ERSTES BRUCHSTÜCK
DAS HAB' ICH GEHÖRT. Zu einer Zeit weilte der Erhabene bei Sāvatthī, im Siegerwalde, im Garten Anāthapindikos.
Um diese Zeit nun lebte im Reiche König Pasenadis von Kosalo ein Räuber, Angulimalo genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag gewohnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der machte die Dörfer undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er brachte die Leute um und hing sich die Fingerlein um den Hals.
Und der Erhabene, zeitig gerüstet, nahm Mantel und Schale und begab sich nach Sāvatthī um Almosenspeise. Und als der Erhabene, von Haus zu Haus tretend, Almosen erhalten, kehrte er zurück und nahm das Mahl ein; dann brach er das Lager ab und ging, mit Mantel und Schale versehn, des Weges hin, nach der Gegend wo Angulimalo der Räuber hauste.
Es sahn aber Hirten und Landleute den Erhabenen des Weges hingehn, nach der Gegend wo Angulimalo der Räuber hauste; und als sie den Erhabenen gesehn sprachen sie also zu ihm:
"Nicht dahin, Asket, wolle gehn! In jener Gegend, Asket, haust ein Räuber, Angulimalo genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag gewohnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er bringt die Leute um und hängt sich die Fingerlein um den Hals. Nach jener Gegend, Asket, sind ja zehn Mann, und zwanzig Mann, und dreißig Mann, und vierzig Mann vereint ausgezogen, sind aber alle in die Gewalt Angulimalo des Räubers geraten!"
Also angeredet schritt der Erhabene schweigend weiter.
Und ein zweites Mal, und ein drittes Mal sprachen Hirten und Landleute den Erhabenen also an: aber schweigend schritt der Erhabene weiter.
Und Angulimalo der Räuber sah den Erhabenen von ferne herankommen, und als er ihn gesehn gedacht' er bei sich: 'Wunderbar, wahrlich, außerordentlich ist es! Auf diesem Wege sind ja zehn Mann, und zwanzig Mann, und dreißig Mann, und vierzig Mann vereint ausgezogen und sind alle in meine Gewalt geraten: und dieser Asket da kommt einzeln, allein, wie ein Eroberer heran! Wie, wenn ich nun diesem Asketen den Garaus machte?'
Und Angulimalo der Räuber nahm Schwert und Schild, hing Bogen und Köcher um und ging dem Erhabenen Schritt um Schritt nach.
Da ließ nun der Erhabene eine magische Erscheinung von solcher
Art erscheinen, daß Angulimalo der Räuber den Erhabenen, der gelassen
dahinschritt, mit aller Macht laufend nicht einholen konnte. Und Angulimalo der
Räuber gedachte bei sich: 'Wunderbar, wahrlich, außerordentlich ist es! Ich habe
ja früher einen flüchtigen Elefanten überrascht und erreicht, ein flüchtiges Roß
überrascht und erreicht, einen flüchtigen Wagen überrascht und erreicht, ein
flüchtiges Reh überrascht und erreicht: aber diesen Asketen da, der gelassen
dahingeht, kann ich mit aller Macht laufend nicht einholen!' Und er blieb stehn
und rief dem Erhabenen zu:
Da kam nun Angulimalo dem Räuber der Gedanke: 'Diese Asketen des
Sakyersohnes reden die Wahrheit, bekennen die Wahrheit: gleichwohl aber sagt
dieser Asket, der da wandelt, 'Ich stehe, Angulimalo: steh' auch du. 'Wie, wenn
ich nun diesen Asketen fragte?' Und Angulimalo der Räuber sprach den Erhabenen
mit dem Spruche an:
DER HERR:
ZWEITES BRUCHSTÜCK
ANGULIMALO:
DRITTES BRUCHSTÜCK
Und der Erhabene begab sich nun, gefolgt vom ehrwürdigen Angulimalo, auf die Wanderung nach Sāvatthī, von Ort zu Ort wandernd näherte er sich der Stadt.
Zu Sāvatthī weilte nun der Erhabene, im Siegerwalde, im Garten Anāthapindikos.
Um diese Zeit nun hatte sich vor dem Palaste König Pasenadis von Kosalo eine große Menschenmenge angesammelt, die laut lärmte und schrie:
"Ein Räuber, o König, lebt in deinem Lande, Angulimalo genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag gewohnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er bringt die Leute um und hängt sich die Fingerlein um den Hals. Den soll der König unschädlich machen!"
