Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

DRITTER TEIL: DIE SPÄTEREN FÜNFZIG – Uparipannāsam

XV. BUCH: DIE SECHS SINNE – Salāyatanavaggo

147. Rāhulas kleine Belehrung – Rāhulovāda Sutta

 

So habe ich es gehört:

   Als der Erhabene einst in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi weilte und sich zur Andacht zurückgezogen hatte, kam ihm der Gedanke, Rāhula sei jetzt reif für die Befreiung; er könnte ihn nun weiter zur Vernichtung der Anwandlungen hinführen. Am nächsten Morgen ging er in die Stadt, um Speise zu sammeln, und nach dem Mahle sprach er zu Rāhula:

«Rāhula, nimm deine Sitzmatte, wir wollen in den Blindenwald[1] gehen und dort bis zum Abend bleiben.» Rāhula gehorchte und ging dicht hinter dem Erhabenen her. Mehrere tausend Geister folgten dem Erhabenen, weil sie erwarteten, daß der Erhabene den ehrwürdigen Rāhula weiter zur Vernichtung der Anwandlungen hinführen würde[2]. Im Blindenwalde setzte sich der Erhabene unter einen Baum, und Rāhula verneigte sich und setzte sich zu ihm. Der Erhabene sprach: «Was meinst du, Rāhula: Ist das Auge beständig oder unbeständig?» – «Herr, unbeständig.» – «Was unbeständig ist, ist das unbefriedigend oder beglückend?» – «Herr, unbefriedigend.» – «Was unbefriedigend und veränderlich ist, kann man das mit Recht so betrachten: <Dies ist mein, ich bin dies, dies ist mein Ich>?» – «Nein, Herr!» – «Sind die sichtbaren Gestalten beständig oder unbeständig?» – «Herr, unbeständig.» – «Was unbeständig ist, ist das unbefriedigend oder beglückend?» -«Herr, unbefriedigend.» – «Was unbefriedigend und veränderlich ist, kann man das mit Recht so betrachten: <Dies ist mein, ich bin dies, dies ist mein Ich>?» – «Nein, Herr!» – «Ist das Sehbewußtsein, ist die Sehberührung, ist das, was infolge der Sehberührung an Empfindung, Wahrnehmung, gestaltenden Tätigkeiten und Bewußtsein entsteht, – ist das alles beständig oder unbeständig?» – «Herr, unbeständig.» – «Was unbeständig ist, ist das unbefriedigend oder beglückend?» – «Herr, unbefriedigend.» – «Was unbefriedigend und veränderlich ist, kann man das mit Recht so betrachten: <Dies ist mein, ich bin dies, dies ist mein Ich>?» – «Nein, Herr!» 

«Ist das Ohr, die Nase, die Zunge, der Leib, das Denkorgan, sind die Töne, die Düfte, die Säfte, die tastbaren Dinge, die Denkvorstellungen beständig oder unbeständig? Ist das Hör-, das Riech-, das Schmeck-, das Tast-, das Denkbewußtsein, ist die Hör-, die Riech-, die Schmeck-, die Tast-, die Denkberührung beständig oder unbeständig? Ist das, was infolge der Hör-, Riech-, Schmeck-, Tast-, Denkberührung an Empfindungen, Wahrnehmungen, gestaltenden Tätigkeiten und Bewußtsein entsteht, beständig oder unbeständig? Kann man das, was unbefriedigend und veränderlich ist, mit Recht so betrachten: <Dies ist mein, ich bin dies, dies ist mein Ich>?» – «Nein, Herr!»

«Wenn ein wohl unterrichteter Edeljünger dies einsieht, wendet er sich ab von den sechs Sinnen, von dem sechsfachen Bewußtsein, von der sechsfachen Berührung und von dem, was infolge der Berührung an Empfindung, Wahrnehmung, gestaltenden Tätigkeiten und Bewußtsein entsteht[3]. Indem er sich abwendet, hört das leidenschaftliche Begehren auf. Dadurch wird er befreit, und dann weiß er, daß er befreit ist, daß es (für ihn) keine Wiedergeburt mehr gibt, daß das Ziel des Reinheitswandels erreicht und getan worden ist, was zu tun war, und daß er mit der Welt nichts mehr zu schaffen hat.»

So sprach der Erhabene, und der ehrwürdige Rāhula freute sich über die Worte des Erhabenen. Während dieses Gesprächs gab der ehrwürdige Rāhula das Haften auf, und sein Geist wurde von den Anwandlungen befreit. Zugleich ging jenen Tausenden von Geistern das fleckenlose Verständnis der Lehre auf, und sie sahen ein, daß alles, was entsteht, wieder vergehen muß.

 



[1]Nach der Sage sollen in diesem Walde Räuber einen Samana geblendet haben und zur Strafe selbst geblendet worden sein; daher der Name (vgl. 23. Sutta).

[2]Mit einem solchen Geisterchor den Bericht zu schmücken entspricht dem Geschmack einer späteren Zeit. Hierin zeigt sich, daß dieses Sutta einer späteren Literaturschicht angehört oder wenigstens später überarbeitet worden ist. Es enthält auch gegenüber den älteren Rāhula-Sutten (61 und 62) nichts wesentlich Neues.

[3]In diesen Worten scheint angedeutet zu sein, daß Buddha seinem Sohn Rāhula auch die Erkenntnislehre vorgetragen hat, die im 18. Sutta von Kaccana erklärt wird.


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