Das Buch der feierlichen Worte des Erhabenen
Eine kanonische Schrift des Pāli-Buddhismus
In erstmaliger deutscher Übersetzung aus dem Urtext von
DR. KARL SEIDENSTÜCKER 1920
OSKAR SCHLOSS VERLAG / MÜNCHEN-NEUBIBERG
Bei der allgemein anerkannten hohen religionsgeschichtlichen Bedeutung des Udāna darf ich hoffen, daß die vorliegende deutsche Übersetzung dieses wichtigen kanonischen Textes auch weiteren Kreisen der gebildeten Welt nicht unwillkommen sein wird. Die ersten vier Kapitel erschienen bereits 1917 in der von D. Dr. Hans Haas und J. Witte herausgegebenen "Zeitschrift für Missionskunde und Religionswissenschaft"; sie sind hier mit zahlreichen Abänderungen und Verbesserungen nochmals abgedruckt.
Da die Druckerei nur über vereinzelte Typen mit diakritischen Zeichen verfügte, ist die Transkription der indischen Wörter etwas absonderlich ausgefallen. Es sind umschrieben:
Ein "Literaturverzeichnis" ist dem Buch nicht beigegeben worden. Wo in vereinzelten Fällen bei abgekürzten Literaturhinweisen in den Anmerkungen Zweifel entstehen könnten, wolle man das Schriftenverzeichnis meiner "Allgemeinen Einleitung zum Udāna" (Leipzig 1913) einsehen.
Die Veröffentlichung dieser schon vor sieben .Jahren angekündigten Udāna-Übersetzung kann infolge der Kriegswirren erst jetzt erfolgen. Das Erscheinen des Buches ist nur dadurch ermöglicht worden, daß drei Augsburger Herren, die der Buddha-Lehre ein begeistertes Interesse entgegenbringen, die nicht geringen Druckkosten in selbstlosester Weise übernommen haben. Gleichzeitig möchte ich eines verehrten Freundes gedenken, der mir bei Durchsicht des Manuskriptes durch seinen vielfach erteilten Rat unschätzbare Dienste geleistet hat. Den freundlichen Helfern sei auch an dieser Stelle nochmals herzlich Dank gesagt!
K. S.
Die ,Udāna’ betitelte Schrift ist dem buddhistischen Pāli-Kanon (Tipitaka) eingegliedert und gehört dem unter dem Namen Sutta-Pitaka bekannten zweiten großen Komplex von Traktaten an, in welchem sie als drittes Buch in der aus fünfzehn selbständigen Werken bestehenden ,Sammlung kurzer Stücke’ (Khuddakanikāya) ihre Stelle hat; sie folgt auf das Dhammapada und steht vor dem Itivuttaka.
Daneben aber stellt das Udāna eine selbständige Kategorie innerhalb der neun ,anga’ (d. h. Gruppen der sakralen Tradition) dar, unter denen man, noch bevor der Pāli-Kanon in der uns vorliegenden Form zum Abschluß gelangte, die Gesamtheit des Tipitaka zusammengefaßt hat.
Der Titel ,Udānam’ ist in kollektivem Sinne zu verstehen1) und bedeutet ,Udānas’ oder ,eine Sammlung von Udānas’ (Udāna = Ruf, Ausruf) - ähnlich wie Jātakam, Itivuttakam, Dhammapadam eine Sammlung von Vorgeburtsgeschichten bzw. Herrnworten bzw. Lehrsprüchen bedeutet.
Seinem Umfange nach gehört das Udāna zu den kleineren Schriften des Tipitaka. Es umfaßt in der Siamesischen Ausgabe2) 122 Seiten (die Vollseite zu 24 Zeilen gerechnet), das Itivuttaka 76 Seiten und das Dhammapada nur 49 Seiten; es ist also nahezu so umfangreich wie die beiden zuletzt genannten Werke zusammengenommen.
Das Udāna gliedert sich in acht Kapitel (vagga), von denen ein jedes zehn Sutten umfaßt; das Werk enthält also insgesamt achtzig Sutten; die meisten von ihnen sind kürzere Stücke; einige indessen (z. B. IV, 1; VI, 3; V, 4; V, 5; VI, 1; VI, 4; VIII, 5; VIII, 6) sind von größerem Umfang.
Alle Sutten des Udāna (und damit zugleich das Gesamtwerk) erhalten nun dadurch ein ganz charakteristisches Gepräge, daß ein jedes von ihnen in ein dem Buddha zugeschriebenes Udāna ausklingt. Jedes Udāna wird wiederum durch eine kürzere oder längere Rahmenerzählung eingeleitet, welche die näheren Umstände berichtet, unter denen Buddha den betreffenden Ausruf getan haben soll. Wir haben also bei allen Sutten unseres Werkes zwischen den Rahmenerzählungen und den Udānas zu unterscheiden. Von anderen Gründen abgesehen nötigt uns schon der Titel der Schrift, nicht die Rahmenerzählungen, sondern die Udānas als die Hauptsache, als den Kern des Werkes anzusprechen.
Die Kapitel führen ihre Namen willkürlich nach einem der zu ihnen gehörenden Sutten; nur der siebente Vagga, von allen der kürzeste, heißt ,Cúlavagga’, "das kleine Kapitel". Am Schluß eines jeden Vagga findet sich eine aus späterer Zeit stammende Übersicht (uddāna), in welcher die Titel der Sutten und der Name des Vagga selbst angegeben werden. Dem Gesamtwerke ist dann noch ein General-Resumé angefügt, in welchem die Titel der acht Kapitel aufgezählt werden, wobei ausdrücklich betont wird, daß das Udāna aus genau achtzig Sutten besteht.
Diese Notiz verdient besonders hervorgehoben zu werden; denn mit ihr in Widerspruch steht eine von Buddhaghosa gegebene Definition des Wortes Udāna und eine mit dieser gleichlautende im Saddhammasangaha3): "Unter Udāna hat man zu verstehen zweiundachtzig mit Gāthās verbundene Sutten, welch’ erstere Frohsinn und Erkenntnis zum Ausdruck bringen." Diese Definition ist in mehrfacher Hinsicht anfechtbar (denn weder sind alle Udānas metrische Texte, noch auch sind sie alle der Ausdruck einer freudevollen Stimmung) -, was an ihr indessen am meisten auffällt, ist die Normierung des Udāna auf zweiundachtzig Sutten, während es in der uns vorliegenden Fassung in Übereinstimmung mit allen Handschriften nur achtzig Sutten umfaßt.