Da brach denn König Pasenadi von Kosalo mit fünfhundert Reitern von Sāvatthī auf und kam noch am Nachmittag bis an den Garten hin. So weit gefahren als man fahren konnte, stieg er vom Wagen ab und ging dann zu Fuße dorthin wo der Erhabene weilte, bot ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich seitwärts nieder. Und an König Pasenadi von Kosalo, der da zur Seite saß, wandte sich nun der Erhabene also:
"Was ist dir, großer König: hat etwa Magadhās König, Seniyo Bimbisaro, gedroht, oder Vesālīs Licchavier-Fürsten, oder andere deiner Mitherrscher?"
"Nicht hat mir, o Herr, Magadhās König, Seniyo Bimbisaro, gedroht, noch auch Vesālīs Licchavier-Fürsten oder andere meiner Mitherrscher: ein Räuber, o Herr, lebt in meinem Lande, Angulimalo genannt, grausam und blutgierig, an Mord und Totschlag gewohnt, ohne Mitleid gegen Mensch und Tier. Der macht die Dörfer undörflich, die Städte unstädtlich, die Länder unländlich. Er bringt die Leute um und hängt sich die Fingerlein um den Hals. Den will ich, o Herr, unschädlich machen."
"Wenn du aber, großer König, Angulimalo sähest, mit geschorenem Haar und Barte, mit fahlem Gewande bekleidet, aus dem Hause in die Hauslosigkeit gezogen, dem Töten entfremdet, dem Stehlen entfremdet, dem Lügen entfremdet, zufrieden mit einer Mahlzeit, keusch wandelnd, tugendrein, edelgeartet; was würdest du da mit ihm machen?"
"Wir würden ihn, o Herr, ehrerbietig begrüßen, uns vor ihm erheben und ihn zu sitzen einladen, ihn bitten Kleidung, Speise, Lager und Arznei für den Fall einer Krankheit anzunehmen, würden ihm wie sich's gebührt Schutz und Schirm und Obhut angedeihen lassen: wie aber sollte, o Herr, ein so arger, bösartiger Mensch eine solche Tugendläuterung erfahren?"
Nun saß eben damals der ehrwürdige Angulimalo nicht fern vom Erhabenen. Und der Erhabene wies mit dem rechten Arme hin und sprach also zu König Pasenadi von Kosalo:
"Da ist, großer König, Angulimalo."
Da kam nun den König Pasenadi von Kosalo Furcht an, Entsetzen an, seine Haare sträubten sich. Und der Erhabene sah den König Pasenadi von Kosalo erschreckt und erschüttert, mit gesträubtem Haar, und sprach also zu ihm: "Sei unbesorgt großer König, sei unbesorgt großer König: da droht dir keine Gefahr."
Und König Pasenadi von Kosali wurde wieder beruhigt und beschwichtigt; und er trat an den ehrwürdigen Angulimalo heran und sprach also zu ihm:
"Ist es denn, Herr, Angulimalo?"
"Ja, großer König."
"Welchem Stamme, Herr, gehörte des Ehrwürdigen Vater, welchem die Mutter an?"
"Gaggo war, großer König, mein Vater, Mantani meine Mutter."
"Mög' es, Herr, der ehrwürdige Gaggo, der Sohn der Mantani, zufrieden sein: ich will dafür Sorge tragen, daß der ehrwürdige Gaggo, der Sohn der Mantani, mit Kleidung und Speise, Lager und Arznei für den Fall einer Krankheit versehn sei."
Aber jetzt war der ehrwürdige Angulimalo Waldeinsiedler geworden, Brockenbettler, Fetzenträger, hatte drei Kleidungstücke. Und der ehrwürdige Angulimalo sprach also zu König Pasenadi von Kosalo:
"Genug, großer König, schon hab' ich mein Dreiwams."
Da ging denn König Pasenadi von Kosalo wieder zum Erhabenen hin, bot ehrerbietigen Gruß dar und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprach nun König Pasenadi von Kosalo zum Erhabenen also:
"Wunderbar, o Herr, außerordentlich, o Herr, ist es, wie da, o Herr, der Erhabene Unbändige bändigt, Unstillbare stillt, Unaussöhnliche aussöhnt! Denn ihn, o Herr, den wir weder mit Strafe noch Schwert bezwingen konnten, den hat der Erhabene ohne Strafe und Schwert bezwungen. - Wohlan, o Herr, jetzt wollen wir aufbrechen: manche Pflicht wartet unser, manche Obliegenheit."
"Wie es dir nun, großer König, belieben mag."
Und König Pasenadi von Kosalo stand von seinem Sitze auf, begrüßte den Erhabenen ehrerbietig, ging rechts herum und entfernte sich.
