So habe ich es gehört:
Als der Erhabene einst in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi weilte, kam eines Abends der ehrwürdige Punna zu ihm, begrüßte ihn ehrfurchtsvoll, setzte sich zu ihm und sprach: «Bitte, Erhabener, gebt mir eine kurze Unterweisung! Wenn ich sie gehört habe, will ich mich zurückziehen und unermüdlich und eifrig darüber nachsinnen.» – «So höre denn, Punna», sagte der Erhabene, «und denke darüber nach:
Es gibt mit dem Auge, dem Ohr, der Nase, der Zunge, dem Leibe und dem Denkorgan wahrzunehmende sichtbare Gestalten, Töne, Düfte, Säfte, tastbare Dinge und Denkvorstellungen, die erwünscht, lieblich, angenehm, begehrenswert und reizend erscheinen. Wenn ein Bhikkhu diese Dinge freudig begrüßt und fest daran haftet, dann entsteht daraus Zuneigung, und wenn Zuneigung entsteht, dann entsteht Leiden, sage ich. Wenn ein Bhikkhu diese Dinge aber nicht freudig begrüßt und nicht fest daran haftet, dann verschwindet Zuneigung, und wenn Zuneigung verschwindet, dann verschwindet Leiden, sage ich.
In welches Land willst du dich begeben, nachdem ich dir diese kurze Unterweisung gegeben habe?» – «In das westliche Sunaland.» – «Im westlichen Sunaland sind die Menschen wild und roh. Wenn sie dich beschimpfen und beleidigen, was wirst du dann denken?»- «Wenn sie mich beschimpfen und beleidigen, werde ich denken: <Wie gut und freundlich sind doch diese westlichen Suner, daß sie mir[1] nicht Faustschläge versetzen.>» – «Wenn sie dir nun aber doch Faustschläge versetzen, was wirst du dann denken!» – «Wenn sie mir Faustschläge versetzen, werde ich denken: <Wie gut und freundlich sind doch diese westlichen Suner, daß sie mir nicht mit Steinen Wunden schlagen.» – «Wenn sie dir aber doch mit Steinen Wunden schlagen, was wirst du dann denken?» – «Wenn sie mir mit Steinen Wunden schlagen, werde ich denken: <Wie gut und freundlich sind doch diese westlichen Suner, daß sie mir nicht Stockschläge versetzen.» – «Wenn sie dir aber doch Stockschläge versetzen, was wirst du dann denken?» – «Wenn sie mir Stockschläge versetzen, werde ich denken: <Wie gut und freundlich sind doch diese westlichen Suner, daß sie mir nicht mit Schwertern Wunden schlagen.>» – «Wenn sie dir aber mit Schwertern Wunden schlagen, was wirst du dann denken?» – «Wenn sie mir mit Schwertern Wunden schlagen, werde ich denken: <Wie gut und freundlich sind doch diese westlichen Suner, daß sie mich nicht mit scharfem Schwert töten.» – «Wenn sie dich aber töten, was wirst du dann denken?» – «Wenn sie mich töten, werde ich denken: <Es gibt Jünger des Erhabenen, die lebensüberdrüssig sind und sich selbst zu töten suchen. Ohne es zu suchen, habe ich das hier gefunden.> So werde ich dann denken, Erhabener, Heiliger.» – «Sehr gut, Punna! Mit solcher Selbstbeherrschung und Ruhe ausgestattet wirst du dich in das westliche Sunaland begeben können. Tue nun, was dir richtig scheint!»
Erfreut und befriedigt durch die Worte des Erhabenen stand Punna auf, verabschiedete sich ehrfurchtsvoll von dem Erhabenen, schritt rechts um ihn herum, rollte seine Lagermatte zusammen, nahm Obergewand und Schale und wanderte nach dem westlichen Sunalande. Dort blieb er, und schon in einem Jahr gewann er rund fünfhundert Anhänger und rund fünfhundert Anhängerinnen und erreichte das dreifache Wissen. Nach einiger Zeit kam er zum völligen Erlöschen. Später fragten viele Bhikkhus den Erhabenen nach dem zukünftigen Schicksal Punnas. Der Erhabene sprach: «Herr Punna war verständig, er befolgte die Lehre und machte mir bei der Unterweisung keine Schwierigkeiten. Punna ist völlig erloschen.»
So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahmen die Bhikkhus seine Erklärung an.[2]
[1]In der Parallelstelle Samyutta Nikāya 35, 88 steht an diesen Stellen mam (mich) statt me (mir); vgl. nächste Anm.
[2]Das Sutta stimmt, abgesehen von zwei kleinen Abweichungen, wörtlich überein mit dem Sutta Samyutta Nikāya 35, 88. Die beiden Abweichungen sind aber bedeutsam: 1. In der Parallelstelle verwechselt Punna fünfmal <mir> und <mich>. Es ist ein Zeichen für die Gewissenhaftigkeit, mit der in der alten Zeit die Gespräche Buddhas von den Jüngern nicht nur wortgetreu, sondern lautgetreu nachgesprochen und überliefert wurden, daß sie diesen grammatischen Fehler bei Punna festgehalten haben. Punna war offenbar gewöhnt, seine heimatliche Mundart vermutlich Māgadhi, zu sprechen, dem Meister gegenüber aber bemühte er sich <fein> zu sprechen. Das me (mir) erschien ihm nicht fein genug, darum sagte er mam (mich), geradeso wie man es im Gebiet des Plattdeutschen und auch in Berlin beobachten kann. Die späteren Redaktoren des Majjhima Nikāya, die das Sutta aus dem Samyutta Nikāya übernahmen, hatten kein Verständnis für solche Besonderheiten der Überlieferung und glaubten, wie Schulmeister die grammatischen Fehler <verbessern> zu müssen. - 2. In der Parallelsteile wird gesagt Punna habe rund fünfhundert Anhänger gewonnen. Das erschien den Späteren nicht genug; sie fügten noch fünfhundert Anhängerinnen hinzu. - Diese beiden Abweichungen scheinen zu beweisen, daß im Samyutta Nikāya der echte Text steht. Die Überlieferung der grammatischen Fehler ist zugleich ein sicherer Beweis dafür, daß Pali wirklich die Sprache Buddhas war und daß der Pali-Kanon nicht etwa, wie einige Gelehrte behaupten, aus einem spurlos verschwundenen <Urkanon> später in die Pali-Sprache übersetzt wurde, denn bei einer Übersetzung wären solche Fehler sicherlich verschwunden. - Nach der letzten Antwort Punnas scheint es, daß ihm der <Fall Channa> (Sutta 144) bekannt war. Das dürfte auch der Grund dafür sein, daß das Punna-Sutta gerade an diese Stelle gesetzt wurde. - Punna ist der einzige Missionar, den der Pali-Kanon kennt. Buddha hat ihn nicht ausgesandt, nicht einmal ermutigt, sondern gewarnt.