Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

VIII. BUCH: WANDERMÖNCHE - Paribbājakavaggo

76. Sandaka - Mahāsandaka Sutta

 

Vorbemerkung: Dieses Sutta kann nicht vor dem 5. Jahrhundert nach Buddha verfaßt worden sein; siehe Anm. 3.

 

[So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene im Ghositarama (dem Verkündigungsgarten) bei Kosambi. Damals hielt sich der Wandermönch Sāndaka mit vielen seiner Mitbrüder in der Feigenbaumhöhle auf. Gegen Abend sprach der ehrwürdige Ānanda zu den Bhikkhus: «Laßt uns zum Devakatasobbha (zur Göttergrube) gehen und dort die Höhle ansehen!» Sie stimmten zu und Ānanda ging mit vielen Mitbrüdern zum Devakatasobbha. Um diese Zeit saß Sāndaka in einer Versammlung seiner Mitbrüder und unterhielt sich mit ihnen lärmend über verschiedene wertlose Dinge, zum Beispiel über Könige, Räuber, Minister, Militär, Gefahren und Kämpfe, über Speisen und Getränke, über Kleider und Betten, über Blumenschmuck und Wohlgerüche, über Verwandte, über Dörfer, Städte und Länder, über Weiber und Helden, über Straßen- und Brunnengeschwätz, über früher Verstorbene, über dies und das, über den Ursprung der Welt und des Meeres, über Prophezeiungen. Als Sāndaka den ehrwürdigen Ānanda kommen sah, sagte er zu seiner Gesellschaft: «Meine Herren, seid nicht so laut, macht keinen Lärm! Da kommt ein Jünger des Samana Gotama, der Samana Ānanda. Er ist einer von den Jüngern Gotamas, die sich in Kosambi aufhalten. Diese Ehrwürdigen hören nicht gern Lärm, sie loben die Stille. Wenn er merkt, daß diese Versammlung still ist, wird er vielleicht zu uns kommen.» Darauf schwiegen die Wandermönche. Als Ānanda herbei kam, sagte Sāndaka zu ihm: «Herr Ānanda, tretet näher und seid uns willkommen! Schon lange wolltet Ihr uns einmal besuchen, nehmt Platz, hier ist ein Stuhl.» Ānanda setzte sich, und Sāndaka nahm einen niedrigeren Stuhl und setzte sich zu ihm. Dann fragte Ānanda, wovon die Wandermönche gerade gesprochen hätten, und Sāndaka antwortete: «Lassen wir das auf sich beruhen! Es wird nichts schaden, wenn Ihr es später erfahrt. Bitte, Herr Ānanda, tragt uns etwas über die Lehre Eures Meisters vor!» Ānanda erklärte sich dazu bereit und sprach:

«Der Erhabene, der wissende, einsichtige Heilige, der völlig Erwachte hat erklärt, daß vier Arten von Askese verkehrt und vier andere Arten unerquicklich sind, so daß ein verständiger Mensch eine solche Askese nicht befolgen würde, oder wenn er sie befolgt, nicht den rechten Weg finden und nicht zum Heil gelangen würde.» Auf Sāndakas Frage, welche vier Arten der Erhabene für verkehrt erklärt habe, fuhr Ānanda fort:

 

«Ein gewisser Meister lehrt: <Spenden und Opfer haben nichts zu bedeuten, es gibt keine Vergeltung für gute und böse Taten, es gibt keine jenseitige Welt, auf die Eltern braucht man keine Rücksicht zu nehmen, es gibt keine höheren Wesen; es gibt in der Welt keine Samanas und Brahmanen, die einen rechten Lebenswandel führen und diese und die jenseitige Welt aus eigenem Wissen erklären können. - Der Mensch besteht aus den vier Elementen. Wenn er stirbt, geht das Feste in die Erde, das Flüssige zum Wasser, die Wärme zum Feuer, das Flüchtige in den Wind, und in den Raum gehen die Sinne. Vier Männer tragen den Toten auf der Bahre, bis zur Verbrennungsstätte werden Lieder gesungen, dann bleichen die Knochen, die Opfergaben fallen nieder, es ist Torheit, dafür etwas zu spenden. Jene täuschen und lügen, die da behaupten, es habe einen Zweck. Wenn der Körper zerfällt, schwinden Toren und Weise gleichermaßen dahin und nach dem Tode sind sie nicht mehr.> Dabei überlegt ein verständiger Mensch: <Wenn das wahr ist, was dieser Meister lehrt, dann ist alles, was ich hier getan habe, wertlos und mein Leben war sinnlos. Darin stimmen wir beide überein. Ich sage aber nicht, daß wir beide, wenn der Körper zerfällt, dahinschwinden und nach dem Tode nicht mehr sind. Überfüssig ist also, bei diesem Meister nackt zu gehen, sich kahl zu scheren, auf der Erde zu hocken, Haar und Bart auszurupfen, wenn ich das gleiche Schicksal nach dem Tode zu erwarten habe, während ich mit meinen Kindern im Hause lebe, Sandelduft von Benares gebrauche, Schmuck trage und duftende Salben verwende und mich an Gold und Silber erfreue. Warum sollte ich, wenn ich das weiß, der Askese dieses Meisters folgen?> Da er erkennt, daß diese Askese verkehrt ist, wendet er sich von ihr ab. Das ist die erste Art von Askese, die der Erhabene für verkehrt erklärt hat.

 

Ein anderer Meister lehrt: <Wer etwas tut und tun läßt, wer zerstört und zerstören läßt, wer quält und quälen läßt, wer anderen Kummer und Mühe bereitet, wer schlägt und schlagen läßt, wer lebende Wesen tötet, wer stiehlt, wer einbricht, plündert und raubt, Ehen bricht und lügt, begeht kein Unrecht, wer mit einem Fleischermesser aus den Wesen dieser Welt eine einzige Fleischmasse macht, der tut damit kein Unrecht und lädt keine Schuld auf sich. Wenn man auf dem südlichen Ufer des Ganges tötet und töten läßt, zerstört und zerstören läßt, quält und quälen läßt, so tut man damit kein Unrecht und lädt keine Schuld auf sich; wenn man auf dem nördlichen Ufer des Ganges Gaben spendet und spenden läßt, opfert und opfern läßt, so tut man damit nichts Verdienstliches. Durch Schenken, Zurückhaltung, Selbstbeherrschung und Wahrhaftigkeit erwirbt man kein Verdienst.> Dabei überlegt ein verständiger Mensch ebenso wie vorher[1], er erkennt, daß solche Askese verkehrt ist, und wendet sich von ihr ab. Das ist die zweite Art von Askese, die der Erhabene für verkehrt erklärt hat.

 

Ein anderer Meister lehrt: <Ohne Ursache, ohne Grund werden die Wesen Unrein, ohne Ursache, ohne Grund werden sie rein. Tatkraft, Standhaftigkeit, Anstrengung sind nutzlos. Alle lebenden Wesen sind machtlos und unfähig ihrem Schicksal gegenüber. Durch Notwendigkeit oder durch Zufall geraten sie in eine der sechs Klassen und erfahren demgemäß Glück oder Leid.> Dabei überlegt ein verständiger Mensch ebenso wie vorher, er erkennt, daß solche Askese verkehrt ist, und wendet sich von ihr ab. Das ist die dritte Art von Askese, die der Erhabene für verkehrt erklärt hat.

 

