Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

IX. BUCH: KÖNIGE - Rājavaggo

86. Angulimāla Sutta

 

So habe ich es gehört:

   Einst weilte der Erhabene in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi. Damals lebte im Herrschaftsgebiet des Königs Pasénadi von Kosala ein Räuber namens Angulimāla, ein grausamer Mann mit blutigen Händen, an Totschlag gewöhnt, ohne Erbarmen mit lebenden Wesen. Er plünderte Dörfer, Städte und Landbezirke, erschlug die Menschen und schmückte sich mit einem Kranz von Fingergliedern[1].

Als der Erhabene in Sāvatthi Speise gesammelt und gespeist hatte, wanderte er dorthin, wo sich Angulimāla aufhielt. Viehhirten und Bauern, die ihn kommen sahen, warnten ihn dreimal; auf diesem Wege seien schon viele Menschen, auch wenn sie in Gemeinschaften von zehn, zwanzig, dreißig oder vierzig wanderten, in die Gewalt des Räubers Angulimāla geraten. Der Erhabene aber schwieg und ging weiter. Angulimāla sah ihn kommen und dachte: «Es ist doch erstaunlich, daß auf diesem Wege, wo vierzig Mann starke Karawanen in meine Gewalt geraten sind, dieser Samana ganz allein kommt, als ob er über große Macht verfügte. Ich möchte ihn totschlagen.» Er ergriff Schwert und Schild, Bogen und Pfeile und verfolgte den Erhabenen. Dieser aber bewirkte durch seine Wunderkraft, daß Angulimāla ihn nicht einholen konnte, obwohl er selbst nicht schneller als gewöhnlich ging, während jener mit Aufbietung aller Kräfte lief. Da dachte Angulimāla: «Es ist doch erstaunlich! Früher konnte ich fliehende Elefanten, Pferde, Wagen und Gazellen im Lauf einholen, aber diesen Samana, der ganz gewöhnlich dahin schreitet, kann ich nicht erreichen.» Dann blieb er stehen und rief: «Samana, bleib stehen!» - «Ich stehe schon, Angulimāla, nun bleib auch du stehen!» Da dachte Angulimāla: «Die Samanas des Sakyers pflegen die Wahrheit zu sagen, dieser aber sagt, während er noch geht, er stehe und ich solle stehenbleiben. Ich möchte ihn fragen, was das bedeutet», und er sprach diese Verse:

 

  «Du gehst, Asket, und sagst: Ich stehe still;
  Obwohl ich steh', nennst du mich ruhelos.
  Wie soll ich das verstehen? Sag mir das!
  Du ständest still, und ich sei ruhelos?

 

Buddha:

 

  «Ich stehe still, Angulimāla, sag' ich,
  Weil ich den Wesen nichts zuleide tue;
  Du aber wütest gegen Lebewesen.
  Drum steh' ich still, und du kommst nicht zur Ruhe»[2].

 

 

*

  Einst trat zu mir im großen Wald der Weise,
  Der hoch verehrte, (und ich sprach zu ihm:)
  Längst hätte ich das Böse aufgegeben,
  Wär' mir dein Wahrheitswort zuteil geworden.
 
  Bisher war ich ein Räuber, war ein Mörder
  Und wütete wie in der finstern Hölle.
  Als Räuber fiel ich vor dem Heil'gen nieder
  Und kniend bat ich um die Ordensweihe.
 
  Der Buddha, der barmherz'ge große Weise,
  Der Meister in der Welt mit ihren Göttern,
  Sprach dann zu mir: Tritt ein und sei ein Bhikkhu!
  So ward ich Bhikkhu, von ihm selbst geweiht.

*

 

