Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

DRITTER TEIL: DIE SPÄTEREN FÜNFZIG – Uparipannāsam

XI.BUCH: GÖTTERTEICH – Devadaha vaggo

108. Aufseher Moggallāno – Gopakamoggallāna – Sutta

 

So habe ich es gehört:

Bald nach dem Parinirwana des Erhabenen weilte Ānanda am Eichhörnchenfutterplatz im Bambushain bei Rājagaha. Damals ließ König Ajātasattu Vedehiputta[1] von Māgadha die Stadt Rājagaha befestigen, weil er einen Angriff des Königs von Pajjota befürchtete.

Eines Morgens früh, noch vor dem Speisesammeln in Rājagaha, besuchte der ehrwürdige Ānanda den Brahmanen Gopaka-Moggallana (Moggallāna den Aufseher) an seiner Arbeitsstätte. Dieser sah ihn kommen und rief ihn an: «Tretet näher, Herr Ānanda, seid mir willkommen! Schon lange wolltet Ihr einmal zu mir kommen. Nehmt hier Platz!» Ānanda setzte sich auf den ihm angebotenen Platz und Gopaka-Moggallana nahm einen niedrigeren Sessel und setzte sich zu ihm. Dann fragte er: «Gibt es irgendeinen Bhikkhu, der alle jene Vorzüge besitzt, die Herrn Gotama auszeichneten, den Heiligen, Vollerwachten?» – «Nein», erwiderte Ānanda, «einen solchen Bhikkhu gibt es nicht; denn er, der Erhabene, hat den Weg, der vorher unbekannt war, entdeckt, erkundet und erklärt. Seine Jünger folgen ihm jetzt nur auf diesem Wege nach.»

Dieses Gespräch wurde unterbrochen, weil der Brahmane Vassakāra der Minister von Māgadha, der die Befestigungsarbeiten von Rājagaha besichtigte, herbeikam, den ehrwürdigen Ānanda begrüßte und sich zu ihm setzte. Vassakāra fragte, worüber die beiden geredet hätten und Ānanda sagte es ihm. Nun fragte Vassakāra: «Hat Herr Gotama einen Bhikkhu bestimmt, der nach seinem Hinscheiden die Gemeinde leiten und schützen soll?» – «Nein, Brahmane!» – «Oder hat die Gemeinde durch Mehrheitsbeschluß der Theras, der älteren Bhikkhus, einen Bhikkhu gewählt, der nach dem Hinscheiden des Erhabenen die Gemeinde leiten und schützen soll?» – «Nein, Brahmane!» – «Wenn kein Leiter und kein Beschützer da ist, wie kann dann Eintracht bestehen?» – «Wir sind nicht ohne Leiter und Beschützer, Brahmane. Die Lehre leitet und beschützt uns.» – «Wie ist das zu verstehen?» – «Der Erhabene, Heilige, Vollerwachte hat den Bhikkhus Lebensregeln gegeben und eine Beichtordnung festgesetzt. Wir versammeln uns an jedem Neumonds- und Vollmondstage, alle, die sich innerhalb der Gemarkung eines Dorfes aufhalten, und fordern den, der an der Reihe ist, auf, die Beichtordnung vorzutragen. Wenn ein Bhikkhu nach dem Vortrage ein Vergehen oder eine Übertretung bekennt, bestrafen wir ihn nach Recht und Gesetz, oder vielmehr: nicht die Brüder bestrafen uns, sondern das Gesetz bestraft uns.»

«Herr Ānanda, gibt es nun einen Bhikkhu, den ihr jetzt besonders hochschätzt und verehrt?» – «Ja, Brahmane, einen solchen Bhikkhu gibt es.» – «Ihr sagtet doch aber, Herr Ānanda, daß der Erhabene keinen Leiter und Beschützer eingesetzt hat und daß auch ihr keinen gewählt habt, und jetzt sagt Ihr, daß es doch einen Bhikkhu gibt, den ihr besonders hochschätzt und verehrt. Wie ist das zu verstehen?»

«Der Erhabene, Heilige, Vollerwachte hat zehn vertrauenerweckende Eigenschaften gelehrt:

  1. Sittenreinheit, Strenge bei der Erfüllung der Ordenspflichten, tadelloses Benehmen, Scheu vor der geringsten Verfehlung, Befolgung der Lebensregeln;
  2. genaue Kenntnis der Lehren, die am Anfang, in der Mitte und am Ende gut sind, nach Sinn und Wortlaut, der Lehren, die einen ganz reinen Lebenswandel preisen;
  3. Genügsamkeit in Bezug auf Gewand, Almosenschale, Lagerstätte und Arznei für Krankheitsfälle;
  4. die Fähigkeit, nach Belieben und ohne Schwierigkeit die vier Stufen der Versenkung zu erreichen, die auf Geistesklarheit beruhen und in diesem Leben glückliche Zustände herbeiführen;
  5. die Fähigkeit, verschiedene Wunderkräfte auszuüben, wie sich zu vervielfältigen, sich unsichtbar zu machen, durch Wände und Mauern zu gehen, in der Erde zu versinken, auf dem Wasser zu wandeln, durch die Luft zu schweben, Mond und Sonne zu berühren und körperlich bis in die Brahmawelt zu gelangen;
  6. himmlisches oder übersinnliches Gehör;
  7. die Fähigkeit des Gedankenlesens;
  8. die Erinnerung an frühere Daseinsformen;
  9. räumliches und zeitliches Hellsehen, vermöge dessen das vergangene und das zukünftige Geschick der Wesen erkannt wird;
  10. Freisein von Anwandlungen und damit Befreiung des Geistes durch Weisheit schon in diesem Leben.»

Nach diesen Worten wandte sich der Minister Vassakāra an den General Upananda mit der Frage: «Meinst du, daß diese Herren den hochschätzen und verehren, der Hochschätzung und Verehrung verdient?» – «Sicherlich, denn wenn sie den nicht hochschätzten und verehrten, was sollten sie denn sonst hochschätzen und verehren?»

Darauf fragte Vassakāra den ehrwürdigen Ānanda, wo er sich jetzt aufhalte. Er antwortete: «Im Bambushain.» – «Ist der Bambushain nicht erfreulich, ohne Lärm, menschenleer, wohl geeignet zu einsamer Andacht?» – «Gewiß, so ist der Bambushain, dank euren Wächtern und Aufsehern.» – «Gewiß, der Bambushain ist erfreulich für euch Herren, die ihr gern Versenkung übt, denn das tut ihr ja. Einst, als Herr Gotama im Turmhaus im Großen Walde bei Vesālí weilte, besuchte ich ihn, und Herr Gotama hielt einen Vortrag über Versenkungen. Herr Gotama übte gern Versenkung und er lobte jede Versenkung.» – «Nein, Brahmane, nicht jede Versenkung lobte der Erhabene. Wenn jemand Versenkung übt, der sich nach Sinnenfreuden sehnt, mißgünstig gesinnt, müde und schlaff, aufgeregt und innerlich unruhig ist oder in Zweifeln schwankt, dann lobte der Erhabene die Versenkung nicht. Er lobte sie nur, wenn ein Bhikkhu sich abgelöst hat von dem Verlangen nach sinnlichen Genüssen und unheilsamen Regungen und dann die mit Nachdenken und Überlegen verbundene, aus dieser Ablösung entstandene, von Freude und Wohlbehagen erfüllte erste Stufe der Versenkung, dann die zweite, die dritte und die vierte Stufe erreicht. Solche Versenkung lobte der Erhabene.» – «Der Erhabene hat also tadelnswerte Versenkung getadelt und löbliche gelobt. – Nun will ich aber gehen; ich habe noch viel zu besorgen.» – «Tue, Brahmane, was dir recht scheint.»

Befriedigt von dem Gespräch stand Vassakāra auf und ging fort. Darauf sagte Gopaka Moggallāna zu Ānanda: «Herr Ānanda, Ihr habt mir meine Frage noch nicht beantwortet.» – «Doch, Brahmane, ich habe dir gesagt, daß es keinen Bhikkhu gibt, der alle die Vorzüge besitzt, die den Erhabenen auszeichneten, und daß der Erhabene den Weg, der vorher unbekannt war, entdeckt, erkundet und erklärt hat und daß seine Jünger ihm jetzt nur auf diesem Wege nachfolgen.»

 



[1]<Sohn der Vedehi>, d. h. einer geborenen Prinzessin von Videha.


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