Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

Erstes Halbhundert - Mūlapannāsam

IV. BUCH: GROSSE PAARE - Mahāyamakavaggo

35. Saccaka I - Cūlasaccaka Sutta

 

So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene in der Turmhalle im Großen Walde bei Vesālí. Dort hielt sich damals der Nigantha-Mönch[1] Sāccaka auf, der als Disputierkünstler und Gelehrter von den Leuten hoch verehrt wurde. Der verkündete in ganz Vesālí: «Ich sehe keinen Samana oder Brahmanen, der ein Meister mit vielen Schülern und Anhängern ist, mag er auch behaupten, er sei ein Heiliger, ein voll Erwachter, der nicht bei meiner Rede zitterte und bebte und dem nicht der Angstschweiß aus den Achselhöhlen ränne. Selbst wenn ich eine leblose Säule mit meiner Rede anginge, würde sie zittern und beben, wieviel mehr ein Menschenwesen.»

Eines Morgens ging der ehrwürdige Assaji mit Schale und Obergewand nach Vesālí, um Speise zu sammeln. Ihn erblickte Sāccaka auf einem Spaziergange, ging auf ihn zu, begrüßte ihn und fragte ihn: «Wie belehrt der Samana Gotama seine Schüler, welcher Teil seiner Lehre wird von seinen Schülern am meisten gepflegt?» Assaji antwortete: «Der Teil der Lehre des Erhabenen, der von seinen Schülern am meisten gepflegt wird, ist dieser: Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, unbewußte Tätigkeiten und Bewußtsein sind unbeständig und nicht das Ich; alle Gebilde sind unbeständig, alle Dinge sind nicht das Ich.» Sāccaka: «Ungereimtes haben wir gehört, wenn das Gotamas Lehre sein soll. Ach, wenn ich doch einmal irgendwo mit dem Samana Gotama zusammenkäme und mit ihm reden könnte! Dann würde ich ihn von dieser schlechten Theorie abbringen.»

Damals saßen viele[2] Lícchavis im Rathause versammelt, um etwas zu beraten. Da trat Sāccaka ein und rief: «Meine Herren Lícchavis! Kommt herbei! Heute werde ich ein Redegefecht mit dem Samana Gotama haben. Wenn mir der Samana Gotama so entgegentritt, wie mir sein bekannter Jünger Assaji entgegengetreten ist, dann werde ich ihn mit meiner Rede packen und herumziehen, wie ein starker Mann einen langhaarigen Ziegenbock an den Haaren packt und herumzieht, oder wie ein starker Branntweinbrenner ein Filtriergeflecht tief in das Wasserbecken taucht, am Rande festhält und herumschwenkt, oder wie ein sechzigjähriger Elefant in einem Lotusteich zu seinem Vergnügen ein sogenanntes Spritzbad macht, so will ich mit dem Samana Gotama gewissermaßen zum Vergnügen ein Spritzbad machen. Kommt, meine Herren Licchavis, zu meinem Redegefecht mit dem Samana Gotama!» Da wetteten die Licchavis, wer in der Redeschlacht siegen werde, die einen setzten auf Gotama, die anderen auf Sāccaka, und alle gingen mit Sāccaka zur Turmhalle im Großen Walde. Sie begegneten mehreren Bhikkhus, die gerade spazierengingen, und Sāccaka fragte sie, wo Herr Gotama sei. Die Bhikkhus erwiderten: «Der Erhabene ist in den Großen Wald gegangen und hat sich unter einen Baum gesetzt, um tagsüber dort zu bleiben.» Darauf ging Sāccaka mit den Licchavis in den Wald hinein. Dort fanden sie den Erhabenen, begrüßten ihn höflich und setzten sich zu ihm. Dabei sprachen einige Lícchavis höfliche Grußworte, einige verneigten sich mit zusammengelegten Händen vor ihm, einige stellten sich ihm vor, indem sie ihre Namen nannten, einige setzten sich schweigend nieder. Darauf sagte Sāccaka zum Erhabenen: «Ich möchte Herrn Gotama etwas fragen, wenn Herr Gotama so freundlich sein will, meine Frage zu beantworten.»

Der Erhabene: «Frage, Aggivéssana[3], was du willst!»

Sāccaka: «Wie unterweist Herr Gotama seine Schüler? Welcher Teil der Lehre des Herrn Gotama wird von seinen Schülern am meisten gepflegt?»

Der Erhabene: «Dieser Teil meiner Lehre wird von meinen Schülern am meisten gepflegt: Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, unbewußte Tätigkeiten und Bewußtsein sind unbeständig und nicht das Ich; alle Gebilde sind unbeständig, alle Dinge sind nicht das Ich.»