Und der ehrwürdige Angulimalo, zeitig gerüstet, nahm Mantel und Schale und ging nach Sāvatthī um Almosenspeise. Da sah der ehrwürdige Angulimalo, als er auf der Straße von Haus zu Haus um Almosen stand, irgendein Weib: die hatte eine Frühgeburt, eine Fehlgeburt getan. Als er das gesehn gedacht' er bei sich: 'Übel steht es, wahrlich, um die Wesen, übel steht es, wahrlich, um die Wesen!' - Und als der ehrwürdige Angulimalo, von Haus zu Haus tretend, Almosen erhalten, kehrte er zurück, nahm das Mahl ein und begab sich dann dorthin wo der Erhabene weilte. Dort angelangt begrüßte er den Erhabenen ehrerbietig und setzte sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprach nun der ehrwürdige Angulimalo zum Erhabenen also:
"Ich war da, o Herr, zeitig gerüstet, mit Mantel und Schale versehn, nach der Stadt gegangen, um Almosenspeise. Da hab' ich, auf der Straße von Haus zu Haus um Almosen stehend, irgendein Weib gesehn, die eine Frühgeburt, eine Fehlgeburt getan: und als ich es sah gedacht' ich bei mir: 'Übel steht es, wahrlich, um die Wesen, übel steht es, wahrlich, um die Wesen!'"
"So gehe denn, Angulimalo, zu jenem Weibe hin und sprich also zu ihr: 'Seitdem ich, o Schwester, geboren bin weiß ich nicht, daß ich mit Absicht ein Wesen des Lebens beraubt hätte: so wahr ich sage, sei genesen du, genesen deine Frucht!'"
"Würd' ich da nicht, o Herr, bewußte Lüge reden: hab' ich doch, o Herr, mit Absicht vielen Wesen das Leben geraubt!"
"So gehe denn, Angulimalo, zu jenem Weibe hin und sprich also zu ihr: 'Seitdem ich, o Schwester, in heiliger Geburt geboren bin weiß ich nicht, daß ich mit Absicht ein Wesen des Lebens beraubt hätte: so wahr ich sage, sei genesen du, genesen deine Frucht!'"
"Wohl, o Herr!" erwiderte da der ehrwürdige Angulimalo, dem Erhabenen gehorchend. Und er begab sich zu jenem Weibe hin und sprach also zu ihr:
"Seitdem ich, o Schwester, in heiliger Geburt geboren bin weiß ich nicht, daß ich mit Absicht ein Wesen des Lebens beraubt hätte: so wahr ich sage, sei genesen du, genesen deine Frucht!" (*)
Und das Weib war genesen, genesen ihre Frucht.
Und der ehrwürdige Angulimalo, einsam, abgesondert, unermüdlich, in heißem, innigem Ernste verweilend, hatte gar bald was edle Söhne gänzlich vom Hause fort in die Hauslosigkeit lockt, jenes höchste Ziel des Asketentums noch bei Lebzeiten sich offenbar gemacht, verwirklicht und errungen, 'Versiegt ist die Geburt, vollendet das Asketentum, gewirkt das Werk, nicht mehr ist diese Welt' verstand er da. Auch einer war nun der ehrwürdige Angulimalo der Heiligen geworden.
(*) Wird im Milinda Pañha 4.2.4. als Schutztext aufgelistet.
FÜNFTES BRUCHSTÜCK
Und der ehrwürdige Angulimalo, zeitig gerüstet, nahm Mantel und Schale und ging nach Sāvatthī um Almosenspeise. Um diese Zeit nun flog ein Stein, den einer geworfen, dem ehrwürdigen Angulimalo an den Leib, flog ein Stock, den einer geworfen, dem ehrwürdigen Angulimalo an den Leib, flog ein Scherben, den einer geworfen, dem ehrwürdigen Angulimalo an den Leib. Da kam nun der ehrwürdige Angulimalo mit zerschnittenem Kopfe und strömendem Blute, mit zerbrochener Schale und zerrissenem Mantel zum Erhabenen hin. Und es sah der Erhabene den ehrwürdigen Angulimalo von ferne herankommen, und als er ihn gesehn sprach er also zu ihm:
"Dulde nur, Heiliger, dulde nur, Heiliger! Um welcher Tat Vergeltung du viele Jahre, viele Jahrhunderte, viele Jahrtausende Höllenqual erlittest, dieser Tat Vergeltung, Heiliger, findest du noch bei Lebzeiten."
SECHSTES BRUCHSTÜCK
Da ließ der ehrwürdige Angulimalo, während er einsam
zurückgezogen sann, das Heil der Erlösung erfahrend, um diese Zeit folgende
Weise vernehmen: