Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

DRITTER TEIL: DIE SPÄTEREN FÜNFZIG – Uparipannāsam

XV. BUCH: DIE SECHS SINNE – Salāyatanavaggo

144. Channas Unterweisung – Channovāda Sutta

 

So habe ich es gehört:

Als der Erhabene einst am Eichhörnchenfutterplatz im Bambushain bei Rājagaha weilte, befanden sich die ehrwürdigen Sāriputta, Mahacunda und Channa auf dem Geierberge. Damals war Channa schwer krank. Gegen Abend ging Sāriputta zu Cunda und forderte ihn auf, mit ihm zu Channa zu gehen und nach seinem Befinden zu fragen. Sie gingen zu ihm, begrüßten ihn und setzten sich zu ihm, und Sāriputta fragte Channa, wie es ihm gehe. Channa antwortete: «Ich habe unerträgliche Schmerzen, die immer schlimmer werden. Ich will zum Messer greifen, ich wünsche nicht mehr zu leben.» Sāriputta erwiderte: «Der ehrwürdige Channa sollte nicht zum Messer greifen, er sollte am Leben bleiben! Ich wünsche, daß der ehrwürdige Channa am Leben bleibe. Wenn es dem ehrwürdigen Channa an Krankenkost oder an Arznei fehlt, will ich sie ihm besorgen, wenn ihm ein Krankenpfleger fehlt, will ich ihn pflegen. Der ehrwürdige Channa sollte nicht zum Messer greifen, er sollte am Leben bleiben, das wünsche ich»[1]. –  «Lieber Sāriputta», sagte darauf Channa, «an Krankenkost und Arznei fehlt es mir nicht, auch einen Krankenpfleger habe ich. Ich folge auch schon lange dem Meister, und zwar gern, nicht widerstrebend. Es geziemt sich ja für einen Jünger, dem Meister gern zu folgen. Wenn ich jetzt zum Messer greife, so ist das nicht zu tadeln, laß dir das gesagt sein, lieber Sāriputta!» – «Ich möchte», sagte Sāriputta, «den ehrwürdigen Channa noch eine Kleinigkeit fragen, wenn es dem ehrwürdigen Channa genehm ist zu antworten.» – «Frage, lieber Sāriputta! Wenn ich es gehört habe, werden wir es wissen.» – Nun sprach Sāriputta:

«Lieber Channa! Betrachtest du das Auge, das Sehbewußtsein und die sichtbaren Dinge, das Ohr, das Hörbewußtsein und die Töne, die Nase, das Riechbewußtsein und die Düfte, die Zunge, das Schmeckbewußtsein und die Säfte, den Leib, das Tastbewußtsein und die tastbaren Dinge, das Denkorgan, das Denkbewußtsein und die Denkvorstellungen so: <Dies ist mein, ich bin dies, dies ist mein Ich>?» – «Nein, lieber Sāriputta! Ich betrachte das alles so: <Dies ist nicht mein, ich bin dies nicht, dies ist nicht mein Ich>.» – «Lieber Channa, was hast du gesehen und verstanden, daß du alles jenes so betrachtest: <Dies ist nicht mein, ich bin dies nicht, dies ist nicht mein Ich>?» – «Lieber Sāriputta, ich habe gesehen und verstanden, daß alles, was ich sehe, höre, rieche, schmecke, taste und denke, vergänglich ist. Darum betrachte ich es so: <Dies ist nicht mein, ich bin dies nicht, dies ist nicht mein Ich>.»

Darauf sagte Mahacunda zum ehrwürdigen Channa: «Lieber Channa, bedenke auch immer diesen Lehrsatz des Erhabenen[2]:

<Wer an etwas hängt, hat Unruhe; wer an nichts hängt, hat keine Unruhe; wo keine Unruhe ist, da ist Ruhe; wo Ruhe ist, da ist keine Neigung; wo keine Neigung ist, da ist kein Kommen und Gehen; wo kein Kommen und Gehen ist, da ist kein Vergehen und Neuentstehen; wo kein Vergehen und Neuentstehen ist, da ist weder diese noch jene Welt, noch was zwischen beiden liegt. Dies ist des Leidens Ende.>»

Nachdem Sāriputta und Mahacunda den ehrwürdigen Channa so unterwiesen hatten, standen sie auf und gingen fort. Bald danach griff Channa zum Messer (und öffnete sich die Pulsadern). Sāriputta aber ging zum Erhabenen, berichtete ihm, daß Channa zum Messer gegriffen habe und fragte, welchen Gang Channa nun gehe, welches Schicksal ihm bevorstehe. Der Erhabene erwiderte: «Hat dir Channa nicht erklärt, daß er nicht zu tadeln sei?» – «Es gibt aber», sagte darauf Sāriputta, «in dem Dorf Pūbbajira im Lande der Vajji Familien, die mit Channa befreundet sind und die ihn tadeln.» – «Das mag sein», sprach der Erhabene, «ich aber sage nicht, daß er deswegen zu tadeln sei. Wenn jemand, der den gegenwärtigen Leib ablegt, einen andern Leib ergreift, dann sage ich, daß er zu tadeln ist. Das trifft aber bei dem Bhikkhu Channa nicht zu. Daß er zum Messer gegriffen hat, ist nicht zu tadeln.» So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahm Sāriputta die Erklärung des Erhabenen an.

 



[1]Es ist auffallend, daß Sāriputta den Kranken fortgesetzt mit <der ehrwürdige Channa> anredet und in der dritten Person mit ihm spricht. In den alten Texten sagt er zu seinen Mitbrüdern immer avuso (Lieber) und redet sie mit <du> an. Die Redeweise in diesem Sutta scheint auf späte Entstehung hinzuweisen.

[2]Das Folgende ist ein Zitat aus Udana VIII, 4. Also ist dieses Sutta jünger als jenes Udana.


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