Majjhima Nikāya, Mittlere Sammlung

DRITTER TEIL: DIE SPÄTEREN FÜNFZIG – Uparipannāsam

XIV. BUCH: UNTERSCHEIDUNGEN – Vibhangavaggo

136. Unterscheidung beim Karma II – Mahākammavibhanga Sutta

 

Siehe die Vorbemerkung zum 135. Sutta!

 

So habe ich es gehört:

Einst weilte der Erhabene am Eichhörnchenfutterplatz im Bambushain bei Rājagaha. Damals hielt sich der ehrwürdige Samiddhi in einer Waldhütte auf. Auf einem Spaziergang kam der Wanderasket Potaliputta zu Samiddhi, begrüßte ihn, setzte sich zu ihm und sprach:

«Aus dem Munde des Samana Gotama habe ich folgendes gehört: <Unwichtig ist das Handeln in Werken, unwichtig ist das Handeln in Worten, nur auf das Handeln in Gedanken kommt es an. Es gibt eine Versenkung (samāpatti[1]), in der man keine Empfindung hat>» – «Sage das nicht!» erwiderte ihm Samiddhi, «verleumde den Erhabenen nicht! Es ist nicht gut, den Erhabenen zu verleumden. Der Erhabene würde Derartiges nicht sagen.» – «Lieber Samiddhi», sagte darauf der andere, «wie lange bist du eigentlich schon Bhikkhu?» – «Noch nicht lange, erst drei Jahre.» – «Wozu soll ich dann noch mit älteren Bhikkhus reden, wenn schon ein so junger Bhikkhu glaubt, seinen Meister verteidigen zu müssen!» Und er fügte hinzu: «Wenn jemand wissentlich in Werken, Worten oder Gedanken etwas getan hat, welche Vergeltung hat er dann zu erwarten?» Samiddhi erwiderte. «Dann ist die Vergeltung Leiden oder Übel.»

Ohne zuzustimmen und ohne zu widersprechen stand Potaliputta auf und ging fort. Bald darauf suchte Samiddhi den ehrwürdigen Ānanda auf und berichtete ihm das Gespräch mit Potaliputta. Ānanda sagte darauf: «Wir müssen den Gegenstand dieser Unterredung dem Erhabenen unterbreiten. Komm, wir wollen zusammen zum Erhabenen gehen und ihm berichten. Wie er es uns erklären wird, so wollen wir es festhalten.» Dann gingen beide zum Erhabenen und trugen ihm die Sache vor.

Der Erhabene sprach: «Nicht einmal vom Sehen kenne ich den Wanderasketen Potaliputta, geschweige denn, daß ich mit ihm ein solches Gespräch gehabt hätte. Der unwissende Samiddhi hat die unterschiedlich zu beantwortende Frage Potaliputtas einseitig beantwortet.» Darauf sagte der ehrwürdige Udayi zum Erhabenen: «Hat der ehrwürdige Samiddhi es vielleicht so gemeint: Alles, was (als Vergeltung) empfunden wird, das ist vom Übel?»

Der Erhabene aber sagte zu Ānanda: «Sieh doch diese Ablenkung des unwissenden Udayi! Ich wußte schon, daß Udayi eine solche Ablenkung machen würde. Von Anfang an hat Potaliputta bei seiner Frage an drei Arten von Vergeltung gedacht. Samiddhi hätte ihm antworten sollen: <Wenn jemand wissentlich in Werken, Worten oder Gedanken etwas getan hat, das eine glückliche Vergeltung verdient, dann hat er eine glückliche Vergeltung zu erwarten; hat er wissentlich etwas getan, das eine üble, leidvolle Vergeltung verdient, dann hat er eine üble, leidvolle Vergeltung zu erwarten; hat er wissentlich etwas getan, das eine weder glückliche noch üble Vergeltung verdient, dann hat er eine weder glückliche noch üble Vergeltung zu erwarten.> So hätte Samiddhi richtig geantwortet. Ganz abgesehen von den törichten und unwissenden andersdenkenden Wanderasketen, – wer wird die große Lehre eines Vollendeten von den Unterschieden beim Karma[2] erstehen, wenn nicht ihr, Ānanda, hört, wie ein Vollendeter die Unterschiede beim Karma auseinanderhält?»

Hierauf bat Ānanda den Erhabenen, diese Lehre darzulegen, und der Erhabene sprach:

«Vier Arten von Menschen sind in der Welt anzutreffen: die einen sind Mörder, Diebe, Lüstlinge, Lügner, Verleumder, Schwätzer, Habsüchtige, Mißgünstige und haben falsche Ansichten. Solche sinken nach dem Tode hinab in die Hölle. Die zweite Art ist ebenso, sie steigen aber nach dem Tode hinauf in den Himmel. Die dritte Art enthält sich alles bösen Tuns und hat rechte Einsicht. Solche steigen nach dem Tode hinauf in den Himmel. Die vierte Art ist ebenso wie die dritte, sie sinken aber nach dem Tode hinab in die Hölle.

Nun erlangt irgendein Samana oder Brahmane eine solche Geistessammlung, daß er mit dem himmlischen Auge sieht, wie ein Übeltäter nach dem Tode zur Hölle hinabsinkt. Der sagt dann: <Es gibt wirklich eine Vergeltung für Übeltaten, denn ich selbst habe gesehen, wie ein Übeltäter nach dem Tode zur Hölle hinabsank.> Und er sagt weiter: <Jeder, der Übles tut, kommt in die Hölle. Dies ist die Wahrheit, anderes ist Irrtum.> So hält er hartnäckig an dem fest, das er selbst erkannt und geschaut hat.

Ein anderer Samana oder Brahmane schaut in der Geistessammlung, wie ein Übeltäter in den Himmel kommt; der behauptet dann hartnäckig, Übeltäter kämen in den Himmel; nur dies sei Wahrheit, anderes Unsinn.

Wieder ein anderer schaut in der Geistessammlung, wie ein guter Mensch in den Himmel kommt; der behauptet dann hartnäckig, alle guten Menschen kämen in den Himmel; nur dies sei Wahrheit, anderes Unsinn.

Ein vierter schaut in der Geistessammlung, wie ein guter Mensch nach dem Tode in die Hölle kommt; der behauptet dann hartnäckig, alle guten Menschen kämen in die Hölle; dies sei Wahrheit, anderes Unsinn.

Dem Samana oder Brahmanen, der sagt, es gebe eine Vergeltung für Übeltaten; Übeltäter kämen in die Hölle; er habe es selbst gesehen, – diesem stimme ich zu. Dem aber, der sagt, alle Übeltäter kämen in die Hölle, stimme ich nicht zu, und zwar deshalb, weil ein Vollendeter über die große Lehre von den Unterschieden beim Karma anderes weiß.

Dem Samana oder Brahmanen, der sagt, es gebe keine Vergeltung für Übeltaten; er habe gesehen, wie ein Übeltäter nach dem Tode in den Himmel kam, – diesem stimme ich zu; dem aber, der sagt, alle Übeltäter kämen in den Himmel, stimme ich nicht zu[3].

Dem Samana oder Brahmanen der sagt, es gebe eine Vergeltung für gute Taten; gute Menschen kämen in den Himmel; er selbst habe es gesehen, – diesem stimme ich zu; dem aber, der sagt, alle guten Menschen kämen in den Himmel, stimme ich nicht zu.

Dem Samana oder Brahmanen, der sagt, es gebe keine Vergeltung für gute Taten; er habe gesehen, wie ein guter Mensch in die Hölle kam, – diesem stimme ich zu; dem aber, der sagt, alle guten Menschen kämen in die Hölle, stimme ich nicht zu.

Ein Übeltäter sinkt hinab in die Hölle, wenn er früher oder später Übles getan hat, das für ihn Leiden zur Folge hat, und wenn er in der Sterbestunde falsche Ansicht hat. Dafür, daß er hier ein Übeltäter ist, erhält er die Vergeltung entweder schon in diesem Leben oder bei der Wiedergeburt oder in einem späteren Dasein.

Ein Übeltäter steigt aber hinauf zum Himmel, wenn er früher oder später Gutes getan hat, das für ihn Glück zur Folge hat, oder wenn er in der Sterbestunde rechte Einsicht hat; darum kommt er in den Himmel. Wenn er nun hier ein Übeltäter war, so erhält er doch die Vergeltung in diesem Leben oder bei der Wiedergeburt oder in einem späteren Dasein.

Ein Mensch, der sich hier übler Taten enthält und in der Sterbestunde rechte Einsicht hat, steigt nach dem Tode hinauf in den Himmel. Weil er früher oder später Gutes getan hat oder in der Sterbestunde rechte Einsicht hat, darum kommt er nach dem Tode in den Himmel. Er erhält in diesem Leben oder bei der Wiedergeburt oder in einem späteren Dasein die Vergeltung.

Ein Mensch, der sich übler Taten enthält und in der Sterbestunde rechte Einsicht hat, sinkt hinab in die Hölle, wenn er früher oder später Übles getan hat, das für ihn üble Folgen hat; darum kommt er nach dem Tode in die Hölle. Dafür, daß er sich hier übler Taten enthalten hat und in der Sterbestunde rechte Einsicht hat, erhält er die Vergeltung in diesem Leben oder bei der Wiedergeburt oder in einem späteren Dasein.

So, Ānanda, ist ein Karma ungünstig und erscheint ungünstig, ein anderes Karma ist ungünstig und erscheint günstig, ein anderes Karma ist günstig und erscheint günstig, ein anderes Karma ist günstig und erscheint ungünstig.»

So sprach der Erhabene. Ānanda freute sich über diese Rede.



[1] samāpatti (wörtlich: <Erreichung>), ein Wort, das im älteren Pali, das Buddha sprach, nicht vorkam; er sagte dafür jhāna oder samādhi.

[2] mahākammavibhangam So soll Buddha die hier vorgetragene Lehre selbst bezeichnet haben. kammavibhanga bedeutet: <Unterscheidung beim Karma>. Warum steht hier mahā (groß)? Dies scheint sich auf vibhanga (Unterscheidung) zu beziehen, aber die Unterscheidung ist nicht besonders groß. Des Rätsels Lösung liegt darin, daß das vorhergehende Sutta 135 die Bezeichnung Cūlakammavibhangasutta (kleines oder geringes Sutta von der Unterscheidung beim Karma) führt. Offenbar ist mahāvibhanga das Gegenstück dazu. Es wird also vorausgesetzt, daß Buddha, als er seine Lehrrede ankündigte, wußte, daß ihr im Majjhimanikāya, den es damals noch nicht gab, als 135. Stück das Cūlakammavibhangasutta vorhergehen würde!

[3]Im Text jedesmal derselbe Schlußsatz wie zuvor.


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