„Verbrannt wird ja das ganze Land“
§A. Dies erzählte der Meister, da er im Jetavana verweilte, mit Beziehung auf die Verführung durch die frühere Frau. Bei dieser Erzählung aber fragte er den Mönch: „Durch wen bist du unzufrieden gemacht worden?“ Als dieser antwortete: „Durch meine frühere Frau“, sprach der Meister: „Diese, o Mönch, fügt dir Schaden zu. Früher wurdest du einmal durch sie der Fähigkeit zur Ekstase verlustig und stürztest in tiefes Verderben.“ Nach diesen Worten erzählte er folgende Begebenheit aus der Vergangenheit.
§B. Als ehedem zu Benares Brahmadatta regierte, nahm der Bodhisattva in einer wohlhabenden Brahmanenfamilie des Nordens seine Wiedergeburt. Nachdem er herangewachsen war und die Wissenschaften erlernt hatte, betätigte er die Weltflucht der Weisen, erlangte die Fähigkeit zur Ekstase und die Erkenntnisse und nahm im Himalaya-Gebirge seinen Aufenthalt.
In der Art, wie im Alambusa-Jātaka [Jātaka 523] erzählt, empfing durch ihn ein Antilopenweibchen und gebar einen Sohn; dieser erhielt den Namen Isisinga. Als dieser herangewachsen war, machte ihn sein Vater zum Asketen und ließ ihn die Vorbereitungen zur Herbeiführung der Ekstase erlernen. Nach kurzer Zeit erlangte er die Fähigkeit zur Ekstase und die Erkenntnisse und erfreute sich im Himalaya-Gebirge des Glückes der Ekstase. Er übte strenge Askese und hatte seine Sinne abgetötet; vom Glanze seiner Tugend erzitterte Sakkas Thron.
Als Sakka darüber nachdachte und dies als den Grund davon erkannte, dachte er: „Durch eine List werde ich seine Tugend zerstören.“ Er hielt drei Jahre lang von dem großen Königreiche Kasi den Regen fern. Das Reich war wie vom Feuer verbrannt. Weil das Getreide nicht gedieh, wurden die Menschen von Hungersnot gequält; sie versammelten sich im Hofe des königlichen Palastes und murrten. Darauf trat der König an ein Fenster und fragte sie: „Was ist dies?“ Sie antworteten: „O Großkönig, weil der Gott [2] drei Jahre lang dem Lande keinen Regen schickte, ist das ganze Reich verbrannt und die Menschen sind im Elend. Veranlasse den Gott, dass er regnen lässt, o Fürst!“ Darauf betätigte der König die Tugenden und hielt das Uposatha, konnte aber doch nicht veranlassen, dass es regnete.
Zu dieser Zeit betrat Sakka zur Mitternachtszeit dessen Schlafgemach und stand in der Luft, indem er alles mit Glanz erfüllte. Als ihn der König sah, fragte er ihn: „Wer bist du?“ „Ich bin Gott Sakka“, war die Antwort. „Warum bist du gekommen?“ „Regnet es in deinem Reiche, o Großkönig?“ „Nein, es regnet nicht.“ „Weißt du aber, warum es nicht regnet?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete der König. Darauf sprach der Gott: „O Großkönig, im Himalaya-Gebirge wohnt ein Asket namens Isisinga, ein strenger Büßer mit ganz abgetöteten Sinnen. Dieser schaut immer zornig in die Luft hinauf, wenn der Gott regnen lässt; darum lässt der Gott nicht regnen.“
„Was ist jetzt da zu tun?“, fragte der König weiter. Der Gott versetzte: „Wenn seine Askese zerstört ist, schickt der Gott Regen.“ „Wer ist aber im Stande, dessen Askese zu zerstören?“ Darauf sprach Sakka: „Deine Tochter Naḷinikā, o Großkönig, ist dazu im Stande. Rufe sie her, sage ihr: ‘Gehe an den und den Ort und zerstöre die Askese des Büßers’ und schicke sie fort!“ Nachdem er so den König belehrt, kehrte er an seinen Wohnort zurück. —
Nachdem sich der König am nächsten Tage mit seinen Ministern beraten hatte, ließ er seine Tochter zu sich rufen und sprach folgende erste Strophe:
Als sie dies hörte, sprach sie folgende zweite Strophe:
Darauf sprach der König folgende zwei Strophen:
So sagte er seiner Tochter wegen der Beschützung des Reiches auch solche Dinge, die nicht gesagt werden sollten. Sie aber sagte: „Gut“, und gab ihre Zustimmung. Nachdem er ihr sodann alles mitgegeben hatte, was sie erhalten musste, sandte er sie mit seinen Ministern fort. Die Minister begaben sich nach dem Grenzlande und schlugen dort ein befestigtes Lager; die Königstochter ließen sie aufheben und zogen auf einem von Jägern gebahnten Wege in den Himalaya. Zur Vormittagszeit gelangten sie in die Nähe der Einsiedelei von jenem.
