Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

ZWEITER TEIL: DIE MITTLEREN FÜNFZIG - Majjhimapannāsam

X. BUCH: BRAHMANEN - Brāhmanavaggo

98. Vāsettha Sutta

 

Vorbemerkung: Dieses Sutta ist, wie das 92., aus dem alten Suttanipāta übernommen, wo es unter III, 9 zu finden ist. In den altertümlichen Versen wird das Wort brāhmana in der Bedeutung <echter Brahmane, Heiliger> und das Wort buddha in der ursprünglichen Bedeutung <erwacht> gebraucht.

 

So habe ich es gehört:

   Einst weilte der Erhabene im Walde bei Icchanāngala, einer Stadt, in der viele berühmte und begüterte Brahmanen wohnten, wie Canki, Tarukkha, Pokkharasati, Janussoni, Todeyya und andere. Zwei junge Brahmanen, Vasettha und Bharadvaja, unterhielten sich auf einem Spaziergange über die Frage, was einen Brahmanen kennzeichne. Bharadvaja meinte, wenn einer von Vater und Mutter wohlgeboren sei und bis zur siebenten Ahnengeneration von einwandfreier Abstammung, dann sei er ein Brahmane. Vasettha aber meinte, wenn einer sittenrein und pflichttreu sei, dann sei er ein Brahmane. Da sie sich nicht einigen konnten, schlug Bharadvaja vor, den Samana Gotama zu fragen, und sie kamen überein, Gotamas Entscheidung anzunehmen. Sie gingen zum Erhabenen, setzten sich zu ihm, und Vasettha sprach:

 

«Als vedakundig sind wir beide anerkannt,
Ich Schüler Pokkharas[1], Tarukkhas Schüler er.
Was in den Veden steht, das kennen wir genau,
Den Lehrern sind wir gleich in Verskunde und Sprüchen.
Wir streiten jetzt darum, ob die Geburt entscheidet.
<Brahmane von Geburt) ist Bharadvajas Meinung;
Ich sage: <Nur das Tun verleiht Brahmanenwürde.>
Wir können uns hierbei nicht einig werden beide;
So fragen wir Euch, Herr, den Buddha, den berühmten.
Wie man den neuen Mond nach dunkler Nacht begrüßt,
So grüßt man in der Welt mit Ehrfurcht Gotama.
Dem Seher Gotama, ihm nah'n wir mit der Frage:
Was macht den Brahmana, Geburt oder das Tun?
Wir wissen's nicht, drum sag: Woran erkennt man ihn?

 

Der Erhabene:

«Erklären will ich euch, der Wirklichkeit gemäß,
Geburtenunterschied, verschieden sind die Arten.
 
Ihr kennt das Kraut, den Baum, nicht gleichen sie einander,
Geburt macht ihre Form, verschieden sind die Arten.
 
Kerbtier und Heuschreck dann bis hin zur Ameise,
Geburt macht ihre Form, verschieden sind die Arten.
 
Vierfüßler kennt ihr auch, die kleinen und die großen,
Geburt macht ihre Form, verschieden sind die Arten.
 
Ihr kennt die kriechenden, die langgestreckten Schlangen,
Geburt macht ihre Form, verschieden sind die Arten.
 
Die Fische kennt ihr auch, wie sie im Wasser leben,
Geburt macht ihre Form, verschieden sind die Arten.
 
Ihr kennt die Vögel auch, die durch die Lüfte fliegen,
Geburt macht ihre Form, verschieden sind die Arten.
 
Bei diesen ist die Form gesondert durch Geburt,
Bei Menschen aber nicht bestimmt Geburt die Form,
An Haaren nicht und Haupt, auch nicht an Ohren, Augen,
An Nase nicht und Mund, an Lippen nicht und Brauen,
An Hals und Schultern nicht, am Bauch nicht, nicht am Rücken
Nicht an Gesäß und Brust, nicht am Geschlechtsorgan,
Auch nicht an Hand und Fuß, an Fingern oder Nägeln,
Auch an den Schenkeln nicht, an Farbe oder Stimme,
Nicht macht Geburt die Form, wie bei den andern Wesen.
Bei Menschen, körpergleich, da gibt's nichts Sonderliches;
Die Unterscheidung dient hier nur zur Kennzeichnung.
 
Ein Mensch, der Viehzucht treibt - das merke dir, Vasettha! -,
Wird Bauer stets genannt, nicht aber Brāhmana.
 
Und wer ein Handwerk treibt - das merke dir Vasettha! -,
Wird Handwerker genannt, nicht aber Brāhmana.
 
Wer aber Handel treibt - das merke dir, Vasettha! -,
Wird Kaufmann stets genannt, nicht aber Brāhmana.
 
Wer andere bedient - das merke dir, Vasettha! -,
Wird Diener stets genannt, nicht aber Brāhmana.
 
Wer Nichtgegebenes nimmt - das merke dir, Vasettha! -,
Heißt Räuber oder Dieb, nicht aber Brāhmana.
 
Wer sich dem Kriegsdienst weiht - das merke dir, Vasettha! -,
Der wird Kriegsknecht genannt, nicht aber Brāhmana.
 
Wer Opferdienst versieht - das merke dir, Vasettha! -,
Den nennt man Hofkaplan, nicht aber Brāhmana.
 
Wer Dorf und Land besitzt - das merke dir, Vasettha! -,
Ein König ist der wohl, nicht aber Brāhmana.
 
Brahmane nenn' ich nicht den, der vom Weib geboren;
Wenn er Vermögen hat, dann ist er arrogant.
 
Wer nichts hat und nichts nimmt, den nenn' ich Brāhmana.
Wer alle Fesseln brach und nicht erschüttert wird
Und wer an nichts mehr hängt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer Band und Strick zerschnitt, die Zügel und die Zäumung,
Wer fessellos, erwacht, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer unschuldig erträgt Gefängnis, Schimpf und Schlag,
Gewappnet mit Geduld, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer pflichttreu, ohne Zorn, wer sanft und sittenrein
Den letzten Leib abträgt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wie Tau am Lotusblatt, wie Senfkorn an der Nadel,
Wer so an Lust nicht klebt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer weiß, daß hier sein Leid schon überwunden wird,
Und abwarf seine Last, den nenn' ich Brāhmana.
 
Den Weisen, der tief forscht und Weg und Abweg kennt,
Der höchstes Ziel erreicht, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer weder mit dem Volk verkehrt noch mit Asketen,
Wunschlos der Welt entsagt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer Wesen nicht verletzt, nicht schwache und nicht starke,
Und auch nicht töten läßt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer bei Unfreien frei und friedlich unter Groben,
Bei Gier'gen ohne Gier, den nenn' ich Brāhmana.
 
Von wem die Gier abglitt, Haß, Wahn und Heuchelei,
Wie von der Nadel Senf, den nenn' ich Brāhmana.
 
Den, dessen Rede sanft, belehrend auch und wahr ist
Und niemanden verletzt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer nichts, sei's lang, sei's kurz, sei's unschön oder schön,
Das nicht gegeben, nimmt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer sich nicht diese Welt und keine andre wünscht,
Wunschlos und fesselfrei, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer keine Sehnsucht hat, erkannt hat, nicht mehr zweifelt,
Im Todlosen versinkt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer nicht gefesselt wird von gut' und bösen Werken,
Wer sorgenfrei und rein, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer wie der Mond so klar, so rein und unerregbar,
Wer kein Vergnügen sucht, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer diesem Sumpf entging, der wirren Wandelwelt,
Hinüberkam, vertieft, gefestigt, ohne Zweifel,
Nicht haftet und erlosch, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer hier der Lust entsagt und heimatlos geworden,
Wer Lebenslust verschmäht, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer hier dem Durst entsagt und heimatlos geworden,
Wer Lebensdurst verschmäht, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer jedes Band zerriß zu Menschen und zu Göttern,
Von aller Bindung frei, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer Lust und Unlust flieht, gestillt und losgelöst,
Die Welt ganz überwand, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer das Vergehen kennt und das Entstehn der Wesen,
Hanglos, geheilt, erwacht, den nenn' ich Brāhmana.
 
Den, dessen Weg nicht sehn die Götter, Engel, Menschen,
Der triebfrei, heilig ist, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer vormals, künftig, jetzt nichts als sein eigen weiß
Und der an nichts mehr hängt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Den Helden, stark und hehr, den unbesiegten Weisen,
Der wunschlos, rein, erwacht, den nenn' ich Brāhmana.
 
Wer früh'res Dasein kennt, den Himmel und die Hölle
Und nicht mehr wiederkehrt, den nenn' ich Brāhmana.
 
Nur für den Weltgebrauch dient der Personenname,
Man nennt dich so und so, weil man's vereinbart hat.
 
Was lange man geglaubt, die Ansicht Unbelehrter,
Das sagen Toren nur: <Brahmane durch Geburt.>
 
Nicht die Geburt bestimmt, ob man Brahmane ist,
Das Tun ist's, was bestimmt, ob man Brahmane ist.
Das Tun ist's, was bestimmt, ob einer Bauer ist,
Das Tun ist's, was bestimmt, ob einer Kaufmann ist.
Auch Räuber, Kriegsknecht auch wird man nur durch das Tun.
Hofpriester, König auch wird man nur durch das Tun.
Verständ'ge sehen so das Tun, wie's wirklich ist.
Das Tun und seine Frucht sieht, wer Bedingtheit[2] kennt.
Das Tun herrscht in der Welt, bestimmt der Menschen Los,
 
Die Wesen bindet es, wie's Rad am Wagen hängt.
Askese, Heiligkeit des Wandels, Selbstbeherrschung,
Dies macht den Brāhmana, höchstes Brahmanentum.
Dreiwissensmächtig, still, zur Welt nicht wiederkehrend,
So gilt man Wissenden als Brahma oder Indra.»

 

Darauf erklärten sich Vasettha und Bharadvaja als überzeugt, nahmen ihre Zuflucht zu Buddha, zur Lehre und zur Jüngergemeinde und bekannten sich als Laienanhänger[3].

 



[1] Pokkharasati, in der Übersetzung wegen des Versmaßes abgekürzt.

[2] paticcasamuppāda, die Lehre von der Bedingtheit alles Entstehens.

[3] Ein anderes Gespräch Buddhas mit Vasettha und Bharadvaja, das in Prosa überliefert ist, findet sich im Dighanikāya XIII, übersetzt in meinem Buch <Worte des Erwachten>, Seite 160 f.


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