Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

Erstes Halbhundert - Mūlapannāsam

IV. BUCH: GROSSE PAARE - Mahāyamakavaggo

39. Assapura I - Mahā-assapura Sutta

 

So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene im Lande der Anger, bei dem Markt Assapura (<Roßburg>). Dort sprach er zu den Bhikkhus:

Samanas nennen euch die Leute, und ihr bekennt, wenn man euch fragt, wer ihr seid: Wir sind Samanas. Da ihr nun so genannt werdet und euch dazu bekennt müßt ihr euch bemühen, die Eigenschaften, die einen Samana und einen Brahmanen auszeichnen, euch anzueignen und demgemäß zu leben. Dann wird eure Benennung richtig und euer Bekenntnis wahr sein, und denen, die euch mit Gewand, Speise, Wohnstätte und Arznei für Krankheitsfälle versorgen, wird dies reichliche Früchte tragen und von hohem Segen sein; dann wird auch eure Bhikkhuweihe nicht vergeblich, sondern fruchtbar und erfolgreich sein.

Welche sind aber die Eigenschaften, die einen Samana und einen Brahmanen auszeichnen? Ihr müßt euch bemühen, sittsam und gewissenhaft zu sein. Nun könnte es sein, daß ihr denkt: Wir sind sittsam und gewissenhaft; das ist genug, wir haben's geschafft! Das Ziel der Samanaschaft haben wir erreicht, nun bleibt uns nichts weiter zu tun; und damit könntet ihr euch zufrieden geben. Ich warne euch aber, Bhikkhus, und mache euch darauf aufmerksam: Verfehlt nicht das Ziel, nach dem ihr strebt; denn es ist noch mehr zu tun!

Was ist noch mehr zu tun? Ihr müßt euch bemühen, daß euer Handeln ganz rein, offen, unverhüllt, fehlerfrei und beherrscht sei. Wegen der Reinheit des Handelns dürft ihr euch aber nicht selbst überheben und auf andere verächtlich hinab schauen. Nun könnte es sein, daß ihr denkt: Wir sind sittsam und gewissenhaft, und unser Handeln ist rein; das ist genug, wir haben's geschafft! Das Ziel der Samanaschaft haben wir erreicht, nun bleibt uns nichts weiter zu tun; und damit könntet ihr euch zufrieden geben. Ich warne euch aber, Bhikkhus, und mache euch darauf aufmerksam: Verfehlt nicht das Ziel, nach dem ihr strebt; denn es ist noch mehr zu tun!

Was ist noch mehr zu tun? Ihr müßt euch bemühen, daß euer Reden, euer Denken, eure Lebensweise ganz rein, offen, unverhüllt, fehlerfrei und beherrscht sei. Wegen der Reinheit des Redens, des Denkens und der Lebensweise dürft ihr euch aber nicht selbst überheben und auf andere verächtlich hinab schauen. Nun könnte es sein, daß ihr denkt: Wir sind sittsam und gewissenhaft und unser Handeln, Reden, Denken und unsere Lebensweise sind rein; das ist genug, wir haben's geschafft! Das Ziel der Samanaschaft haben wir erreicht, nun bleibt uns nichts weiter zu tun; und damit könntet ihr euch zufrieden geben. Ich warne euch aber, Bhikkhus, und mache euch darauf aufmerksam: Verfehlt nicht das Ziel, nach dem ihr strebt; denn es ist noch mehr zu tun!

Was ist noch mehr zu tun? Ihr müßt euch bemühen, die Tore eurer Sinne zu bewachen: Habt ihr etwas Sichtbares gesehen, so haftet weder an der Erscheinung im ganzen noch an ihren einzelnen Eigenschaften; denn den, der den Gesichtssinn unbewacht läßt, befallen Wünsche und Sorgen, üble, unheilsame Gedanken; darum müßt ihr diese Schranke errichten, den Gesichtssinn behüten, vor ihm eine Schranke errichten. Hört ihr einen Ton, riecht ihr einen Duft, schmeckt ihr einen Saft, berührt ihr etwas Tastbares, denkt ihr einen Gedanken, so haftet weder an der Erscheinung im ganzen noch an ihren einzelnen Eigenschaften; denn den, der das Gehör, den Geruch, den Geschmack, den Tastsinn oder das Denken unbewacht läßt, befallen Wünsche und Sorgen, üble unheilsame Gedanken; darum müßt ihr diese Schranke errichten, das Gehör, den Geruch, den Geschmack, den Tastsinn und das Denken behüten, vor ihm eine Schranke errichten. Nun könnte es sein, daß ihr denkt: Wir sind sittsam und gewissenhaft, unsere Lebensweise ist rein, die Tore unserer Sinne sind bewacht; das ist genug, wir haben's geschafft, nun bleibt uns nichts weiter zu tun; und damit könntet ihr euch zufrieden geben. Ich warne euch aber: Verfehlt nicht das Ziel; denn es ist noch mehr zu tun!