In diesem Augenblicke hatte der Bodhisattva seinen Sohn nach der Einsiedelei zurückkehren lassen und war selbst in den Wald gegangen, um Waldfrüchte zu holen. Die Jäger kamen nun selbst an die Einsiedelei heran; als sie jenen aber sahen, blieben sie stehen, zeigten ihn Naḷinikā und sprachen folgende zwei Strophen:
Als nun der Bodhisattva in den Wald hineingegangen war, umringten die Minister seine Einsiedelei und stellten eine Wache aus. Sie ließen die Königstochter die Kleidung eines Asketen annehmen, gaben ihr goldglänzenden Bast zum Unter- und Obergewand und schmückten sie aufs schönste. Dann gaben sie ihr einen an eine Schnur gebundenen bunten Ball in die Hand und ließen sie in den Bereich der Einsiedelei eintreten; sie selbst blieben draußen stehen und hielten Wache. Mit dem Ball spielend stieg sie zum Ende des Wandelganges hinab. In diesem Augenblick saß gerade Isisinga an der Tür der Laubhütte auf der Bank der Hütte. Als er sie kommen sah, stand er voll Angst und Furcht auf, ging in die Laubhütte hinein und blieb dort stehen. Sie aber ging an die Türe der Laubhütte hin und spielte weiter mit ihrem Ball.
Um dies und das, was sich weiter ereignete, zu verkündigen, sprach der völlig Erleuchtete folgende drei Strophen:
Darauf sprach sie zu ihm, indem sie ihm den Baum nannte:
So log sie; der andere aber glaubte dies und dachte: „Dies ist ein Asket.“ Er begann eine liebenswürdige Unterhaltung mit ihr und sprach dabei folgende Strophe:
„Was hast du da?“ So sagte er, als sie die Laubhütte betreten, sich auf ein Lager aus Holz niedergesetzt hatte und, da das goldglänzende Bastgewand sich dabei teilte, ihr Körper unverhüllt sich zeigte. Weil nämlich der Asket vorher noch keinen weiblichen Körper gesehen hatte, meinte er, es sei eine Wunde, und er sprach:
Um ihn zu täuschen, sprach sie darauf folgendes Strophenpaar:
Jener glaubte ihren Lügenworten, als seien sie Wirklichkeit, und versetzte: „Wenn es so für Euch ein Glück ist, so werde ich es tun.“ Und indem er die Stelle betrachtete, sprach er folgende weitere Strophe:
Darauf sprach Naḷinikā folgende Strophe:
Jener dachte: „Sie spricht die Wahrheit“, und wusste nicht, dass durch unzüchtiges Beiwohnen die Tugend zerstört und die Fähigkeit zur Ekstase vernichtet wird; sondern weil er noch niemals ein Weib gesehen hatte und die Unzucht noch nicht kannte und weil jene sagte, dies sei ein Heilmittel, trieb er Unzucht mit ihr. Sogleich aber wurde seine Tugend zerstört und seine Fähigkeit zur Ekstase vernichtet.
Nachdem er ihr zwei- oder dreimal beigewohnt, wurde er müde. Er ging hinaus, stieg in den Teich hinab und badete. Als dann seine Ermattung sich wieder gelegt hatte, kehrte er zurück, setzte sich in die Laubhütte und sprach, da er sie immer noch für einen Asketen hielt, um sie nach ihrem Wohnort zu fragen, folgende Strophe:
Darauf sprach Naḷinikā folgende vier Strophen:
Als dies der Asket hörte, sprach er, um sie zum Warten zu veranlassen, bis sein Vater zurückkehre, folgende Strophe:
Da dachte das Mädchen: „Weil dieser bis jetzt im Walde aufgewachsen ist, weiß er nicht, dass ich ein Weib bin. Wenn aber sein Vater mich sieht und erkennt, könnte er sagen: ‘Du da, was tust du hier?’, mich mit der Spitze seiner Tragstange treffen und mir sogar das Haupt zerschmettern. Solange er noch nicht zurückgekehrt ist, muss ich fortgehen; der Zweck meines Kommens ist ja erreicht.“ Und indem sie ihm ein Mittel verriet, wie er zu ihr kommen könne, sprach sie folgende weitere Strophe:
Nachdem sie so für sich ein Mittel erhalten, davonzulaufen, verließ sie die Laubhütte, und als er ihr nachschaute, sagte sie: „Kehre nur um.“ Auf dem Wege, den sie gekommen, kehrte sie zu den Ministern zurück; diese nahmen sie in Empfang, gingen nach dem befestigten Lager und gelangten so allmählich wieder nach Benares. An demselben Tage noch ließ Gott Sakka hocherfreut im ganzen Reiche Regen herabströmen. —
Kaum aber war sie fortgegangen, da entstand im Körper des Asketen Isisinga ein Fieber; zitternd ging er in die Laubhütte hinein, zog sein Bastgewand an und legte sich betrübt nieder. Am Abend kehrte der Bodhisattva zurück. Als er seinen Sohn nicht sah, dachte er: „Wohin ist er denn gegangen?“, legte seine Tragstange ab und ging in die Laubhütte hinein. Da sah er ihn daliegen; mit den Worten: „Mein Sohn, was machst du da?“, rieb er ihm den Rücken und sprach dabei folgende drei Strophen:
Als jener die Worte seines Vaters vernahm, sprach er, um ihm den Grund seines Verhaltens mitzuteilen:
Als das große Wesen ihn so klagen und jammern hörte, erkannte er: „Durch ein Weib wird seine Tugend zerstört worden sein.“ Und um ihn zu ermahnen, sprach er folgende sechs Strophen:
Als jener die Worte seines Vaters vernommen, dachte er: „Dies war eine Dämonin“, und voll Furcht wandelte er seine Gesinnung um. Mit den Worten: „Vater, ich werde nicht von hier weggehen; verzeiht mir!“, bat er ihn um Verzeihung. Dieser aber tröstete ihn und sprach: „Komm, o Jüngling, betätige Liebe, Mitleid, Sanftmut und Gleichmut.“ So lehrte er ihn die Betätigung der vier Vollkommenheiten. Jener wurde ihrer teilhaftig und erlangte wieder die Fähigkeit zur Ekstase.
§C. Nachdem der Meister diese Unterweisung beschlossen und die Wahrheiten verkündigt hatte, verband das Jātaka (am Ende der Wahrheitsverkündigung aber gelangte der unzufriedene Mönch zur Frucht der Bekehrung) mit folgenden Worten: „Damals war Naḷinikā die frühere Frau, Isisinga war der unzufriedene Mönch, der Vater aber war ich.“
Ende der Erzählung von Naḷinikā.
[2] Gemeint ist der Regengott Parjanya (pali: „Pajjunna“).
[3] Wörtlich: „der Flechtenträger“.
[4] Der Kommentator bemerkt: Weil er noch keinen bunten Ball gesehen, glaubt er, es müsse eine Baumesfrucht sein.
[5] Ein Berg im Himalaya.
[6] „picchito“ wohl von der Wurzel „pid“ = „drücken“.
[7] Der Sala-Baum ist Shorea robusta, Tilaka ist Clerodendrum phlomoides, Jambu ist der Rosenapfelbaum, Eugenia Jambu.
[8] Cassia fistula und Bignonia suaveolens.
[9] Statt „upetarupam“, das wohl nur Dittographie zu dem gleichlautenden Worte der nächsten Zeile ist, ist zu lesen „upetarupa“, entsprechend dem „upeta“ in der nächsten Strophe.
[10] Diese Strophe findet sich im Jātaka 477 Strophe 1.
[11] Saccharum munja; aus den Fasern dieses Grases wurden die Gürtel der Brahmanen gefertigt.
[12] Vgl. Jātaka 523 Anm. 16. [Der Kokila, der indische Kuckuck, vertritt in Indien die Stelle der Nachtigall.]