Ein anderer Meister lehrt: <Es gibt sieben Elemente, die unerschaffen sind und sich nicht vermehren können, die feststehen wie Türme und Pfeiler, die sich nicht rühren, nicht verändern, sich gegenseitig nicht beeinträchtigen und sich gegenseitig nichts Böses und nichts Gutes antun können. Diese sieben sind das Erdelement, das Wasserelement, das Feuerelement, das Windelement, Glück, Unglück und Leben. Da gibt es keinen, der tötet, und keinen, der töten läßt, keinen, der hört, und keinen, der hören läßt, keinen, der erkennt, und keinen, der erkennen läßt. Wenn jemand mit scharfem Schwert einem andern den Kopf abtrennt, gibt es keinen, der dem andern das Leben raubt, sondern das Schwert fährt durch den Zwischenraum zwischen den sieben Elementen. An Mutterleibern, in denen Wesen entstehen können, gibt es 1 406 600, an Taten gibt es 505 und 3 Taten und eine Tat und eine halbe Tat, es gibt 62 Pfade und 62 Zwischenweltperioden, 6 Klassen von Wesen, 8 Menschenplätze, 4900 Arten des Lebenserwerbs, 4900 Arten der Weltentsagung, 4900 Schlangenreiche, 2000 Fähigkeiten, 3000 Höllen, 36 unsaubere Zustände, 7 Arten bewußter Erzeugung, 7 Arten unbewußter Erzeugung und 7 Arten freier, ungebundener Erzeugung, 7 Götterarten, 7 Menschenarten, 7 Gespensterarten, 7 Seen, 7 Strudel, 7 Felsen, 7 Abgründe, 707 Träume, 8 400 000 große Weltperioden, welche Toren und Weise immer wieder durchwandern, bis sie dem Leiden ein Ende machen. Da ist es nicht möglich, durch sittsames Leben, durch Gelübde, durch Kasteiung oder durch Askese die Taten zur Reife zu bringen oder zu verhindern, daß schon reif gewordene Taten sich auswirken. Genau zugemessen sind Glück und Leid, begrenzt ist das Wandern durch die Welten, es kann nicht kleiner und nicht größer werden, nicht wachsen und nicht schrumpfen. Wie ein Schnurknäuel das hinuntergeworfen wurde, weiterläuft, indem es sich abwickelt, ebenso wandern Toren und Weise immer weiter, bis sie dem Leiden ein Ende machen.> Dabei überlegt ein verständiger Mensch ebenso wie vorher, er erkennt, daß solche Askese verkehrt ist, und wendet sich von ihr ab. Das ist die vierte Art von Askese, die der Erhabene für verkehrt erklärt hat.»

 

«Vortrefflich», sagte Sāndaka, «wie der Erhabene diese vier Arten von Askese für verkehrt erklärt hat! Welches sind nun die vier Arten von Askese, von denen der Erhabene erklärt hat, daß sie unerquicklich sind, so daß ein verständiger Mensch eine solche Askese nicht befolgt, oder wenn er sie befolgt, nicht den rechten Weg finden und nicht zum Heil gelangen würde?» Darauf erwiderte Ānanda:

 

«Ein gewisser Meister erklärt, er sei allwissend und allsehend, er besitze allumfassendes Wissen und Schauen, beim Gehen, Stehen, Schlafen und Wachen sei ihm das Wissen und Schauen stets und ständig gegenwärtig. Dieser geht zu einem leeren Haus, erhält keine Almosenspeise, wird von einem Hund gebissen, begegnet einem wütenden Elefanten, einem scheuen Pferd, einem rasenden Rind, fragt eine Frau und einen Mann nach ihren Namen, fragt nach dem Namen des Dorfes und der Stadt und fragt nach dem Wege. Wenn er gefragt wird, warum das geschehe, antwortet er: <Ich mußte zu einem leeren Haus gehen, darum ging ich dorthin, ich mußte keine Speise bekommen, darum bekam ich keine, ich mußte von einem Hund gebissen werden, darum wurde ich gebissen, und so fort>[2]. Dabei überlegt ein verständiger Mensch: <Das ist unerquickliche Askese>, und er wendet sich von ihr ab. Das ist die erste Art von Askese, die der Erhabene für unerquicklich erklärt hat.

 

Ein anderer Meister spricht nach, was er gehört hat, und glaubt, daß es wahr sei; er lehrt, wie es überliefert worden ist und wie es im Pitaka[3], im Korb der Überlieferung, steht. Ein solcher Meister kann sich gut oder schlecht erinnern, es kann so oder auch anders sein. Dabei überlegt ein verständiger Mensch, daß solches unerquicklich ist, und er wendet sich davon ab. Das ist die zweite Art von Askese, die der Erhabene für unerquicklich erklärt hat.

 

Ein anderer Meister ist ein Skeptiker und Grübler; er lehrt, was er sich ausgedacht und ergrübelt hat. Das kann gut oder schlecht ausgedacht sein; es kann so sein oder auch anders sein. Dabei überlegt ein verständiger Mensch, daß solches unerquicklich ist, und er wendet sich davon ab. Das ist die dritte Art von Askese, die der Erhabene für unerquicklich erklärt hat.

 

Ein anderer Meister ist dumm und schwerfällig. Wenn man ihn nach diesem und jenem fragt, antwortet er sinnlos und windet sich wie ein Aal; er sagt: <So meine ich es nicht, aber auch nicht so und auch nicht anders, ich meine aber auch nicht, daß es nicht so sei.> Dabei überlegt ein verständiger Mensch, daß solches unerquicklich ist, und er wendet sich davon ab. Das ist die vierte Art von Askese, die der Erhabene für unerquicklich erklärt hat.»

 

«Vortrefflich», sagte Sāndaka, «wie der Erhabene diese vier Arten von Askese als unerquicklich erklärt hat! - Was lehrt aber derjenige Meister, bei dem ein verständiger Mensch den Reinheitswandel führen mag, so daß er den rechten Weg findet und zum Heil gelangt?» Darauf erwiderte Ānanda:

 

«Wenn ein Vollendeter in der Welt erscheint, ein Heiliger, voll Erwachter, dann verkündet er die Lehre, die nm Anfang, in der Mitte und am Ende gut ist, und lehrt einen vollkommen reinen Lebenswandel[4]. Wenn ein Jünger bei einem Meister so Vortreffliches findet, dann mag er bei ihm den Reinheitswandel führen, und er wird dort den rechten Weg finden und zum Heil gelangen.» Nun fragte Sāndaka: «Herr Ānanda, würde ein Bhikkhu, der ein Heiliger geworden ist, der die Bürde abgeworfen hat und durch rechtes Wissen befreit ist, noch Sinnenfreuden genießen?» - «Ein solcher Bhikkhu, der ein Heiliger geworden ist, kann sich nicht mehr in fünf Lagen versetzen: er kommt nicht mehr in die Lage, vorsätzlich ein lebendes Wesen zu töten, zu stehlen, geschlechtlich zu verkehren, wissentlich eine Unwahrheit zu sagen und so ausgiebig wie früher, als er noch im Hause lebte, Sinnenfreuden zu genießen.» - «Ist ein Bhikkhu, der ein Heiliger geworden ist, wenn er geht oder steht, schläft oder wacht, sich stets und ständig bewußt, daß er die Anwandlungen abgewehrt hat?» - «Hierauf, Sāndaka, will ich dir mit einem Gleichnis antworten; denn durch ein Gleichnis wird ja einem verständigen Menschen der Sinn eines Ausspruchs klar. Wenn einem Menschen Hände und Füße abgeschnitten sind, so sind sie ihm abgeschnitten, ob er geht oder steht, schläft oder wacht, und wenn er darauf hinschaut, weiß er, daß ihm Hände und Füße abgeschnitten sind. Ebenso sind bei einem Heiligen die Anwandlungen abgewehrt, ob er geht oder steht, schläft oder wacht, und wenn er darauf hinschaut, weiß er, daß er die Anwandlungen abgewehrt hat.»

Sāndaka fragte weiter: «Hat dieser Orden viele Führer?» - «Nicht nur hundert» erwiderte Ānanda «nicht nur zweihundert oder fünfhundert, sondern noch mehr Führer hat dieser Orden.» - Darauf Sāndaka: «Es ist erstaunlich, Herr Ānanda, daß keiner die eigene Lehre loben und die Lehren anderer schmähen will, wo doch so viele Führer zur Lehrdarlegung zu finden sind! Die selbstquälerischen Asketen aber sind wie Kinder einer kinderlosen Mutter, sie loben sich selbst und schmähen andere und können doch nur drei Führer aufweisen Nanda Vaccha, Kisa Sankicca und Mākkhali Gosala.» Dann wandte sich Sāndaka an seine Mitbrüder und sagte: «Tretet ihr in den Orden des Samana Gotama ein! Es wird mir jetzt nicht leicht, auf Gewinn, Ehre und Ruhm zu verzichten.» So ermunterte Sāndaka seine Mitbrüder, in den Orden des Erhabenen einzutreten.]



[1] Im Text wörtlich wie zuvor.

[2] Im Text in derselben Art weiter ausgeführt.

[3] Dieses Wort beweist, daß das Sutta nicht vor dem 5. Jahrhundert nach Buddha verfaßt worden sein kann, denn vorher gab es keine schriftliche Überlieferung {Das ist wieder eine der vielen vorschnellen Schlüsse die Kurt Schmidt gezogen hat, siehe die Übersetzung von KEN; WG]

[4] Hier folgt im Text eine wörtliche Wiederholung aus dem 51. Sutta bis .... daß er mit der Welt nichts mehr zu schaffen hat>.


 Home Oben Zum Index Zurueck Voraus