(7)
Sittlichkeit hat man zu verstehen im Sinne von Sittenausübung.
Und was ist diese Sittenausübung?
Sie ist das Koordinieren, d.h. die Widerspruchslosigkeit der körperlichen und anderer Taten kraft guten Sittenwandels.
Oder: sie ist die Unterlage, d.h. die Stütze, im Sinne einer Grundlage, für die verdienstvollen Zustände. Alle, die sich auf Worterklärungen verstehen, geben diesen doppelten Sinn hier zu.
Andere (Vgl. Vorwort zur 1.Auflage) aber erklären hier den Sinn in der Weise, daß Sittlichkeit (sīla) 'Haupt' (siras) oder 'Kühlung' (sītala) usw. bedeute.
(8)
Denn gerade wie das Gebiet der Farben, trotz der mannigfachen Einteilung in blau, gelb usw., eben die Sichtbarkeit als Merkmal hat und trotz jener Einteilung über das Sichtbarsein nicht hinausgeht, genau so auch hat, trotz ihrer mannigfachen Einteilung, die Sittlichkeit als Merkmal eben die Sittenausübung, die erklärt wurde als das Koordinieren der körperlichen und anderen Taten und als die Grundlage der heilsamen Zustände. Und von der solches Merkmal zeigenden Sittlichkeit wurde gesagt:
Somit besteht diese Sittlichkeit, in ihrem Wesen als Tätigkeit, im Zerstören der Unsittlichkeit; und, in ihrem Wesen als erlangtem Zustand, in Untadeligkeit. Denn in dem Ausdrucke: "Merkmal usw." gilt 'Wesen' (rasa) entweder als Tätigkeit (kicca) oder als Zustand (sampatti).
[Als Wesen (rasa) einer Sache gilt sowohl ihre Tätigkeit (kicca) oder Funktion (kicca-rasa) als auch ihr Zustand (sampatti).]
Diese Sittlichkeit nämlich zeigt sich in ihrer "Äusserung" (paccupatthāna) als Reinheit, nämlich als Reinheit in Werken, Worten und Gedanken; und durch Reinheit tut sie sich kund und tritt in einen festen Zustand ein.
Schamgefühl (hiri) und Gewissensscheu (ottappa) aber werden von den Weisen als ihre "Grundlage" (pada-tthāna), d.i. als ihr nächster Grund, erklärt. Denn sind Schamgefühl und Gewissensscheu anwesend, so festigt sich die Sittlichkeit; fehlen diese aber, so kann Sittlichkeit weder entstehen noch sich festigen.
In dieser Weise sind Merkmal, Wesen, Äußerung und Grundlage der Sittlichkeit zu verstehen.
Sīlānisaṃsakathā
(9)
Ihre Segnungen bestehen in der Erlangung der Reuelosigkeit (avippa-tisāra) und vieler andrer Vorzüge.
Es wird nämlich gesagt (A.X.1): "Die guten Sitten, Ananda, haben die Reuelosigkeit zum Segen."
Ferner wird gesagt (D.16; A.V.213): "Folgende 5 Segnungen, ihr Hausleute, werden dem Sittenreinen für seine Erfüllung der Sittlichkeit zuteil: welche fünf?
Weitere zahlreiche Segnungen der Sittlichkeit - beginnend mit dem Lieb- und Angenehmsein und endend mit der Triebversiegung (āsavakkhaya) - werden besprochen in der Rede (M.6): "Wünscht sich, ihr Mönche, der Mönch, dass er seinen Ordensbrüdern lieb und angenehm sei und von ihnen geachtet und geehrt werde, so soll er die Sittengebote erfüllen" usw.
Somit bestehen die Segnungen der Sittlichkeit in vielen Vorzügen, wie Reuelosigkeit und anderen. Und außerdem:
- "Wer kann die Segensgrenze nennen
- Des Sittenwandels, ohne den
- Es keinen Halt gibt in der Lehre
- Für all' die Söhne edler Art!
(*1) Dies steht im Gegensatz zu der irrigen Meinung der Hindus, sich im Wasser des Ganges die Sünden abwaschen zu können.