Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

IX. BUCH: KÖNIGE - Rājavaggo

90. Bei Kannakatthala - Kannakatthala Sutta

 

So habe ich es gehört: 

Einst weilte der Erhabene im Gazellenhain Kannakatthala bei Ujunnya. Damals war König Pasénadi von Kósala gerade in Ujunnya angekommen, um etwas zu besorgen. Durch einen Boten sandte er dem Erhabenen seinen Gruß, ließ nach seinem Befinden fragen und seinen Besuch nach dem Frühstück ankündigen. Als seine Schwestern Soma und Sākula davon hörten, gingen sie zum König, während er frühstückte, und baten ihn, dem Erhabenen ihre Grüße zu übermitteln. Nach dem Frühstück begab sich der König zum Erhabenen, setzte sich nach höflicher Begrüßung zu ihm und überbrachte ihm die Grüße seiner Schwestern Soma und Sākula. Der Erhabene fragte ihn: «Majestät, haben die Schwestern keinen andern Boten gefunden?» - «Sie hatten gehört», antwortete der König, «daß ich Euch, Herr, besuchen wollte, und da haben sie mir ihre Grüße aufgetragen.» Glücklich sollen Soma und Sākula werden!»

Dann sagte der König zum Erhabenen: «Ich habe gehört, der Samana Gotama habe gesagt, es gebe keinen allwissenden und allschauenden Samana oder Brahmanen. Hat man mir richtig berichtet?» - «Nein, Majestät, das habe ich nicht gesagt: das sagt man mir fälschlich nach.» Da wandte sich der König an den General Vidūdabha mit der Frage: «Wer hat denn dieses Gerede bei Hofe aufgebracht?» - «Der Brahmane Sānjaya aus der Akasa-Sippe.»

Darauf schickte der König einen Boten zu Sānjaya und ließ ihn rufen. Zum Erhabenen aber sagte er: «Herr, habt Ihr vielleicht etwas anderes gesagt, das die Leute falsch aufgefaßt haben? Wie habt Ihr Euch denn ausgedrückt?» - «Ich habe gesagt: Es gibt keinen Samana oder Brahmanen, der alles auf einmal weiß und schaut.» - «Herr, das scheint mir wohl begründet zu sein. Nun eine andere Frage: Besteht ein Unterschied zwischen den vier Kasten, den Adligen, den Brahmanen, den Bürgern und den Schudras?» - «Majestät, zwei der Kasten werden als die höheren angesehen: die Adligen und die Brahmanen, die man höflich, aufstehend, mit zusammengelegten Händen begrüßen und mit Ehrfurcht behandeln soll.» - «Ich meinte nicht, was das gegenwärtige Leben betrifft, sondern wie ihr zukünftiges Schicksal nach dem Tode ist. Gibt es da einen Unterschied zwischen den vier Kasten?»

«Es gibt fünf Eigenschaften eines Strebenden[1]: Ein Bhikkhu hat Vertrauen zum Erwachtsein des Vollendeten, indem er sich sagt: Heilig, erhaben, der völlig Erwachte, welcher in Wissen und Wandel bewährt ist, Kenner der Welten, zum Heile gekommen, bester Erzieher der irrenden Menschheit, Lehrer der Götter und Menschen ist Buddha. Der Bhikkhu ist gesund und frisch, hat gute Verdauung, ist nicht zu kühl und nicht zu hitzig, sondern maßvoll und ausdauernd beim Streben; er ist offen und ehrlich gegenüber dem Meister und seinen verständigen Mitbrüdern; tatkräftig überwindet er unheilsame Regungen und erlangt heilsame, hält standhaft fest am Heilsamen; er ist weise, begabt mit Weisheit, die das Entstehen und Vergehen durchschaut, mit der edlen, durchdringenden Weisheit, die zur rechten Überwindung der Übel hinführt. Wer mit diesen Eigenschaften eines Strebenden ausgestattet ist, welcher der vier Kasten er auch angehören mag, dem wird das auf lange Zeit zum Heil und Glück gereichen.»

«Herr, wenn Angehörige der vier Kasten mit diesen Eigenschaften ausgestattet sind, gibt es dann noch zwischen ihnen einen Unterschied?» - «Es gibt hier noch eine Unterscheidung[2] im Streben. Was meint Ihr, Majestät: Wenn zwei zahme Elefanten oder Pferde oder Ochsen gut gezähmt und abgerichtet sind, zwei andere Elefanten, Pferde oder Ochsen aber schlecht gezähmt und nicht abgerichtet sind, würden die gut gezähmten und abgerichteten die Arbeit zahmer Tiere verrichten und sich ganz zahm verhalten?» - «Ja, Herr!» - «Würden aber die schlecht gezähmten und nicht abgerichteten sich ebenso verhalten?» - «Nein, Herr!» - «Ebenso ist es nicht möglich, daß ein Mensch ohne Vertrauen, ein Schwächling, ein unehrlicher, schlaffer, törichter Mensch das erreicht, was ein vertrauensvoller, gesunder, ehrlicher, tatkräftiger und weiser Mensch erreichen kann.» - «Das scheint mir wohl begründet zu sein, Herr! Wenn nun Angehörige der vier Kasten mit den fünf Eigenschaften eines Strebenden ausgestattet sind und recht streben, besteht dann noch ein Unterschied zwischen ihnen?» - «Nein, Majestät, dann gibt es keinen Unterschied, sage ich, Erlösung gegen Erlösung. Wenn Leute mit trockenem Holz Feuer anzünden und Licht machen, der eine mit Sakaholz, der andere mit Salaholz, ein dritter mit Mangoholz, ein vierter mit Feigenholz, meint Ihr, Majestät, daß dann zwischen den Feuern und den Lichtern ein Unterschied Flamme gegen Flamme, Helligkeit gegen Helligkeit, Glanz gegen Glanz besteht?» - «Nein, Herr!» - «Ebenso wird das Licht durch Tatkraft und mit Mühen hervorgebracht. Da gibt es keinen Unterschied, sage ich, Erlösung gegen Erlösung.» - «Das scheint mir wohl begründet zu sein, Herr! Weiter: Gibt es Götter?» - «Majestät, warum fragt Ihr, ob es Götter gebe?» - «Ich meine, ob die Götter in diese Welt kommen werden oder nicht.» - «Soweit sie bösartig sind, werden sie in diese Welt kommen, soweit sie friedlich sind, werden sie nicht in diese Welt kommen.»

Nach diesen Worten wandte sich General Vidūdabha an den Erhabenen mit der Frage: «Werden jene Götter, die bösartig sind und in diese Welt kommen werden, die anderen Götter, die friedlich sind und nicht in diese Welt kommen werden, von ihrem Platz vertreiben oder verbannen?»

Da dachte der ehrwürdige Ānanda: General Vidūdabha ist des Königs Pasénadi Untergebener[3], ich bin des Erhabenen Untergebener. Jetzt geziemt es sich, daß der Untergebene dem Untergebenen antwortet. Und so sagte er zu Vidūdabha: «General, hierüber möchte ich Euch etwas fragen. Wie Ihr es für richtig haltet, so antwortet! Kann König Pasénadi innerhalb seines Machtbereichs einen Samana oder Brahmanen, sei dieser tüchtig oder untüchtig, keusch oder unkeusch, von seinem Platz vertreiben oder verbannen?» - «Ja, das kann er.» - «Kann der König aber auch außerhalb seines Machtbereichs einen Samana oder Brahmanen von seinem Platz vertreiben oder verbannen?» - «Nein, das kann er nicht.» - «Habt Ihr von den Dreiunddreißig Göttern gehört?» - «Ja, von ihnen habe ich gehört, und auch König Pasénadi hat von ihnen gehört.» - «Was meint Ihr: Kann König Pasénadi die Dreiunddreißig Götter von ihrem Platz vertreiben oder verbannen?» - «Der König hat die Dreiunddreißig Götter nicht einmal gesehen, wie sollte er sie vertreiben oder verbannen können?» - «Ebenso können die bösartigen Götter die friedlichen Götter nicht einmal sehen, wie sollten sie sie vertreiben oder verbannen können?»

Darauf fragte der König den Erhabenen, wie dieser Bhikkhu heiße. «Ānanda heißt er», erwiderte der Erhabene. «Ānanda, der Fröhliche», sagte der König, «so sieht er auch aus! Was der ehrwürdige Ānanda gesagt hat, scheint mir wohl begründet zu sein. Weiter, Herr: Gibt es einen Brahma?» - «Majestät, warum fragt Ihr, ob es einen Brahma gebe?» - «Ich meine, ob Brahma in diese Welt kommen wird oder nicht.» - «Ein Brahma, der bösartig ist, wird in diese Welt kommen, ein friedlicher Brahma wird nicht in diese Welt kommen.»

Da meldete jemand dem König, der Brahmane Sānjaya sei gekommen, und der König fragte den Brahmanen Sānjaya, wer jenes Gerede bei Hofe aufgebracht habe. Sānjaya antwortete: «General Vidūdabha.» Vidūdabha aber sagte: «Sānjaya.» Da meldete jemand dem König, es sei Zeit zur Abfahrt, und der König faßte nun das Ergebnis des Gesprächs zusammen: «Ich habe nach der Allwissenheit gefragt, der Erhabene hat mir darüber Auskunft gegeben, und ich bin von seiner Erklärung voll befriedigt; ich habe nach der Echtheit der vier Kasten gefragt, ich habe über die Götter und über Brahma gefragt; über alles, was ich den Erhabenen fragte, hat er mir Auskunft gegeben, und ich bin von seinen Erklärungen voll befriedigt. - Jetzt will ich gehen, ich habe noch viel zu erledigen!» - «Majestät, tut, was Euch recht scheint!»

Erfreut über die Worte des Erhabenen stand der König auf, verabschiedete sich ehrfurchtsvoll von dem Erhabenen, schritt rechts um ihn herum und ging fort.

 



[1] Wörtliche Wiederholung aus dem 85. Sutta.

[2] vematta, ein Wort des späteren Pali, ein Zeichen, daß mindestens dieser Abschnitt nicht ursprünglich ist.

[3] putta bedeutet hier, wie an manchen anderen Stellen, nicht <Sohn>, sondern <Untergebener>, <Abhängiger>. Vidūdabha war ebensowenig Pasénadis Sohn wie Ānanda Gotamas Sohn.


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