Therigāthā (Vers 448-522)
Lieder der Nonnen (Übersetzt von KE Neumann)
Grosses-Bruchstück - Mahānipāto
Sumedhā
- 448
- In König Koñcos Burg Mandāvatī
- Erblühte Jung Sumedhā lieblich hell,
- Der ersten Obergattin Herzenskind,
- Ein holdes Mädchen, fröhlich frommgemut.
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- 449
- Mit keuschem Sinne, wohlberedt,
- Erfahren recht in Meisterkunde, Meisterwort,
- Ging hin sie zu den Eltern einst
- Und bat: «O hört mich, beide, an!
-
- 450
- «Die Wahnerlöschung lieb' ich mir:
- Verwesen muß was irgend ist, auch Götterart,
- Nun gar der Erde leere Lust,
- Erbärmlich eitel, voll von Pein !
-
- 451
- «Wie Vipergift vergiftet Erdenlust,
- Woran der Tor sich törig letzt,
- In Unterwelten untersinkt,
- Unselig lang zu leiden Qual um Qual.
(Vergl. v. 353)
- 452
- «In Jammer jammern, seufzen sie,
- Die Bösen in der Bösen Welt,
- An böses Werk, an böses Wort,
- An bösen Wunsch gewohnt, gebannt.
-
- 453
- «Verblendet sind sie, sinnlos, unbedacht,
- Versunken, tief in Weh' getaucht,
- Und wissen's nicht, weil keiner hört
- Was heilig wahr ist, keiner sieht.
(Vergl. A.VIII.15;
Dhp.241ff)
- 454
- «Auch unter Göttern west Geburt vergänglich
- Vermodern muß was irgend ist:
- Und nur der Tor erzittert nicht
- Wo Leben immer wiederlebt.
-
- 456
- «Vier üble Pfade wandelt vieles Volk,
- Zwei holde Fährten selten hin:
- Wer abwärts umgeht findet nicht
- Genesung in der Unterwelt.
-
- 457
- «Euch beide bitt' ich, laßt mich ziehn:
- Genesen will im Meisterorden ich bei Ihm,
- Will einsam kämpfen kühn für mich,
- Besiegen so Geburt und Grab.
-
- 458
- «Wie kann uns Dasein köstlich dünken, gut,
- Vergänglich wesenloser Leib!
- Zu löschen aus den Daseinsdurst
- Muß wandern fort ich, weit von euch.
-
- 459
- «Die Meisterzeit ist wieder da,
- Die Nacht vorbei, gekommen neu der Tag:
- Asketentapfer, tugendheil
- Beharren will ich bis zum Tod.»
-
- 460
- Und also sprach Sumedhā mild:
- «Ihr lieben Eltern, hier im Haus
- Genieß' ich keine Nahrung mehr,
- Und müßt' ich auch verhungern gar.»
-
- 461
- Die Mutter schluchzte laut vor Schmerz,
- Zerschmettert war der Vater gänzlich im Gemüt,
- Umstimmen wollten sie das Kind:
- Vor ihnen lag es auf der Erde stumm.
-
- 462
- 'Steh' auf, o Tochter: kennst du Kummer denn?
- Bist angelobt in Elefantenstadt (*)
- Gepriesnem Helden hold als Braut,
- Gesagt ihm zu, dem Königsohn.
(*) Vāranavatī, wohl identisch mit Vāranavatam: angeblich am
mittleren Ganges gelegen, bisher nicht wieder gefunden.
-
- 463
- 'Wirst erste Gattin, Oberkön'gin sein,
- Des kühnen Männerfürsten Ehgemahl:
- Asketentum, Asketenschaft,
- O Kind, ist schwierig, ach, ist schwer.
-
- 464
- 'Der Königsmacht ist Prunk und Pracht gemein
- Und Gold und Glanz und Jugendglück:
- Genieße, lebe, liebe nur,
- Sollst Hochzeit halten, süßes Kind!'
-
- 465
- Und Antwort gab Sumedhā bald:
- «Nicht also, nein! Was irgend ist muß untergehn;
- Von hinnen laßt mich, oder sterben hier,
- Will Hochzeit halten anders nicht.
-
- 466
- «Was kann der ekle, faule Leib,
- Der furchtbar duftet feuchten Dunst,
- Mir gelten viel, das Leichenaas,
- Der Sack, der sickert, voll mit Unrat angefüllt?
(Vergl. Therag.1151)
- 467
- «Was kann mir, wissend, gelten solcher Schimpf?
