Im Jetahain bei Sāvatthi sprach der Erhabene zu den Bhikkhus: Ich will euch die Unterscheidungen nach der Harmlosigkeit erklären:
Man ergebe sich nicht den Freuden sinnlicher Lust; sie sind niedrig, gemein, weltlich, unedel, schädlich. Man ergebe sich aber auch nicht der Selbstquälerei; sie ist leidvoll, unedel, schädlich. Diese beiden Übertreibungen hat der Vollendete vermieden, und er hat den mittleren Pfad entdeckt, der sehend macht, der Erkenntnis verleiht, der zur Ruhe, zu höherem Wissen, zum Erwachen, zum Nirwana führt.
Man soll erkennen, was zuviel und was zuwenig ist, und wenn man es erkannt hat, soll man nicht zuviel und nicht zuwenig behaupten, vielmehr soll man die Lehre richtig darlegen.
Man soll erkennen, was beim Wohlbefinden zu unterscheiden ist, und wenn man es erkannt hat, soll man sich innerlich dem Wohlbefinden hingeben.
Geheimnisse soll man nicht ausplaudern, Gerüchte nicht weitererzählen. Man rede gemächlich und ohne Überstürzung. Mundartliche Ausdrücke und Redensarten soll man nicht bevorzugen und nicht überschätzen.
Dies ist die Erklärung der Unterscheidungen nach der Harmlosigkeit.
Behagliche Hingebung an die Freuden sinnlicher Lust ist niedrig, gemein, weltlich, unedel, schädlich. Solches Verhalten hat allerlei Unannehmlichkeiten zur Folge, es ist ein falscher Pfad. Verzicht auf sinnliche Freuden bringt keine Unannehmlichkeiten mit sich, es ist der richtige Pfad. Hingebung an Selbstquälerei ist leidvoll, unedel, schädlich. Solches Verhalten hat allerlei Unannehmlichkeiten zur Folge, es ist ein falscher Pfad. Verzicht auf Selbstquälerei bringt keine Unannehmlichkeiten mit sich, es ist der richtige Pfad. Der vom Vollendeten entdeckte mittlere Pfad ist dieser edle achtfache Weg: rechte Einsicht, rechte Gesinnung, rechtes Reden, rechtes Tun, rechter Lebenserwerb, rechtes Bemühen, rechte Achtsamkeit und rechte Geistessammlung.
Wenn man sagt, alle, die sich behaglich den Sinnenfreuden hingeben, hätten davon allerlei Unannehmlichkeiten, so behauptet man zuwenig; wenn man sagt, alle, die auf Sinnenfreuden verzichten, hätten keine Unannehmlichkeiten, so behauptet man zuviel. Wenn man sagt, alle, die sich der Selbstquälerei hingeben, hätten davon allerlei Unannehmlichkeiten, so behauptet man zuwenig; wenn man sagt, alle, die auf Selbstquälerei verzichten, hätten keine Unannehmlichkeiten, so behauptet man zuviel. Wenn man sagt, alle, welche die Daseinsfesseln nicht abgestreift haben, seien unglücklich, so behauptet man zuwenig; wenn man sagt, alle, welche die Fessel der Selbstabtötung abgestreift haben, seien glücklich, so behauptet man zuviel. Dagegen legt man die Lehre richtig dar, wenn man sagt: Die Hingebung an Sinnenfreuden und an Selbstquälerei ist mit allerlei Unannehmlichkeiten verbunden, sie ist der falsche Pfad, der Verzicht auf Sinnenfreuden und auf Selbstquälerei bringt keine Unannehmlichkeiten mit sich, er ist der richtige Pfad. Wenn die Daseinsfessel nicht abgestreift ist, dann ist das Dasein nicht überwunden; wenn aber die Daseinsfessel abgestreift ist, dann ist das Dasein überwunden.
Bei dem Wohlbefinden ist zu unterscheiden: Es gibt fünf Arten von Sinnenfreuden; sie sind das Erfreuliche, das die fünf Sinne bieten. Das Wohlbefinden, das aus den Sinnenfreuden erwächst, heißt sinnliches Wohlbefinden, mistiges, weltliches, unedles Wohlbefinden. Dieses soll man nicht hegen und pflegen. Dagegen heißen die vier Stufen der Versenkung: Wohlbefinden des Entsagens, des Alleinseins, der Ruhe, des Erwachens. Dieses soll man hegen und pflegen.
Kennt man ein Geheimnis oder ein Gerücht, das unwahr und schädlich ist, so soll man es nicht ausplaudern oder weitererzählen; kennt man ein Geheimnis oder ein Gerücht, das zwar wahr, aber schädlich ist, so soll man sich hüten, es auszusprechen; kennt man ein Geheimnis oder ein Gerücht, das wahr und nützlich ist, dann soll man überlegen, ob es passend ist, es auszusprechen.
Wenn man überstürzt redet, ermüdet der Körper, Geist und Stimme werden überanstrengt, die Kehle wird rauh, die Rede wird verworren und unverständlich. Redet man aber gemächlich, so ermüdet der Körper nicht, Geist und Stimme werden nicht überanstrengt, die Kehle wird nicht rauh, die Rede wird klar und verständlich. Darum soll man gemächlich und ohne Überstürzung reden.
In manchen Gegenden sagt man z. B. für Schale: Napf, Schüssel, Terrine, Behälter oder Topf. Wo man so spricht, da hält man hartnäckig daran fest und meint, das sei die einzig richtige Bezeichnung. Wenn man sich aber sagt: Diese Leute[1] sprechen nun einmal so, dann hält man nicht daran fest. So bevorzugt und überschätzt man mundartliche Ausdrücke und Redensarten nicht.
Weil behagliche Hingebung an Sinnenfreuden niedrig, gemein, weltlich, unedel und schädlich ist und allerlei Unannehmlichkeiten mit sich bringt, darum ist sie etwas Harmvolles. Weil der Verzicht auf Sinnenfreuden keine Unannehmlichkeiten mit sich bringt, darum ist er etwas Harmloses. Weil die Hingebung an Selbstquälerei leidvoll, unedel und schädlich ist und Unannehmlichkeiten mit sich bringt, darum ist sie etwas Harmvolles; weil der Verzicht auf Selbstquälerei keine Unannehmlichkeiten mit sich bringt, darum ist er etwas Harmloses. Weil der edle achtfache Weg keine Unannehmlichkeiten mit sich bringt, darum ist er etwas Harmloses. Sinnliches Wohlbefinden ist harmvoll; das Wohlbefinden des Entsagens ist harmlos. Unwahre und schädliche Geheimnisse und Gerüchte auszuplaudern und weiterzuerzählen ist harmvoll; zwar wahre, aber schädliche Geheimnisse und Gerüchte auszuplaudern und weiterzuerzählen, ist harmvoll; wahre und nützliche Geheimnisse und Gerüchte auszusprechen ist harmlos. Überstürzt reden ist harmvoll gemächlich reden ist harmlos. Mundartliche Ausdrücke bevorzugen und überschätzen ist harmvoll, sie nicht bevorzugen und nicht überschätzen ist harmlos.
Nun, meine Bhikkhus, sollt ihr euch darin üben, zu erkennen, was harmvoll und was harmlos ist, und wenn ihr es erkannt habt, dann sollt ihr auf dem Pfade der Harmlosigkeit wandeln. Subhuti, der ehrbare Mann, wandelt auf dem Pfad der Harmlosigkeit[2].
[1] ime āyasmanto: In älteren Texten wird das Wort āyasmā, das wir mit <ehrwürdig> übersetzen, nur für Bhikkhus gebraucht, in der jüngeren Literatur aber auch für andere Personen als Ausdruck der Höflichkeit, wie im 37. Sutta (Anm. 6). Im Text ist das i von ime regelrecht elidiert und muß ergänzt werden; also: <diese>, nicht me = <mich>.
[2] Der letzte Satz ist von einem Kommentator hinzugefügt worden. Subhuti ist als <der Harmlose> bekannt. Daß er hier kulaputto = <ehrbarer Mann> oder <Herr> genannt wird, ist auch ein Verstoß gegen die Regeln des alten Pali, nach denen er āyasmā = <ehrwürdig> genannt werden müsste. - Das ganze Sutta ist zweifellos nicht ursprünglich.