Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

DRITTER TEIL: DIE SPÄTEREN FÜNFZIG – Uparipannāsam

XIII. BUCH: LEERHEIT – Suññatavaggo

122. Leerheit I – Mahāsuññata Sutta

 

Vorbemerkung: Siehe die Vorbemerkung zu Sutta 121! Sutta 122 ist künstlich verlängert worden, damit es gegenüber Sutta 121 als das <große> Leerheits-Sutta auftreten konnte.

 

So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene im Feigenpark bei Kapilavatthu im Lande der Sakyer. Eines Tages begab er sich, nachdem er vom Speisesammeln aus der Stadt zurückgekehrt war und gespeist hatte, für den Rest des Tages zu dem Rasthaus des Sakyers Kalakhemaka. Dort sah er viele bereitgestellte Sitze und schloß daraus, daß sich dort viele Bhikkhus aufhielten.

Um dieselbe Zeit war der ehrwürdige Ānanda mit vielen Bhikkhus in dem Rasthaus des Sakyers Ghataya damit beschäftigt, Gewänder auszubessern. Dort besuchte ihn der Erhabene und fragte ihn, ob sich in dem Rasthaus Kalakhemakas viele Bhikkhus aufhielten. Ānanda erwiderte, die Bhikkhus seien jetzt hier, um Gewänder auszubessern. Darauf sprach der Erhabene:

Für einen Bhikkhu ist es nicht schön, sich an geselligem Beisammensein zu erfreuen und sich danach zu sehnen, denn wenn er sich daran erfreut und sich danach sehnt, dann kann er nicht an dem Glück der Entsagung, des Alleinseins, der Ruhe und des Erwachens Gefallen finden. Wenn er aber Geselligkeit meidet und zurückgezogen lebt, dann ist es möglich, daß er an dem Glück der Entsagung, des Alleinseins, der Ruhe und des Erwachens Gefallen findet. Wenn er sich an geselligem Beisammensein erfreut und sich danach sehnt, kann er weder eine vorübergehende Befreiung des Geistes erlangen, noch die zeitlose, unerschütterliche. Wenn er aber Geselligkeit meidet und zurückgezogen lebt, ist es möglich, daß er beides erlangt. Ich kenne keine einzige Gestalt, bei der für den, der sich an ihr erfreut, nicht aus der Veränderlichkeit[1] Kummer, Jammer, Schmerz, Gram und Verzweiflung erwüchsen.

Der Vollendete hat vollkommen verstanden, dadurch, daß er den Erscheinungen keinerlei Beachtung schenkt, im Innern die Leerheit zu erlangen und in ihr zu verweilen. Wenn zum Vollendeten, während er sich in diesem Zustand befindet, Besucher kommen, Bhikkhus, Bhikkhunis, Laienanhänger, Laienanhängerinnen, Könige, Minister, Sektenführer und ihre Anhänger, dann führt er, weil sein Denken ganz auf Zurückgezogenheit gerichtet und allem, was mit Anwandlungen zusammenhängt, abgewandt ist, nur ein Gespräch, das sich auf Loslassen[2] bezieht. Wenn also ein Bhikkhu wünscht, im Innern Leerheit zu erlangen, dann muß er sein Denken innerlich festigen, beruhigen, auf einen einzigen Gegenstand richten und sammeln; und das geschieht, indem er die vier Stufen der Versenkung[3] übt.

Wenn ein Bhikkhu in seinem Innern oder außerhalb oder innen und außen auf die Leerheit achtet und sein Denken sich dabei nicht festigt und frei wird, dann weiß er das und ist sich dessen durchaus bewußt. Ebenso ist es, wenn er auf Unempfindlichkeit achtet. Dann soll er im höchsten Grade der Geistessammlung sein Denken festigen, beruhigen, auf einen einzigen Gegenstand richten und sammeln. Ist ihm dies beim Achten auf die Leerheit in seinem Innern oder außerhalb oder innen und außen gelungen, dann weiß er das und ist sich dessen durchaus bewußt. Wenn er in solchem Zustand hin und her geht oder stillsteht oder sich setzt oder sich niederlegt, dann ist er sich klar bewußt, daß keine weltlichen Wünsche und Sorgen und keine unheilsamen Regungen ihn stören können. Will er aber in diesem Zustande reden, dann ist er sich klar bewußt, daß er kein gemeines, gewöhnliches, unedles Gespräch führen will, wie ein Gespräch über Könige, Gauner, Minister usw.[4], sondern nur ein Gespräch, das hinweist auf Enthaltsamkeit, Läuterung, Entsagung, Leidenschaftslosigkeit, Loslassen, Beruhigung, höheres Wissen, Erwachen und Nirwana. Und wenn er in diesem Zustande nachsinnen will, dann sinnt er klar bewußt nicht nach über gemeine, unedle Dinge, wie Sinnenfreuden, Bosheit, Gewalttätigkeit, sondern nur über edle Dinge, förderliche, die dem, der danach handelt, zur rechten Überwindung aller Übel verhelfen, wie Entsagen, Wohlwollen und Gewaltlosigkeit.[5]

Es gibt fünf Arten von Sinnenfreuden: sichtbare Gestalten, Töne, Düfte, Säfte und Tastungen, die erwünscht, angenehm, mit Sinnenlust verbunden und reizend erscheinen. Ein Bhikkhu soll immer wieder seine Gedanken erforschen, ob er noch zu dieser oder jener Art von Sinnenfreuden neigt, und wenn er solche Neigungen bei sich findet, dann erkennt er, daß das triebhafte Verlangen nach Sinnenfreuden bei ihm noch nicht überwunden ist. Darüber ist er sich klar bewußt. Wenn er aber solche Neigungen bei sich nicht findet, dann erkennt er, daß das triebhafte Verlangen nach Sinnenfreuden bei ihm überwunden ist. Darüber ist er sich klar bewußt.