Sāccaka: «Da fällt mir ein Gleichnis ein.»

Der Erhabene: «Bitte, sage es uns!»

Sāccaka: «Alle Pflanzen, die wachsen und gedeihen, setzen die Erde voraus und stützen sich auf die Erde und alle Kraft erfordernden Tätigkeiten setzen die Erde voraus und stützen sich auf die Erde. Ebenso ist das Körper-Ich[4] dieser Mensch, auf die Körperlichkeit gestützt tut er Gutes oder Böses. Auch das Empfindungs-Ich, das Wahrnehmungs-Ich, das Ich der unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtseins-Ich sind dieser Mensch, auf die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein gestützt tut er Gutes oder Böses.»

Der Erhabene: «Willst du damit sagen, die Körperlichkeit, die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein seien dein Ich?»

Sāccaka: «Ja, Herr Gotama, das sage ich, und diese große Menge sagt es auch.»

Der Erhabene: «Was kümmert dich diese große Menge, Aggivéssana? Bitte, entwickle deine eigene Lehrmeinung!»

Sāccaka: «Ich sage: Körperlichkeit, Empfindung, Wahrnehmung, unbewußte Tätigkeiten und Bewußtsein sind mein Ich.»

Der Erhabene: «Dazu will ich dir eine Frage stellen. Wie es dir richtig scheint, so antworte! Könnte wohl ein gesalbter König aus adligem Geschlecht, wie König Pasénadi von Kósala oder König Ajātasattu, der Sohn der Vedehi, von Māgadha, in seinem Gebiet, wenn er es wünscht, erreichen, daß ein zum Tode Verurteilter hingerichtet oder einem, der zur Einziehung seines Vermögens verurteilt ist, das Vermögen eingezogen wird, oder daß ein zu Verbannung Verurteilter verbannt wird?!»

Sāccaka: «Ja, das könnte er; können es doch sogar Gemeindevorstände, wie die Vajjis und die Mallas, wieviel mehr ein gesalbter König! Meinetwegen mag er es tun!»

Der Erhabene: «Meinst du, der du sagst: Die Körperlichkeit ist mein Ich, du könntest, wenn du wünschtest, deine Körperlichkeit solle so sein oder sie solle nicht so sein, erreichen, daß sie sich nach deinem Wunsch ändert?»

Da verstummte Sāccaka. Der Erhabene wiederholte die Frage, und wieder schwieg Sāccaka. Darauf sagte der Erhabene: «Antworte jetzt, Aggivéssana, jetzt ist keine Zeit zum Schweigen! Wer nicht antwortet, wenn ihn ein Vollendeter über einen Gegenstand der Lehre befragt hat, dem zerspringt auf der Stelle der Kopf in sieben Teile.»

In diesem Augenblick stand ein Geist, der einen glühenden, hell leuchtenden Donnerkeil in der Hand hielt, in der Luft über Sāccaka und drohte ihm, den Kopf in sieben Teile zu spalten, wenn er nicht antwortete. Diesen Geist sahen jedoch nur der Erhabene und Sāccaka. Da erschrak Sāccaka, entsetzt und mit gesträubtem Haar suchte er beim Erhabenen Schutz und Deckung und sprach: «Herr Gotama, frage mich! Ich will antworten.»

Nun wiederholte der Erhabene seine Frage zum dritten Male, und Sāccaka antwortete: «Nein, Herr Gotama.»

Der Erhabene: «Überlege es dir gut und antworte erst, nachdem du es dir gut überlegt hast! Denn deine letzte Antwort paßt nicht zu der früheren, und die frühere nicht zur letzten. Meinst du, der du sagst, die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein seien dein Ich, du könntest, wenn du wünschtest, deine Empfindung, deine Wahrnehmung, deine unbewußten Tätigkeiten und dein Bewußtsein seien so oder nicht so, erreichen, daß sie sich nach deinen Wünschen ändern?

Sāccaka: «Nein, Herr Gotama.»

Der Erhabene: «Überlege es dir gut, Aggivéssana, und antworte erst, nachdem du es dir gut überlegt hast! Denn deine letzte Antwort paßt nicht zu der früheren, und die frühere nicht zur letzten. Meinst du, daß die Körperlichkeit, die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein beständig oder unbeständig sind?»

Sāccaka: «Sie sind unbeständig.»

Der Erhabene: «Ist unbeständiges unbefriedigend oder beglückend?»

Sāccaka: «Unbefriedigend.»

Der Erhabene: «Was unbeständig, unbefriedigend und veränderlich ist, kann man das so betrachten: Dies ist mein, ich bin dies, dies ist mein Ich?»

Sāccaka: «Nein, Herr Gotama.»

Der Erhabene: «Wer am Unerfreulichen haftet, dem Unerfreulichen unterliegt, dem Unerfreulichen zugetan ist, indem er denkt: Dies ist mein, ich bin dies, dies ist mein Ich, kann der wohl das Unerfreuliche oder das Übel richtig erkennen, kann er das Übel ringsum von sich fernhalten?»

Sāccaka: «Nein, wie wäre das möglich!»

Der Erhabene: «Wenn ein Mann Kernholz sucht, mit einer scharfen Axt in den Wald geht und dort einen großen, geraden, jungen, hochgewachsenen Bananenstamm sieht, ihn an der Wurzel und an der Spitze abschneidet und dann die Blattscheidenröhre abwickelt, dann findet er kein Grünholz, geschweige denn Kernholz. Ebenso hast du dich in deinem Gespräch mit mir, während ich dir Zwischenfragen stellte, als hohl und leer erwiesen. Du hast doch in ganz Vesālí verkündet, du sähest keinen Samana oder Brahmanen, der ein Meister mit vielen Schülern und Anhängern ist, möge er auch behaupten, er sei ein Heiliger, ein voll Erwachter, der nicht bei deiner Rede zitterte und bebte und dem nicht der Angstschweiß aus den Achselhöhlen ränne; selbst eine leblose Säule würde, wenn du sie mit deiner Rede angingest, zittern und beben, wieviel mehr ein Menschenwesen. Nun aber sind dir, Aggivéssana, einige Schweißtropfen von der Stirn über dein Gewand auf die Erde gefallen, während an meinem Körper jetzt kein Schweiß ist.» Tatsächlich war der Körper des Erhabenen in dieser Versammlung rein wie Gold.

Nach diesen Worten saß Sāccaka schweigend, niedergeschlagen, mit herabhängenden Schultern und gesenktem Kopf, schamrot und ratlos da. Als der Lícchavi Dūmmukha ihn so sitzen sah, sagte er zum Erhabenen: «Mir fällt ein Gleichnis ein.» Der Erhabene: «Bitte, sage uns dein Gleichnis.» Dūmmukha: «In der Nähe eines Dorfes oder eines Marktes ist ein Teich und darin eine Krabbe. Knaben und Mädchen kommen aus dem Dorf oder aus dem Markt, baden in dem Teich, finden die Krabbe, nehmen sie aus dem Wasser und werfen sie auf das trockene Land. Jedesmal, wenn die Krabbe eine Schere oder ein Bein ausstreckt, brechen die Kinder sie mit Holzstücken oder mit Kieselsteinen ab und zerstückeln sie, und so verliert die Krabbe alle ihre Scheren und Beine und kann nicht mehr in den Teich zurück kriechen. Ebenso hat der Erhabene dem Nigantha-Mönch Sāccaka alle seine Verdrehungen und Prahlereien abgebrochen und zerstückelt, und Sāccaka kann nun nicht wieder zum Erhabenen kommen, um mit ihm zu disputieren.»

Darauf sagte Sāccaka zu Dūmmukha: «Warte nur, Dūmmukha, warte nur! Mit dir rede ich ja nicht, ich rede mit Herrn Gotama.» Und zum Erhabenen gewandt: «Lassen wir die Art, wie ich mit anderen, gewöhnlichen Samanas und Brahmanen rede, beiseite! Das war sozusagen eitles Geschwätz. Wie muß sich ein Jünger des Herrn Gotama verhalten, um die Lehre zu befolgen und seinen Ermahnungen zu entsprechen, so daß er alle Zweifel überwindet, vollkommenes Selbstvertrauen gewinnt und wegen der Lehre des Meisters nicht mehr auf andere angewiesen ist?»

Der Erhabene: «Wer mein Jünger ist, der betrachtet alles Körperliche, vergangenes, zukünftiges und gegenwärtiges, bei ihm selbst und außerhalb, grobes und feines, hohes und niedriges, fernes und nahes, so: Dies ist nicht mein, ich bin dies nicht, dies ist nicht mein Ich. So schaut er es, nachdem er es richtig verstanden hat, wie es wirklich ist. Und ebenso betrachtet er die Empfindung, die Wahrnehmung, die unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein. Wenn er das alles richtig verstanden hat und so schaut, wie es wirklich ist, dann ist er ein Jünger, der die Lehre befolgt, der meinen Ermahnungen entspricht, alle Zweifel überwindet, vollkommenes Selbstvertrauen gewinnt und wegen der Lehre nicht mehr auf andere angewiesen ist.»