Eine befriedigende Aufklärung dieses Widerspruchs ist schwer zu geben; daß das Udāna zu Buddhaghosas Zeit noch zweiundachtzig Sutten enthalten habe, halte ich für ausgeschlossen. Vielleicht hat die Definition außer unserem Werk noch das Sutta Samy. XX, 55, welches ein Udāna Buddhas (ohne Rahmenerzählung) enthält, und die Verse 153-154 des Dhammapada im Auge gehabt, die nach den Angaben der nicht-kanonischen Nidānakathā Buddha unmittelbar nach seiner Erleuchtung als ein Udāna ausgesprochen haben soll. Wo findet sich aber im Kanon das dazugehörige Sutta, und selbst wenn ein solches vorhanden wäre, warum sind die beiden Stücke dem Udāna nicht einverleibt worden? Auch die Tatsache, daß unser Werk außer den achtzig Ausrufen Buddhas noch zwei andere Udānas enthält (Bhaddiya II, 10; Sakka III, 7), hilft uns nicht über die Schwierigkeit hinweg; denn in diesem Falle hätten wir wohl zweiundachtzig Udānas, aber nicht die zweiundachtzig Sutten, von denen Buddhaghosa spricht. Die Frage bleibt vorderhand ungelöst.
Das Udāna ist von Dr. Paul Steinthal i. J. 1885 für die PTS. herausgegeben worden. Steinthal hat seiner Ausgabe ein birmanisches Manuskript (A.) und zwei ceylonesische Handschriften (B. und D.) zugrunde gelegt, auch stand ihm das Manuskript eines Kommentars (C.) zur Verfügung, aus dem er hin und wieder eine Variante oder Erklärung mitgeteilt hat. Dieser Kommentar, der dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert angehört, führt den Titel Paramatthadipani und kommentiert außer dem Udāna noch das Petavatthu, Vimānavatthu sowie die Thera- und Therigāthā.
Die Steinthalsche Ausgabe des Udāna (Ed.) enthält mancherlei Druckfehler und Inkorrektheiten, zu viele Kürzungen und auch in den nicht vollständigen Indices Fehler. Windisch hat sich der dankenswerten Aufgabe unterzogen, eine recht gute birmanische Handschrift (M.) aus der India Office Library mit dem Text der Ed. zu vergleichen und das Ergebnis dieser Kollationierung im JPTS. 1890 (p. 91 ff.) zu veröffentlichen.
Eine andere Ausgabe des Udāna findet sich im siebzehnten Bande des Sutta-Pitaka in der Siamesischen Gesamtausgabe des Tipitaka4). Diese Siamesische Ausgabe des Udāna (S.) ist schon deshalb der Ed. vorzuziehen, weil sie fast ganz frei von Kürzungen ist, also bei den Wiederholungen in den weitaus meisten Fällen den vollen Text gibt. Nur an drei Stellen finden sich auch in S. durch 11 pe 11 markierte Kürzungen, u. z. in II, 10 (Z. 19 in der Ed.), III, 2 (Z. 23 in der Ed.) und VI, 5 (Z. 30 in der Ed.). An Varianten ist S. arm, nur an fünfzehn Stellen werden abweichende Lesarten als Fußnoten zitiert. Druckfehler kommen hie und da vor, sind aber bei weitem seltener als in der Ed. Eine genaue Vergleichung der Siamesischen Ausgabe mit der Ed. hat Verfasser in seiner ,Allgemeinen Einleitung’ zum Udāna (p. 9 ff.) gegeben, wobei alle von Windisch a. o. a. O. notierten Varianten der birmanischen Handschrift M. mit aufgenommen worden sind.
Eine englische Übersetzung des Udāna hat D. M. Strong i. J. 1902 in London unter dem Titel ,The Udāna or the solemn utterances of the Buddha’ veröffentlicht. Diese nur auf der Ed. fußende Übersetzung ist unvollständig (es fehlt das Sutta II, 6) und wenig kritisch; Strong hat sie, wie er selbst sagt, veröffentlicht "not with any pretensions to proficiency in Pāli, but as a tribute of love to the memory of the noble Gotama". In der Menge der Kürzungen übertrifft sie die Ed. noch um ein erhebliches.
Einzelne Partien des Udāna sind von verschiedenen Seiten übersetzt worden; so VIII, 1 und 3 von Oldenberg (Buddha6, p. 325 f.); VI, 1 von Windisch (Māra und Buddha, p. 68 ff.); I, 1-3; I, 5-6; I, 8; I, 9; IV, 4; IV, 9-10; VII, 1-2; VII, 10; VIII, 1-4; VIII, 9-10 von Winternitz (Der Buddhismus); I, 5; I, 8; I, 9 von Neumann (Buddhistische Anthologie); I, 3; II, 7; III, 1; III, 6; III, 10; V, 3; V, 4; V, 5; VI, 4; VIII, 1-4; VIII, 8 und das Udāna I, 10 von Seidenstücker (Pāli-Buddhismus in Übersetzungen); IV, 4 von Warren (Buddhism in Translations, p. 313 ff.); Udāna I, 10 von T. W. Rhys Davids (Dial. I, p. 274).
Die wörtliche Bedeutung von Udāna ist Aufwärtsatmung, aufwärts steigender Hauch, (lebhaftes) Aushauchen, Ausatmen. Dies deutet auf eine plötzlich aufsteigende, durchdringende Erkenntnis hin, die in dem Udāna ihren sprachlichen Ausdruck findet. .Während in den Lehrreden und Gāthās die Worte ruhig, sachlich und gleichmäßig dahinfließen, handelt es sich bei den Udānas um momentan aufleuchtende bestimmte Wahrheiten. Der sich Äußernde scheint, während er das Udāna ausstößt, vollständig unter dem Eindruck eines momentanen Erlebnisses zu stehen, das eben die bestimmte Erkenntnis auslöst, deren Inhalt in bestimmte Worte gefaßt wird.
Udānas, die von anderen Persönlichkeiten als Buddha geäußert sein sollen, begegnen uns in den Pitakas des öfteren, so .z. B. vom König Ajātasattu (Digh. II), vom König Pasenadi (Samy. III, 2, 3). In solchen Fällen, zu denen auch der Ausruf des Jüngers Bhaddiya (Ud. II, 10) gehört, bedeutet Udāna einfach ,Ruf’, und die stehende Phrase ,udānam udānesi’ bedeutet hier nichts anderes als "er stieß den Ruf aus, brach in den Ruf aus, rief". In anderen Fällen wieder, wie z. B. Samy, VII, 1, 1 und Ang. II, 4, 6, wo eine Person die bekannte Devotionsformel ,namo tassa bhagavato arahato sammāsambuddhassa’ als ein Udāna ausspricht, und wo die getane Äußerung den Charakter einer gewissen Feierlichkeit trägt, wird man Udāna etwa als ,feierlicher Ruf’ wiederzugeben haben. In diesem Sinne haben auch die dem Buddha zugeschriebenen achtzig Udānas unseres Werkes zu gelten, und ,udānam udānesi’ wird in diesen Fällen am treffendsten zu übersetzen sein mit: "er brach in den feierlichen Ruf aus", "tat den feierlichen Ausspruch" u. dgl.
Die meisten von den achtzig Meister-Udānas in unserem Werke sind metrische Texte, aber nicht alle; der metrische Charakter ist also für ein Udāna keineswegs wesentlich; was hier im Hinblick auf die oben gegebene Definition Buddhaghosas nochmals hervorgehoben werden mag: Ebensowenig berechtigt ist es, diese Udānas schlechthin als den Ausdruck einer freudevollen Gemütsstimmung aufzufassen5), schon deshalb nicht, weil ein Buddha keine solchen "freudevollen" Gemütsstimmungen mehr kennt; er ist immer vollkommen gleichmütig. Vgl. auch Ud. IV, 2; V, 8, 9; VI, 9.
Es ist beachtenswert, daß man nachweislich wenigstens in einer Schule des Buddhismus das Wort ,udāna’ in einem andern, u. z. umfassenderen Sinn verstanden hat, als dies in der der Pāli-Tradition folgenden Vibhajyavāda-Schule der Fall. ist. Im tibetischen Buddhismus existiert ein aus einer indischen Vorlage übersetztes Werk, dessen in Sanskrit geschriebenes Original den Titel ,Udānavarga’ (Sammlung von Udānas) trug. Dieses Werk ist eine Kompilation nach Art des Dhammapada, nur viel umfangreicher; es enthält 989 Spruchverse, die der Kompilator Dharmatrāta aus einer von der Pāli-Version abweichenden Rezension der Pitakas exzerpiert, in dreiunddreißig Kapitel geordnet und zu dem genannten Sammelwerk zusammengeschweißt hat. Wir finden nun im Udānavarga Parallelen zu den meisten der in unserem Pāli-Werk vorhandenen Udānas, ferner Parallelen zu Stellen aus dem Suttanipāta, Itivuttaka, Dhammapada, den Theragāthā und aus anderen Büchern des Pāli-Kanons. Für Dharmatrāta waren also Udānas nicht nur jene speziellen Ausrufe des Meisters, sondern, im weiteren Sinne, Herrnworte schlechthin, weise Aussprüche des Buddha. Im Pāli-Kanon aber läßt sich für ,udāna’ diese weitere Bedeutung nirgends nachweisen. -
Sehr schwierig ist es, die Frage nach dem Alter des Udāna endgültig sicher zu beantworten. Es erheben sich hier Fragen über Fragen. Waren die Udānas mit den zu ihnen gehörenden Rahmenerzählungen von Anfang an einheitliche Stücke? Waren es .einige von ihnen, andere nicht? Sind einige Udānas ursprünglich für sich überliefert worden, andere mit einleitenden Erzählungen? Hat in ältester Zeit vielleicht eine Sammlung von Udānas ohne Rahmenerzählungen bestanden? Und wann hat die Kompilation des Werkes in seiner gegenwärtigen Fassung stattgefunden?
Zweierlei scheint mir unbedingt festzustehen: Einmal, daß sämtliche Udānas sehr alte Texte sind, und sodann, daß für die innere Gliederung des Werkes eben die Udānas, nicht die Rahmenerzählungen, den Ausschlag gegeben haben.
Das hohe Alter der Udānas wird durch die Tatsache erhärtet, daß fast alle von ihnen, hie und da mit leichteren oder größeren Abweichungen, in dem eben erwähnten Udānavarga wiederkehren. Die Kompilations-Zeit der indischen Vorlage des Udānavarga habe ich mit einiger Wahrscheinlichkeit für den Zeitraum 75 v. Chr. - ca. 50 n. Chr. angesetzt6). In jener Zeit existierten also die meisten unserer Udānas bereits als kanonische Texte in einer vom Vibhajyavāda abweichenden buddhistischen Schule7). Ihre Entstehung muß, bis sie zu kanonischem Ansehen gelangen konnten, erheblich weiter zurückliegen. Auf Grund der zahlreichen Abweichungen ist es ausgeschlossen, daß sie direkt auf die Pāli-Udānas, oder umgekehrt diese auf jene zurückgehen; vielmehr muß für beide eine gemeinsame Quelle angenommen werden. Und damit gelangen wir in eine sehr frühe Zeit. Auch die manches Altertümliche enthaltende Sprache der Pāli-Udānas läßt auf eine frühe Entstehungszeit schließen.
Die Udānas, als der Kern des Werkes, sind auch für dessen Komposition maßgebend gewesen. Die jetzigen Titel der Kapitel sind ganz willkürlich gewählt; die Gesichtspunkte für die Gliederung und Anordnung des Stoffes waren ursprünglich wesentlich andere. Die Udānas sind nach Stichworten oder doch nach einheitlichen Gesichtspunkten geordnet; dies läßt sich für die ersten vier Kapitel einwandfrei feststellen. Die Stichworte für die ersten vier Kapitel sind: I. Kap.: brāhmana; II. Kap.: sukha; III. Kap.: bhikkhu; IV. Kap.: citta8). Für die folgenden drei Kapitel lassen sich zwar keine leitenden Stichwörter feststellen, aber Zusammenhänge der einzelnen Udānas sind auch hier, offenkundlich besonders im VII. Vagga, vorhanden. Die Udānas des VIII. Kapitels handeln zumeist vom Nibbāna.
Wir können uns nach dem Gesagten schwer der Überzeugung verschließen, daß die Udānas den alten, wesentlichen Kern des Werkes bilden. Wie steht es nun mit den Rahmenerzählungen? Waren sie mit den Udānas von Anfang an verbunden? Oder bestanden sie als selbständige Stücke für sich? Oder sind sie zum besseren Verständnis der einzelnen Udānas erst geschaffen worden?
Eine ganze Anzahl von Texten des Udāna hat in anderen Schriften des Pāli-Kanons Parallelen. Von solchen Stücken, die uns im Kanon wiederholt begegnen, wird man annehmen können, daß sie in weiteren Kreisen bekannt waren, als gut beglaubigt galten und schon längere Zeit hindurch in Gebrauch waren. Die folgende Liste gibt eine Übersicht über diese Parallelen:
Udāna-Texte: | Parallelen im Pāli-Kanon: |
Sutta I, 1-3 | MV. I, 1, 1-7. |
Sutta I, 4 | MV. I, 2, 1-3. |
Erzählung I, 9 | MV. I, 20, 15. |
Sutta II, 1 | MV. I, 3, 1-4. |
Udāna II, 3 | Dhp. 131, 132. |
Sutta II I0 | CV. VII, 1, 5-6. |
Udāna IV, 3 | Dhp.42. |
Udāna IV, 4 | Thag. 191 |
Sutta IV, 5 | MV. X, 4, 6-7. |
Udāna IV, 6 | Dhp.185.; Digh. XIV, 3, 28. |
Erzählung IV, 8 (Gāthā) | Dhp. 306.; Sn. 661.; Itiv. 48. |
Sutta V, 1 | Samy. III, 1, 8. |
Sutta V, 5 | CV. IX, 1-2. |
Udāna V, 5 | Thag. 447. |
Sutta V, 6 | MV. V, 13, 1-10. |
Sutta V, 8 | CV. VII, 3, 17. |
Udāna V, 9 | MV. X, 3. |
Sutta VI, 1 |
|
Udāna VI, 3 (2. Hälfte) | Thag. 180. |
Erzählung VII, 5 | Samy. XXI, 6. |
Udāna VII, 5 | Samy. XLI, 5. |
Udāna VIII, 3 | Itiv. 43. |
Sutta VIII, 5 | Digh. XVI (MPS.) IV, 13-25; 39-43. |
Sutta VIII, 6 | Digh. XVI (MPS.) I, 19-34; MV.VI.28, 1-13. |
Hierzu kommen noch Parallelen zu einer Anzahl von Udāna-Bruchstücken, die Allg. Einl. p. 63 f. aufgeführt sind. Die dort gegebene Liste ließe sich noch vermehren.
Von den in dieser Liste gegebenen Texten möchte ich glauben, daß sie dem älteren Schrifttum des Buddhismus angehören; und daß insbesondere die hier aufgeführten Sutten (Rahmenerzählung + Udāna) von Anfang an einheitliche Stücke gewesen sind.
Zur Stützung der Ansicht, daß manche Rahmenerzählungen unseres Werkes ursprünglich selbständige Stücke gewesen, also erst später mit dem sie abschließenden Udāna verknüpft worden sind, ließe sich auf die Erzählung VII, 5 hinweisen, die wir in Samy. XXI, 6 als selbständige Geschichte ohne Udāna antreffen, während wir das Udāna VII, 5 als Herrnwort ohne die ihm in unserem Werk vorausgehende Erzählung Samy. XLI, 5 wiederfinden.
Am Schluß von Sutta I, 10 findet sich in der Ed. der Satz: ,Auch dieser Ausruf wurde vom Erhabenen getan, so habe ich gehört.’ Dieser merkwürdige Satz findet sich in der Ed. nur an dieser Stelle; in S. kommt er überhaupt nicht vor. Sollte er, was jedoch sehr zweifelhaft ist, wirklich ursprünglich sein, so würde er dafür sprechen, daß in alter Zeit manche Udānas ohne Erzählungen aneinandergereiht und nach Art der Itivuttakas durch diesen stereotypen Satz voneinander abgehoben wurden. Indessen das sind lediglich Vermutungen ohne sichere Grundlage.
Etwas mehr Erfolg können wir uns bei unserer Umschau nach solchen Texten im Udāna versprechen, die kaum der ältesten Schicht buddhistischen Schrifttums angehören dürften. Schon bei einem flüchtigen Überlesen des Udāna erscheint es sehr auffällig, daß sich innerhalb der Rahmenerzählungen gewisse Gruppen oder Typen von Geschichten deutlich abheben. Häufig stimmen die zu einer Gruppe gehörenden Erzählungen vollständig oder bis auf kleine Einzelheiten miteinander überein; in anderen Fällen sind die Abweichungen zwar größer, aber das Leitmotiv der Geschichten ist ein und dasselbe. Hier ist also deutlich nach einer Schablone gearbeitet worden, sei es, daß wir in einer Geschichte einer Gruppe das Urbild für die übrigen Erzählungen derselben Gruppe zu erblicken haben, sei es, daß alle Erzählungen, die sich auf Grund ihrer inneren Verwandtschaft zu einer Gruppe zusammenschließen, als verschiedene Variationen eines und desselben Berichtes gelten müssen, der in seiner ursprünglichen Fassung nicht mehr auf uns gekommen ist. Solche schematisch gearbeiteten Erzählungen mögen ihre Entstehung dem ganz berechtigten Wunsche verdanken, manche an sich schwer verständliche Udānas, die bis dahin für sich, ohne Vorgeschichten, überliefert wurden, aus einem Milieu heraus verständlich zu machen. Denn wir dürfen nicht vergessen, daß verschiedene Udānas sprachlich und inhaltlich große Schwierigkeiten bieten, und es ist begreiflich. wenn man durch Vorausschickung von Erzählungen dem Verständnis dieser Herrnworte nachhelfen zu müssen glaubte.
Diese Gruppen von Rahmenerzählungen (es handelt sich um einige dreißig Geschichten), die hier in Rede stehen, sind folgende:
Erste Gruppe: Die Erzählungen II, 2; III, 8; III, 9. Jünger unterhalten sich an einem Nachmittage im Jeta-Haine bei Sāvatthi über Dinge, die von Buddha als einer Unterhaltung unwürdig bezeichnet werden. Der Meister verwarnt die Jünger und schließt seine Worte, bevor er das Udāna ausstößt, mit der Mahnung: "Wenn ihr euch versammelt habt, geziemt euch zweierlei: Entweder Gespräch über die Lehre oder heiliges Schweigen." Die Erzählungen stimmen, von dem Gegenstand der mönchischen Unterhaltung abgesehen, vollständig miteinander überein.
