Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

Erstes Halbhundert - Mūlapannāsam

II. BUCH: LÖWENGEBRÜLL - Síhanādavaggo

18. Der Honigkuchen - Madhupindika Sutta

 

So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene im Feigenbaumpark bei Kapilavatthu im Lande der Sakyer. Am Morgen ging er zum Speisesammeln nach Kapilavatthu, dann aß er, und nach dem Mahle ging er in den Großen Wald und setzte sich dort bei einer Gruppe junger Vilvabäume nieder. Da kam der Sakyer Dandapani[1] auf einem Spaziergang an dieselbe Stelle im Großen Wald, begrüßte den Erhabenen, stellte sich, auf seinen Spazierstock gestützt, vor ihn hin[2] und sprach: «Was ist eure Lehre, Samana?»

«Meine Lehre», erwiderte der Erhabene, «steht nicht im Widerspruch zu irgend etwas in der ganzen Welt mit ihren Göttern, Geistern und Menschen, und wer danach lebt, der bleibt von Sinnenfreuden unberührt und wird ein Heiliger, der nicht schwankt, den nichts beunruhigt und der nicht nach diesem oder jenem Dasein verlangt, und Sinneswahrnehmungen bedrängen ihn nicht mehr.»

Darauf schüttelte Dandapani den Kopf, bewegte die Zunge hin und her, zog die Augenbrauen hoch, runzelte die Stirn und ging, auf den Spazierstock gestützt, fort. Am Abend ging der Erhabene, nachdem er seine Meditation beendet hatte, in den Feigenbaumpark, setzte sich dort und erzählte den Bhikkhus den ganzen Vorgang. Darauf fragte ihn ein Bhikkhu, was die Erklärung bedeute, die er dem Dandapani gegeben hatte. Der Erhabene erwiderte:

«Wenn aus irgendeinem Grunde mannigfache Wahrnehmungen der Außenwelt an den Menschen herantreten und er sich nicht an ihnen ergötzt sich nicht auf sie einläßt und nicht an ihnen haftet, so ist dies das Ende leidenschaftlichen Begehrens, das Ende widerwilliger Abnei­gung, das Ende des Spekulierens, das Ende des unsicheren Schwankens, das Ende stolzer Anmaßung, das Ende des Machtstrebens, das Ende des Irrens, das Ende von Kampf und Krieg, von Streit und Zank, von Zwietracht und Lüge; dann schwinden alle diese unheilvollen Dinge dahin.»

So sprach der Erhabene. Dann stand er auf und ging in das Gemeindehaus. Die Bhikkhus aber überlegten, wer ihnen wohl den Sinn des kurzen Ausspruchs des Erhabenen ausführlich erklären könnte, und ihnen fiel ein, daß der ehrwürdige Mahākaccana vom Meister gelobt und von seinen kundigen Mitbrüdern hochgeschätzt werde; er könne gewiß den Sinn des kurzen Ausspruchs des Erhabenen ausführlich erklären; und sie beschlossen, den ehrwürdigen Mahākaccana aufzusuchen und ihn zu fragen. Sie gingen dann hin zu ihm, setzten sich zu ihm, trugen ihm ihr Anliegen vor und baten ihn um eine Erklärung.

Er erwiderte ihnen:

«Wie jemand, der Kernholz sucht, auf einen großen Baum hinaufklettert und glaubt, in den Zweigen Kernholz zu finden, so habt ihr Ehrwürdigen, obwohl der Meister anwesend war, den Erhabenen übergangen und glaubt mich fragen zu sollen. Der Erhabene ist der Kenner, der Seher, der Heilige, der Verkünder, der Heilbringer, der Spender des Unsterblichen, der Herr der Wahrheit, der Vollendete. Es war Zeit genug, ihn zu fragen und euch an das zu halten, was er erklären würde.» - «Ja, lieber Kaccana, so ist es; aber der ehrwürdige Mahākaccana wird vom Meister gelobt und von seinen kundigen Mitbrüdern hochgeschätzt, er kann uns gewiß den Sinn des kurzen Ausspruchs des Erhabenen erklären. Bitte, erkläre es uns und mach es uns leicht verständlich!» - «So höret denn und denkt darüber nach! Ich will reden», sprach der ehrwürdige Mahākaccana und fuhr fort: «Den Sinn des kurzen Ausspruchs des Erhabenen verstehe ich so:

Wenn ein Auge da ist und sichtbare Dinge da sind, entsteht Sehen; treffen diese drei zusammen, so entsteht eine Berührung oder ein Eindruck. Ist ein Eindruck da, so entsteht eine Empfindung. Was man empfindet, das nimmt man wahr; was man wahrnimmt, das verarbeitet man geistig oder davon bildet man Begriffe. Wovon man Begriffe gebildet hat, das breitet man aus als Außenwelt. Was man als Außenwelt ausbreitet, das sind die mannigfachen Wahrneh­mungen der Außenwelt, die an den Menschen als sichtbare Dinge herantreten, wie früher, so künftig und gegenwärtig.

