Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

X. BUCH: BRAHMANEN - Brāhmanavaggo

97. Dhanañjani Sutta

 

So habe ich es gehört:

   Als der Erhabene einst am Eichhörnchenfutterplatz im Bambushain bei Rājagaha weilte, wanderte der ehrwürdige Sāriputta in Begleitung vieler Bhikkhus durch Dakkhināgiri. Da kam zu ihm ein Bhikkhu, der während der Regenzeit in Rājagaha gewesen war, und Sāriputta fragte ihn, wie es dem Erhabenen und der Jüngergemeinde gehe. Der Bhikkhu sagte, es gehe ihnen gut. Weiter fragte Sāriputta, wie es dem Brahmanen Dhananjani gehe, der im Hause des Reiswächters wohne, und ob er viel beschäftigt sei. Der Bhikkhu antwortete, auch diesem gehe es gut, und wie beschäftigt sei er! Beim Könige schwärze er Brahmanen an und bei den Brahmanen den König; seine fromme Frau aus frommer Familie sei gestorben, und dann habe er eine unfromme Frau aus unfrommer Familie geheiratet. «Das höre ich ungern», sagte Sāriputta, «ich möchte doch einmal mit Dhananjani zusammenkommen und mit ihm reden.» Bald darauf wanderte Sāriputta nach Rājagaha und nahm Aufenthalt am Eichhörnchenfutterplatz im Bambushain. Am nächsten Morgen ging er in die Stadt, um Speise zu sammeln, während der Brahmane gerade außerhalb der Stadt in seinem Kuhstall die Kühe melken ließ. Nach Beendigung des Almosenganges begab sich Sāriputta zu Dhananjani. Als dieser ihn kommen sah, ging er ihm entgegen und sagte: «Herr Sāriputta, hier gibt es Milch zu trinken! Es wird Zeit zum Essen!» - «Danke, Brahmane, für heute habe ich schon gegessen. Ich werde mich nun unter einen Baum setzen, bitte, komm dorthin!» Der Brahmane war damit einverstanden und suchte am Nachmittag den ehrwürdigen Sāriputta auf. Als er sich zu ihm gesetzt hatte, fragte ihn Sāriputta, ob er viel beschäftigt sei. «Wie sollte ich nicht viel beschäftigt sein!» sagte Dhananjani, «ich muß sorgen für meine Eltern, für Frau und Kinder, für meine Dienerschaft, muß mich um meine Freunde, Amtsbrüder und Verwandten kümmern, Gäste bewirten, muß den Ahnen und den Göttern opfern, muß dem König dienen und auch meinen eigenen Leib hegen und pflegen.» - «Was meinst du», erwiderte Sāriputta: «Wenn jemand zugunsten seiner Eltern, seiner Frau, seiner Kinder, seiner Dienerschaft, seiner Freunde, Amtsbrüder und Verwandten, seiner Gäste, seiner Ahnen und Götter und zugunsten des Königs Unrecht getan und Missetaten begangen hat und die Höllenwächter ihn dafür in die Hölle werfen, wird dieser sich dann mit Erfolg darauf berufen können, daß er Unrecht nur getan und Missetaten nur begangen habe zugunsten seiner Eltern, seiner Frau, seiner Kinder, seiner Dienerschaft, seiner Freunde, Amtsbrüder und Verwandten, seiner Gäste, seiner Ahnen und Götter und zugunsten des Königs? Oder werden jene ihn retten können, indem sie sagen: Werft ihn nicht in die Hölle, denn er hat ja nur unseretwegen Unrecht getan und Missetaten begangen?» - «Nein, Herr Sāriputta! Auch wenn er heult, werden ihn die Höllenwächter in die Hölle werfen.» - «Wenn jemand, um seinen Leib zu hegen und zu pflegen, Unrecht getan und Missetaten begangen hat und die Höllenwächter ihn dafür in die Hölle werfen, wird dieser sich mit Erfolg darauf berufen können, daß er ja nur, um seinen Leib zu hegen und zu pflegen, Unrecht getan und Missetaten begangen hat, oder werden andere ihn retten können, indem sie sagen: Werft ihn nicht in die Hölle, denn er hat ja nur, um seinen Leib zu hegen und zu pflegen, Unrecht getan und Missetaten begangen?» - «Nein, Herr Sāriputta, auch wenn er heult, werden ihn die Höllenwächter in die Hölle werfen.» - «Was meinst du, Dhananjani: wäre es nicht besser, wenn man zugunsten der Eltern, der Frau, der Kinder usw. oder zugunsten des Königs recht handelte und Gutes täte?» - «Ja, Herr Sāriputta, das wäre allerdings besser.» - «Es gibt», sagte Sāriputta, «andere, vernünftige und ehrliche Beschäftigungen, mit deren Hilfe man für die Eltern, für Frau und Kinder usw. sorgen, dem König dienen und den eigenen Leib hegen und pflegen kann. Wäre es nicht besser, in jedem Falle recht zu handeln und Gutes zu tun?» Dhananjani stimmte zu, nahm Sāriputtas Belehrung mit Freude und Dank an und ging fort.