- Mit Fleisch und Blut gerüstet reichlich aus,
- Der Würmer Freude, gierer Geier Fraß, -
- Der Leib, wem ist er angelobt?
-
- 468
- «Getragen auf der Trauerbahre bald,
- Geleitet bis zum Leichenplatz,
- Bewußtlos liegt er als ein Klotz,
- Ein Ekel eigner Sippe selbst.
(Vergl. Dhp.41)
- 469
- «Gewaschen wird er reinlich ab,
- Zur Madenmahlzeit eingereiht:
- Und Abscheu kommt Geschwister, Brüder, Eltern an,
- Geschweige Vettern, Basen, Freunde gar.
-
(Verbrennung auf dem Holzstoß ist in Indien zwar häufig, jedoch findet auch
begraben statt, bzw. Verfaulenlassen in eigens hierzu adaptierten
Leichenhallen. Vergl. Therag. 393)
-
- 470
- «Doch liebt man diesen dauerlosen Leib,
- Aus Bein gebaut und Muskelmark,
- Von Tränen triefend, Schleim verschlemmt,
- Mit Säften saftig faul gefüllt!
-
- 471
- «Wer da zerlegte Teil um Teil,
- Nach außen kehrte Innres um:
- Gerüche ließ' er merken uns,
- Der eignen Mutter unerträglich arg.
-
- 472
- «Entstehung, Stätte, Urbestand
- Ist üppig eingewurzelt in Geburt,
- Ist leidig, lästig durch und durch:
- Wie sollt' ersehnen Hochzeit ich?
(Vergl. v. 43)
- 473
- «Ja, träfen auch dreihundert Lanzen Tag um Tag
- Den Leib mir hundert Jahre neu und neu:
- So deuchte besser diese Pein,
- Wenn Leiden endlich dann erlischt.
-
- 474
- «'Begegnen wird ein Weiser gern der Pein'
- Vernehmt es nur, das Meisterwort -
- 'In langem Leide wandelt man,
- Verirrt in Irrsal, auf und ab.' .
-
- 475
- «In Götterwelt, in Menschenwelt,
- Im Tierreich, im Gespensterreich,
- Im Geisterkreis, im Höllenkreis
- Ist Pein um Pein unendlich uns gewiß!
-
- 476
- «In Höllengründen rafft und reißt uns Grimm
- Und Grausen ungeheuer fort,
- Und auch bei Göttern gibt es keinen Halt:
- Nur Wahnerlöschung bietet besten Hort.
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- 477
- «Erlangt hat Wahnerlöschung hier
- Wer mächtig wirbt um Meisterart
- Und einsam kämpft für sich den Kampf,
- Besiegend so Geburt und Grab.
(Vergl. v. 457)
- 478
- «Will heut noch, Vater, pilgern fort von Haus:
- Was reizt mich Reichtum, der verdirbt?
- Verleugnet hab' ich Lustbegier,
- Wie Palmstumpf gänzlich abgestutzt.»
-
- 479
- So gab Sumedhā sich dem Vater kund. -
- Schon festlich zog der Bräutigam herbei,
- Zu halten Hochzeit mit der jungen Braut
- Als Prinz, an diesem Tage just.
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- 480
- Allein die Maid verschloß ihr Schlafgemach,
- Schnitt ab mit scharfem Dolche dann
- Das schwarze, dicht gelockte, weiche Haar:
- Und erste Schauung ging ihr auf.
-
- 481
- Bedächtig sann sie, selbstvertieft,
- Und nah und näher zog der Fürst empor:
- Sie saß am Fenster, sah hinab,
- Fand alles eitel, nichtig nur.
-
- 482
- Sie sah ihn schreiten rasch heran
- Die Treppen, vor die Brüstung treten frei,
- Den Prinzen, glitzernd, reich geschmückt;
- Er bot ihr Gruß, er bat um Gunst:
-
- 483
- 'Der Königsmacht ist Prunk und Pracht gemein
- Und Gold und Glanz und Jugendglück!
- Genieße, lebe, liebe nur,
- Gar selten lacht uns Menschen Liebeshuld.
(Vergl. v. 464)
- 484
- 'Entbehren willst du Herrschermacht?
- Almosen gib den Mönchen - sei vergnügt,
- Genieße heiter deinen Tag,
- Die Eltern gräme, kränke nicht!'
-
- 485
- Und also sprach Sumedhā sanft:
- «Will nichts mehr wissen von Genuß,
- Ich weiß genug;
- Wie könnt' ich küren Liebeshuld
- Wo Elend lauert in der Lust?
-
- 486
- «Der Weltbeherrscher Mandhātā,
- Genossen hat er höchste Lust;
- Doch ungesättigt starb auch er:
- Sein Sehnen, das war nicht gestillt.
(Mandhātā, Māndhātā,
ein mythischer König der Vorzeit; siehe
A.IV.15;
Jātaka 258.)
- 487
- «Ja, regnet' es Juwelen jeder Art
- Von allen Seiten reich herab:
- Die Sehnsucht wär' gesättigt nie,
- Die Menschen stürben ungestillt.
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- 488
- «Wie Schwerterschneiden schneidet Lust,
- Wie Viperbiß verwundet Lust,
- Wie Fackelfeuer lodert Lust,
- Wie kahler Knochen sättigt sie.
-
(Zum näheren Verständnisse dieser und der folgenden Gleichnisse siehe
M.22 u.
M.54, ebenso Vers.
352ff.)
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- 489
- «Vergänglich ist sie, dauerlos,
- Doch voller Qual, doch voll von Gift,
- Versehrt wie glühend Eisen uns,
- Ist Sündentrieb, der Leiden treibt.
-
- 490
- «Wie Kokosnüsse lockt uns Lust,
- Wie Aas, wonach der Geier giert,
- Wie Träume trügen lügt die Lust,
- Ist ausgeborgt wie Bettelputz.
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- 491
- «Wie Lanzenspitze spaltet Lust,
- Ist Pest und Beule, Not und Tod,
- Ein Grab in roter Kohlenglut,
- Ist Leidensgrund, und Graus, und Mord.
-
(Vergl. hierzu die überaus wichtige Rede
M 101; Sutta-Nipāta v. 51.)
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- 492
- «So hat der Herr als Leiden Lust
- Und als Verderben aufgedeckt:
- O lass' mich - Dasein taugt mir nicht,
- Will nichts von Leben wissen mehr.
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- 493
- «Was mag ein andrer tun für mich (*),
- Wo diese Stirn in Feuer steht,
- Wo Alter mich und Tod verfolgt?
- Muß über sie gewinnen Sieg!»
(Vergl. Therag. 542; Dhp.165)
(*) Die vollendete Auflösung der Frage kim paro parassa karissati,
gibt D12.
- 494
- Und weiter sprach Sumedhā nun
- Zum Prinzen, zu den Eltern dann,
- Die weinend saßen auf dem Söller dort,
- Am Estrich, unterm Erkersims:
-
- 495
- «Der Toren Irrsal dauert lang,
- Und immer wieder weinen sie,
- Undenkbar oft, um Vatertod,
- Um Brudermord, um eignen Untergang.
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- 496
- «An Tränen, Muttermilch, an Blut
- Betrachtet unermeßbar diese Welt,
- Worin die Wesen wandeln um,
- Gebein zu häufen bergeshoch!
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- 497
- «Gedenket wie der Meister meeresgleich
- Gewiesen Tränen hat und Milch und Blut;
- O nehmt ihn wahr, den Knochenberg,
- Den jeder einzeln aufbaut immer neu.
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- 498
- «Ja, wer für Mutter, Vater jedesmal
- Vom Erdball hübe handvoll Erde ab:
- Ganz Hinduland ging' eher auf,
- Der Eltern erste hätt' er nicht erreicht.
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- 499
- «Wer Halm um Halm und Blatt um Blatt
- Und alles Reisig immer häufte handvoll an,
- Für jeden Vater jedesmal:
- Nicht reicht' es für die Reih' der Väter aus.
-
- 500
- «Wie hüben Schildechs, eingeäugt, im Ozean
- Das Klammerholz gar selten sehn, erhalsen mag,
- Den Rahmen, der geworfen drüben ward ins Meer:
- So trifft man selten nur Geburt als Mensch.
-
- 501
- «Wie Gischt vergäscht, wie Blase platzt
- Geht eilig auf der lose Leib:
- Verschäumen seht ihn, Teil um Teil, den Schaum,
- Unselig neu sich netzen in der Unterwelt.
-
- 502
- «Seht wie sie Leichen schichten selber an,
- Geboren neu, gestorben immer neu,
- Seht lauern Krokodile rings
- Was heilig wahr ist, merkt es hier!
(Vergl. v. 380,
Therag.456,
575)
- 503
- «Ich kenn' den Trunk, der ewig stillt:
- Wie sollt' ich wieder schlürfen eklen Sterbetrank?
- Was irgend lockt mit Lüsten an
- Ist ärger als der ärgste Giftpokal.
(Vergl. Dhp.205)
- 504
- «Ich kenn' den Trunk, der ewig stillt:
- Wie sollt' ich Fieberlust ersehnen mir?
- Was irgend lockt mit Lüsten an
- Ist eitel Brand und Stank und Wut und Glut.
-
- 505
- «Ich kenn' den Ort, der sicher liegt:
- Wie sollt' ich Lust ersehnen voll Gefahr und Not,
- Wo Feuer, Wasser, Dieb und Feind und König dräut,
- Wo Neider neidig lauern Tag und Nacht?
(Vergl. M 96)
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- 506
- «Ich kenn' der Freiheit köstlich Gut:
- Wie sollt' ich Lust ersehnen, Kette, Kerker, Tod?
- In Lust ist Kerker, Todesgraus,
- Wer Lust will schmecken, kosten will er Schmerz.
-
- 507
- «Entfachte Fackel züngelt rasch empor
- Am Arm, der fassen, der nicht lassen will:
- Wie Feuer süchtig lodert Lust,
- Verzehrend sengt sie, wirft man sie nicht weg.
-
- 508
- «Um kleines Erdenglück, um Wonne winzig nur
- Mag nicht verleugnen hohes Heil,
- Nicht schnappen nach dem Angel schnell
- Und wie der Fisch gefangen sein.
(Vergl. Dhp.290)
-
- 509
- «Man darf nicht frönen frei der Gier,
- Muß wachsam horchen wie der Kettenhund:
- Auf daß uns Gier nicht locken kann,
- Gleichwie der Dieb den Hund verlockt.
-
- 510
- «Ja, Leiden, grenzenlose Pein,
- Und reichen Kummer, reichen Gram
- Erfindet wer Begierden gierig folgt:
- O Fluch der Gier, die nichtig narrt!
-
- 511
- «Ich kenn' ein Ding, das altert nicht:
- Was taugt Begier, die eilig altern macht?
- Von Tod und Siechtum wird verzehrt
- Geborne Sämung überall.
-
- 512
- «Nicht kann das altern, sterben nicht,
- Ist ohne Siechtum, ohne Tod, ist ohne Angst,
- Und ohne Neid und ohne Not,
- Ist unverrückbar, unerregbar, unverstört
-
- 513
- «Errungen hat es mancher hier was ewig ist,
- Erringen kann es heute noch der Mensch
- Der mutig kämpft und kühn beharrt:
- Nur wer sich selbst verleugnet hat gesiegt.»
(Hierzu M 2 Ende, und
M 9)
- 514
- So gab Sumedhā Antwort ihm,
- Genießen mochte nimmer sie der Lebenslust:
- Sie wies dem Prinzen rechten Weg,
- Und warf ihm vor die Füße hin ihr Haar.
(Vergl. v. 480)
- 515
- Da stand er ab, der edle Fürst;
- Und vor dem Vater nun verneigt' er sich und sprach:
- 'O laßt von hinnen ziehn Sumedhā fort,
- Erlösung finden, wahres Heil!'
-
- 516
- Entlassen von den Eltern zog sie hin,
- Zu enden alles Elend, alles Leid;
- Sechs Wissensziele zeugte sie,
- Und höchste Weisheit ging ihr auf.
(Vergl. v. 71,
228)
- 517
- O Wunder über Wunder hier:
- Erlösung hat erlangt ein Königskind!
- Gelebtes Leben geb' ich kund,
- Wie selber sie zuletzt es uns geoffenbart.
-
- 518
- «Als Konāgamano einst Meister war,
- Im neuen Park mit Jüngern weilte gern,
- Da baten wir, drei edle Jungfrau'n, Ihn
- Von uns zu nehmen an den Gartenhain.
(Siehe Therag.490)
- 519
- «Und zehnmal dann, und hundertmal,
- Und hundertmal und hundertmal
- In lichten Götterwelten lebten wir,
- Geschweige mehr der Menschenwelt.
-
- 520
- «In Himmeln glänzten wir gar hochbeglückt,
- Wie mächtig unter Menschen erst:
- War besten Kaisers Kaiserweib,
- Die beste Gattin galt ich ihm.
-
- 521
- «Das war die Folge, war mir Frucht und Lohn
- Weil einst in Demut ich dem Herrn gedient:
- Und heute hat mich jener erste sanfte Wunsch
- Erlöschen lassen wahnversiegt.»
(Vergl. Therag. 218,
96)
-
Ausgang
- 522
- Verkündet ward uns also wohl das Wort
- Von ihnen, die dem höchsten Weisen treu
- Vernichtet hatten Daseinsdurst,
- Genesen gingen heilig hin.