Zweite Gruppe: Die Erzählungen III, 1; III, 4; III, 5; IV, 6; IV, 7; IV, 10; V, 7; V, 10; VI, 7; VII, 6; VII, 8. Buddha sieht im Jeta-Haine bei Sāvatthi einen in seiner Nähe sitzenden Jünger, der in eine bestimmte Meditation versunken ist, und wird dadurch zur Ausstoßung eines Udāna veranlaßt.
Dritte Gruppe: Die Erzählungen II, 3; V, 4; V, 9. Buddha wird zu dem Udāna dadurch veranlaßt, daß einige junge Leute sich ungebührlich betragen. Die beiden ersten Erzählungen gehören näher zueinander; hier quälen die jungen Burschen Tiere, und der Ort der Handlung ist die Straße zwischen Sāvatthi und dem Jeta-Hain. In der Erzählung V, 9 wird berichtet, daß die jungen Männer unter großem Lärm vorübergehen; dieser Vorgang wird in das Land der Kosaler verlegt. Das Udāna findet sich in einem ganz andern Zusammenhange noch MV. X, 3 als Gāthā, nicht als Udāna.
Vierte Gruppe: Die Erzählungen I, 6 und III, 7. Mahā-Kassapa weilt in der Pipphali-Höhle bei Rājagaha. Fünfhundert Gottheiten sind darauf bedacht, den Jünger mit Almosenspeise zu versehen. Mahā-Kassapa entläßt jedoch die dienstbaren Geister und begibt sich selbst nach Rājagaha wegen Almosenspeise, u. z. nimmt er seinen Weg durch die Straßen des Armenviertels, wo die Weber wohnen. Trotz dieser großen Ähnlichkeit beider Erzählungen weichen diese in anderen Punkten voneinander ab; so schaltet III, 7 eine merkwürdige Episode ein, in welcher der Götterkönig Sakka die Hauptrolle spielt.
Fünfte Gruppe: Die Erzählungen VII, 3 und VII, 4. Beide Geschichten berichten in gleichen Worten von dem zuchtlosen Leben der Bewohner von Sāvatthi; Buddha wird dadurch zur Ausstoßung eines Udāna veranlaßt. In dem ersten Falle berichten die Jünger dem Meister über jene Menschen; in der andern Erzählung beobachtet Buddha den Vorgang mit eigenen Augen.
Sechste Gruppe: Die Erzählungen VI, 4; VI, 5; VI, 6. In allen drei Fällen handelt es sich um andersgläubige Asketen, die sich in Sāvatthi über die verschiedenen von ihnen vertretenen Ansichten streiten. Die beiden letzten Erzählungen stimmen vollständig miteinander überein; die Geschichte VI, 4 formuliert die von den Asketen verfochtenen Lehrmeinungen anders und schaltet außerdem die Parabel von den Blindgeborenen ein. Ich halte diese Erzählung für die Vorlage der beiden anderen.
Siebente Gruppe: Die Erzählungen II, 4 und IV, 8. Beiden Berichten gemeinsam ist der Zug, daß andersgläubigen Asketen von den Einwohnern von Sāvatthi nicht die gleichen Ehren erwiesen werden wie dem Buddha und seinen Jüngern. Die Asketen geraten darüber in Zorn und nehmen gegen die Buddha-Mönche eine feindselige Haltung an. Die Erzählung IV, 8 gibt dann noch den Bericht von der Ermordung der Sundari.
Achte Gruppe: Die Erzählungen VIII, I; VIII, 2; VIII, 3; VIII, 4. In diesen Berichten, die in ihrem Wortlaut miteinander vollkommen identisch sind, wird erzählt, daß Buddha im Jeta-Haine bei Sāvatthi eine Lehrrede über das Nibbāna hält, an deren Schluß er das betreffende Udāna ausstößt.
Neunte Gruppe: Die Erzählungen VI, 3 und VII, 4. Buddha ist im Jeta-Haine bei Sāvatthi in eine Betrachtung versunken, die sich auf Vorgänge in seinem innern Leben beziehen.
Zehnte Gruppe: Die Erzählungen VIII, 9 und VIII, 10. Den Mittelpunkt beider Geschichten bildet das mit den gleichen Worten geschilderte Parinibbāna des Jüngers Dabba Mallaputta. In der ersten Erzählung ist Buddha persönlich Augenzeuge dieses Vorgangs; in der zweiten Erzählung berichtet der Meister das Geschehnis seinen Jüngern.
Hierher gehören noch folgende Episoden: Die Erzählung VII, 9 und eine Episode in der Erzählung VIII, 5 (p. 83 in der Ed.). In beiden Fällen wünscht Buddha zu trinken und schickt den Ananda nach Wasser. Obwohl dieser den Meister darauf hinweist, daß in der Nähe kein trinkbares Wasser vorhanden ist, beharrt Buddha bei seinem Auftrage. Als Ananda dem Befehle nachkommt, sieht er zu seinem großen Erstaunen, daß reichlich Wasser fließt.
Ferner zwei fast gleichlautende Episoden in den Erzählungen III, 3 und V, 5. Buddha sitzt zur Nachtzeit schweigend in der Nähe einer Jüngergemeinde. Ananda bittet den Meister dreimal, das Wort an die Gemeinde zu richten und erhält erst beim dritten Mal eine Antwort.
Ein und dasselbe Motiv liegt den Erzählungen I, 10 und V, 3 zugrunde: Ein von Buddha persönlich Bekehrter wird unmittelbar nach seiner Bekehrung von einem Rinde getötet. Ähnlich, nur mit einer andern Todesart, der Bericht IV, 3.
Ich habe hier die sich sehr ähnelnden Erzählungen I, 1-4; III, 10; II, 1 absichtlich nicht als eine Gruppe zusammengefaßt, da es sich bei ihnen nicht sowohl um Variationen eines und desselben Themas handelt, als vielmehr um zeitlich aufeinander folgende Vorgänge, die sich in der Gegend von Uruvelā unmittelbar nach der Erleuchtung zugetragen haben sollen. Freilich ist auch hier schematisch gearbeitet worden.
Wer also innerhalb des Udāna nach Texten sucht, die am ehesten noch von dem ältesten Bestande des Werkes auszuscheiden sein dürften, der wird sein Augenmerk in erster Linie auf die hier angegebenen Gruppen 1-10 der Rahmenerzählungen zu richten haben. Man darf sich allerdings nicht verhehlen, daß auch diese Partien schwerlich viel jünger sein können als die älteren, gut überlieferten Texte; sie enthalten sowohl sprachlich als auch inhaltlich kaum irgendwelche Kriterien, auf Grund deren man genötigt wäre, ihre Entstehung einer späteren Zeit zuzuschreiben10).
Damit kommen wir zu der Frage, wann das Gesamtwerk seinen Abschluß gefunden hat. Die Erwähnung von Cetiyas und Thúpas (I, 7; VI, 1; I, 10) beweist nichts zugunsten der Annahme einer späteren Kompilationszeit (Allg. Einl. p. 88). Ebensowenig die Anschauung von der Mehrzahl der Buddhas (VI, 10) und von dem Tode einer Bodhisatta-Mutter sieben Tage nach der Geburt des Kindes (V, 2), denn diese beiden Lehren sind sehr alt (,akkhātāro tathāgatā’ in Dhp. 276; Digh. XIV; Majjh. 123). Belanglos ist auch die Erwähnung des aus sechzehn Stücken bestehenden Atthakavagga in V, 6. Die Stelle beweist nur, daß zur Zeit der Abfassung dieser Erzählung der Atthakavagga in sechzehn Kapiteln bereits bestanden hat; und das will nicht viel besagen angesichts der Tatsache, daß der Text des Atthaka zu den ältesten Partien des Tipitaka überhaupt gehört.
Der Bericht in der Erzählung VIII, 6 mit seinen Parallelen MPS. I, 19-34; MV. VI, 28, 1-13, nach welchem Buddha prophezeit haben soll, daß der Ort Pātaligāma einst Pātaliputta heißen und eine hervorragende Stadt sein werde, bietet uns nun allerdings die Möglichkeit, den Zeitraum, innerhalb dessen sich die Kompilation des Werkes vollzogen haben muß, wenigstens nach rückwärts abzugrenzen. Die Erhebung des genannten Ortes zur Hauptstadt von Magadha hat aller Wahrscheinlichkeit nach unter Udāyi, dem Sohne des Ajātasattu stattgefunden, der nach der jinistischen Überlieferung seine Residenz nach Pātaliputta verlegte (vgl. SBE. XVII, p. 102, Anm.). Ajātasattu war ein (jüngerer) Zeitgenosse Buddhas und überlebte diesen. Daraus können wir schließen, daß das erwähnte Ereignis etwa dreißig bis vierzig Jahre nach dem Tode Buddhas stattgefunden hat. Datiert man Buddhas Tod auf das Jahr 480, so würde demnach die Kompilation des Udāna kaum vor 440 v. Chr. angesetzt werden dürfen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß viele Partien, insonderheit die Udānas selbst, nicht noch älter sein können.
Durch die Inschriften an den Railings des Stúpa von Bharhut ist die Existenz von fünf Nikāyas für die Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, d. i. für die Zeit des dritten Konzils von Pātaliputta (245 v. Chr.), zum mindesten wahrscheinlich gemacht11). Damals muß also auch der Khuddakanikāya, wenigstens in seinem alten Stamm, vorhanden gewesen sein. Der Khuddakanikāya besteht aus fünfzehn selbständigen Büchern. Es ist wohl kein Zufall, daß unter diesen fünfzehn Werken gerade diejenigen, die man als jüngere Arbeiten anzusprechen alle Veranlassung hat (Buddhavamsa, Cariyāpitaka, Patisambhidāmagga), an den Schluß dieser Sammlung verwiesen sind. Das Udāna seinerseits aber nimmt in der Reihenfolge der fünfzehn Schriften die dritte Stelle ein, steht mithin ziemlich am Anfang des Khuddakanikāya und wird unbedenklich dessen altem Stamm zugezählt werden dürfen. Ich bin daher geneigt, zu glauben, daß das Udāna nicht später als um die Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts zum Abschluß gelangt ist. Ausgenommen hiervon sind nur die Übersichten am Schluß der einzelnen Kapitel und wahrscheinlich auch die Titel der Vaggas.
Wie steht es nun mit der Authentizität der Udāna-Texte? Wir tappen hier, kurz gesagt, genau so im Dunkeln wie bei anderen Pitaka-Texten älteren Datums. Vieles in den Erzählungen kann sich sehr wohl so zugetragen haben, wie es berichtet wird; manche Geschichten können als Reminiszenzen an wirkliche Vorkommnisse betrachtet werden, und die Udānas können in der Tat verba magistri sein. Aber wir sind gänzlich außerstande, hierfür irgendwie einen durchschlagenden Beweis auf Grund rein philologischer Kriterien anzutreten. Das Einzige, weil in allen Schulen überliefert, was als wirklich geschichtlich gelten kann, ist die Angabe in Ud. I, 1-4, daß der Meister nach dem großen Wendepunkt in seinem Leben mehrere Wochen in der Einsamkeit in der Nähe von Uruvelā an der Nerañjarā geweilt hat, und der Bericht in VIII, 5, wonach der hochbetagte Buddha in Pāvā nach einem Mahle bei einem Schmiede namens Cunda an der roten Ruhr12) erkrankt und bald darauf verschieden ist. Unentschieden bleibt auch die Frage, wie die vielen legendären Züge im Udāna (die in diesem Werke übrigens keineswegs stärker hervortreten als in anderen älteren Schriften des Tipitaka) zu beurteilen sind. Ob wir in ihnen lediglich das Rankenwerk frommer Dichtung vor uns haben, oder ob sie wirklich auf visionäre Erlebnisse Buddhas und seiner Jünger zurückgehen, kann hier nicht erörtert werden.
