So habe ich es gehört:
Als der Erhabene einst in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi weilte, gingen viele Bhikkhus am Morgen, nachdem sie sich angekleidet hatten, mit Schale und Obergewand nach Sāvatthi, um Speise zu sammeln. Weil es dafür aber noch zu früh war, beschlossen sie, zur Versammlungsstätte der andersdenkenden Wanderasketen zu gehen. Sie gingen hin, begrüßten jene höflich und setzten sich zu ihnen, und jene sagten: «Der Samana Gotama erklärt, wie man die Sinnenfreuden, die sichtbaren Gestalten und die Gefühle zu verstehen hat; auch wir erklären, wie man die Sinnenfreuden, die sichtbaren Gestalten und die Gefühle zu verstehen hat. Worin besteht nun der Unterschied zwischen seiner Lehre und der unsrigen?»
Die Bhikkhus antworteten darauf nicht, sondern standen auf und gingen fort, um den Erhabenen darüber zu befragen. Zunächst gingen sie in die Stadt, um Speise zu sammeln, dann begaben sie sich zum Erhabenen und berichteten ihm über den ganzen Vorgang. Der Erhabene sprach:
Den andersdenkenden Wanderasketen wäre zu antworten: <Was ist bei den Sinnenfreuden, bei den sichtbaren Gestalten und bei den Gefühlen das Verlockende, was das Nachteilige und wie kann man ihnen entrinnen?> Auf diese Frage werden jene nicht richtig antworten können und in große Verlegenheit geraten, weil sie es nicht verstehen. Ich sehe in der ganzen Welt niemand, der diese Frage richtig beantworten kann, außer dem Vollendeten oder einem Jünger des Vollendeten oder einem, der es von ihnen gelernt hat.
Bei den Sinnenfreuden besteht das Verlockende darin, daß sichtbare Gestalten für das Auge, Töne für das Ohr, Düfte für die Nase, Säfte für die Zunge, tastbare Dinge für den Leib erwünscht, angenehm, lieblich, lusterregend und erfreulich erscheinen. Dies sind die fünf Sinnenfreuden, und das Wohlbehagen und Vergnügen, das aus diesen fünf Sinnenfreuden erwächst, ist das Verlockende dabei.
Das Nachteilige der Sinnenfreuden besteht darin: Wenn ein achtbarer Mann einen Beruf ausübt, sei es als Schreiber, als Rechner, als Verwalter, als Kaufmann, als Landwirt, als Viehzüchter, als Kriegsknecht, als Beamter oder einen anderen Beruf, dann ist er Hitze und Kälte ausgesetzt, wird belästigt von Fliegen und Mücken, von Wind und Wetter, von Schlangen und Ungeziefer und verschmachtet vor Hunger und Durst. Dies ist das Nachteilige bei den Sinnenfreuden, die Anhäufung von Übeln im gegenwärtigen Leben, die durch das Begehren nach Sinnenfreuden verursacht wird. Wenn dann dem achtbaren Mann, der sich so anstrengt und bemüht, die erhofften Reichtümer nicht zufließen, dann ist er bekümmert, entmutigt und traurig, er schlägt sich an die Brust, weint und denkt: Töricht war meine Anstrengung, fruchtlos mein Ringen. Auch dies ist eine Anhäufung von Übeln im gegenwärtigen Leben, die durch das Verlangen nach Sinnenfreuden verursacht wird.
Wenn der achtbare Mann aber mit seiner Anstrengung Erfolg hat und ihm Reichtümer zufließen, dann bereitet ihm die Bewahrung und Verwaltung dieser Reichtümer Mühe und Sorge, denn er muß befürchten, daß sie ihm vom König oder von Räubern entrissen, von Feuer verzehrt, von Wasser zerstört oder von unfreundlichen Erben weggenommen werden. Und wenn ihm die Reichtümer trotz guter Bewahrung auf die eine oder die andere Weise entrissen werden, dann ist er bekümmert, entmutigt und traurig und denkt: Was ich besaß, das ist nun dahin. Auch dies ist eine Anhäufung von Übeln im gegenwärtigen Leben, die durch das Verlangen nach Sinnenfreuden verursacht wird.
Vom Verlangen nach Sinnenfreuden angetrieben streiten Könige mit Königen, Adlige mit Adligen, Brahmanen mit Brahmanen, Bürger mit Bürgern, die Mutter mit ihrem Sohn, der Sohn mit seiner Mutter, der Vater mit seinem Sohn, der Sohn mit seinem Vater, der Bruder mit seinem Bruder, der Bruder mit seiner Schwester, die Schwester mit ihrem Bruder, der Freund mit seinem Freunde. Sie zanken sich, beschimpfen und schlagen einander und erleiden schließlich den Tod oder tödliche Schmerzen. Auch dies ist eine Anhäufung von Übeln im gegenwärtigen Leben, die durch das Verlangen nach Sinnenfreuden verursacht wird. Vom Verlangen nach Sinnenfreuden angetrieben stürzen sie mit Schild und Schwert, mit Bogen und Pfeilen auf beiden Seiten der Schlachtordnung in den Kampf, Pfeile schwirren, Speere sausen, Schwerter blitzen, und sie durchbohren sich gegenseitig mit Pfeilen und Speeren und spalten sich mit Schwertern die Köpfe und erleiden den Tod oder tödliche Schmerzen. Auch dies ist eine Anhäufung von Übeln im gegenwärtigen Leben, die durch das Verlangen nach Sinnenfreuden verursacht wird. Vom Verlangen nach Sinnenfreuden angetrieben stürzen sie mit Schild und Schwert, mit Bogen und Pfeilen auf schlüpfrige Wälle, Pfeile schwirren, Speere sausen, Schwerter blitzen, und sie durchbohren sich gegenseitig mit Pfeilen und Speeren und spalten sich die Köpfe und erleiden den Tod oder tödliche Schmerzen. Auch dies ist eine Anhäufung von Übeln im gegenwärtigen Leben, die durch das Verlangen nach Sinnenfreuden verursacht wird.
Vom Verlangen nach Sinnenfreuden angetrieben brechen sie Verträge, plündern, rauben, legen sich in den Hinterhalt, gehen zur Ehefrau eines anderen. Dann lassen die Könige den Täter ergreifen und verhängen über ihn verschiedene Strafen, wie Peitschen-, Stock- und Rutenschläge, Hand und Fußverstümmelung, Ohren- und Nasenverstümmelung, Spießrutenlaufen, Zerreißen durch Hunde, Pfählung bei lebendigem Leibe, Enthauptung. So erleiden sie den Tod oder tödliche Schmerzen. Auch dies ist eine Anhäufung von Übeln im gegenwärtigen Leben, die durch das Verlangen nach Sinnenfreuden verursacht wird.
Vom Verlangen nach Sinnenfreuden angetrieben führen sie unrechten Lebenswandel in Werken, Worten und Gedanken. Dadurch geraten sie nach dem Tode auf den schlimmen Weg, hinab in die Hölle. Dies ist eine Anhäufung von Übeln im künftigen Dasein, die durch das Verlangen nach Sinnenfreuden verursacht wird.
Entrinnen kann man dem Verlangen nach Sinnenfreuden durch Beseitigung und Überwindung des triebhaften Willens zum Genuß der Sinnenfreuden.
Nur wer bei den Sinnenfreuden das Verlockende, das Nachteilige und das Entrinnen richtig erkennt, kann selbst die Sinnenfreuden gründlich verstehen und auch andere dahin bringen, daß sie sie gründlich verstehen.
Bei den sichtbaren Gestalten besteht das Verlockende zum Beispiel darin, daß der Anblick eines fünfzehn- oder sechzehnjährigen Mädchens aus guter Familie, das nicht zu groß und nicht zu klein, nicht zu schlank und nicht zu üppig, nicht zu dunkel und nicht zu hell, zu dieser Zeit also sehr schön und anmutig ist, Wohlgefallen und Vergnügen erregt. Wenn man aber diese Schwester nach einiger Zeit, wenn sie achtzig oder neunzig oder hundert Jahre alt ist, wiedersieht, wie sie verwelkt, mit krummem Rücken, niedergebeugt, auf Krücken gestützt, schwankend daher schleicht, schwach, gebrechlich, zahnlos, mit weißem Haar oder mit kahlem Kopf, mit Runzeln und Flecken auf der Haut, wenn also die frühere Schönheit und Anmut geschwunden ist, dann ist das Elend offenbar. Dies ist das Nachteilige bei den sichtbaren Gestalten. Und wenn man diese Schwester sieht, wie sie schwer krank in ihrem eigenen Unrat liegt und von anderen bedient und gepflegt werden muß, dann ist das Elend offenbar. Auch dies ist das Nachteilige bei den sichtbaren Gestalten. Und wenn dann diese Schwester gestorben ist und auf dem Totenacker liegt, eine bläulich aufgedunsene Leiche, in Fäulnis übergegangen, dann ist das Elend offenbar. Auch dies ist das Nachteilige bei den sichtbaren Gestalten.[1]
Entrinnen kann man den sichtbaren Gestalten durch Beseitigung und Überwindung des triebhaften Willens zu sichtbaren Gestalten.
Nur wer bei den sichtbaren Gestalten das Verlockende, das Nachteilige und das Entrinnen richtig erkennt, kann selbst die sichtbaren Gestalten gründlich verstehen und auch andere dahin bringen, daß sie sie gründlich verstehen.
Bei den Gefühlen besteht das Verlockende darin, daß ein Bhikkhu, der die erste Stufe der Versenkung erreicht und darin bleibt, währenddessen nicht daran denkt, sich selbst oder andere zu schädigen, sondern das Gefühl hat, niemand zu schädigen. Dies ist das Verlockende der Gefühle[2]. Ebenso ist es bei der zweiten, der dritten und der vierten Stufe der Versenkung.
Das Nachteilige bei den Gefühlen besteht darin, daß die Gefühle unbeständig, mit Übeln verbunden und veränderlich sind.
Entrinnen kann man den Gefühlen durch Beseitigung und Überwindung des triebhaften Willens zu Gefühlen.
Nur wer bei den Gefühlen das Verlockende, das Nachteilige und das Entrinnen richtig erkennt, kann selbst die Gefühle gründlich verstehen und auch andere dahin bringen, daß sie sie gründlich verstehen.
So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahmen die Bhikkhus seine Darlegung an.
[1] Hier folgen noch die Leichenbetrachtungen wie im 10. Sutta.
[2] Jedes andere angenehme Gefühl, jede durch die Sinne vermittelte Freude ist mit irgendeinem Nachteil, einer Schädigung verbunden, sei es daß man das freudige Gefühl auf Kosten eines anderen genießt, sei es daß es durch sein Verschwinden ein unangenehmes schmerzliches Gefühl und zugleich Begierde, Verlangen nach neuen Sinnenfreuden erzeugt und damit die Bindung an die Welt festigt. Nur die Freude und das Glücksgefühl, die in den Versenkungen, den Jhanas, erlebt werden, sind frei von nachteiligen Folgen; sie schädigen weder uns noch andere, und darin besteht ihre Verlockung. Aber auch sie sind vorübergehend, vergänglich. Darum soll man auch ihnen zu entrinnen streben, um das höchste Ziel, das Nirvana, zu erreichen.