Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

IX. BUCH: KÖNIGE - Rājavaggo

87. Folgen des Liebhabens - Piyajātika Sutta

 

So habe ich es gehört:

Als der Erhabene einst in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi weilte, war einem Hausherrn sein geliebtes einziges Söhnchen gestorben. Seitdem dachte er nicht mehr an Arbeit und Essen, sondern ging immer wieder auf den Friedhof und rief: Wo ist mein einziges Söhnchen? Dann ging er zum Erhabenen, begrüßte ihn und setzte sich zu ihm. Da sagte der Erhabene zu ihm: «Du bist nicht Herr deiner Sinne, du bist verstört.» - «Wie sollte ich nicht verstört sein! Mein geliebtes einziges Söhnchen ist gestorben. Seitdem denke ich nicht mehr an Arbeit und Essen, gehe immer wieder auf den Friedhof und frage, wo mein einziges Söhnchen ist.» - «So ist das, Hausherr! Denn daraus, daß man etwas liebhat[1], entspringt Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung; das ist die Folge des Liebhabens.» - «Wer kann denn nur so denken, Herr! Daraus, daß man etwas lieb hat, entspringt doch Freude und Fröhlichkeit; das ist die Folge des Liebhabens.» Unbefriedigt von den Worten des Erhabenen und sie tadelnd ging er fort.

 

Damals befanden sich nicht weit vom Erhabenen viele Würfelspieler, die würfelten. Zu diesen ging der Hausherr und erzählte ihnen, was er mit dem Erhabenen gesprochen hatte. Sie stimmten ihm zu und sagten: «So ist das, Hausherr! Daraus, daß man etwas liebhat, entspringt Freude und Fröhlichkeit; das ist die Folge des Liebhabens.» Der Hausherr freute sich über ihre Zustimmung und ging fort.

Die Kunde von diesem Gespräch drang allmählich bis in den Königspalast, und König Pasénadi sagte zur Königin Mallika: «So spricht dein Samana Gotama, Mallika: <Daraus, daß man etwas liebhat, entspringt Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung, das sind die Folgen des Liebhabens.» - «Majestät, wenn der Erhabene das sagt, dann ist es so.» - «So bist du, Mallika! Von allem, was der Samana Gotama sagen mag, bist du entzückt und sagst: <Wenn der Erhabene das sagt, dann ist es so.> Geradeso wie ein Schüler, der alles für richtig hält, was der Lehrer sagt. Hör auf damit, Mallika!»

Darauf schickte die Königin Mallika den Brahmanen Nalijangha zum Erhabenen mit dem Auftrag, er solle den Erhabenen nach höflicher Begrüßung fragen, ob er jene Worte gesprochen habe, solle sich dann gut merken, was der Erhabene erwidere, und es ihr berichten. «Denn», fügte sie hinzu, «Vollendete sagen nichts Falsches.»

Nalijangha führte den Auftrag aus, und der Erhabene sprach zu ihm: «Brahmane, so ist es: Daraus, daß man etwas liebhat, entspringt Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung; das sind die Folgen des Liebhabens. Man muß sich das anschaulich[2] klarmachen:

Einstmals war in Sāvatthi einer Frau die Mutter gestorben. Irrsinnig vor Trauer lief sie von einer Straße in die andere, von einem Marktplatz auf den andern und schrie: <Habt ihr meine Mutter gesehen? Habt ihr meine Mutter gesehen?> Einer andern Frau war der Vater gestorben, einer der Bruder, einer die Schwester, einer der Sohn, einer die Tochter, einer der Gatte. Auch sie waren irrsinnig vor Trauer über den Verlust ihrer Lieben. Einmal war einem Mann die Mutter gestorben, einem der Vater, einem der Bruder, einem die Schwester, einem der Sohn, einem die Tochter, einem die Gattin. Auch sie waren irrsinnig vor Trauer. Einmal besuchte eine Frau ihre Verwandten, und diese wollten sie von ihrem Gatten trennen und sie mit einem andrem Mann verheiraten, den sie nicht haben wollte. Da sagte sie es ihrem Gatten, und der Mann tötete sie und sich selbst in der Erwartung, aß sie beide im Tode vereint sein würden. So anschaulich muß man sich das klarmachen, daß daraus, daß man etwas liebhat, Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung entspringen, daß dies die Folgen des Liebhabens sind.»

Befriedigt von den Worten des Erhabenen ging Nalijangha zur Königin Mallika und berichtete ihr, was der Erhabene gesagt hatte. Darauf ging sie zum König und sagte zu ihm: «Hast du deine Tochter Vajiri lieb?» - «Ja, Mallika, ich habe sie lieb.» - «Wenn nun deiner Tochter Vajiri ein Unglück zustieße, würde dich dann nicht Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung befallen?» - «Wenn Vajiri verunglückte, wäre mein Leben zerstört. Wie sollte mich da nicht Kummer und Verzweiflung befallen!» - «Gerade das meinte der Erhabene mit den Worten: <Daraus, daß man etwas liebhat, entspringt Kummer und Verzweiflung, das sind die Folgen des Liebhabens.> Hast du die Fürstin Vasabha und den General Vidūdabha lieb? Hast du mich lieb?» - «Ja, Mallika!» - «Wenn nun der Fürstin Vasabha oder dem General Vidūdabha oder mir ein Unglück zustieße, würde dich dann nicht Kummer und Verzweiflung befallen?» - «Wenn jene verunglückten oder wenn du verunglücktest, wäre mein Leben zerstört. Wie sollte mich da nicht Kummer und Verzweiflung befallen!» - «Gerade das meinte der Erhabene mit seinen Worten. Hast du nicht deine Länder Benares und Kosala lieb?» - «Ja, dem Glanz[3] der Länder Benares und Kósala verdanken wir feine Gewebe, Sandel, Schmuck und wohlduftende Salben.» - «Wenn nun den Ländern Benares und Kosala ein Unglück zustieße, würde dich dann nicht Kummer und Verzweiflung befallen?» - «Dann wäre unser Leben zerstört, wie sollte mich da nicht Kummer und Verzweiflung befallen!» - «Gerade das meinte der Erhabene mit seinen Worten.» - «Liebe Mallika, es ist erstaunlich, wie gründlich und weise der Erhabene dies durchschaut hat. Bitte, Mallika, sei mir nicht böse[4]

Dann stand der König auf, entblößte eine Schulter, verneigte sich mit zusammengelegten Händen in der Richtung zum Erhabenen hin und sprach dreimal: «Ehre sei ihm, dem Erhabenen, Heiligen, völlig Erwachten!»



[1] piya bedeutet: das, was einem angenehm ist und was man für sich haben und behalten möchte [anhaften]. Dieses <Liebhaben> ist also nicht echte Liebe, sondern vielmehr Egoismus. Besonders deutlich wird dies durch das letzte Beispiel der Mallika (siehe unten).

[2] pariyāyena ist in diesem Sinne ein Ausdruck des Abhidhamma (siehe P.T.S. Dictionary), also ein Zeichen für späte Entstehung des Sutta.

[3] ānubhāva ist spätes Pali (siehe P.T.S. Dictionary).

[4] ācāmehi: kommt nur hier vor, Bedeutung unsicher, Grundbedeutung <spüle aus> paßt hier nicht. Das Sutta ist zweifellos spätere Dichtung; dasselbe Thema besser in Ud. VII, 8.


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