Über die Bedeutung , die dem Udāna als Quellenwerk und als Literaturdenkmal zukommt13), ließe sich vom religionswissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen und literarhistorischen Standpunkt aus mancherlei sagen. Sicher ist wohl, daß die Ausbeute, die das Werk für unsere Kenntnis der altbuddhistischen Dogmatik bietet, eine nicht allzu reiche, zum mindesten eine geringere ist als bei anderen Traktaten, beispielsweise denen des Majjhimanikāya. Das liegt ja auch in der Natur der Sache: Im Udāna tritt das lehrhafte Moment stark zurück, die einleitenden Erzählungen bieten nur gelegentlich längere Reden, wie in IV, 1; V, 5; und den Udānas haftet viel mehr eine hohe Stimmung als ein lehrhafter Charakter an. Gleichwohl gehen wir, auch in dieser Hinsicht nicht ganz leer aus: Die Sutten I, 1-3 geben uns die im Zentralpunkt der buddhistischen Ontologie liegende zwölfgliedrige Formel des Paticcasamuppāda, und noch bedeutend höher, weil zumeist in anderen Schriften nicht vorkommend, möchte ich die Udānas I, 10; VIII, 1-4; VIII, 10, die von dem Parinibbāna handeln, bewerten. Außerdem enthält das Udāna noch andere Worte über das Nibbāna, so IV, 1; V, 5 und VIII, 9. Wertvoll sind ferner die in der Erzählung IV, 1 enthaltenen kurzen Angaben über die meditative Praxis, wie denn überhaupt in einer ganzen Reihe von Erzählungen gewisse Meditationsübungen sozusagen schlagwortartig hervorgehoben werden. Die in V, 5 als ,sieben Kostbarkeiten’ erwähnten ,bodhipakkhiyā dhammā’ spielen eine wesentliche Rolle in der Lehre von den höheren Pfaden, auf welche in V, 3; V, 5; VII, 2 und VII, 10 Bezug genommen wird; von den Asavas ist in VII, 1 die Rede. Interessant ist die Erzählung von einem der in älteren Texten selten begegnenden Pacceka-Buddhas (V, 3).
Wichtig für die Beurteilung der religiösen Vorstellungen jener Zeit sind die in I, 7 und IV, 4 auftretenden Yakkhas, die Erscheinung Māras (VI, I), die Erzählung vom Nāga-König Mucalinda (II, 1), vom Götterkönig Sakka in III, 7 und III, 2 sowie die Erwähnung von Asuras, Nāgas, Gandhabbas und bestimmten monströsen, fabelhaften Wesen, die im Weltmeer hausen (V, 5).
Die Erzählung II, 8 berichtet von einer der wenigen dem Buddha zugeschriebenen Krankenheilungen. Eine vornehme Frau liegt seit sieben .Tagen in schwersten Geburtswehen; sie sendet ihren Gatten zu Buddha, und auf das Wort des Meisters hin wird die Frau sofort gesund und schenkt einem gesunden Knaben das Leben. Dieser Erzählung liegt das gleiche Motiv zugrunde wie der Geschichte vom Hauptmann zu Kapernaum im Neuen Testament.
Höchst eigenartig ist der Bericht vom Parinibbāna des Jüngers Dabba Mallaputta (VIII, 9 und 10). Derselbe erhebt sich in den Luftraum und sein Körper, weiß brennend 14), zerglüht im Glanz-Element so vollständig, daß keinerlei Residuum wahrzunehmen ist. Man wird bei dieser Erzählung an verwandte Vorstellungen im alten Christentum erinnert: Der Körper des Heiligen, in die Luft emporsteigend, grell leuchtend in der Transfiguration, und in der Himmelfahrt jeder weiteren sinnlichen Wahrnehmung sich entziehend.
Beachtung verdienen ferner die Berichte über Entrückungen, die der Heilige durch seine magische Kraft durchzuführen vermag (III, 3; VIII, 6; vgl. auch III, 2). Die beiden Wunder vom frischen, fließenden Wasser (VII, 9 und VIII, 5) und das Udāna VII, 9: "Was mag einem ein Brunnen nützen, wenn allzeit (fließende) Wasser da sind?" erinnern an Gedankengänge und Worte Christi im IV. Kap. des Johannes-Evangeliums.
Wichtig für die Beurteilung der Stellung der Frau im alten Buddhismus ist die Angabe in VIII, 8, daß auch weltliche Anhängerinnen (also nicht etwa nur Nonnen !) die Anāgāmischaft erreichen können und erreicht haben.
Durch die Rahmenerzählungen, die den Udānas vorausgehen, gewinnen die Texte unseres Werkes eine gewisse Lebendigkeit und Wärme. Wir sehen hier den Meister auf der Wanderung, im Verkehr mit seinen Jüngern, mit Laien und Anhängerinnen, die in den Nöten des Herzens Rat und Hilfe bei Buddha suchen; wir tun Blicke in das Leben der altbuddhistischen Brüdergemeinde, in das Leben und Treiben heterodoxer Asketen und Büßer, und auch die profane Welt lüftet hie und da den Schleier vor unseren Augen. So liefert denn das Udāna einen äußerst schätzenswerten Beitrag zur altindischen, insonderheit altbuddhistischen Kulturgeschichte.
Unser Werk ist von hohem Wert auch für die Beurteilung des Meisters selbst, wie dessen Bild in der Gedankenwelt seiner Anhänger fortlebte. Kurze Aphorismen, lapidare Aussprüche angesichts eines bestimmten Ereignisses oder Erlebnisses vermögen unter Umständen die ganze Größe ihres Künders heller zu beleuchten und können sie schärfer hervortreten lassen als ausführliche Reden oder fein abgerundete Gāthās. Freilich dürfen wir nie vergessen, daß diese Ausrufe, da sie von den Lippen des Erlösten und Heiligen Indiens kommen, zum größten Teil auch der Verherrlichung jenes Ideals, des Bewußtseins der errungenen Erlösung, dienen.
Als Literaturdenkmal ist das Udāna reich an feinsinnigen Gedanken, treffenden Worten; manch charakteristische Sentenz, manch prächtiges Gleichnis fesselt unser Interesse. Was zunächst die Form anbetrifft, in der uns diese Gedanken geboten werden, so muß bemerkt werden, daß der Prosastil der Rahmenerzählungen schwerfällig und infolge seiner Wiederholungen dem Geschmack unserer Zeit wenig konform ist. Anders steht es mit den Udānas, die in ihrer aphoristischen Fassung uns unmittelbar ansprechen. Aber selbst die Prosatexte der Erzählungen geben uns hie und da kurze Aussprüche gewaltiger Art; so die beiden für den Geist der Buddha-Lehre so charakteristischen Worte: "Die nichts Liebes haben, die haben nichts Leides" (VIII, 8) und "wie das Weltmeer nur einen Geschmack hat, den Geschmack des Salzes, so hat diese meine Heilslehre und Disziplin nur einen Geschmack, den Geschmack der Erlösung" (V, 5). Die tiefe Gleichnisrede, der das zuletzt angeführte Wort entstammt, vergleicht die Heilslehre achtmal mit dem Weltmeer. Wenn man nach einer christlichen Parallele sucht, wird man sie am ehesten mit den sieben kurzen Gleichnissen vom Himmelreich bei Matthäus (Kap. 13) in eine Reihe stellen dürfen. Ein Meisterstück altbuddhistischer Gleichnisrede ist die Parabel von den Blindgeborenen (VII, 4), welche nicht nur in Indien weit bekannt war, sondern die auch in die persische und arabische Literatur übergegangen ist, also der Weltliteratur zugerechnet werden muß.
Mit dem Nachtfalter, der das trügerische Licht der Lampe umgaukelt und dann, versengt, elend umkommt, werden die leichtfertigen Menschen verglichen, die von der Flamme der Lust angezogen werden und verderben (VI, 9). Wie das Glühwürmchen nur leuchtet, so lange die Sonne noch nicht aufgegangen ist, dann aber, wenn der ,Lichtbringer’ am Himmel emporsteigt, seinen Glanz verliert, so verlieren auch die gewöhnlichen Asketen und Priester ihren Glanz, sobald ein Buddha in der Welt erscheint (VI, 10). Die Welt gleicht einem verzehrenden Feuerbrande (III, 10), aber der in sich selbst vertiefte Heilige leuchtet hell wie die Sonne, die den Raum durchstrahlt (I, 3). Unbekannt ist der Weg, den der Heiligerlöste nimmt, wenn er die Leiblichkeit ablegt. Niemand kennt seinen Weg, wie man auch nicht sagen kann, wohin der durch den Schmiedehammer ausgelöste Funke geht, der, eben noch glühend, nach und nach verschwindet (VIII, 10). Selig sind, die nichts besitzen; die Wissensmächtigen nennen ja nichts ihr eigen. Siehe da den Wohlhabenden, wie er geplagt ist: Das Herz des Weltmenschen ist an fremdes Herz gekettet (II, 6). Seinen treffendsten Ausdruck scheint mir der Geist, der aus dem ganzen Werke spricht, und der diese feierlichen Worte des Indischen Meisters wie feiner Sandelduft die sonnig-stille Tropenluft durchzieht, in dem Udāna II, 1 zu finden: "Selig die Abgeschiedenheit des Gestillten, der die Heilslehre kennt und sehend ist; selig das Freisein von Übelwollen in der Welt, die Zurückhaltung gegenüber den lebenden Wesen. Selig der Zustand der Leidenschaftslosigkeit in der Welt, die Überwindung der Sinnenlüste; die Bemeisterung des Dünkels ,ich bin’ - dies, wahrlich, ist höchste Seligkeit."
Und dann endlich die Ausblicke in das ferne, unbekannte Land, in das der Erlöste zieht, wenn er seiner letzten Bürde ledig geworden und auch sein Sechs-Sinnen-Bewußtsein zur Rüste gegangen ist (I, 10; VIII, 1-4): Jenes Ungeborene, Ungewordene, Ungeschaffene, Ungestaltete - das Reich, wo es weder diese Welt noch jene Welt gibt, weder Sonne noch Mond, weder Entstehen noch Vergehen, und wo, wie es im Suttanipāta heißt, alle Formen des Werdens und damit auch für uns alle Pfade der Rede zur Aufhebung gelangt sind. Nur eines weiß der Meister von diesem unbekannten Lande zu künden: "Eben dies ist das Ende des Leidens." -
1) Für den einzelnen ,Ausruf’ Buddhas kommt auch die maskuline Form ,udāno’ vor. Im folgenden wird sowohl für das Gesamtwerk als auch für den einzelnen ,Ausruf’ durchweg die Stammform Udāna, u. z. als Neutrum gebraucht.
2) Die Siamesische Ausgabe des Tipitaka eignet sich weit besser zur Feststellung des wirklichen Umfanges der einzelnen Schriften als die Ausgaben der PTS.; denn jene ist einerseits fast ganz frei von Peyyālas (Kürzungen) und gibt andererseits sehr wenig Varianten, bietet also zum größten Teil Text-Vollseiten.
3) Childers s. v. udāna; JPTS. 1890, p. 30. Einen ähnlichen Widerspruch enthält übrigens auch Buddhaghosas Definition des Itivuttaka.
4) Diese in siamesischen Lettern gedruckte, in den Jahren 1893-1894 in Bangkok veröffentlichte Ausgabe der Pitakas umfaßt 39 Bände, von denen acht auf den Vinaya, zwanzig auf das Sutta-Pitaka und elf auf den Abhidhamma entfallen. Der siebzehnte Band des Sutta-Pitaka enthält außer dem Udāna den Khuddakapātha, das Dhammapada, Itivuttaka und den Suttanipāta, also die fünf ersten Bücher des Khuddakanikāya.
5) "Freudengesänge" (Rhys Davids - Pfungst, Der Buddhismus, p. 26) als Übersetzung von Udāna ist also aus einem doppelten Grunde falsch und irreführend.
6) Allg. Einl., p. 75 ff. Englische Übersetzung des UV. von Rockhill, London 1892.
7) Die hier in Rede stehende, gleichfalls hinayānistische Schule war die der Vaibhāshikas.
8) Vgl. die entsprechenden Titel im Dhammapada, Kap. 3, 15, 25, 26.
10) Die einzigen Wendungen, die auf eine jüngere Abfassungszeit schließen lassen könnten, sind "āyasmato Sāriputta therassa" in IV, 4; "kankhāvitaranavisuddhi" in V, 7; "attano papañcasaññāsankhāpahānam" in VII, 7.
11) Eine nicht im Verdacht eines späteren Ursprungs stehende Inschrift auf dem, unmittelbar nach Asokas Tode errichteten Stúpa von Bharhut erwähnt Kenner oder Rezitatoren der fünf Nikāyas. Die letzteren müssen also beträchtlich älter sein.
12) Vgl. Anm. 420.
13) Eine kurze Charakterisierung des Udāna bei Winternitz, Die Buddhistische Literatur, p. 65-68.
14) M. liest ,sitim dahimsu’.
Verehrung Ihm, dem Erhabenen, Heiligen, völlig Erwachten!