Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung
DRITTER TEIL: DIE SPÄTEREN FÜNFZIG – Uparipannāsam
XIV. BUCH: UNTERSCHEIDUNGEN – Vibhangavaggo
131. Heilig-Wachsam – Bhaddekaratta Sutta
Vorbemerkung: Zu einem kleinen Lehrgedicht, das wahrscheinlich von Buddha
selbst verfaßt worden ist, haben vier verschiedene Kreise oder Schulen von
Bhikkhus später Rahmenerzählungen und Kommentare verfaßt. Jeder dieser Kreise
bestand darauf, daß seine Fassung in den Kanon aufgenommen wurde. Von den vier
Kommentaren stimmen drei im Wortlaut überein, der vierte besagt dasselbe von
einem andern Gesichtspunkt aus. Das Gedicht wird in diesen vier Sutten (131-134)
im ganzen siebzehnmal wiederholt. Bei allen Kommentaren fällt auf, daß das
einzige Wort in dem Gedicht, das wirklich einer Erklärung bedarf, weil es nur an
dieser einen Stelle vorkommt, und das außerdem das Stichwort des Gedichts ist,
bhaddakaratto, nicht erklärt wird. Wie Nyanaponika Thera ermittelt hat,
bedeutet dieses Wort: <heilig-wachsam>.
Durch die Aufspaltung des Heilig-Wachsam-Suttas sind aus den ursprünglich 9
Sutten des XIV. Buchs 12 geworden. So erklärt sich auch, daß der Dritte Teil des
Majjhima-Nikāya, die <Späteren Fünfzig> in der jetzigen Fassung 52 enthält.
So habe ich es gehört:
In Anāthapindikas Bhikkhuheim im Jetahain bei Sāvatthi sprach der Erhabene zu
den Bhikkhus: Ich will euch genau erklären, was ein Heilig-Wachsamer ist. Höret
gut zu und denkt darüber nach!
- Vergangnem traure niemals nach,
- Erhoffe nichts vom Künftigen!
- Denn was vergangen, ist dahin,
- Noch nicht ist, was da kommen wird.
-
- Wer aber klar die Gegenwart
- Mit ihrem Vielerlei durchschaut,
- Der strebe, wenn er es erkannt,
- Dem nach, was unerschütterlich.
-
- Noch heute, wahrlich, ringe ernst;
- Wer weiß, ob morgen nicht der Tod!
- Zu kämpfen gilt es sicherlich
- Mit ihm und seinem Aufgebot.
-
- Der aber, der beharrlich strebt
- Bei Tag und Nacht ohn' Unterlaß,
- Der ist ein Heilig-Wachsamer;
- Gestillt und weise nennt man ihn.
- Wie trauert man dem Vergangenen nach? Man vergegenwärtigt sich, wie
erfreulich einst die Körperlichkeit, die Empfindung, die Wahrnehmung, die
unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein waren.
- Und wie trauert man dem Vergangenen nicht nach? Man vergegenwärtigt sich
nicht, wie erfreulich der frühere Zustand war.
- Wie erhofft man etwas vom Künftigen? Man vergegenwärtigt sich, wie
erfreulich die Körperlichkeit, die Empfindung, die Wahrnehmung, die
unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein künftig sein werden.
- Und wie erhofft man nichts vom Künftigen? Man vergegenwärtigt sich
nicht, wie erfreulich der künftige Zustand sein wird.
- Wie ist man befangen im Gegenwärtigen? Ein unbelehrter Weltmensch
betrachtet die Körperlichkeit, die Empfindung, die Wahrnehmung, die
unbewußten Tätigkeiten und das Bewußtsein als sein Ich oder sein Ich als
Besitzer der fünf Gruppen oder die Gruppen als in seinem Ich enthalten oder
sein Ich als in den Gruppen enthalten. So ist man im Gegenwärtigen befangen.
- Und wie ist man im Gegenwärtigen nicht befangen? Ein wohlunterrichteter
Edeljünger betrachtet die fünf Gruppen nicht als sein Ich, sich nicht als
Besitzer der Gruppen, die Gruppen nicht als in seinem Ich enthalten, nicht
sein Ich als in den Gruppen enthalten. So ist man nicht im Gegenwärtigen
befangen.