Sāccaka: «Und wie ist ein Bhikkhu ein Heiliger, der die Anwandlungen[5] abgewehrt, das Ziel des Reinheitswandels erreicht, getan hat, was zu tun war, der die Bürde abgeworfen, zum höchsten Heil gelangt ist, der die Daseinsfesseln ganz vernichtet hat und durch rechte Erkenntnis frei geworden ist?»

Der Erhabene: «Ein Bhikkhu, der alles Körperliche, alle Empfindung, alle Wahrnehmung, alle unbewußten Tätigkeiten und alles Bewußtsein, nachdem er es richtig verstanden hat, so betrachtet, wie es wirklich ist: Dies ist nicht mein, ich bin dies nicht, dies ist nicht mein Ich, der also nicht mehr haftet und frei geworden ist, ein so im Geiste frei gewordener Bhikkhu ist ein Heiliger, der die Anwandlungen abgewehrt, die Daseinsfesseln ganz vernichtet hat und durch rechte Erkenntnis frei geworden ist. Ein so im Geiste frei gewordener Bhikkhu hat drei Unübertrefflichkeiten gewonnen: unübertreffliche Einsicht, den unübertrefflichen Pfad und unübertreffliche Befreiung. Ein so frei gewordener Bhikkhu verehrt den Vollendeten, indem er sich sagt: Erwacht ist der Erhabene, zur Erwachung verkündet er die Lehre, selbstbeherrscht ist der Erhabene, zur Selbstbeherrschung verkündet er die Lehre, ruhig ist der Erhabene, zur Beruhigung verkündet er die Lehre, hinüber gekommen ist der Erhabene, zum Hinüberkommen verkündet er die Lehre, ganz erloschen ist der Erhabene, zum völligen Erlöschen verkündet er die Lehre.»

Nun sagte Sāccaka: «Es war unbesonnen und unüberlegt von mir, daß ich glaubte, Herrn Gotama zu einem Redegefecht herausfordern zu dürfen. Eher könnte man einem wütenden Elefanten entgegentreten und heil bleiben oder an einen brennenden Scheiterhaufen herantreten und heil bleiben oder an eine schreckliche Giftschlange herantreten und heil bleiben, als an Herrn Gotama. Es war unbesonnen und unüberlegt von mir, daß ich glaubte, Herrn Gotama zu einem Redegefecht herausfordern zu dürfen. Bitte, Herr Gotama, nehmt morgen mit den Bhikkhus das Mahl bei mir.» Schweigend nahm der Erhabene die Einladung an.

Darauf sprach Sāccaka zu den Lícchavis: «Meine Herren Lícchavis! Höret, ich habe den Samana Gotama mit den Bhikkhus für morgen zum Essen eingeladen. Bitte schickt mir, was ihr für angemessen haltet!» Am nächsten Morgen schickten die Lícchavis dem Sāccaka viele Schüsseln mit fertig gekochten Speisen, und Sāccaka ließ in seinem Garten die köstlichen Speisen aufstellen und zeigte dem Erhabenen an, daß das Mahl bereitstand. Der Erhabene nahm Schale und Obergewand und ging mit den Bhikkhus in Sāccakas Garten. Sāccaka bewirtete eigenhändig den Erwachten und die Bhikkhus.

Als das Mahl beendet war, setzte er sich auf einen niedrigen Sessel neben den Erhabenen und sagte: «Herr Gotama, was hierbei Verdienstliches ist, das möge den Spendern zum Heil gereichen!» Der Erhabene aber sprach: «Aggivéssana, was dir zu Ehren gebracht worden ist, nicht frei von Gier, Haß und Verblendung, das wird den Spendern zugute kommen; was aber mir zu Ehren gebracht worden ist, frei von Gier, Haß und Verblendung, das wird dir zugute kommen.»

 



[1]Nigantha: siehe Sutta 14, Anm.; vielleicht war Sāccaka nicht Mönch, sondern Laienanhänger, er wird Niganthaputta, Sohn eines Nigantha, genannt.

[2]Im Text steht: 500, aber diese Zahl ist nicht wörtlich gemeint, sondern bedeutet nur <viele>.

[3]Aggivéssana ist Sāccakas Familien- oder Sippenname.

[4]Brahmanische Lehre nach dem Satapatha-Brāhmana (Belege bei Deusen, Allgem. Gesch. d. Philosophie I, 1, s. 328).

[5]Vgl. 2. Sutta mit den Anmerkungen.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus