Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

DRITTER TEIL: DIE SPÄTEREN FÜNFZIG – Uparipannāsam

XIII. BUCH: LEERHEIT – Suññatavaggo

125. Zahmheit – Dantabhūmi Sutta

 

So habe ich es gehört:

  Als der Erhabene einst am Eichhörnchenfutterplatz im Bambushain bei Rājagaha weilte, befand sich der Novize Aciravata in einer Waldhütte. Dorthin kam auf einem Spaziergang der Prinz Jayasena, begrüßte den Novizen, setzte sich zu ihm und sagte: «Ich habe gehört, wenn ein Bhikkhu unermüdlich und eifrig übe, könne es ihm gelingen, seinen Geist zu sammeln.» Aciravata bestätigte das, und Jayasena bat ihn, ihm die Lehre zu erklären, wie er sie gehört und verstanden habe. Aciravata lehnte zunächst ab: wenn er jenem die Lehre darlegte und er sie nicht verstände, würde ihm das unangenehm sein. Auf eine nochmalige Bitte des Prinzen um Belehrung erwiderte der Novize: «Ich könnte dir die Lehre erklären. Wenn du sie verstehst, ist es gut, wenn du sie nicht verstehst, bleibe bei deinem Glauben und frage mich nicht weiter!» Damit war der Prinz einverstanden, und der Novize erklärte ihm die Lehre. Als der Prinz sie gehört hatte, sagte er: «Es ist doch nicht möglich, daß es einem Bhikkhu, der unermüdlich und eifrig übt, gelänge, seinen Geist zu sammeln», stand auf und ging fort. Bald darauf suchte der Novize den Erhabenen auf und berichtete ihm über das Gespräch.

  Der Erhabene sprach:

  «Was nur ein Entsagender verstehen kann, das kann natürlich der Prinz Jayasena, der mitten im Weltleben steht, nicht verstehen. Was meinst du: Wenn zwei Elefanten, Rosse oder Rinder gut gezähmt werden, können sie sich dann zahm verhalten und Zahmheit erreichen?» – «Ja, Herr!» – «Wenn sie aber nicht gezähmt werden, können sie sich dann auch so zahm verhalten und Zahmheit erreichen wie die gezähmten?» – «Nein, Herr!» – «Ebenso verhält es sich mit dem Prinzen Jayasena.

  Nimm an: Nicht weit von einem Dorf steht ein hoher Berg. Aus dem Dorfe kommen zwei Freunde und gehen Hand in Hand zu dem Berg. Der eine bleibt unten am Fuße des Berges stehen, der andere steigt auf den Berg hinauf. Der Untenstehende fragt ihn, was er dort sehe, und dieser antwortet: <Ich sehe einen lieblichen Park, einen schönen Hain, eine prächtige Wiese und einen reizenden Lotusteich.> Der andere erwidert: <Das ist ja unmöglich!> Dann steigt der Obenstehende wieder herunter, nimmt den Freund beim Arm, führt ihn auf den Berg hinauf, läßt ihn sich ein Weilchen erholen und fragt ihn dann, was er sehe. Nun sagt der Freund: <Auch ich sehe einen lieblichen Park, einen schönen Hain, eine prächtige Wiese und einen reizenden Lotusteich.> Da sagt der andere: <Vorhin meintest du doch, das sei unmöglich, und jetzt bestätigst du es.> Jener erwidert: <Der hohe Berg verbarg es mir, darum konnte ich das Sichtbare nicht sehen.> – Ebenso verbirgt ein noch größerer Haufen Unwissenheit dem Prinzen Jayasena das, was nur ein Entsagender sehen kann.

  Wenn du dem Prinzen diese beiden Gleichnisse dargestellt hättest, dann wäre er wahrscheinlich befriedigt gewesen und hätte dir seine Befriedigung ausgedrückt.»

  «Wie hätte ich ihm diese Gleichnisse darstellen können, die einleuchtenden, die vorher noch niemand gehört hatte, wie der Erhabene!»