Dann ging der Erhabene mit dem ehrwürdigen Angulimāla, der ihm folgte, nach Sāvatthi, um Speise zu sammeln. Danach nahm er Aufenthalt in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain. Damals strömte vor dem Tor des Palastes des Königs Pasénadi von Kosala eine große Menschenmenge zusammen und erhob ein lautes Geschrei: «König, in deinem Machtbereich hält sich ein Räuber auf, Angulimāla heißt er, ein grausamer Mann mit blutigen Händen, an Totschlag gewöhnt, ohne Erbarmen mit lebenden Wesen. Er plündert Dörfer, Städte und Landbezirke, er hat Menschen erschlagen und schmückt sich mit einem Kranz von Fingergliedern. Den soll der König unschädlich machen!» Darauf zog der König mit fünfhundert Reitern hinaus in Richtung auf das Bhikkhuheim. Soweit er fahren konnte, fuhr er im Wagen, dann stieg er aus und ging zu Fuß zum Erhabenen, begrüßte ihn und setzte sich zu ihm, und der Erhabene fragte ihn: «Majestät, hat etwa der König Séniya Bimbisara von Māgadha oder haben die Lícchavi-Fürsten von Vesālí oder andere Fürsten Euch mit Krieg bedroht?» - «Nein, Herr», erwiderte der König, «aber in meinem Machtbereich hält sich ein Räuber auf, Angulimāla heißt er, ein grausamer Mann mit blutigen Händen. Ihn will ich unschädlich machen.» - «Majestät, wenn Ihr nun sähet, daß Angulimāla Haar und Bart geschoren, ein gelbes Gewand angelegt hat und Bhikkhu geworden ist, daß er aufgehört hat zu töten, zu rauben und zu lügen, daß er nur einmal am Tage speist, einen reinen Lebenswandel führt, sittenrein und fromm geworden ist, wie würdet Ihr ihn dann behandeln!» - «Ich würde ihn höflich begrüßen, vor ihm aufstehen, ihn zum Sitzen einladen oder ihm rechtmäßigen Schutz und Unterkunft verschaffen. Woher sollte aber dem schlimmen Verbrecher eine solche Verwandlung zum Guten gekommen sein?»

Um dieselbe Zeit saß der ehrwürdige Angulimāla nicht weit vom Erhabenen. Da hob der Erhabene den rechten Arm und sagte zum König: «Majestät, dieser dort ist Angulimāla.» Bei diesen Worten wurde der König starr vor Schreck und seine Haare sträubten sich; der Erhabene aber sprach zu ihm: «Fürchtet Euch nicht, Majestät, hier droht Euch keine Gefahr.» Darauf beruhigte sich der König, ging zu Angulimāla und fragte: «Herr, seid Ihr Angulimāla?» - «Ja, Majestät!» - «Herr, wie heißen Eure Eltern?» - «Mein Vater heißt Gagga, meine Mutter Mantani.» - «Herr Gagga, Sohn der Mantani, ich beglückwünsche Euch. Ich möchte Euch gern Gewand und Schale, Sitzmatte und Arznei für Krankheitsfälle spenden.» Angulimāla war aber damals schon Waldeinsiedler geworden, er aß nur, was ihm in seine Schale gelegt wurde, und trug ein Lumpengewand. Darum erwiderte er: «Danke, Majestät, mir genügt mein Gewand.» Darauf ging der König zum Erhabenen, setzte sich zu ihm und sagte: «Herr, es ist erstaunlich, wie Ihr Unbändige bändigt, Unruhige zur Ruhe bringt und Unerlösten zum Nirwana verhelft. Den ich nicht mit Waffengewalt bändigen konnte, den habt Ihr ohne Waffen gebändigt. - Jetzt aber möchte ich gehen, ich habe noch viel zu erledigen.» - «Majestät, tut, was Euch recht scheint!» Darauf stand der König auf, schritt rechts um den Erhabenen herum und ging fort.

Eines Vormittags ging der ehrwürdige Angulimāla mit Obergewand und Schale nach Sāvatthi, um Speise zu sammeln. Dabei sah er eine Frau, die in Kindsnöten war, und er dachte: «Ach, wie unglücklich sind doch die Wesen!» Nachdem er seinen Gang zum Speisesammeln beendet hatte, ging er zum Erhabenen und berichtete ihm, was er gesehen hatte. Darauf sagte der Erhabene: «Angulimāla, gehe nach Sāvatthi zu jener Frau und sprich zu ihr: <Schwester, seit meiner Geburt bin ich mir nicht bewußt, ein lebendes Wesen wissentlich getötet zu haben. Durch diesen Wahrspruch sollst du genesen und deine Leibesfrucht auch.>» - «Herr, das wäre ja eine bewußte Lüge, denn ich habe viele lebende Wesen wissentlich getötet.» - «Dann sprich: <Schwester, seitdem ich in edler Geburt geboren bin, bin ich mir nicht bewußt, ein lebendes Wesen wissentlich getötet zu haben. Durch diesen Wahrspruch sollst du genesen und deine Leibesfrucht auch.>» Angulimāla tat das, und die Frau wurde gesund mit ihrem Kinde.

Dann zog sich Angulimāla zurück, übte einsam für sich unermüdlich und eifrig und erreichte bald das höchste Ziel des reinen Lebenswandels schon in diesem Leben. Nun wußte er, daß die Wiedergeburt überwunden, das Ziel des Reinheitslebens erreicht und getan worden war, was zu tun war, und daß diese Welt nichts mehr zu bedeuten hatte. Damit war er ein Heiliger geworden.

Als er wieder einmal in Sāvatthi Speise sammelte, wurde er mit Erdklumpen, Stöcken und Scherben beworfen. Mit blutendem Kopf, zerbrochener Schale und zerrissenem Gewand kam er zum Erhabenen, und dieser sagte zu ihm: Nimm es geduldig hin, Heiliger! Die Taten, für die du sonst viele tausend Jahre in der Hölle büßen müßtest, die büßt du jetzt schon in diesem Leben ab.»[3]

Der ehrwürdige Angulimāla genoß in der Zurückgezogenheit das Glück der Erlösung und sprach aus diesem Anlaß folgende Sprüche:

 

  Wer früher träge war und dann sich tüchtig macht,
  Der leuchtet wie der Mond in wolkenloser Nacht[4].
 
  Wer alte Übeltat durch Guttat ausgeglichen,
  Der leuchtet wie der Mond, wenn Wolken sind gewichen[5].
 
  Wer jung schon Bhikkhu ward, zum Buddhawort gesellt,
  Der leuchtet wie der Mond am freien Himmelszelt.
 
  Ihr, meine Gegner, mögt die wahre Lehre hören
  Und zu den Guten gehn, die Buddhas Wort verehren.
 
  Ihr Gegner, höret zu, wenn man die Güte preist
  Und die Geduld, und tut, was uns die Lehre weist.
 
  Verletzet weder mich noch andere hinieden,
  Gebt allen Wesen Schutz und kommt zum höchsten Frieden!
 
  Der Brunner Wasser führt, die Pfeile biegt der Schmied,
  Der Zimmrer biegt das Holz, der Weise sich erzieht[6].
 
  Man zähmt wohl mit dem Stock, mit Peitsche, Folterungen,
  Doch ohne Stock und Schwert hat mich der Herr bezwungen.
 
  Den Friedmann[7] nennt man mich, doch ich schuf große Not;
  Jetzt ist mein Name recht, denn niemand wird bedroht.
 
  Als Räuber Anguli war ich einst weit verrucht;
  Dann faßte mich die Flut, hab' Buddhas Schutz gesucht.
 
  Als Blut'ger Anguli war ich einst weit bekannt;
  Dann nahm ich Zuflucht; schau: der Drang ist jetzt gebannt.
 
  Viel Böses tat ich einst, das Höllenqual verdient.
  Die Tatenfolge ist getilgt, ich bin entsühnt.
 
  Unwissend Volk gibt sich dem Leichtsinn töricht hin,
  Der Weise wahrt den Ernst als köstlichsten Gewinn[8].
 
  Dem Leichtsinn fröhnet nicht, an Liebeslust erfreut,
  Wer ernst Versenkung übt, erlangt Glückseligkeit[9].
 
  Ich nahm's und lehnt' nicht ab, ich war nicht schlecht beraten;
  Das beste, das es gibt, das kommt mir jetzt zustatten.
 
  Ich nahm's und lehnt' nicht ab, das war nicht schlecht bedacht;
  Drei Wissen hab' ich; nun ist Buddhas Wort vollbracht.


[1] anguli, daher sein Name. Vielleicht sind nicht Fingerglieder, sondern Fingerringe gemeint.

[2] Ein Wortspiel: thito aham bedeutet sowohl <ich stehe still> als auch <ich bin innerlich gefestigt und ruhig>. Dieses Wortspiel in den Versen, die wie auch die folgenden offenbar älter sind als die Legende, gab wohl den Anlaß zu der Wundererzählung von der Begegnung.

[3] Der letzte Absatz kann erst lange nach Buddhas Parinirvana verfaßt worden sein, denn er steht im Widerspruch zu Buddhas Lehre, wonach einem Heiligen keine Wiedergeburt - also auch kein Leiden in der <Hölle> - mehr bevorsteht, wie auch kurz vorher ausdrücklich gesagt worden ist. Da ein Heiliger vollkommen selbstlos und die ganze Welt für ihn bedeutungslos geworden ist, kann es für ihn auch keine Folgen früheren Wirkens geben. {Hier Kurt Schmidt wieder einmal vorschnelle Schlüsse gezogen, auch für einen Heiligen gilt das Gesetz des Karmas, und auch er muss für vergangene Taten gerade stehen, wie die Geschichte von Moggallāno zeigt, siehe Milindha P. und Jat 522; WG]

[4] = Dhammapada Vers 172.

[5] = Dhammapada Vers 173.

[6]= Dhammapada Vers 80.

[7] ahimsaka, ein euphemistischer Name, ähnlich wie die Griechen ihre Rachegöttinnen <die Eumeniden> das heißt <die Wohlwollenden, Gnädigen>, nannten.

[8] = Dhammapada Vers 26.

[9] = Dhammapada Vers 27.


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