So habe ich es gehört:
Einst weilte der Erhabene in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi. Damals hielt sich der ehrwürdige Moliyaphāgguna übermäßig lange bei den Nonnen auf und war mit ihnen so eng verbunden, daß er, wenn ein Bhikkhu die Nonnen in seiner Gegenwart tadelte, ärgerlich und verstimmt einen Streit anfing, und daß die Nonnen, wenn ihn ein Bhikkhu in ihrer Gegenwart tadelte, ärgerlich und verstimmt einen Streit anfingen. Ein Bhikkhu erzählte dies dem Erhabenen. Darauf ließ der Erhabene den ehrwürdigen Moliyaphāgguna zu sich rufen und fragte ihn, ob es wahr sei, daß er mit den Nonnen so eng verbunden sei, wie berichtet wurde. Da Moliyaphāgguna es bestätigte, sprach der Erhabene: «Bist du denn nicht als ehrbarer Mann vertrauensvoll in den Orden eingetreten?» - «Ja, Herr!» - «Dann geziemt es sich für dich nicht, dich übermäßig lange bei den Nonnen aufzuhalten und mit ihnen so eng verbunden zu sein. Vielmehr hast du, wenn jemand in deiner Gegenwart die Nonnen tadelt, alle weltlichen Gedanken und Wünsche zu überwinden und dich so zu üben: <Nichts Unrechtes will ich denken, kein böses Wort soll mir entfahren, freundlich und mitleidig will ich bleiben, gütig gesinnt, ohne heimlichen Haß.> Auch wenn jemand die Nonnen in deiner Gegenwart schlüge oder mit Steinen bewürfe oder mit einem Stock prügelte oder mit einer Waffe verletzte, sollst du dich ebenso üben, und auch wenn man dich tadelte oder schlüge oder mit Steinen bewürfe oder mit einem Stock prügelte oder mit einer Waffe verletzte, sollst du dich ebenso üben: <Nichts Unrechtes will ich denken, kein böses Wort soll mir entfahren, freundlich und mitleidig will ich bleiben, gütig gesinnt, ohne heimlichen Haß.>»
Weiter sprach der Erhabene zu den Bhikkhus:
«Aufgeschlossen waren einstmals[2] meine Bhikkhus. Als ich ihnen sagte: <Ich speise allein und fühle mich dabei wohl und munter, frisch und gesund. Macht es ebenso!>, da brauchte ich es jenen Bhikkhus nicht vorzuschreiben, sondern es genügte, sie darauf aufmerksam zu machen. Wie ein geschickter, rossekundiger Wagenlenker einen mit guten Rossen bespannten Wagen mit daran hängendem Treibstock, der auf gutem Boden an einem Kreuzweg steht, besteigt, mit der linken Hand die Zügel und mit der rechten den Treibstock ergreift und dann fahren kann, wohin er will und wie er will, so brauchte ich jenen Bhikkhus nichts vorzuschreiben, sondern es genügte, sie darauf aufmerksam zu machen. So meidet denn Unheilsames und bemüht euch um Heilsames! So werdet ihr in diesem Orden wachsen und gedeihen. Wie in einen Wald von großen Salabäumen nahe bei einem Dorfe, der von Unkraut überwuchert ist, ein wohlwollender Mensch kommt und die krummen, dem Wachstum hinderlichen Sprößlinge wegschneidet, hinauswirft und den Wald säubert und die geraden, gut gewachsenen Bäume pflegt, so daß dieser Wald mit der Zeit wächst und gedeiht, ebenso werdet ihr, wenn ihr Unheilsames meidet und euch um Heilsames bemüht, in diesem Orden wachsen und gedeihen.