  «Nimm an: Ein König befiehlt seinem Elefantenjäger, auf einem Königselefanten reitend im Walde einen wilden Elefanten einzufangen und an den Hals des Königselefanten zu fesseln. Der Elefantenjäger tut das, und der Königselefant zieht den wilden Elefanten in eine Lichtung. Der wilde Elefant befindet sich nun in der Lichtung und sehnt sich nach dem Walde zurück. Der Jäger meldet dem König, daß der wilde Elefant in der Lichtung ist, und der König befiehlt ihm, den Elefanten zu zähmen, ihm seine Wildheit auszutreiben und ihn in der Nähe eines Dorfes an die Menschen zu gewöhnen. Dann rammt der Elefantenjäger einen Pfahl in die Erde und fesselt den Elefanten mit dem Halse daran. Von nun an redet der Elefantenbändiger freundlich und höflich mit dem Elefanten. Sobald der Elefant darauf achtet, wird ihm Heu und Wasser gereicht. Nimmt der Elefant die Nahrung an, dann weiß der Bändiger, daß der Elefant am Leben bleiben wird, und lehrt ihn aufladen und abladen. Folgt der Elefant dem Befehl, dann lernt er hin und her gehen aufstehen und niederknien. Darauf wird er in Unempfindlichkeit geübt. Dazu wird ihm ein großer Schild vor den Rüssel gebunden, ein Mann mit einer Lanze in der Hand setzt sich auf den Hals, und Leute mit Lanzen in den Händen stehen rund um den Elefanten herum, vor ihnen der Bändiger mit einem langen Speer. So wird dem Elefanten Unempfindlichkeit angewöhnt, indem er weder die Vorderfuße noch die Hinterfüße bewegen darf, weder den Vorderleib noch den Hinterleib, weder den Kopf noch die Ohren noch die Stoßzähne noch den Schwanz noch den Rüssel. Auf diese Weise wird er ein Königselefant und erträgt geduldig Verletzung durch Schwerter und Pfeile, feindlichen Ansturm, Trommeln und Pauken, hat alle Fehler und Mängel abgelegt und gilt nun als königswürdig. Königlich wird er genannt.

  Ebenso ist es, wenn ein Vollendeter in der Welt erscheint[1]. Zieht dann ein ehrbarer Mann aus dem Hause in die Heimatlosigkeit, so ist er gewissermaßen als Edeljünger in die Lichtung gegangen. Da sehnen sich Götter und Menschen nach den Genüssen der fünf Sinne. Dann unterweist ihn der Vollendete in den Sittenregeln und Ordenspflichten, in der Wachsamkeit am Tor der Sinne, in der Mäßigkeit beim Essen, ermahnt ihn, nicht zu lange zu schlafen, bei allen Verrichtungen klares Bewußtsein zu bewahren, die fünf Hemmnisse zu überwinden und die vierfache Achtsamkeitsübung zu betreiben.

  Wie der Elefantenbändiger einen Pfahl in die Erde rammt und den Elefanten daran fesselt, um ihm die Wildheit auszutreiben und ihn an die Menschen zu gewöhnen, so sollen dem Edeljünger durch die Fessel der vierfachen Achtsamkeitsübung die schlechten Gewohnheiten des häuslichen Lebens ausgetrieben werden, damit er vollkommenes Wissen und das Nirwana erreichen kann.

  Weiter lehrt ihn der Vollendete im Laufe der Achtsamkeitsübung alle Gedanken an den Körper, an die Gefühle, an die Gedanken und an die Gegenstände der Lehre einzustellen und so die zweite, die dritte und die vierte Stufe der Versenkung und das dreifache Wissen zu erreichen und zur endgültigen Befreiung, zum Nirwana zu gelangen[2].

  Dann erträgt der Bhikkhu geduldig Kälte und Hitze, Hunger und Durst, Wind und Wetter, Fliegen, Mücken und anderes Ungeziefer, Beleidigungen und körperliche Schmerzen, dann hat er Gier, Haß und Verblendung gänzlich abgelegt und verdient Opfergaben und ehrfürchtigen Gruß als bestes Feld in der Welt für verdienstliches Tun.

  Wenn ein alter, ein mittlerer oder ein junger Königselefant ungezähmt stirbt, dann sagt man, er sei eines ungezähmten Todes gestorben. Ebenso sagt man von einem alten, einem mittleren oder einem jungen Bhikkhu, wenn er ungezähmt stirbt, er sei eines ungezähmten Todes gestorben. Wenn aber ein alter, ein mittlerer oder ein junger Königselefant gezähmt stirbt, dann sagt man, er sei eines gezähmten Todes gestorben. Ebenso sagt man von einem alten, einem mittleren oder einem jungen Bhikkhu, wenn er gezähmt stirbt, er sei eines gezähmten Todes gestorben.»

  So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahm der Novize Aciravata seine Belehrung an.

 



[1]Das entsprechende Stück aus dem 27. Sutta wird hier wörtlich wiederholt.

[2]Im Text dies alles ausführlich mit denselben Worten wie im 51. Sutta.


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