„Die Vögel grüß ich mit den gelben Kleidern“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf einen gierigen Mönch. Dieser nämlich war gierig und ganz versessen auf Gaben. Unter Vernachlässigung seiner Pflichten gegen seine Lehrer und Unterweiser ging er schon in der Frühe nach Savatthi hinein und genoss im Hause der Visakha vorzüglichen Reisschleim mit vielen Kuchen als Zukost. Nachdem er dann untertags noch Reiskörner, Fleisch und Reisbrei von verschiedenem höchstem Wohlgeschmack gegessen, ging er, auch damit noch nicht zufrieden, in das Haus des Culla-Anāthapindika oder des Königs von Kosala und bettelte dort.
Eines Tages nun begannen in der Lehrhalle die Mönche ein Gespräch wegen seiner Essgier. Da kam der Meister und fragte: „Zu welcher Unterhaltung, ihr Mönche, habt ihr euch jetzt hier versammelt?“ Als sie antworteten: „Zu der und der“, ließ er jenen Mönch zu sich rufen und fragte: „Ist es wahr, dass du so gierig bist?“ Als dieser erwiderte: „Es ist wahr, Herr“, sprach der Meister: „O Mönch, warum bist du gierig? In der Vorzeit wurdest du infolge deiner Gier zu Benares durch die Körper von Elefanten u. dgl. nicht befriedigt, sondern verließest diesen Ort, zogst am Gangesufer entlang und kamst bis in den Himalaya.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nährte sich eine gierige Krähe zu Benares beständig von den Leichnamen von Elefanten u. dgl. Damit war sie aber nicht zufrieden, sondern sagte: „Am Gangesufer will ich Fischfett fressen“, und verzehrte dort tote Fische. Nachdem sie ein paar Tage dort verweilt, zog sie nach dem Himalaya, wo sie sich von mannigfachen Waldfrüchten ernährte. Dabei gelangte sie auch an einen großen Lotosteich, der voll war von Fischen und Schildkröten. Dort sah sie zwei Goldgänse von goldener Farbe, die Wasserpflanzen [1] verzehrten und dort wohnten. Da dachte sie: „Diese Vögel sind von überaus schöner Farbe und von großer Schönheit; ihre Nahrung wird angenehm sein. Ich will sie nach ihrer Nahrung fragen und diese selbst verzehren; so werde ich auch goldfarbig werden.“
Darauf ging sie zu ihnen hin, begann eine liebenswürdige Unterhaltung mit ihnen und sprach, auf dem Ende eines Zweiges sitzend, folgende zu ihrem Lob passende erste Strophe:
Als dies die eine Goldgans hörte, sprach sie folgende zweite Strophe:
Da dies die Krähe hörte, sprach sie folgende dritte Strophe:
Darauf sprach die Goldgans folgende vierte Strophe:
Darauf sprach die Krähe die beiden folgenden Strophen:
Um aber der Krähe zu erklären, warum sie nicht mit Schönheit ausgestattet, sie selbst aber so schön sei, sprach die Goldgans folgende übrige Strophen:
So tadelte die Goldgans auf mancherlei Art dir Krähe. Trotz des Tadels aber erwiderte die Krähe: „Ich brauche deine Schönheit nicht“, und krächzend flog sie davon.
§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband er das Jātaka mit folgenden Worten (am Ende der Wahrheitsverkündigung aber gelangte jener gierige Mönch zur Frucht der Nichtrückkehr): „Damals war die Krähe der gierige Mönch, die weibliche Goldgans war die Mutter Rāhulas, die männliche Goldgans aber war ich.“
Ende der Erzählung von der Goldgans
[1] Gemeint ist die auch in Europa vorkommende Wasserpflanze Vallisneria.
[2] Die Goldgänse entsprechen in der indischen Poesie unsern Turteltauben.
[3] Als Anrede an die Krähe gedacht, die bei den Indern als den Menschen schädlich gilt.