versiegt ist die Wiedergeburt, ausgelebt der heilige Wandel, die Aufgabe erfüllt, und nichts gibt es mehr zu tun für diese Welt’.
Was meinst du, Anuradha, hältst du die Körperlichkeit für den Vollendeten oder das Gefühl oder die Wahrnehmung oder die Geistesformationen oder das Bewußtsein?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„Oder glaubst du den Vollendeten darin enthalten?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„Oder außerhalb dieser Dinge?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„Oder betrachtest du diese Dinge alle zusammengenommen als den Vollendeten?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„Da man nun aber, Anuradha, den Vollendeten schon bei Lebzeiten nicht in Wahrheit und Wirklichkeit auffinden kann, darf man dann wohl mit Recht behaupten, daß der Vollendete nach dem Tode weiterbestehe oder nicht weiterbestehe . . .?"
„Nein, o Ehrwürdiger."
„Gut, gut. Eben nur das, was das Leiden und die Erlöschung des Leidens betrifft, nur das, Anuradha, lehre ich, heute wie früher."
Nur wer Körperlichkeit, Gefühl, Wahrnehmung, Geistesformationen und Bewußtsein nicht der Wirklichkeit gemäß versteht und erkennt und dieser Dinge Entstehung, Erlöschung und den zu ihrer Erlöschung führenden Pfad nicht der Wirklichkeit gemäß versteht und erkennt, nur dem können solche Gedanken kommen wie: ,Der Vollendete besteht nach dem Tode’ oder ,Der Vollendete besteht nicht nach dem Tode’ . . .
Dies ist also der Grund und Anlaß, daß der Vollendete solche Fragen nicht beantwortet hat.
Nach buddhistischer Lehre gelten eben lediglich die in den fünf Daseinsgruppen eingeteilten körperlichen und geistigen Vorgänge als Realitäten im höchsten Sinne (paramattha-dhamma), die freilich selber nur augenblickliche Existenz haben. Wenn daher in den Texten von einem Wesen, einer Person, ja selbst vom Buddha die Rede ist, so ist das natürlich nicht im absoluten und höchsten Sinne (paramattha) gemeint, sondern als bloße konventionelle Ausdrucksweise (vohāra-vacana) aufzufassen. Damit scheidet das Problem hinsichtlich des Wiedergeboren- und Nichtwiedergeborenwerdens des Erlösten von selber aus.