So habe ich es gehört:
Als der Erhabene einst in Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi weilte, kam eines Abends der ehrwürdige Mahakotthita zu dem ehrwürdigen Sāriputta, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm und fragte:
«Lieber Bruder, man sagt, jemand sei unverständig. Was bedeutet das?» - «Unverständig, lieber Bruder, nennt man den, der nicht versteht, was das Übel ist, woraus es entsteht, wie es beendet wird und auf welchem Wege es beendet werden kann.» - «Gut, lieber Bruder, wann aber ist jemand verständig?» - «Verständig ist, wer versteht, was das Übel ist, woraus es entsteht, wie es beendet wird und auf welchem Wege es beendet werden kann.» - «Was bedeutet Bewußtsein?» - «Bewußtsein bedeutet, daß man sich bewußt ist, ob etwas angenehm oder unangenehm oder gleichgültig ist.» - «Sind Wissen und Bewußtsein dasselbe oder voneinander verschieden?» - «Beide sind dasselbe. Was man weiß, dessen ist man sich bewußt, wessen man sich bewußt ist, das weiß man.» - «Gibt es aber nicht doch einen Unterschied zwischen Wissen und Bewußtsein?» - «Ja, Wissen muß man pflegen, Bewußtsein braucht man nur zu merken.» - «Was bedeutet Gefühl[1]?» - «Gefühl bedeutet, daß man Angenehmes oder Lust, Unangenehmes oder Unlust und Gleichgültiges fühlt.» - «Was bedeutet Wahrnehmung?» - «Wahrnehmung bedeutet, daß man Blaues oder Gelbes oder Rotes oder Weißes wahrnimmt.» - «Sind Gefühl, Wahrnehmung und Bewußtsein dasselbe oder ist ein Unterschied zwischen ihnen?» - «Empfindung, Wahrnehmung und Bewußtsein gehören zusammen, man kann sie nicht unterscheiden. Was man empfindet, das nimmt man wahr, was man wahrnimmt, dessen ist man sich bewußt.» - «Wenn man die fünf Sinne ausschaltet, wohin kann man dann mit dem reinen Denkbewußtsein kommen?» - «Dann kann man mit dem Gedanken, der Raum sei unendlich, zum Gebiet der Raumunendlichkeit, mit dem Gedanken, das Bewußtsein sei unendlich, zum Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit, und mit dem Gedanken, daß nichts da sei, zum Gebiet des Nichts kommen.» - «Wodurch erkennt man das Gebiet, zu dem man kommt?» - «Das erkennt man durch das Weisheitsauge.» - «Wozu dient Weisheit?» - «Sie dient zu höherem Wissen, zu vollem Verständnis und zum Entsagen.» - «Wovon hängt ab, daß man zu rechter Einsicht gelangt?» - «Das hängt von zwei Voraussetzungen ab: von der Stimme eines anderen und von gründlichem Nachdenken.» - «Mit wie vielen Beihilfen muß die rechte Einsicht ausgestattet sein um Geistesbefreiung als Frucht hervorzubringen und den Segen dieser Frucht, die Befreiung durch Weisheit als Frucht und den Segen dieser Frucht?» - «Mit fünf Beihilfen muß rechte Einsicht ausgestattet sein, um diese Früchte hervorzubringen: mit Sittlichkeit, mit Studium, mit Gesprächen, mit Gemütsruhe und mit Klarsicht.» - «Wie viele Daseinsarten (bhava) gibt es?» - «Drei Arten: Dasein mit Sinnengenuß, sichtbares Dasein und unsichtbares Dasein.» - «Wie kommt künftig Wiedergeburt zustande?» - «Durch die Befriedigung, welche die durch Unwissenheit gehemmten und durch Lebensdurst gefesselten Wesen hier und dort finden, kommt künftige Wiedergeburt zustande.» - «Wie aber wird Wiedergeburt verhindert?» - «Durch Verschwinden der Unwissenheit, durch Aufkommen von Wissen und durch Vernichtung des Lebensdurstes wird Wiedergeburt verhindert.» - «Wie ist die erste Stufe der Versenkung?» - «Abgelöst von dem Verlangen nach Sinnengenüssen und von unheilsamen Regungen erreicht ein Bhikkhu die mit Nachdenken und Überlegen verbundene, aus dieser Ablösung entstandene, von Freude und Wohlbehagen erfüllte erste Stufe der Versenkung und bleibt darin. Das nennt man die erste Stufe der Versenkung.» - «Wie viele Merkmale hat die erste Stufe der Versenkung?» - «Fünf Merkmale: Nachdenken, Überlegen, Freude, Wohlbehagen und Sammlung des Denkens auf einen einzigen Gegenstand.» - «Wie viele Hemmnisse sind in der ersten Stufe der Versenkung überwunden und wie viele Merkmale werden erreicht?» - «Fünf Hemmnisse sind überwunden: weltliches Begehren, Bosheit und Schadenfreude, Trägheit und Schlaffheit, ruheloses Grübeln, Zweifelsucht. Erreicht werden Nachdenken, Überlegen, Freude, Wohlbehagen und Sammlung des Denkens auf einen einzigen Gegenstand.» - «Die fünf Sinne haben verschiedene Gebiete, und keiner nimmt am Gebiet eines anderen teil, nämlich Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Tastsinn. Wer ist nun der Beschützer der fünf Sinne, der an allen teilnimmt?» - «Ihr Beschützer, der an allen teilnimmt, ist der Denksinn.» - «Worauf beruhen die fünf Sinne?» - «Sie beruhen auf dem Leben.» - «Und worauf beruht das Leben?» - «Leben beruht auf Wärme.» - «Und worauf beruht Wärme?» - «Wärme beruht auf Leben.» - «Ich verstehe, lieber Bruder, daß Leben auf Wärme und Wärme auf Leben beruht. Was bedeutet das?» - «Ich will dir, lieber Bruder, ein Gleichnis geben; durch ein Gleichnis wird ja verständigen Menschen der Sinn klar. Bei einer brennenden Öllampe wird das Licht infolge des Feuers wahrgenommen und das Feuer infolge des Lichts. Ebenso beruht Wärme auf dem Leben und Leben auf der Wärme.»- « Sind die Lebenstätigkeiten dasselbe wie die Folgen früheren Wirkens[2], oder sind sie etwas anderes?» - «Wenn die Lebenstätigkeiten dasselbe wären wie die Folgen früheren Wirkens, dann wäre nicht zu erkennen, wie ein Bhikkhu, der bis zur Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung gelangt ist, sich aus dieser Versenkung wieder erheben könnte. Weil aber die Lebenstätigkeiten etwas anderes sind als die Folgen früheren Wirkens darum ist zu erkennen, daß ein solcher Bhikkhu sich aus dieser Versenkung wieder erheben kann.» - «Wenn wie viele Dinge den Körper verlassen haben, liegt er hingeworfen da, bewußtlos wie ein Stück Holz?» - «Wenn drei Dinge ihn verlassen haben: Leben, Wärme und Bewußtsein.» - «Wodurch unterscheidet sich ein Toter von einem Bhikkhu, der bis zur Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung gelangt ist?» - «Bei einem Toten sind die körperlichen, die sprachlichen und die geistigen Tätigkeiten aufgehoben und zur Ruhe gekommen, das Leben ist erschöpft, die Wärme ist verschwunden, die Sinne sind gebrochen. Bei einem Bhikkhu, der bis zur Aufhebung von Wahrnehmung und Empfindung gelangt ist, sind zwar auch die körperlichen, die sprachlichen und die geistigen Tätigkeiten aufgehoben und zur Ruhe gekommen, aber das Leben ist nicht erschöpft, die Wärme ist nicht verschwunden, die Sinne sind nicht gebrochen.» - «Von wie vielen Bedingungen hängt die Erlangung der über Leid und Lust erhabenen Geistesbefreiung ab?» - «Von vier Bedingungen: wenn ein Bhikkhu Lust überwunden, wenn er Leid überwunden hat, wenn ihm die Erinnerung an frühere frohe und trübe Stimmungen geschwunden ist, dann hat er die über Leid und Lust erhabene vierte Stufe der Versenkung erreicht, bei der Gleichmut und Andacht in höchster Reinheit bestehen, und bleibt darin.» - «Von wie vielen Bedingungen hängt die Erlangung der vorstellungslosen Geistesbefreiung ab?» - «Von zwei Bedingungen: von dem Nichtgewahrwerden irgendwelcher Vorstellungen und von dem Gewahrwerden des vorstellungslosen Zustandes.» - «Von wie vielen Bedingungen hängt das Fortbestehen der vorstellungslosen Geistesbefreiung ab?» - «Von drei Bedingungen: von dem Nichtgewahrwerden irgendwelcher Vorstellungen, von dem Gewahrwerden des vorstellungslosen Zustandes und von früherer Vorbereitung.» - «Von wie vielen Bedingungen hängt das Sicherheben aus der vorstellungslosen Geistesbefreiung ab?» - «Von zwei Bedingungen: vom Gewahrwerden aller Vorstellungen und vom Nichtgewahrwerden des vorstellungslosen Zustandes.» - «Sind grenzenlose Geistesbefreiung, Geistesbefreiung im Gebiet des Nichts, in der Leerheit und vorstellungslose Geistesbefreiung dasselbe oder verschiedene Dinge oder sind sie in der Sache dasselbe und nur in der Bezeichnung verschieden?» - «Nach der einen Auslegung sind sie in der Sache verschieden und in der Bezeichnung verschieden, nach einer anderen sind sie in der Sache dasselbe und nur in der Bezeichnung verschieden. Nach der ersten besteht die grenzenlose Geistesbefreiung darin, daß man die Welt grenzenlos mit gütiger Gesinnung, mit Erbarmen, mit Mitfreude und mit Gleichmut durchdringt; die Geistesbefreiung im Gebiet des Nichts besteht darin, daß man das Gebiet der Bewußtseinsunendlichkeit ganz überwunden hat und in dem Gedanken, daß nichts da sei, das Gebiet des Nichts erreicht; die Geistesbefreiung in der Leerheit besteht darin, daß man im Wald oder unter einem Baum oder an einem unbewohnten Platz sich vorstellt, dies sei leer von einem Ich und von dem, was zum Ich gehört; die vorstellungslose Geistesbefreiung besteht in dem Nichtgewahrwerden irgendwelcher Vorstellungen. Nach dieser Auslegung sind die vier Dinge also verschieden. Die andere Auslegung besagt: Gier, Haß und Verblendung sind begrenzend; diese hat ein Bhikkhu, der die Anwandlungen[3] abgewehrt hat, vernichtet und wie eine Palme entwurzelt, so daß sie nicht wieder nachwachsen können; insofern, als die Geistesbefreiung unbegrenzt und unerschütterlich ist, nennt man sie <unbegrenzte oder grenzenlose Geistesbefreiung>, insofern, als sie leer ist von Gier, Haß und Verblendung, nennt man sie <Geistesbefreiung in der Leerheit>. Gier, Haß und Verblendung sind <etwas>, wenn sie zerstört sind, sind sie <nichts>, und insofern nennt man sie <Geistesbefreiung im Gebiet des Nichts>. Da Gier, Haß und Verblendung Vorstellungen hervorrufen, ist die Geistesbefreiung nach Vernichtung von Gier, Haß und Verblendung eine <vorstellungslose Geistesbefreiung>. Nach dieser Auslegung sind die Geistesbefreiungen also in der Sache dasselbe und nur in den Bezeichnungen verschieden.»
So sprach der ehrwürdige Sāriputta. Der ehrwürdige Mahakotthita nahm seine Erklärungen mit Freude und Dank an.
[1]Das Wort vedanā hat den doppelten Sinn: Gefühl und Empfindung. Wenn es sich auf das Subjekt bezieht, ist es Gefühl (Lust, Unlust), wenn es sich auf das Objekt bezieht, ist es Empfindung (Seh-, Hör-, Riech-, Schmeck-, Tast-Empfindung) Sariputta erklärt hier vedanā als Gefühl, nachher aber, beim Vergleich mit Wahrnehmung, als Empfindung.
[2]vedaniyā dhammā, wörtlich: <Dinge, die man fühlen muß>, ist eine Bezeichnung für die Folgen früheren Wirkens.
[3]Vgl. 2. Sutta mit den Anmerkungen.