Es gibt fünf Gruppen des Ergreifens. Davon soll ein Bhikkhu sich frei machen, indem er ihr Entstehen und Vergehen betrachtet: So entstehen und vergehen Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, unbewußte gestaltende Tätigkeiten und Bewußtsein. Dann überwindet er den Wahn <Ich bin> in bezug auf diese fünf Gruppen und wird sich dieser Überwindung klar bewußt. Solche Betrachtungen dienen allein zum Heil, sie sind edel, überweltlich und sind dem Bösen (dem Versucher) unzugänglich.

Was meinst du, Ānanda: unter welchen Umständen darf ein Jünger dem Meister folgen? – «Dem Erhabenen verdanken wir alle Belehrung. Bitte, Erhabener, erklärt es uns! Nach Euren Worten werden wir uns richten.» – Nicht darf ein Jünger dem Meister folgen, wenn er sich nur Lehrsätze und Verse erklären lassen will; denn lange schon habt ihr die Lehrsätze gehört, im Gedächtnis behalten, auswendig gelernt und gut verstanden. Ein Gespräch über strenge Zucht, Läuterung des Geistes, Abwendung, Leidenschaftslosigkeit, Aufhören, Beruhigung, höheres Wissen, Erwachen, Nirwana, zum Beispiel ein Gespräch über Wunschlosigkeit, Zufriedenheit, Alleinsein, Zurückgezogenheit, Kraftanstrengung, Sittlichkeit, Geistessammlung, Weisheit, Befreiung, Wissen um Befreiung, – wegen eines solchen Gesprächs darf ein Jünger dem Meister folgen, auch wenn er dazu gerufen wird.

Da es so ist[6], erleidet ein Lehrer, ein Schüler, ein Keuschlebender Schaden. Ein Lehrer erleidet auf folgende Weise Schaden: Hat er sich in die Einsamkeit zurückgezogen, dann gehen Brahmanen, Hausherren, Bürger und Bauern hin und her. Wenn er das sieht, wird er nachlässig, verlangt nach Sinnenfreuden, wird neidisch und ergibt sich dem Wohlleben. Infolgedessen erfährt er schlechte, unheilsame Regungen, unsaubere, die zu Wiedergeburt führen und Unheil bringen. – Ein Schüler erleidet auf folgende Weise Schaden: Hat sich ein Jünger eines solchen Lehrers, dem Lehrer folgend, in die Einsamkeit zurückgezogen und sieht er Brahmanen, Hausherren, Bürger und Bauern hin und her gehen, dann wird er nachlässig, verlangt nach Sinnenfreuden, wird neidisch und ergibt sich dem Wohlleben. Infolgedessen erfährt er schlechte, unheilsame Regungen, unsaubere, die zu Wiedergeburt führen und Unheil bringen. – Ein Keuschlebender erleidet auf folgende Weise Schaden: In der Welt erscheint ein Vollendeter und zieht sich in die Einsamkeit zurück. Wenn er sieht, daß Brahmanen, Hausherren, Bürger und Bauern hin und her gehen, wird er nicht nachlässig, verlangt nicht nach Sinnenfreuden, wird nicht neidisch und ergibt sich nicht dem Wohlleben. Ein Jünger eines solchen Lehrers aber, der sich, dem Lehrer folgend, in die Einsamkeit zurückzieht und sieht, wie Brahmanen, Hausherren, Bürger und Bauern hin und her gehen, wird nachlässig, verlangt nach Sinnenfreuden, wird neidisch und ergibt sich dem Wohlleben. Infolgedessen erfährt er schlechte, unheilsame Regungen, unsaubere, die zu Wiedergeburt führen und Unheil bringen. Der Schaden aber, den ein Keuschlebender erleidet, ist schlimmer als der, den ein Lehrer oder ein Schüler erleidet, hat noch schmerzlichere Folgen und führt sogar in die Hölle.

Darum, Ānanda, behandelt mich freundlich, nicht feindselig! Das wird euch lange zum Wohl gereichen. Feindselig behandeln Schüler ihren Meister, wenn sie, während er ihnen die Lehre freundlich erklärt, nicht zuhören, ihre Gedanken abschweifen lassen und sich nicht um die Lehre des Meisters kümmern. Freundlich aber behandeln Jünger ihren Meister, wenn sie, während er ihnen die Lehre freundlich erklärt, gut zuhören, ihre Gedanken nicht abschweifen lassen und die Lehre treu befolgen. Behandelt mich also freundlich, nicht feindselig! Das wird euch lange zum Wohl gereichen. Ich will euch nicht so behandeln, wie ein Töpfer ungebrannte Töpfe behandelt, sondern so, daß ich euch bald zurechtweise, bald antreibe. Was echt ist, wird Bestand haben.

[So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahm Ānanda seine Darlegung an.]

 



[1] viparināmaññathabhāva ist Spät-Pali.

[2] uyyojaniyapatisamyutta ist Spät-Pali.

[3] Im Text ausführlich mit denselben Worten wie sonst.

[4] Im Text der übliche Katalog der unedlen Gespräche wie im 76. Sutta, 1. Absatz.

[5] Hier ist das Thema <Leerheit> erschöpft; das Folgende dient nur dazu, das Sutta zu verlängern, damit es im Gegensatz zum vorigen das <große> heißen kann.

[6] Hier scheint die Überlieferung fehlerhaft zu sein, denn dies passt nicht zu dem Vorhergehenden.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus