Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

VIII. BUCH: WANDERMÖNCHE - Paribbājakavaggo

72. Vacchagotta II - Das Feuer - Aggivacchagotta Sutta

 

So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi. Da kam der Wandermönch Vacchagotta zum Erhabenen, begrüßte ihn höflich, setzte sich zu ihm und sprach: «Herr Gotama, seid Ihr der Ansicht, daß die Welt ewig ist?» - «Nein, dieser Ansicht bin ich nicht.» - «Seid Ihr der Ansicht, daß die Welt nicht ewig ist?» - «Nein, dieser Ansicht bin ich nicht.» - «Seid Ihr der Ansicht, daß die Welt räumlich unendlich ist?» - «Nein, dieser Ansicht bin ich nicht.» - «Seid Ihr der Ansicht, daß die Welt räumlich begrenzt ist?» - «Nein, dieser Ansicht bin ich nicht.» - «Seid Ihr der Ansicht, daß Seele und Leib dasselbe ist?» - «Nein!» - «Seid Ihr der Ansicht, daß die Seele etwas anderes ist als der Leib?» - «Nein!» - «Seid Ihr der Ansicht, daß ein Vollendeter nach dem Tode lebt?» - «Nein!» - «Seid Ihr der Ansicht daß ein Vollendeter nach dem Tode nicht lebt?» - «Nein!» - «Seid Ihr der Ansicht daß ein Vollendeter nach dem Tode sowohl lebt als auch nicht lebt?» - «Nein!» - «Seid Ihr der Ansicht, daß ein Vollendeter nach dem Tode weder lebt noch nicht lebt?» - «Nein!» Vacchagotta wiederholte dann alle diese Fragen und Antworten und fragte zum Schluß: «Herr Gotama, was seht Ihr denn Schlimmes darin, daß Ihr diese Theorien insgesamt ablehnt?»

Der Erhabene erwiderte: «Alle diese Theorien[1] sind ein Dickicht, eine Wildnis, ein Hin- und Herwinden von Theorien, eine Balgerei um Theorien, solche Theorien sind verbunden mit Übeln, mit Quälerei, mit Verwirrung, mit fieberhafter Unruhe; sie führen nicht zum Loslassen, nicht zur Abkühlung, nicht zum Aufhören, nicht zur Beruhigung, nicht zu hohem Wissen, nicht zum Erwachen, nicht zum Nirwana. Dies ist das Nachteilige, das ich darin sehe, und deshalb lehne ich diese Theorien insgesamt ab.» - «Herr Gotama, habt Ihr denn überhaupt eine Theorie?» - «Theorien zu haben geziemt sich nicht für einen Vollendeten; denn gesehen hat der Vollendete, was Körperlichkeit ist, wie sie entsteht und wie sie vergeht; was Empfindung ist, wie sie entsteht und wie sie vergeht, was Wahrnehmung ist, wie sie entsteht und wie sie vergeht; was unbewußte Tätigkeiten sind, wie sie entstehen und wie sie vergehen; was Bewußtsein ist, wie es entsteht und wie es vergeht. Darum hat der Vollendete alle Meinungen, alle unsicheren Annahmen, alle Neigungen zu selbstsüchtigem Dünkel aufgegeben und ist durch Wunschlosigkeit, durch endgültiges Aufgeben, durch Entsagen, durch Loslassen frei geworden, sage ich.»

Nun fragte Vacchagotta: «Wo, Herr Gotama, erscheint ein so geistig freigewordener Bhikkhu wieder?» - «Daß er wiedererscheint, kann man nicht sagen.» - «Er erscheint also nicht wieder?» - «Daß er nicht wiedererscheint, kann man nicht sagen.» - «Dann erscheint er wieder und erscheint auch nicht wieder?» - «Auch das kann man nicht sagen.» - «Dann muß man wohl sagen: weder erscheint er wieder noch erscheint er nicht wieder?» - «Auch das kann man nicht sagen.» - Darauf wiederholte Vacchagotta alle diese Fragen und Antworten und fuhr fort: «Hierdurch bin ich in Unwissenheit und Verwirrung geraten, und die hohe Befriedigung, die ich aus dem früheren Gespräch mit Herrn Gotama gewonnen hatte, ist nun dahingeschwunden.»

Der Erhabene erwiderte: «Ach, deine Unwissenheit und Verwirrung, Vaccha! Tief ist diese Wahrheit, schwer zu verstehen und schwer zu durchschauen, sie ist still und herrlich, sie übersteigt das Denken, sie ist tiefgründig, nur Weisen verständlich. Du kannst sie nicht begreifen, weil du von anderer Anschauung, von anderer Denkweise und anderer Beeinflussung herkommst, andere Bestrebungen hast und einen anderen Lebenswandel führst. Ich will dich aber etwas fragen, und du magst antworten, wie du es für richtig hältst: Was meinst du, Vaccha; wenn vor dir ein Feuer brännte, würdest du dann wissen, daß vor dir ein Feuer brennt?» - «Ja, das würde ich wissen.» - «Wenn man dich nun fragte, woher es komme, daß dieses Feuer vor dir brennt, was würdest du antworten?» - «Ich würde antworten: es kommt daher, weil es Stroh und Holz ergriffen hat.» - «Wenn nun das Feuer vor dir erlösche, wurdest du dann wissen, daß es erloschen ist?» - «Ja, das würde ich wissen.» - «Und wenn man dich fragte, wohin dieses Feuer, nachdem es erloschen ist, gegangen sei, nach Osten oder nach Westen, nach Norden oder nach Süden, was würdest du dann antworten?» - «Das kann man nicht sagen, Herr Gotama! Das Feuer, das brannte weil es Stroh und Holz ergriffen hatte, ist erloschen, weil es den Brennstoff verzehrt und keine andere Nahrung gefunden hat. So ist das zu erklären.» - «Ebenso, Vacchagotta, ist die Körperlichkeit, an der man einen Vollendeten erkennen konnte, vernichtet, entwurzelt wie eine Palme, so daß sie nicht wieder aufleben kann. Von der Kennzeichnung durch die Körperlichkeit befreit ist ein Vollendeter, er ist tief, unermeßlich, nicht zu erfassen wie das große Meer. Daß er wiedererscheint, kann man nicht sagen, daß er nicht wiedererscheint, kann man nicht sagen, daß er sowohl wiedererscheint als auch nicht wiedererscheint, kann man nicht sagen, daß er weder wiedererscheint noch nicht wiedererscheint, kann man nicht sagen. Auch die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein, an denen man den Vollendeten erkennen konnte, sind vernichtet, entwurzelt wie eine Palme, so daß sie nicht wieder aufleben können. Von der Kennzeichnung durch die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein befreit ist ein Vollendeter, er ist tief, unermeßlich, nicht zu erfassen wie das große Meer»[2].

Darauf sagte Vacchagotta: «Wie ein großer Salbaum in der Nähe eines Dorfes, von dem infolge der Vergänglichkeit Zweige, Rinde und Grünholz abgefallen sind, rein aus Kernholz besteht, ebenso besteht diese Erklärung des Herrn Gotama nach Beseitigung der Zweige, der Rinde und des Grünholzes rein aus Kernholz.» Mit den üblichen Worten[3] erklärte sich Vacchagotta für überzeugt, nahm seine Zuflucht zu Buddha, zur Lehre und zur Jüngergemeinde und bekannte sich als Laienanhänger für sein ganzes Leben.

 



[1] Im Text wird alles noch einmal mit denselben Worten aufgezählt.

[2] Im Text noch einmal <Daß er wiedererscheint> . . . bis <kann man nicht sagen>.

[3] Wie im 4. Sutta am Schluß.


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