Es war einmal in dieser Stadt Sāvatthi eine Hausfrau namens Vedéhika, die stand in dem guten Ruf, sie sei sanft und friedfertig. Sie hatte eine geschickte, tüchtige und fleißige Magd namens Kali. Diese dachte: Meine Herrin steht in dem guten Ruf, sie sei sanft und friedfertig. Kennt sie wirklich keinen Zorn oder wird ihr Zorn nur nicht sichtbar, weil ich meine Arbeit so gut verrichte, daß sie keinen Anlaß hat, ihren Zorn ausbrechen zu lassen? Wie wäre es, wenn ich sie einmal auf die Probe stellte? Dann stand die Magd Kali erst bei hellem Tage auf. Da rief Frau Vedéhika: <He, Kali!> Die Magd erwiderte: <Was ist denn los?> - <Warum stehst du erst bei hellem Tage auf?> - <Das schadet doch nichts!> - <Das soll nichts schaden, du schlechte Magd, daß du erst bei hellem Tage aufstehst!> So rief Frau Vedéhika ärgerlich und runzelte die Stirn. Da dachte die Magd: Sie steckt also doch innerlich voll Zorn und zeigte ihn bisher nur deshalb nicht, weil ich meine Arbeit so gut machte. Ich möchte sie noch mehr auf die Probe stellen. Dann stand sie noch später am Tage auf. Wieder rief Frau Vedéhika: <He, Kali!> - <Was ist denn los?> - <Warum stehst du so spät auf?> - <Das schadet doch nichts.> - <Das soll nichts schaden, du schlechte Magd, daß du so spät aufstehst!> rief Frau Vedéhika ärgerlich und schimpfte. Zum dritten Mal stand die Magd noch später auf. Da wurde Frau Vedéhika wütend, ergriff einen Türriegel und warf ihn der Magd an den Kopf, so daß sie blutete. Da lief die Magd Kali mit blutendem Kopf zu den Nachbarn und schrie: <Seht, das hat die sanfte Frau getan, das hat die friedfertige Frau getan, die sich nur eine einzige Magd hält! Nur weil ich etwas später aufgestanden bin, schlägt sie mir mit einem Türriegel den Kopf blutig!> Von nun an kam Frau Vedéhika in den schlechten Ruf, sie sei jähzornig, grob und zänkisch.
Ebenso ist mancher Bhikkhu nur so lange sanft und friedfertig, als man ihn nicht beleidigt. Aber gerade wenn er beleidigt wird, soll er sanft und friedfertig sein. Den nenne ich nicht anständig, der nur so lange anständig ist, als er alles, was er zum Leben braucht - Gewand, Speise, Lagerstätte und Arznei für Krankheitsfälle -, erhält. Ich nenne ihn nicht anständig, weil er dann nicht anständig bleibt, wenn er das, was er zum Leben braucht, nicht erhält. Anständig nenne ich ihn, wenn er rein aus Pflichtgefühl, aus Achtung vor dem Recht anständig ist. Darum, meine Bhikkhus, seid anständig rein aus Pflichtgefühl, aus Achtung vor dem Recht! So sollt ihr euch üben!
Auf fünffache Art reden die Leute: zur rechten Zeit oder zur Unzeit, wahr oder unwahr, höflich oder grob, sachgemäß oder unsachlich, gütig oder gehässig. Wenn sie nun auf die eine oder die andere Art reden, dann sollt ihr euch so üben: <Nichts Unrechtes will ich denken, kein böses Wort soll mir entfahren, freundlich und mitleidig will ich bleiben, gütig und ohne heimlichen Haß, und diesen Menschen will ich mit gütiger Gesinnung durchdringen, und von ihm ausgehend will ich die ganze Welt mit gütiger Gesinnung durchdringen, mit alles umfassender, großer, grenzenloser, friedlicher und freundlicher Gesinnung. So, meine Bhikkhus, sollt ihr euch üben!
Wenn ein Mensch mit einem Spaten und einem Korb käme und sagte: <Ich will diese große Erde wegschaffen>, und dort schaufelte und grübe und spuckte und harnte, indem er dächte: Die Erde soll weg sein!, glaubt ihr, er könnte die Erde wegschaffen?» - «Nein, Herr, denn diese große Erde ist unermeßlich tief, man kann sie nicht wegschaffen, auch wenn man sich noch so sehr anstrengte.» - «Ebenso, meine Bhikkhus, ist es mit der fünffachen Art zu reden (man kann sie nicht wegschaffen). Darum sollt ihr euch üben, immer mit gütiger Gesinnung zu erwidern.
Wenn ein Mensch mit gelber, blauer oder roter Farbe käme und sagte: <Ich will an den Himmel Bilder malen>, glaubt ihr, er könnte an den Himmel Bilder malen?» - «Nein, Herr, denn der Himmel ist unfaßbar und ungreifbar, dort kann man keine Bilder malen, auch wenn man sich noch so sehr anstrengte.» - «Ebenso ist es mit den fünf Arten zu reden (sie sind unfaßbar und ungreifbar). Darum sollt ihr euch üben, immer mit gütiger Gesinnung zu erwidern.
Wenn ein Mensch mit einem brennenden Strohbündel käme und sagte: <Ich will mit dem brennenden Strohbündel den Ganges ausbrennen, glaubt ihr, er könnte den Ganges damit ausbrennen?» - «Nein, Herr, denn der Ganges ist unermeßlich tief, ihn kann man mit einem brennenden Strohbündel nicht ausbrennen, auch wenn man sich noch so sehr anstrengte.» - «Ebenso, meine Bhikkhus, ist es mit der fünffachen Art zu reden (man kann sie nicht ausbrennen). Darum sollt ihr euch üben, immer mit gütiger Gesinnung zu erwidern.
Wenn ein gut gegerbtes, seidenweiches Katzenfell da wäre, das nicht mehr frisch ist, und ein Mensch käme mit Gras und Sand und sagte: «Ich will das Katzenfell wieder frisch machen), glaubt ihr, er könnte das?» - «Nein, Herr, denn ein solches Katzenfell kann man nicht wieder frisch machen, auch wenn man sich noch so sehr anstrengte.» - «Ebenso, meine Bhikkhus, ist es mit der fünffachen Art zu reden (man kann sie nicht ungeschehen machen). Darum sollt ihr euch üben, immer mit gütiger Gesinnung zu erwidern.
Selbst wenn, meine Bhikkhus, Räuber und Mörder mit scharfer Säge euch ein Glied nach dem andern abtrennten und ihr darüber in eurem Gemüte ergrimmtet, würdet ihr nicht meine Weisung erfüllen. Auch in diesem Falle müßt ihr euch so üben: <Nichts Unrechtes wollen wir denken, kein böses Wort soll uns entfahren, freundlich und mitleidig wollen wir bleiben, gütig gesinnt, ohne heimlichen Haß, und diesen Menschen wollen wir mit gütiger Gesinnung durchdringen, und von ihm ausgehend wollen wir die ganze Welt mit gütiger Gesinnung durchdringen, mit alles umfassender, großer, grenzenlos friedlicher und freundlicher Gesinnung.> So sollt ihr euch üben.
Diese Lehre mit dem Gleichnis von der Säge, meine Bhikkhus, müßt ihr euch oft vergegenwärtigen. Kennt ihr eine Art zu reden, höflich oder grob, die ihr nicht ertragen könntet?» - «Nein Herr!» - «Vergegenwärtigt euch also oft diese Lehre mit dem Gleichnis von der Säge! Das wird euch für lange Zeit Heil und Glück bringen.»
So sprach der Erhabene. Die Bhikkhus nahmen seine Belehrung mit Freude und Dank an.
[1]Dieses Buch heißt im Text nur <das dritte>, es enthält Gleichnisse.
[2]Bei diesem Gespräch war Buddha wahrscheinlich schon etwa siebzig Jahre alt, denn den Nonnenorden hatte er erst in vorgerücktem Alter errichtet, und das Verhalten Moliyaphāggunas setzt voraus, daß der Nonnenorden schon lange Zeit bestand. Nun erinnert sich, Buddha, wie verständig und fügsam die Bhikkhus früher waren.