Die erste Vergehensklasse im Beichtformular sowohl der Mönche als auch der Nonnen bilden die pārājika-Vergehen. Burnouf und ihm folgend Childers [1] leiten diese Vergehensbezeichnung von skt. parā+√aj ("ausschließen") ab. Dagegen wenden Oldenberg und Rhys Davids ein, daß die Verbalwurzel √aj nur im Vedischen zu finden sei, während die buddhistische Terminologie über andere Wörter verfüge, die einen Ausschluß aus dem Orden ausdrücken. [2] So schließen sie sich der Etymologie der Samantapāsādikā an, wo pārājika von parā + Passiv von √ji ("eine Niederlage erleiden") abgeleitet wird (Sp 259,17-260,7), und übersetzen pārājikā dhammā mit "those acts which bring about defeat". [3] Von Hinüber entkräftet Oldenbergs und Rhys Davids Einwände, indem er nachweist, daß die vedische Verbalwurzel √aj im Pāli mehrfach belegt ist und parā+√aj somit nur eine von mehreren Verwendungsweisen dieser Wurzel ist. [4] Er übersetzt daher "was zur Vertreibung (aus dem Orden) gehört." Diese Bedeutung ist auch inhaltlich einleuchtend, zumal in den Vergehenskategorien des Pātimokkha die vorgesehene Bestrafung durch die Vergehensbezeichnung selbst ausgedrückt wird oder durch sie zumindest angedeutet ist, da während der Uposatha-Feier eben nur die Pātimokkha-Regeln, nicht je doch die zugehörigen erläuternden Kommentare rezitiert werden. So kann die Diskussion über die Bedeutung und Etymologie des Wortes pārājika mit Von Hinübers Beitrag als abgeschlossen betrachtet werden. In der vorliegenden Untersuchung ist auf eine Übersetzung dieses Terminus verzichtet worden.
Das Vorliegen eines Pārājika-Vergehens hat für den Ordensangehörigen den Ausschluß aus dem Orden zur Folge. Dieser Ausschluß war wohl ursprünglich als endgültiger und unwiderruflicher Ausschluß vorgesehen, wie durch die Vergleiche in den WfWKen zu den einzelnen Pārājika-Regeln deutlich wird. [5] Es hat jedoch offensichtlich eine Entwicklung dieser Rechtsauffassung stattgefunden. In der Pār 1 (M+N) unmittelbar vorangehenden Passage wird gesagt, daß ein Mönch, der ein Pārājika-Vergehen begangen hat und den Orden vorher nicht selbst verlassen hat, die Upasampadā nicht erneut erhalten darf — von der Pabbajjā ist dort nicht die Rede. [6] So entnahm der Autor der Samantapāsādikā dieser Ausdrucksweise, daß die niedere Ordination durchaus erneut erteilt werden darf: [7]
"Wenn dieser (wieder) herbeigekommen ist, ist ihm die Upasampadā nicht zu erteilen: dem Erhabenen war (Folgendes) bewußt: ,Denn wenn einer, der so [d.h., der den Regelverstoß begangen hat, ohne vorher die "Regeln aufzugeben"] herbeigekommen ist, die Upasampadā erlangt, ist er wohl ohne Respekt für die Lehre; wenn er aber im Status des Sāmanera bleibt [d. h. die Pabbajjā erneut erhält], wird er voll Respekt (für die Lehre) sein und in seinem eigenen Interesse handeln', und (daher) sagte (der Erhabene) mitleidig: ,Diesem ist die Upasampadā nicht zu erteilen, wenn er wieder herbeigekommen ist. Wenn dieser (wieder) herbeigekommen ist, ist ihm die Upasampadā zu erteilen ist: ,Denn wenn einer, der Mönch gewesen ist, ("die Regeln aufgegeben" hat und erst dann das Vergehen begangen hat,) ist er [wegen des vorangegangenen Aufgebens der Regeln] bezüglich der Moral nicht fehlgegangen; wer so herbeigekommen ist, wird voll Respekt für die Lehre sein; wenn er Unterstützung hat, wird dieser nach nicht langer Zeit auch das höchste Ziel erreichen.' (In diesem Gedanken) sagte (der Erhabene): ,Die Upasampadā ist (ihm erneut) zu erteilen'."
Bei dieser Möglichkeit, einer aufgrund eines Pārājika-Vergehens ausgeschlossenen Person die niedere Ordination zu gewähren, handelt es sich dennoch sicherlich nicht um einen einklagbaren rechtlichen Anspruch des Betroffenen.
Das jeweils am Ende der Pārājika-Regeln selbst stehende Attribut asaṃvāso/asaṃvāsā ("einer/eine, der/die keiner Gemeinschaft [mehr] zugehört") [8] gibt einem weiteren Aspekt dieses Ordensausschlusses Ausdruck, nämlich daß es sich um einen Ausschluß aus der ganzen Ordensgemeinschaft handelt, dem "Orden der vier Himmelsrichtungen" (cātuddisa saṃgha). Dieser Ausschluß ist im Kontrast zu dem Ausschluß aus einem bestimmten, lokal begrenzten und seine Rechtshandlungen innerhalb einer festzulegenden Gemeindegrenze (sīmā) durchführenden Orden zu verstehen. Die Angehörigen einer solchen Gemeinschaft, die gemeinsam Rechtshandlungen wie etwa die Uposatha- und Pavāranā-Zeremonie durchführen, bezeichnen einander als "Angehörige derselben Gemeinschaft" (samānasaṃvāsaka). Als "der einer anderen Gemeinschaft Zugehörige" (nānāsaṃvāsaka) wird dagegen ein Ordensangehöriger bezeichnet, der sich aus dieser Rechtsgemeinschaft gelöst hat, d.h. eine andere Vinaya-Auslegung vertritt. [9] Der Ausdruck "der keiner Gemeinschaft zugehört" (asaṃvāsa) in den Pārājika-Regeln ist hingegen in Kontrast zu den Bezeichnungen "der der gleichen Gemeinschaft zugehört" (samānasaṃvāsa[ka]) und "der einer anderen Gemeinschaft zugehört" (nānāsaṃvāsa[ka]) zu verstehen: [10] derjenige, der ein Pārājika-Vergehen begangen hat, ist vollkommen von den Rechtshandlungen, der Rezitation des Pātimokkha und der Befolgung der Regeln ausgeschlossen und besitzt in keiner Ordensgemeinschaft die Rechte und Pflichten eines Ordensangehörigen. [11]
[1] Eugene Burnouf übersetzt den Terminus mit "crime qui chasse, repousse en arriere" (Introduction, 268f.); s. Child, s.v. pārājiko; s. a. KERN, Toevoegselen, 19, s.v. pārājika. HORNER führt gegen die von Burnouf vorgeschlagene Etymologie an, daß der Umstand, daß ein Ordensangehöriger den Orden verlassen muß, in den Pārājika-Regeln selbst schon durch die Termini asaṃvāso/asaṃvāsā ("der/die keiner Gemeinschaft [mehr] zugehört") ausreichend beschrieben sei (BD I, xxvif.). Hier beruft sich Horner auf die Definition von asaṃvāsa in den WfWKen aller Pārājika-Regeln (s. u., Anm. 8). Dort ist geschildert, daß ein Ordensangehöriger nicht mehr gemeinsam mit den anderen leben darf. Gleichzeitig beinhaltet der Terminus asaṃvāsa, daß er kein Mitglied der zu Rechtshandlungen fähigen Gemeinschaft mehr ist, die das Pātimokkha zusammen rezitiert und dieselbe Vinaya-Auslegung als rechtsgültig anerkennt (s. a. KIEFFER-PÜLZ, Sīmā, A 2.2.2). Die Vergehensbezeichnung pārājika gibt daher entgegen HORNER im allgemeinen Sinn der Strafe für den Regelverstoß Ausdruck, während der Terminus asaṃvāsa ("der keiner Gemeinschaft [mehr] zugehört") den besonderen Aspekt beinhaltet, daß es sich hier nicht nur um den Ausschluß aus einer bestimmten, lokal begrenzten Mönchsgemeinschaft handelt, sondern um den Ausschluß aus der buddhistischen Ordensgemeinschaft als Ganzer (s. u., S. 45f.). Allein das Vorhandensein weiterer, andere Aspekte des Ordensausschlusses ausdrückender Wörter spricht also nicht dagegen, daß auch pārājika in diesem Sinn gebraucht ist.
[2] Vinaya Texts I, 3, Anm. 2. HORNER geht ausführlich auf die den Ausschluß eines Ordensangehörigen ausdrückende Terminologie ein. So werde die Bedeutung "ausschließen" im Vinaya durch nāseti ausgedrückt (BD I, xxvii). Während jedoch pārājika allgemein die Verpflichtung ausdrückt, den Orden zu verlassen, wird der nāsanā genannte Ausschluß vor allem gegen Ordensangehörige durchgeführt, die nach einem Verstoß gegen eine Pārājika-Regel den Orden nicht freiwillig verlassen (s. Pār 2, N [2.1.2.2], und Anm. 41; ausführlich in HÜSKEN, "The application of the Vinaya term nāsanā"). Keinesfalls bezieht sich nāsanā nur auf den Widerruf der Privilegien eines Sāmanera oder einer Nonne und nicht auf einen Mönch, wie UPASAK (s.v. Nāsanā) und VON HINÜBER ("Buddhist Law", 37, Anm. 79) angeben.
[3] Vinaya Texts I, 3f. LEVI sieht in parāc°, parānc° ("definitive Abwendung") den Ursprung des Wortes pārājika. So sei diese Vergehensbezeichnung über die Sekundärableitung *pārācika und durch die Erweichung des zwischenvokalischen c entstanden ("Sur une Langue Precanonique", 505f.; vgl. aber von Hinüber, "Die Sprachgeschichte des Pāli", 3, Anm. 2; vgl. Roth, "Terminologisches", 341f.).
[4] "Die Bestimmung der Schulzugehörigkeit", 62 und Anm. 14; s.a. BhīPr, 71, Anm.1.
[5] Dort wird der Ausschluß wegen eines Pārājika-Vergehens beispielsweise mit der Enthauptung eines Menschen (Pār 1, N [2.1.2.1], Anm. 21), mit dem Vertrocknen eines vom Baum abgefallenen Blatts (Pār 2, N [2.1.2.2], Anm. 44), mit dem Zerbrechen eines Steins (Pār 3, N [2.1.2.3], Anm. 60) und mit dem Fällen eines Baums (Pār 4, N [2.1.2.4], Anm. 103) verglichen (s. a. BhīPr, 71; s. a. NOLOT, Regles, 529).
[6] Vin III 23,26-31: yo pana bhikkhave bhikkhu sikkham apaccakkhāya dubbalyam anāvikatvā [...], so āgato na upasampādetabbo. yo ca kho bhikkhave sikkham paccakkhāya dubbalyam āvikatvā [...], so āgato upasampādetabbo: "Ihr Mönche, welcher Mönch aber, ohne die Regeln aufgegeben und (dadurch) seine Schwäche kundgetan zu haben, [den Regelverstoß begeht], diesem ist, wenn er (wiedergekommen ist, die Upasampadā nicht zu erteilen. Und welcher Mönch, ihr Mönche, die Regeln aufgegeben hat und (dadurch) seine Schwäche kundgetan hat, [...] diesem ist, wenn er (wieder)gekommen ist, die Upasampadā zu erteilen." Hiermit ist ausgedrückt, daß eine Person, sobald sie den Orden verlassen hat — was durch diese formelle "Aufgabe der Regeln" erfolgen kann — nicht mehr der Rechtsprechung des Ordens unterliegt. Dies ist auch in den Text der Regel Pār 1 (M+N) selbst mit aufgenommen worden (Vin III 23,33-34: ... bhikkhūnaṃ sikkhāsājīvasamāpanno sikkhaṃ apaccakkhāya dubbalyaṃ anāvikatvā ...). Die Möglichkeit, "die Regeln aufzugeben" und somit den Orden formell zu verlassen, ist den Nonnen allerdings verwehrt (s. Cv X.26.1 [2.6.2.26]). Aus diesem Grund ist die Regel Pār 1 (M+N) als Nonnenregel in ihrem Wortlaut leicht abgewandelt, wie Kaṅkhāvitaraṇī und Samantapāsādikā angeben (s. 2.1.3.1, und Anm. 121).
[7] Sp 230,7-15: so āgato na upasampādetabbo ti yadi hi evaṃ āgato upasampadaṃ labheyya sāsane agāravo bhaveyya sāmanerabhūmiyam pana ṭhito sagāravo bhavissati attatthañ ca karissatīti ñatvā anukampamāno 'va bhagavā āha: so āgato na upasampādetabbo ti. so āgato upasampādetabbo ti yadi hi evaṃ āgato bhikkhubhāve ṭhatvā avipannasīlatāya sāsane sagāravo bhavissati, so sati upanissaye na cirass' eva uttamatthaṃ pāpuṇissatīti upasampādetabbo ti āha (s.a. Cv X.26.2 [2.6.2.26], Anm. 426).
[8] Die Definitionen von asaṃvāso/asaṃvāsā stimmen in den WfWKen zu allen acht Pārājika-Regeln des Suttavibhanga überein (z.B. Vin IV 214,31-33): saṃvāso nāma ekakammaṃ ekuddeso samasikkhātā, eso saṃvāso nāma. sa tayā saddhiṃ n'atthi, tena vuccati asaṃvāsā 'ti: "Gemeinschaft heißt: (gekennzeichnet durch) eine gemeinschaftliche Rechtshandlung, eine gemeinschaftliche Rezitation (und) die gleiche Schulung. Mit welcher zusammen es dies nicht gibt, in bezug auf die sagt man die keiner Gemeinschaft (mehr) zugehört" (s.o., Anm. 2). Die Samantapāsādikā erläutert saṃvāsa etwas ausführlicher im Kommentar zu Pār 3, N (2.1.2.3, Anm. 57). So bedeute saṃvāsa eine Gemeinschaft von Mönchen, die gemeinsame Anschauungen haben und sich deshalb gegenseitig "Gefährten" nennen können. Für Suspendierte gebe es diese Gemeinschaft mit den sie suspendierenden Mönchen nicht. Hier bezieht sich der Kommentator jedoch auf den Unterschied von nānāsaṃvāsa, "eine andere Gemeinschaft", und samānasaṃvāsa, "die gleiche Gemeinschaft".
[9] S. Bechert, "Remarks on the Legal Structure", 520f. Die Lösung aus dieser Gemeinschaft erfolgt entweder durch die Suspension durch die anderen Ordensangehörigen oder aber durch den freiwilligen Anschluß an einen suspendierten Mönch (s. Kieffer-Pülz, Sīmā, A Einl. 12; s. a. Pār 3, N [2.1.2.3]). Ein "Angehöriger einer anderen Gemeinschaft" kann zwar nicht gemeinsam mit den Mönchen Rechtshandlungen durchführen, die ihn aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen haben, wohl aber mit anderen Mönchen, die wiederum seine Vinaya-Auslegung akzeptieren und daher in bezug auf ihn als "Angehörige derselben Gemeinschaft" gelten. Auch ein Angehöriger einer anderen Gemeinschaft, der nicht zuvor derselben Gemeinschaft zugehörte, wird als nānāsaṃvāsaka bezeichnet.
[10] S. Pār 3, N (2.1.2.3), Anm. 57; s. a. KlEFFER-PÜLZ, Sīmā, A Einl. 12 und A 2.2.2.
[11] S.a. Entrance I, 28. Da ein Verstoß gegen eine Pārājika-Regel so gravierende Folgen für den Straftäter hat, ist es auch strengstens untersagt, einen anderen Ordensangehörigen ungerechtfertigt eines Pārājika-Vergehens zu bezichtigen. Für Mönche wie Nonnen stellt dies ein Samghādisesa-Vergehen dar (SA 8 und 9, M+N; zu samghādisesa s. 2.2.1, S. 69).