Wenn ein Ohr da ist und Töne da sind, entsteht Hören, wenn eine Nase da ist und Düfte da sind, entsteht Riechen, wenn eine Zunge da ist und Säfte da sind, entsteht Schmecken, wenn ein Körper da ist und tastbare Dinge da sind, entsteht Tasten, wenn Denkvermögen da ist und Denkgegenstände da sind, entsteht bewußtes Denken. Treffen diese drei - im letzten Falle Denkvermögen, Denkgegenstände und Denken - zusammen, so entsteht eine Berührung oder ein Eindruck. Ist ein Eindruck da, so entsteht eine Empfindung. Was man empfindet, das nimmt man wahr; was man wahrnimmt, das verarbeitet man geistig oder davon bildet man Begriffe. Wovon man Begriffe gebildet hat, das breitet man aus als Außenwelt; was man als Außenwelt ausbreitet, das sind die mannigfachen Wahrnehmungen der Außenwelt, die an den Menschen als Töne, Düfte, Säfte, Tast- und Denkgegenstände herantreten, wie früher, so künftig und gegenwärtig.

Wenn ein Auge da ist, wenn sichtbare Dinge da sind und Sehen stattfindet, so ist es möglich, daß dann eine Berührung oder ein Eindruck zustande kommen wird. Wenn ein Ein­druck entstanden ist, so ist es möglich, daß eine Empfindung zustande kommen wird. Wenn eine Empfindung entstanden ist, so ist es möglich, daß eine Wahrnehmung zustande kommen wird. Wenn eine Wahrnehmung entstanden ist, so ist es möglich, daß eine Begriffsbildung zustande kommen wird. Wenn sich Begriffe gebildet haben, so ist es möglich, daß ein Heran­treten der mannigfachen Wahrnehmungen der Außenwelt zustande kommen wird. Wenn ein Ohr da ist, wenn Töne da sind und Hören stattfindet, . . . wenn eine Nase da ist, wenn Düfte da sind und Riechen stattfindet, . . . wenn eine Zunge da ist, wenn Säfte da sind und Schmecken stattfindet, . . . wenn ein Körper da ist, wenn tastbare Dinge da sind und Tasten stattfindet, . . . wenn Denkvermögen da ist, wenn Denkbares da ist und Denken stattfindet, so ist es möglich, daß dann eine Berührung oder ein Eindruck zustande kommen wird. Wenn ein Eindruck ent­standen ist, so ist es möglich, daß eine Empfindung zustande kommen wird. Wenn eine Emp­findung entstanden ist, so ist es möglich, daß eine Wahrnehmung zustande kommen wird. Wenn eine Wahrnehmung entstanden ist, so ist es möglich, daß eine Begriffsbildung zustande kommen wird. Wenn sich Begriffe gebildet haben, so ist es möglich, daß ein Herantreten der mannigfachen Wahrnehmungen der Außenwelt zustande kommen wird.

Wenn kein Auge da ist, keine sichtbaren Dinge da sind und kein Sehen stattfindet, so ist es nicht möglich, daß eine Berührung oder ein Eindruck zustande kommen wird. Ist kein Ein­druck entstanden, so ist es nicht möglich, daß eine Empfindung zustande kommen wird. Ist keine Empfindung entstanden, so ist es nicht möglich, daß eine Wahrnehmung zustande kommen wird. Ist keine Wahrnehmung entstanden, so ist es nicht möglich, daß eine Begriffs­bildung zustande kommen wird. Sind keine Begriffe entstanden, so ist es nicht möglich, daß ein Herantreten der mannigfachen Wahrnehmungen der Außenwelt zustande kommen wird. Wenn kein Ohr, keine Nase, keine Zunge, kein Körper, kein Denkvermögen da ist, wenn nichts Denkbares da ist und kein Denken stattfindet, so ist es nicht möglich, daß eine Berührung oder ein Eindruck zustande kommen wird. Ist kein Eindruck entstanden, so ist es nicht möglich, daß eine Empfindung zustande kommen wird. Ist keine Empfindung entstanden, so ist es nicht möglich, daß eine Wahrnehmung zustande kommen wird. Ist keine Wahrnehmung entstanden, so ist es nicht möglich, daß eine Begriffsbildung zustande kommen wird. Sind keine Begriffe entstanden, so ist es nicht möglich, daß ein Herantreten der mannigfachen Wahrnehmungen der Außenwelt zustande kommen wird.

So verstehe ich den Sinn des kurzen Ausspruchs des Erhabenen. Wenn ihr wollt, Ehr­würdige, geht zum Erhabenen und fragt ihn, und wie es uns der Erhabene erklärt, daran haltet euch!»

Erfreut über die Erklärung Mahākaccanas und ihm dankend standen die Bhikkhus auf, gingen zum Erhabenen, setzten sich zu ihm und berichteten ihm ausführlich, wie sie Mahā­kaccana um Erklärung des kurzen Ausspruches gebeten hätten und wie Mahākaccana ihn ihnen erklärt habe. Der Erhabene erwiderte:

«Kundig und sehr weise ist Mahākaccana. Wenn ihr mich gefragt hättet, würde ich euch die Sache ebenso erklärt haben. Haltet euch daran!»

Darauf sprach der ehrwürdige Ānanda zum Erhabenen: «Wenn ein Mensch, der fast verhungert ist, einen Honigkuchen findet und ihn ißt, dann schmeckt er ihm köstlich. Ebenso wird ein Bhikkhu, der im Geiste gut vorbereitet ist, wenn er den Inhalt dieser Lehrdarlegung weise durchdenkt, hoch befriedigt sein und Geistesklarheit erlangen. Wie sollen wir diese Dar­legung nennen!» - «Nennt sie die Honigkuchen-Darlegung!»

So sprach der Erhabene. Die Bhikkhus nahmen seine Worte mit Freude und Dank an.

 



[1] Der Name bedeutet: der Mann mit dem Stock in der Hand.

[2] Es galt als unhöflich, stehend zu einem Sitzenden zu sprechen.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus