Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

Erstes Halbhundert - Mūlapannāsam

II. BUCH: LÖWENGEBRÜLL - Síhanādavaggo

14. Anhäufung von Übeln II - Cūladukkhakkhandha Sutta

 

So habe ich es gehört:

Als der Erhabene einst im Feigenbaumpark bei Kapilavatthu im Lande der Sakyer weilte, kam der Sakyer Mahanama zu ihm, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm und sprach: «Schon lange verstehe ich die Lehre des Erhabenen so: Gier, Haß und Verblendung sind Trübungen des Denkens. Manchmal aber überwältigen Regungen der Gier, des Hasses oder der Verblen­dung mein Denken. Dann frage ich mich: Was ist wohl in meinem Innern noch nicht überwun­den, daß solche Regungen mein Denken überwältigen?»

Der Erhabene erwiderte: Wenn du das, was die Regungen der Gier, des Hasses oder der Verblendung verursacht, überwunden hättest, dann würdest du nicht im häuslichen Leben blei­ben und nicht die Freuden genießen, welche die Sinne bieten.

Die Sinnenfreuden sind minderwertig, sie bringen viel Leid und Aufregung mit sich, das Nachteilige überwiegt hier. Wenn ein Edeljünger hierüber, wie es wirklich ist, mit hoher Weis­heit zu klarer Einsicht gelangt, aber nicht abseits von den Sinnenfreuden und von unheilsamen Dingen Glück und Wohlbehagen oder etwas anderes Besseres findet, dann ist er noch nicht ganz abgeneigt, zu den Sinnenfreuden zurückzukehren. Wenn er jedoch klar einsieht, daß die Sinnenfreuden minderwertig sind und viel Leid und Aufregung mit sich bringen, und wenn er dann abseits von den Sinnenfreuden und von unheilsamen Dingen Glück und Wohlbehagen und noch Besseres findet, dann will er nicht mehr zu den Sinnenfreuden zurückkehren. Als ich noch nicht zum vollen Erwachen gelangt war, als ich noch Bodhisattva war, da sah ich zwar klar ein, das die Sinnenfreuden minderwertig sind und viel Leid und Aufregung mit sich bringen, fand aber nicht abseits von den Sinnenfreuden und von unheilsamen Dingen Glück und Wohlbehagen und auch nichts Besseres, und ich war damals noch nicht ganz abgeneigt, zu den Sinnenfreuden zurückzukehren. Als ich aber klar einsah, daß die Sinnenfreuden minder­wertig sind und viel Leid und Aufregung mit sich bringen, und abseits von den Sinnenfreuden und von unheilsamen Dingen Glück und Wohlbehagen und noch Besseres fand, da war ich fest entschlossen, nicht mehr zu den Sinnenfreuden zurückzukehren.

Bei den Sinnenfreuden besteht das Verlockende. . . [wie im 13. Sutta bis:] . . . die Anhäufung von Übeln im künftigen Dasein, die durch das Verlangen nach Sinnenfreuden verursacht wird.

Mahanama, einst weilte ich auf dem Gipfel des Geierberges bei Rājagaha. Damals übten sich am Schwarzen Stein beim Abhang des Isigili viele Niganthas im (dauernden) Aufrecht­stehen, indem sie auf das Sitzen verzichteten, und erduldeten dadurch krampfhafte Schmerzen und bittere Pein. Eines Abends, nachdem ich meine Meditation beendet hatte, ging ich zu ihnen und fragte sie, warum sie solches übten. Darauf erwiderten sie mir: <Nigantha Nataputta[1] hat alles erkannt und geschaut und versichert, allwissend zu sein. Wenn er geht oder steht, schläft oder wacht, immer ist ihm die Allwissenheit gegenwärtig. Er lehrt uns, daß wir früher Übeltäter waren und daß wir die frühere Übeltat durch solche Kasteiung zunichte machen können; wenn wir uns jetzt hier in Taten, Worten und Gedanken beherrschen, dann schaffen wir kein schlechtes Karma für die Zukunft. So büßen wir früheres Wirken ab und lassen kein neues Wirken für die Zukunft aufkommen Dadurch wird für die Zukunft das Karma vernichtet. Durch die Vernichtung des Karma wird das Übel vernichtet. Wird das Übel vernichtet, dann hört das Gefühl auf. Hat das Gefühl aufgehört, dann wird alles Leiden zu Ende sein. Das gefällt uns, es scheint uns richtig und erfreut uns.> Darauf sprach ich zu den Niganthas: <Wißt ihr denn, daß ihr früher gelebt habt?> Sie antworteten: <Nein.> - <Wißt ihr, daß ihr früher Übel­täter wart?> - <Nein.> - <Wißt ihr, daß ihr früher dieses oder jenes Unrecht getan habt?> - <Nein.> - <Oder wißt ihr, wieweit das Leiden zunichte gemacht ist und wieweit es noch getilgt werden muß oder ob dann alles Leiden zu Ende sein wird, wenn das Leiden soweit getilgt ist?> - <Nein.> - <Oder wißt ihr, wie im gegenwärtigen Leben das Unheilsame überwunden und das Heilsame gewirkt wird?> - <Nein.> - <Ihr, liebe Niganthas, wißt das also nicht. Wenn es sich aber so verhält, wie ihr sagt, dann gehen Übeltäter mit blutigen Händen, die ein grausames Gewerbe betrieben haben[2] und dann wieder als Menschen geboren worden sind, als Mönche zu den Niganthas.>

Darauf erwiderten sie: <Man kann nicht durch Wohl zum Wohl gelangen, sondern nur durch Leiden kann man zum Wohl gelangen. Wenn man durch Wohl zum Wohl gelangen könnte, dann müßte König Bimbisara von Māgadha zum Wohl gelangen, denn dem König Bimbisara ist wohler als dem ehrwürdigen Gotama.> - <Sicherlich haben jetzt die ehrwürdigen Niganthas voreilig und unüberlegt gesprochen. Da muß ich doch fragen: Wem ist wohler: dem König Bimbisara oder dem ehrwürdigen Gotama?> - <Ja, wir haben voreilig und unüberlegt gesprochen, aber das mag dahingestellt bleiben. Und nun fragen wir den ehrwürdigen Gotama: Wem ist wohler: dem König Bimbisara oder dem ehrwürdigen Gotama?> - <Hierauf möchte ich eine Gegenfrage stellen, die ihr beantworten mögt, wie es euch richtig scheint: Kann König Bimbisara, ohne den Körper zu bewegen und ohne ein Wort zu sprechen, sieben Tage und Nächte oder auch nur einen Tag und eine Nacht in höchstem Glückszustand verweilen?> - <Nein, das kann er nicht.> - <Ich aber kann sieben Tage und Nächte, ohne den Körper zu bewegen und ohne ein Wort zu sprechen, in höchstem Glückszustand verweilen. Wenn es sich so verhält, wem ist dann wohler: dem König Bimbisara oder mir?> - <Wenn es sich so verhält, dann ist dem ehrwürdigen Gotama wohler als dem König Bimbisara von Māgadha!>

So sprach der Erhabene. Mahanama nahm seine Darlegung mit Freude und Dank an.



[1] Nigantha Nataputta wird von seinen Anhängern Mahavira (großer Held) oder Jina (Sieger) genannt; seine Anhänger heißen heute Jinisten oder Jainas.

[2] Jäger, Fischer, Vogelsteller.


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