Nach einiger Zeit erkrankte Dhananjani schwer. Da schickte er einen Boten zum Erhabenen und zu Sāriputta mit der Meldung, daß er schwer krank sei und daß er Sāriputta bitte, zu ihm zu kommen. Schweigend gewährte Sāriputta die Bitte, begab sich zu Dhananjani und fragte ihn nach seinem Befinden. Dhananjani erwiderte, es gehe ihm schlecht, die Schmerzen würden immer schlimmer. Darauf fragte ihn Sāriputta: «Dhananjani, was hältst du für besser: die Hölle oder das Tierreich?» - «Das Tierreich ist besser.» - «Das Tierreich oder das Gespensterreich?» - «Das Gespensterreich.» - «Das Gespensterreich oder die Menschenwelt?» - «Die Menschenwelt.» - «Die Menschenwelt oder das Reich der vier Himmelskönige?» - «Das Reich der vier Himmelskönige.» - «Die Himmelskönige oder die Dreiunddreißig Götter?» - «Die Dreiunddreißig Götter.» - «Die Dreiunddreißig oder die Yamagötter?» - «Die Yamagötter.» - «Die Yamagötter oder die Tūsitagötter?» - «Die Tūsitagötter.» - «Die Tūsitagötter oder die Nimmanaratigötter oder die Paranimmitavasavattigötter oder die Brahmawelt?» Da rief Dhananjani begeistert aus: «Ihr nennt die Brahmawelt, Herr Sāriputta!» Deshalb dachte Sāriputta: Die Brahmanen sehnen sich nach der Brahmawelt; ich möchte ihm den Weg zur Gemeinschaft mit Brahma zeigen. Das schlug er dem Brahmanen vor und dieser stimmte zu. Nun sagte Sāriputta:

«Man[1] füllt seinen Geist an mit selbstloser liebevoller Gesinnung gegenüber allen Wesen und läßt sie ausstrahlen nach den vier Himmelsrichtungen, nach oben und unten und ringsum, überallhin, man durchstrahlt die ganze Welt mit überströmender, großer, unermeßlicher, friedlicher und freundlicher Gesinnung. Dann durchstrahlt man die ganze Welt ebenso mit Erbarmen, mit Mitfreude und mit Gleichmut. Dies ist der Weg zur Gemeinschaft mit Brahma.»

Dhananjani bat darauf Sāriputta, dem Erhabenen seine ehrfurchtsvollen Grüße zu überbringen und ihm zu sagen, daß er schwer krank sei. Bald nachdem Sāriputta fortgegangen war, starb Dhananjani und gelangte in die Brahmawelt.

Der Erhabene sagte zu den Bhikkhus: «Sāriputta hat, obwohl noch Höheres zu tun war, den Brahmanen Dhananjani in die elende Brahmawelt versetzt», stand auf und ging fort.

Sāriputta ging zum Erhabenen und überbrachte ihm Dhananjanis Gruß. Darauf fragte ihn der Erhabene, warum er ihn, obwohl noch Höheres zu tun war, in die elende Brahmawelt versetzt habe. Sāriputta antwortete: «Ich dachte, die Brahmanen sehnen sich nach der Brahmawelt. Darum zeigte ich ihm den Weg zur Gemeinschaft mit Brahma.» - «Nun ist», sagte der Erhabene, «Dhananjani gestorben und zur Brahmawelt gelangt.»

 



[1]Im Text steht <ein Bhikkhu>, weil die feststehende Formel so lautet. Das paßt hier aber nicht.


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