Vorbemerkung: Dieses Sutta scheint in späterer Zeit überarbeitet worden zu sein, wie der sprachlichen Ausdruck zu erkennen gibt. So steht hier z.B. für <ja> āma und für <nein> no h'idam, während man zu Gotamas Zeit nach Ausweis der alten Texte für <ja> evam und für <nein> no h’etam sagte. In dem Satz: <wenn sie ja sagten>, würde für <wenn> im älteren Pali yadi, nicht wie hier ce stehen; es sei denn, daß der Verfasser mit dem Wort ce andeuten wollte, daß das ganze folgende Gespräch fingiert ist. Auch die Titulierung der Niganthas als āyasmā, <ehrwürdige>, kommt in älteren Texten nicht vor; dort werden nur die buddhistischen Bhikkhus āyasmā genannt.
In dem alten Suttanipāta sind mehrere Aussprüche Buddhas glaubwürdig überliefert – 828, 832, 833, 859, 894, 912 -, in denen er Streitgespräche mit Anhängern anderer religiöser oder philosophischer Lehren grundsätzlich ablehnte. Im übrigen ist der größte Teil des Suttas eine wörtliche Wiederholung aus dem 27. Sutta
So habe ich es gehört:
Einst weilte der Erhabene im Lande der Sakyer bei dem Städtchen Devadaha. Dort sprach er zu den Bhikkhus:
Es gibt manche Samanas und Brahmanen, die lehren: Alles, was ein Mensch fühlt, sei es Lust oder Leid oder ein gleichgültiges Gefühl, das ist durch früheres Tun verursacht. Durch Bußübungen werden frühere Taten aufgehoben, durch Untätigkeit wird die künftige Wirkung neuer Taten vermieden; dadurch wird das Karma, das nachwirkende Tun, beendet; hört das Karma auf, dann hört das Leiden auf; hört das Leiden auf, dann hört das Fühlen auf; hört das Fühlen auf, dann wird alles Übel verschwinden. Dies ist die Lehre der Niganthas[1]. Ich fragte sie, ob das wirklich ihre Lehre sei, und wenn sie ja sagten, fragte ich sie, ob sie denn wüßten, daß sie früher gelebt haben, daß sie früher Böses getan haben, daß sie früher diese oder jene Missetat begangen haben; ob sie wüßten, wieweit das Übel bereits beseitigt ist und wieweit es noch beseitigt werden muß und wann es ganz beseitigt sein wird. Das verneinten sie. Weiter fragte ich sie, ob sie wußten, wie man im gegenwärtigen Leben Unheilsames überwindet und Heilsames erreicht. Auch das verneinten sie. Darauf sagte ich: Wenn ihr das alles wüßtet, dann wäre eure Lehre gerechtfertigt.
Nehmen wir an: Jemand ist von einem vergifteten Pfeil getroffen worden und leidet infolgedessen heftige Schmerzen. Seine Freunde und Verwandten holen einen tüchtigen Wundarzt, und dieser bohrt mit einem Messer in der offenen Wunde, was dem Verwundeten wieder neue Schmerzen verursacht. Dann sucht er mit einer Sonde die Pfeilspitze, wodurch sich wieder die Schmerzen vermehren. Dann zieht er die Pfeilspitze heraus, was auch sehr schmerzhaft ist. Dann führt er ein heißes Arzneimittel in die offene Wunde ein, wodurch der verwundete heftige Schmerzen erleidet. Nach einiger Zeit aber ist die Wunde geheilt und vernarbt, und der Mensch fühlt sich wohl und kann gehen, wohin er will. Er denkt dann: Ich habe durch die ärztliche Behandlung viele und heftige Schmerzen erduldet, aber jetzt fühle ich mich wohl. Ebenso ist es bei euch: Wenn ihr wüßtet, daß durch Bußübungen die Wirkung früherer Taten aufgehoben wird und daß dadurch schließlich alle Übel dahinschwinden, dann wäre eure Lehre gerechtfertigt. Weil ihr das aber nicht wißt, darum ist eure Lehre nicht gerechtfertigt.