Was ist noch mehr zu tun? Beim Essen haltet Maß, verzehrt die Speise mit Bedacht, nicht zum Vergnügen und zum Behagen, nicht um schön und üppig zu werden, sondern nur um den Fortbestand dieses Körpers zu sichern, um Schaden zu verhüten und einen reinen Lebenswandel führen zu können, und bedenkt dabei: So werde ich das Ergebnis früheren Wirkens absterben lassen und kein Ergebnis neuen Wirkens aufkommen lassen, ich werde meinen Lebensunterhalt haben, keinen Tadel verdienen und mich wohl befinden. Nun könnte es sein, daß ihr denkt: Wir sind sittsam und gewissenhaft, unsere Lebensweise ist rein, die Tore unserer Sinne sind bewacht, wir halten beim Essen Maß; das ist genug, wir haben's geschafft, nun bleibt uns nichts weiter zu tun; und damit könntet ihr euch zufrieden geben. Ich warne euch aber: Verfehlt nicht das Ziel; denn es ist noch mehr zu tun!

Was ist noch mehr zu tun? Ihr müßt euch bemühen, wachsam zu sein, am Tage, während ihr umhergeht oder stillsitzt, den Geist von hinderlichen Gedanken reinigen; im ersten Drittel der Nacht, während ihr umhergeht oder stillsitzt, den Geist von hinderlichen Gedanken reinigen; im mittleren Drittel der Nacht euch wie ein Löwe auf die rechte Seite legen, einen Fuß über dem anderen, achtsam und wissensklar, und an das Wiederaufstehen denken; im letzten Drittel der Nacht, während ihr umhergeht oder stillsitzt, den Geist von hinderlichen Gedanken reinigen. Nun könnte es sein, daß ihr denkt: Wir sind sittsam und gewissenhaft, unsere Lebensweise ist rein, die Sinne sind bewacht, wir halten beim Essen Maß und wir sind wachsam; das ist genug, wir haben's geschafft, nun bleibt uns nichts weiter zu tun; und damit könntet ihr euch zufrieden geben. Ich warne euch aber: Verfehlt nicht das Ziel; denn es ist noch mehr zu tun!

Was ist noch mehr zu tun? Ihr müßt euch bemühen, achtsam und wissensklar zu sein beim Hingehen und Zurückkommen, beim Hinschauen und Wegschauen, beim Beugen und Strecken der Glieder, beim Tragen von Gewand und Schale, beim Essen und Trinken, beim Kauen und Schmecken, beim Verrichten der Notdurft, beim Gehen, Stehen, Sitzen, Einschlafen, Aufwachen, beim Reden und beim Schweigen. Nun könnte es sein, daß ihr denkt: Wir sind sittsam und gewissenhaft, unsere Lebensweise ist rein, die Sinne sind bewacht, wir sind mäßig beim Essen, wachsam, achtsam und wissensklar; das ist genug, wir haben's geschafft, nun bleibt uns nichts weiter zu tun; und damit könntet ihr euch zufrieden geben. Ich warne euch aber: Verfehlt nicht das Ziel; denn es ist noch mehr zu tun!

Was ist noch mehr zu tun? Ein Bhikkhu soll einen abgelegenen Platz aufsuchen im Walde oder unter einem Baum, auf einem Berg, in einer Grotte, in einer Berghöhle, auf einem Leichenplatz, im Waldesdickicht oder unter freiem Himmel oder auf einem Strohhaufen. Nach dem Mahl mit gekreuzten Beinen sitzend, den Oberkörper gerade aufgerichtet, soll er die Achtsamkeit bereithalten. Weltliche Wünsche soll er ablegen, sich frei von Wünschen halten und seinen Geist von Wünschen reinigen. Übelwollen und Schadenfreude lege er ab und bleibe frei davon; freundlich und erbarmend gegenüber allen Wesen reinige er seinen Geist von Übelwollen und Schadenfreude. Trägheit und Schlaffheit lege er ab und bleibe frei davon; empfänglich für Innenschau, achtsam und wissensklar reinige er seinen Geist von Trägheit und Schlaffheit. Ruheloses Grübeln und Gewissensunruhe lege er ab und bleibe frei davon; innerlich beruhigt reinige er seinen Geist von ruhelosem Grübeln und Gewissensunruhe. Zweifelsucht lege er ab und bleibe frei davon; ohne zu schwanken über das, was heilsam ist, reinige er seinen Geist von Zweifelsucht.

Angenommen, ein Mann hat Schulden gemacht; dann unternahm er ein Geschäft, dieses brachte ihm Erfolg, er konnte die Schulden tilgen, und es blieb ihm noch etwas übrig, so daß er seiner Frau Schmuck kaufen kann. Wenn dieser Mann die Vorgänge überdenkt, fühlt er sich froh und leicht. Oder ein Mann war krank, hatte Schmerzen, das Essen schmeckte ihm nicht, und er wurde immer schwächer. Nach einiger Zeit aber genas er, das Essen schmeckte ihm, er kam wieder zu Kräften. Wenn er die Vorgänge überdenkt, fühlt er sich froh und leicht. Oder ein Mann war im Gefängnis; nach einiger Zeit aber wurde er auf freien Fuß gesetzt, ohne daß ihm von seinem Vermögen etwas genommen wurde. Wenn er die Vorgänge überdenkt, fühlt er sich frei und leicht. Oder ein Mann war Sklave, unselbständig, abhängig, ohne Bewegungsfreiheit; nach einiger Zeit aber wurde er freigelassen, wurde selbständig, unabhängig, ein freier Mann, der gehen kann, wohin er will. Wenn er die Vorgänge überdenkt, fühlt er sich froh und leicht. Oder ein reicher Mann kam auf einer Reise in eine unsichere, wilde Gegend; nach einiger Zeit aber kam er sicher und wohlbehalten aus der Wildnis heraus, ohne einen Vermögensverlust erlitten zu haben. Wenn er die Vorgänge überdenkt, fühlt er sich froh und leicht.

Geradeso fühlt sich ein Bhikkhu, solange er die fünf Hemmnisse noch nicht abgetan hat, wie ein Schuldner, wie ein Kranker, wie ein Gefangener, wie ein Sklave, wie ein Mann in einer Wildnis; er fühlt sich aber wie schuldenfrei, wie genesen, wie freigelassen, wie ein freier Mann, wie auf sicherem Grund und Boden, wenn er die fünf Hemmnisse abgetan hat.

Wenn er nun die fünf Hemmnisse abgetan hat, nachdem er erkannt hatte, daß sie den Geist verunreinigen und schwächen, löst er sich los von dem Verlangen nach Sinnenfreuden und von unheilsamen Regungen und erreicht die mit Nachdenken und Überlegen verbundene, aus dieser Loslösung entstandene, von Freude und Wohlbehagen erfüllte erste Stufe der Versenkung und bleibt darin. Er durchtränkt und überschüttet seinen Körper und durchdringt ihn ganz von allen Seiten mit der Freude und dem Wohlbehagen, die aus der Loslösung entstanden sind. Das ist so, wie wenn ein tüchtiger Bademeister Waschpulver in einer Schale anfeuchtet und knetet, bis der Badeteig mit Feuchtigkeit ganz durchdrungen ist, ohne zu tropfen.

Dann bringt er das Nachdenken und Überlegen zur Ruhe, in seinem Innern wird es still, sein Geist ist auf einen einzigen Gegenstand gerichtet, und so erreicht er die aus der Geistessammlung entstandene, von Nachdenken und Überlegen freie, von Freude und Wohlbehagen erfüllte zweite Stufe der Versenkung und bleibt darin. Er durchtränkt und überschüttet seinen Körper und durchdringt ihn ganz von allen Seiten mit der Freude und dem Wohlbehagen, die aus der Geistessammlung entstanden sind. Das ist so, wie wenn ein Teich, der von einer inneren Quelle gespeist wird, der keinen Zufluß von außen hat und in den es auch nicht regnet, von dem in ihm selbst entspringenden kühlen Wasser ganz durchströmt und durchflutet wird.

Wenn dann die freudige Erregung abgeklungen ist, bleibt er gleichmütig, andächtig und wissensklar und empfindet körperlich ein Glücksgefühl, von dem die Edlen sagen: Bei Gleichmut und Andacht fühlt man sich beglückt. So erreicht er die dritte Stufe der Versenkung und bleibt darin. Mit dem Glücksgefühl, das frei von freudiger Erregung ist, durchdringt er seinen ganzen Körper. Das ist so, als wenn in einem Teich mit blauen, weißen und roten Lotusblumen manche mit allen ihren Teilen, mit Wurzel, Stengel und Blüte, unterhalb der Oberfläche bleiben, nur im Wasser leben und von der Wurzel bis zur Spitze vom kühlen Wasser umspült und benetzt werden.

Dann geht er über Glück und Leid hinweg, auch die Erinnerung an frühere frohe und trübe Stimmungen schwindet dahin, und er erreicht die über Glück und Leid erhabene vierte Stufe der Versenkung, bei welcher Gleichmut und Andacht in höchster Reinheit bestehen, und bleibt darin. Er sitzt da und durchdringt seinen Körper mit reinem, klarem Geist. Das ist so, wie wenn jemand vom Kopf bis zu den Füßen weiß gekleidet dasitzt, so daß keine Stelle seines Körpers von dem weißen Gewande unbedeckt bleibt.

Wenn sein Geist auf solche Weise gesammelt und gereinigt ist, klar, begierdefrei, sanft, fügsam, fest und unerschütterlich geworden ist, wendet er ihn hin zu der Erinnerung und Erkenntnis seiner früheren Daseinsformen, und er erinnert sich nacheinander an Hunderttausende seiner früheren Daseinsformen bis in frühere Weltperioden zurück. Das ist so, wie wenn jemand aus seinem Dorf in ein anderes Dorf und dann wieder in ein anderes Dorf gewandert und wieder heimgekehrt ist und sich erinnert, was er in den einzelnen Dörfern getan und geredet hat.

Dann wendet er seinen Geist hin auf das Vergehen und Wiederentstehen der Wesen. Mit himmlischem, klarem, übermenschlichem Blick sieht er, wie die Wesen vergehen und wieder entstehen. Er erkennt die niedrigen Wesen und die hohen, die schönen und die unschönen, die glücklichen und die elenden, wie es ihnen je nach ihren Taten ergeht: Die Wesen, die in Werken, Worten und Gedanken schlecht gelebt, die über die Edlen Böses geredet haben, die falsche Ansichten hatten und demgemäß handelten, diese sind nach dem Tode in Leid und Qual, in peinvolle Zustände, in die Hölle gekommen. Jene Wesen aber, die Gutes getan haben in Werken, Worten und Gedanken, die richtige Ansichten hatten und demgemäß handelten, sind nach dem Tode in glückliche Zustände, in das Himmelreich gekommen. Das ist so, wie wenn zwischen zwei Häusern mit Türen ein Mann steht, der sieht, wie die Menschen in die Häuser hineingehen und wieder herauskommen.

Dann wendet er seinen Geist hin zu der Erkenntnis von der Vernichtung der Anwandlungen, und er erkennt, der Wahrheit gemäß, worin das Übel und die Anwandlungen bestehen, was ihr Ursprung ist, wie sie beendet werden können und welches der Weg zu ihrem Ende ist. Indem er dies erkennt, wird sein Geist frei von den Anwandlungen sinnlichen Begehrens, frei von der Lebensgier und von der Unwissenheit. Er wird sich bewußt, daß er erlöst ist, und erkennt, daß (für ihn) der Lauf der Wiedergeburten beendet ist, daß das Ziel der Reinheitswandels erreicht und getan worden ist, was zu tun war, und daß er zur Welt nicht wieder zurückkehren wird. Das ist so, wie wenn an einem Gebirgssee mit klarem, durchsichtigem Wasser ein Mann steht und hinein blickt; er sieht die Muscheln und Schnecken, die Kieselsteine und den Sand und die Fische, die dahingleiten und stillstehen, und ist sich bewußt, daß er das alles sieht.

Ein solcher Bhikkhu verdient, ein Samana, ein Brahmane, ein Reiner, ein Hochweiser, ein Gelehrter, ein Edler, ein Heiliger genannt zu werden.

[<Samana> heißt er, weil er die schlechten, unheilsamen Regungen samita = zur Ruhe gebracht hat.

<Brahmane> heißt er, weil er die unheilsamen Regungen bāhita = weggebracht hat.

<Reiner = nahātaka> heißt er, weil er die unheilsamen Regungen nahāta = abgewaschen hat.

<Hochweiser = vedagu> heißt er, weil die unheilsamen Regungen vidita = erkannt hat.

<Gelehrter = cottiya> heißt er, weil er die unheilsamen Regungen nissuta = hat schwinden lassen.

<Edler = ariya> heißt er, weil er von den unheilsamen Regungen ārakā = weit entfernt ist.

<Heiliger = arahant> heißt er, weil er von den unheilsamen Regungen ārakā = weit entfernt ist.]

So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahmen die Bhikkhus seine Darlegung an.


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