Darauf erwiderten mir die Niganthas: <Unser Meister Nataputta ist allwissend, wenn er geht oder stillsteht, wenn er schläft oder wacht, immer ist er im Vollbesitz seiner Allwissenheit. Er hat uns diese Lehre verkündet, sie gefällt uns und befriedigt uns.>
Nun sagte ich ihnen: <Es gibt fünf Tätigkeiten, die in dieser Welt zu verschiedenen Ergebnissen führen[2]: glauben, Gefallen finden, nachsprechen, sorgfältig überlegen und geduldig nachprüfen. Habt ihr eurem Meister geglaubt? Habt ihr an seiner Lehre Gefallen gefunden? Habt ihr sie nachgesprochen? Habt ihr über sie sorgfältig nachgedacht? Habt ihr sie geduldig geprüft?> Darauf erhielt ich von den Niganthas keine klare Antwort, und nun fragte ich sie: <Fühlt ihr, wenn ihr euch sehr bemüht und anstrengt, starke Ermüdung und Unbehagen? Und fühlt ihr, wenn ihr euch nicht besonders bemüht oder anstrengt, keine Ermüdung und kein Unbehagen?> Das bestätigten sie, und ich erwiderte: <Wenn das so ist, seid ihr dann berechtigt zu lehren, daß alles, was ein Mensch fühlt, Lust oder Unlust oder Gleichgültiges, durch früheres Tun verursacht sei? Wenn ihr Ermüdung und Unbehagen fühltet, gleichviel ob ihr euch sehr bemüht und anstrengt oder euch nicht besonders bemüht und anstrengt, dann wäret ihr berechtigt zu lehren, daß alles, was ein Mensch fühlt, Lust oder Unlust oder Gleichgültiges, durch früheres Tun verursacht sei. Da ihr aber in Wirklichkeit Ermüdung und Unbehagen nur dann fühlt, wenn ihr euch sehr bemüht und anstrengt, nicht aber, wenn ihr euch nicht besonders bemüht und anstrengt, so beruht eure Lehre auf Unwissenheit und Verblendung.> Hierauf habe ich von den Niganthas keine klare Antwort erhalten. Nun fragte ich sie weiter: <Kann man durch Bemühung und Anstrengung erreichen, daß dasjenige Tun, das im gegenwärtigen Leben abzubüßen ist, erst in einem künftigen Leben abgebüßt wird?> Das verneinten sie. <Oder kann man durch Mühe und Anstrengung erreichen, daß dasjenige Tun, das in einem künftigen Leben abzubüßen ist, schon in diesem Leben abgebüßt wird?> Auch das verneinten sie. <Oder kann man durch Mühe und Anstrengung erreichen, daß eine Tat, die mit Glück zu vergelten ist, mit Leiden vergolten wird, oder umgekehrt, daß eine Tat, die mit Leiden zu vergelten ist, mit Glück vergolten wird?> Auch das verneinten sie. Oder kann man durch Mühe und Anstrengung erreichen, daß die schon reife Vergeltung noch nicht reif wird oder daß eine noch nicht reife Vergeltung schon reif wird, oder daß eine Tat, die starke Vergeltung verdient, nur schwach vergolten wird, und umgekehrt, oder daß eine Tat, die Vergeltung verdient, ohne Vergeltung bleibt, oder daß eine Tat, die keine Vergeltung verdient, Vergeltung nach sich zieht?> Auch das verneinten sie. Darauf sagte ich: <Unter diesen Umständen ist eure Mühe und Anstrengung fruchtlos.>
Meine Bhikkhus! Aus den Lehrsätzen der Niganthas sind folgende zehn unbefriedigende Schlußfolgerungen zu ziehen: Wenn Glück und Leid der Wesen durch ihr vorgeburtliches Tun verursacht ist, dann sind die Niganthas in ihrem früheren Leben Übeltäter gewesen, da sie jetzt so viele Leiden zu erdulden haben. Wenn Glück und Leid der Wesen von einem Weltschöpfer bestimmt wird, dann sind die Niganthas von einem bösen Schöpfer geschaffen worden. Wenn Glück und Leid der Wesen vom Zufall abhängt, dann haben die Niganthas einen ungünstigen Zufall getroffen. Wenn Glück und Leid der Wesen von der Menschenrasse abhängt, dann gehören die Niganthas zu einer schlechten Menschenrasse. Wenn Glück und Leid der Wesen von ihren Bestrebungen im gegenwärtigen Leben abhängt, dann sind die Bestrebungen der Niganthas im gegenwärtigen Leben schlecht. Ob nun Glück und Leid der Wesen abhängt oder nicht abhängt von vorgeburtlichem Tun, von der Bestimmung eines Weltschöpfers, vom Zufall, von der Menschenrasse oder von den Bestrebungen im gegenwärtigen Leben, in jedem Falle ist die Lehre der Niganthas unbefriedigend. Darum ist ihre Mühe und Anstrengung fruchtlos.
Fruchtbar dagegen ist Mühe und Anstrengung so: Ein Bhikkhu gibt sich keiner Selbstquälerei hin und weist rechtmäßiges Wohlbefinden nicht zurück, läßt sich aber durch dieses Wohlbefinden nicht betören. Er weiß: Wenn ich die Quelle des Übels bekämpfe, werde ich dadurch frei von Leidenschaft, wenn ich gegenüber der Quelle des Übels Gleichmut bewahre, werde ich dadurch frei von Leidenschaft. Also bekämpft er die Quelle und bewahrt Gleichmut. Damit wir er frei von Leidenschaft. So verschwindet für ihn das Übel.
Meine Bhikkhus, was meint ihr: Wenn ein Mann, der in eine Frau verliebt ist und heftig nach ihr verlangt, sie bei einem anderen Manne stehen sieht, mit dem sie plaudert, scherzt und lacht, muß ihm das nicht sehr schmerzlich sein und ihn zur Verzweiflung treiben? – «Ja Herr! Weil dieser Mann in die Frau verliebt ist, muß es ihn zur Verzweiflung treiben.» – Wenn aber dieser Mann überlegt, ob es nicht besser sei, das leidenschaftliche Verlangen nach dieser Frau aufzugeben, und wenn er dann wirklich das Verlangen nach ihr aufgibt, wird es ihn dann immer noch zur Verzweiflung treiben, wenn er sie bei einem andern Manne stehen sieht, mit dem sie plaudert, scherzt und lacht? – «Nein, Herr! Denn seine Leidenschaft ist ja vergangen, darum wird es ihn nicht mehr zur Verzweiflung treiben.» – Ebenso verschwindet das Übel, wenn man gegenüber der Quelle des Übels Gleichmut bewahrt. Solche Mühe und Anstrengung ist fruchtbar.
Weiter überlegt ein Bhikkhu: Wenn es mir gut geht, wachsen mir die unheilsamen Regungen und die heilsamen schwinden; wenn ich mich aber einschränke, schwinden mir die unheilsamen Regungen und die heilsamen wachsen. Wäre es also nicht besser, wenn ich mich einschränkte? Dann schränkt er sich ein, und die unheilsamen Regungen schwinden ihm, während die heilsamen wachsen. Nach einiger Zeit aber schränkt er sich nicht mehr ein, und zwar deshalb, weil er den Zweck, den er mit der Einschränkung verfolgte, erreicht hat. Wie ein Pfeilschmied, der eine Pfeilspitze durch doppeltes Durchglühen scharf und brauchbar gemacht hat, sie nach einiger Zeit nicht noch einmal durchglüht, weil er ja seinen Zweck erreicht hat, ebenso schränkt sich ein Bhikkhu, der durch Einschränkung die unheilsamen Regungen zum Schwinden und die heilsamen zum Wachsen gebracht hat, nach einiger Zeit nicht mehr ein, weil er seinen Zweck erreicht hat. Auch so ist Mühe und Anstrengung fruchtbar.
Wenn dann ein Vollendeter in der Welt erscheint[3] und die Lehre verkündet, entschließt sich jemand, ihm nachzufolgen, wird Bhikkhu, führt einen reinen Lebenswandel und befolgt die Ordensregeln. Hat er die fünf Hemmnisse abgetan, dann erreicht er die vier Stufen der Versenkung. Auch so ist Mühe und Anstrengung fruchtbar.
Aus dieser Lehre des Vollendeten sind folgende zehn rühmlichen Schlußfolgerungen zu ziehen: Wenn Glück und Leid der Wesen durch vorgeburtliches Tun verursacht ist, dann hat der Vollendete in früherem Leben viel Gutes getan, da er jetzt frei von Anwandlungen so viel Glück erlebt. Wenn Glück und Leid der Wesen von einem Weltschöpfer bestimmt wird, dann ist der Vollendete von einem guten Schöpfer geschaffen worden. Wenn Glück und Leid der Wesen vom Zufall abhängen, dann hat der Vollendete einen glücklichen Zufall getroffen. Wenn Glück und Leid der Wesen von der Menschenrasse abhängen, dann gehört der Vollendete zu einer guten Menschenrasse. Wenn Glück und Leid der Wesen von ihren Bestrebungen im gegenwärtigen Leben abhängen, dann sind die Bestrebungen des Vollendeten im gegenwärtigen Leben gut. Ob nun Glück und Leid der Wesen abhängen oder nicht abhängen von vorgeburtlichem Tun, von der Bestimmung eines Weltschöpfers, vom Zufall, von der Menschenrasse oder von Bestrebungen im gegenwärtigen Leben, in jedem Falle ist der Vollendete rühmenswert. So sprach der Erhabene. Mit Freude und Dank nahmen die Bhikkhus seine Darlegung an.
[1]Die Niganthas nannten ihren Meister Nataputta <Jina> d. h. <Sieger>, und wurden daher später Jinisten oder (indisch) Jaina genannt.
[2]Wie im 95. Sutta, hier aber nicht recht passend.
[3]Im Text ausführlich mit denselben Worten wie im 27. Sutta.